Als der Wahlerfolg der AfD in Sachsen im Sommer 2017 ganz Deutschland erschütterte, hieß es: Die Ostdeutschen haben die falsche Partei gewählt. Es wurde nicht gefragt, warum der Osten so wählte, sondern eher, wie man ihn umerziehen könnte. Ob man ihn nicht wieder loswerden könnte. Der damalige Kanzleramtschef Peter Altmaier sagte, ihm seien Nichtwähler lieber als AfD-Wähler – und meinte damit auch den Osten. Und nach der Wahl twitterte Spiegel-Reporter Hasnain Kazim: „Ihr kamt 1990 mit nem Trabbi angeknattert und wählt heute AfD – wie soll ich euch ernst nehmen?“
Auch Feinde von RB Leipzig, dem einzigen ostdeutschen Bundesligaverein, wünschen sich nicht etwa, dass sich an dem Verein etwas ändert oder an dessen taktischer Ausrichtung. Sondern sie stellen infrage, ob es sich überhaupt um einen richtigen Fußballverein handelt. Der Präsident von Viktoria Köln nannte RB Leipzig den ersten „Marketingclub“ Deutschlands. „Der Fußball gehört uns!“ stand auf einem Anti-RB-Leipzig-Plakat von Dortmunder Fans. Wie werden wir die wieder los? Das war eine Frage, die so heftig nur in Bezug auf Ostdeutschland gestellt wurde, nicht in Salzburg oder New York, wo die anderen Red-Bull-Clubs zu Hause sind.
Wie soll der Osten auf Häme antworten?
Ähnlich süffisant liest sich auch Kritik daran, wie der Osten sein Geld ausgibt. Etwa, als der Hallenser Ökonom Reint Gropp kürzlich der ostdeutschen Politik einen „Denkfehler“ attestierte: Es werde zu viel für den Erhalt von Arbeitsplätzen getan, zu wenig für „Jobs im High-Tech-Bereich“.
Wie soll der Osten auf Kritik antworten, die eigentlich gar keine ist – weil sie sich nicht mit ihm auseinandersetzt? Und hinter der sich oft auch Häme verbirgt?
Man könnte sich wehren. Erklären, woher die Lust der Ostdeutschen an der AfD kommt. Und, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen durchaus ein probates Mittel dagegen sein könnte. Oder sogar ein stolzer Bundesligaclub wie RB Leipzig gegen das taube Gefühl der Abgehängtheit hilft. Oder aber man lenkt den Blick in die andere Richtung, und fragt: Was kann der Westen vom Osten lernen?
Die gute Seite des Ostens
Hat der Osten nicht auch Eigenschaften, von denen der Westen profitieren kann? Natürlich hat er sie! In einer Umfrage erzählten die Abonnenten meines Newsletters (hier abonnieren!) und von Krautreporter Sachsen (hier mitmachen!), was der Osten besonders gut kann. Mehr als 200 Antworten habe ich erhalten. Hier habe ich für dich die 50 besten, witzigsten, häufigsten ausgewählt. Die vollständige, unzensierte Liste kannst du hier einsehen.
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„Streitkultur am Küchentisch“
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„Die Gleichberechtigung von Mann und Frau“
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„Die Möglichkeit, als Frau beruflich anerkannt zu sein“
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„Die Wertschätzung von Müttern, die arbeiten gehen. Zum Teil findet man im Westen gar keine Kindergärten, die zehn Stunden am Stück aufhaben – weil man fest damit rechnet, dass die Mutter nur halbtags arbeitet.“
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„Lieber zuhören als immer laut reden. Das machen die Wessis gar zu gern.“
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„Improvisation als Problemlösung“
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„Tiefergehende Beziehungen unter Freunden und Bekannten – und dass Freundschaft nichts mit Vorteilsnahme zu tun hat.“
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„Hartnäckigkeit. Nicht im Sinne von Engstirnigkeit oder Starrsinnigkeit, sondern von Ausdauer und Geduld.“
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„Dass Glück nicht an Konsum hängt“
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„Die Sanierung der Gebäude und Straßen“
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„Einander helfen. Ist in meiner Generation (40+) stark ausgeprägt.“
„Pragmatisch handeln, wenn alles gleich dringend ist, aber das Geld nicht für alles reicht.“ -
„Zu warten. Als Erzgebirglerin, die seit mehr als zehn Jahren in Baden-Württemberg lebt, habe ich das Gefühl, dass hier alles schneller gehen muss und die Zeit für Denken und Warten dann schlicht fehlt.“
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„Wir können besser Probleme lösen – weil wir schon einmal lernen mussten, wie man mit einer rigorosen Lebensänderung umgeht.“
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„Der Geschichtsunterricht über Ostdeutschland“
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„Weil wir als Minimalisten auf Besitz pfeifen, sind wir viel schneller imstande, uns zu verändern.“
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„Wir nehmen jede Herausforderung an. Das hat man in der DDR gelernt, wo eigentlich immer eine kreative Lösung die beste war. Zum Beispiel: Wenn man eine Garage bauen wollte, aber es nirgends das richtige Material zu kaufen gab.“
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„Reißverschluss und Rettungsgasse“
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„Kinderbetreuung“
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„Verweigerung des Leistungswahns“
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„Diese freundliche Aufmüpfigkeit.“
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„Selbst viele nach der Wende Geborene sind durch ihre Prägung, die Erziehung ihrer Eltern, sehr sensibel, wenn ihnen eine andere Lebenswirklichkeit vorgegaukelt oder erklärt wird. Im tiefen Inneren teile ich da vermutlich Eigenarten mit Pegida-Leuten und vielen anderen, (die das vermutlich gar nicht ahnen).“
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„Erhalt lokaler Dialekte“
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„Wir sind bescheidener und erwarten nicht zu viel vom Leben. Wenn es dann doch gut läuft, ist die Freude umso größer.“
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„Es ist okay, politisch unkorrekt zu sein.“
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„Wir können etwas, das kaputt ist, wieder ganzmachen.“
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„Wenn ich ein Problem habe, hilft mir mein Nachbar.“
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„Dickes Auto und Dresscode haben wir nicht nötig.“
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„Man hat es nicht nötig, damit anzugeben, was man kann, schon gemacht hat und noch machen wird.“
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„Der grüne Abbiegepfeil“
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„Bis auf die Faschobrüllaffen gibt es hier einen Gemeinschaftssinn.“
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„Wachstum wird nicht nur gefeiert, sondern hinterfragt.“
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„Unsere Frauen – auch ich – sind emanzipierter. Und wir sind nicht so dünkelhaft wie die Westdeutschen. Den Dünkel haben sie leider nach der Wende zu uns gebracht.“
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„Wir sind für einander da.“
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„Die Lust, immer mitreden zu wollen.“
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„Wir ‚machen einfach mal‘, das zeichnet uns aus.“
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„Dass Männer sich für Kinder und Haushalt zuständig fühlen.“
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„Man gibt sich schneller eine Antwort, mährt nicht ewig rum. Deshalb verklagen sich Ossis auch seltener untereinander.“
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„Ich beobachte hier eine große systemkritische Haltung, die aber unabhängig vom System besteht. Und ich glaube: Nur so schafft man ständige Erneuerung und Innovation.“
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„Wir wissen, wie man feiert.“
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„Auf der Arbeit ist man im Osten entspannter und dabei freundlicher als wir im Westen. Das solltet ihr euch beibehalten.“
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„Eine Starrköpfigkeit, die manchmal nervt und anstrengend ist, aber letztlich dazu führt, dass Menschen ihren eigenen Weg gehen. So lässt man sich nicht von Mehrheitsmeinungen bestimmen, sucht kreative Lösungen, die andere nicht erwarten, und sorgt am Ende für Vielfalt.“
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„Sexuelle Liberalität“
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„Dreiviertel neun sagen für 8:45.“
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„Stoffeligkeit. Ich spreche vorwiegend von den Sachsen, da ich dort aufgewachsen bin. Vielleicht sind Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern weniger stoffelig, aber die Sachsen sind es auf jeden Fall. Aber es ist eine herzliche Stoffeligkeit, eine gastfreundliche – und eine, die respektiert werden möchte. Man muss uns Zeit geben, Fremdes kennenzulernen. Und wir können es nicht leiden, überrumpelt zu werden. Unsere Stoffeligkeit kann aber auch ins Negative schlagen, wenn wir aus Prinzip nicht enthusiastisch sind und erstmal nur meckern.“
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„Es gibt praktisch keine Gender Pay Gap.“
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„Der Ossi lässt sich nicht so schnell durch Werbung blenden.“
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„Patriotismus, NICHT Nationalismus.“
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„Wir wissen: Es gibt immer Alternativen, auch wenn es manchmal nicht so aussieht.“
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„Das gegebene Wort gilt noch etwas.“
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„Nacktbaden“
Das meinen Ostdeutsche – und so sieht ihre Hitliste aus
Und dann galt es für die Leser, noch ein paar Multiple-Choice-Fragen zu beantworten. Für die folgenden standen immer zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Sie lautete:
Was kann der Osten besser?
Man könnte meinen: Ostdeutsche können gut verstehen und sich dann ändern. Trotzdem, sagen die Leser, wäre es besser, wenn der Osten immer ein bisschen anders bleibt:
Sollte der Osten mehr wie der Westen werden?
Unentschlossenheit herrscht über die Frage, wie nah sich Osten und Westen in den letzten Jahren gekommen sind …
Erscheinen Ost- und Westdeutschland immer noch wie zwei verschiedene Länder? Oder gibt es eher gar keine Unterschiede mehr?
Die Entwicklung des Ostens schwankt also zwischen Angleichung und Selbstbewusstsein. Für seine Entwicklung seit dem Mauerfall sollten Leser dem Osten noch eine Schulnote geben:
Eine 2,6. Durchwachsen! Trotzdem glauben die Leser, dass der Osten manches besser kann als der Westen. Zum Beispiel: Große Persönlichkeiten in die Welt entlassen. So wurde über die drei Ost-Exporte Angela Merkel, Sahra Wagenknecht und Toni Kroos abgestimmt:
Die Mehrheit übrigens, nämlich die restlichen 34 Prozent, wollte lieber selbst einen selbstgewählten Ost-Export nennen. Zum Schluss also noch die Hitliste der ewigen Ost-Exporte:
Gregor Gysi, Rotkäppchen Sekt, Joachim Gauck, Sandmännchen, Olaf Schubert, der kaufkräftige Wirtschaftsflüchtling, Reinhard Lakomy, Kraftklub, Vita Cola, Hans-Eckardt Wenzel, der grüne Pfeil, Erich Loest, Christa Wolf, Katja Kipping, Gerhard Gundermann, Clemens Meyer, Tokio Hotel, Knusperflocken, Matthias Schweighöfer, Michael Ballack, Bautzner Senf, Spreewaldgurken, A.R. Penck, Jan Josef Liefers.
Redaktion: Christian Gesellmann. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherbild: Wikimedia / Arne Müseler).