Es wird ernst: Die AfD könnte nächstes Jahr in Sachsen regieren

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Politik und Macht

Es wird ernst: Die AfD könnte nächstes Jahr in Sachsen regieren

Bei der Bundestagswahl gaben die Sachsen der AfD die meisten Zweitstimmen. Nächstes Jahr wählen sie ihre eigene Regierung. Kommt im Land dann die AfD an die Macht?

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Reporter für Ostdeutschland, Leipzig

Ende April geriet der sächsische Politikbetrieb in helle Aufregung. Eine Wählerbefragung war in Umlauf geraten, die vielen Beratern, Politikern und Journalisten kalten Schweiß auf die Stirn trieb: 46 Prozent der Sachsen, so die Umfrage, würden aktuell ihre Stimme der AfD geben.

Nur gab es ein Problem mit der Befragung: Niemand wusste, woher sie kam. Auch nicht Peter Stawowy, der sächsische Ministerien berät und über Dresden bloggt, und eigentlich bestens vernetzt ist. „Jeder hatte von den Zahlen gehört, alle sprachen darüber“, sagt Stawowy, „aber niemand kannte die Quelle.“ Alles nur ein schlechter Scherz? Sehr wahrscheinlich.

Um die sächsische Politik in Aufregung zu versetzen, genügt es also derzeit, sich ein paar Zahlen auszudenken. Stawowy formuliert es so: „Da haben einige Leute mächtig Sorgen“. Die Rede ist von einer Sorge, die Sachsen seit der Bundestagswahl umtreibt, und hinter der eine Frage lauert, die sich auch viele in der gesamten Republik stellen. Sie lautet: Regiert in Sachsen nächstes Jahr die AfD?

Aktuell müssten sich sämtliche Mitte-Parteien verbünden

Traditionell wählen die Sachsen alles in einem Abwasch. Alle fünf Jahre sind erst die Kommunen, dann der Landtag dran. Die Wahlen im Mai und September 2019 sind die ersten, seit die sächsische CDU bei der Bundestagswahl 2017 eine größere Niederlage erlitten hat. Die AfD düpierte sie mit einem zehntel Prozentpunkt Vorsprung und wurde mit 27,0% aller Zweitstimmen stärkste Kraft im Land. Dazu errang sie drei Direktmandate.

Viele fragten sich noch in der Wahlnacht: Wie wird es bei der Landtagswahl aussehen? Am heutigen Dienstag ist, zum ersten Mal seit Dezember eine Wählerbefragung erschienen. Demnach steht die AfD nicht bei 46%, aber bei immerhin 24%. Von der anderen Seite nähert sich die Linke mit 19%. Während die Ränder erstarken, wird eine große Koalition immer unwahrscheinlicher. Aktuell müsste sich die CDU sogar mit sämtlichen Mitte-Parteien verbünden, um überhaupt mehrheitsfähig zu regieren.

Wie sollte man so eine Koalition nennen? Ghana, mit Streifen in Rot-Gelb-Grün und einem schwarzen Staatskanzlei-Stern in der Mitte?

https://twitter.com/Wahlrecht_de/status/1006457104763322368

Rutschen die Sachsen noch ein paar Prozentpunkte nach rechts und links, klappt eine Mehrheitsregierung nur noch gemeinsam mit einer Rand-Partei. Weil sich in Sachsen kaum jemand so fremd ist, wie die Fraktionen von CDU und Linke, käme dafür eigentlich nur die AfD infrage. Und wäre Schwarz-Blau wirklich so undenkbar?

Die Antwort auf die Frage, ob in Sachsen bald die AfD regiert, beginnt also in der sächsischen CDU und bei ihrer Bereitschaft ein Bündnis mit der AfD einzugehen. Es gibt Stimmen in der CDU, die sich das vorstellen könnten. Bevor man zu ihnen vordringt, schmettert einem aber das tiefe Donnergrollen des Ministerpräsidenten Kretschmer entgegen. Dieser wiederholt zuverlässig alle paar Wochen sein Mantra: Ein Bündnis mit der AfD komme „nicht infrage.“ Und was bleibt ihm schon anderes übrig.

Erst weiter unten in der Parteihierarchie schlagen, um im Bild zu bleiben, sächsische CDU-Mitglieder AfD-freundlichere Töne an. 2016 sagte der Europaabgeordnete Hermann Winkler: „Wenn es eine bürgerliche Mehrheit gemeinsam mit der AfD gibt, sollten wir mit ihr koalieren.“ Der Freiberger Stadtrat Holger Reuter sagte nach der Bundestagswahl 2017, er würde mit der AfD koalieren, wenn die Partei „zu einer Politik kommt, die dem Bürger auch wirklich Wege zeigt, wie es besser werden kann“. Am schwersten wogen wohl die Worte des Dresdner Kreisvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Christian Hartmann, der sagte: „Ich schließe eine Zusammenarbeit mit der AfD in der Perspektive nicht aus.“

In Berlin regiert die AfD bereits

Heute, ein halbes Jahr später, ist Hartmann zum Kreisvorsitzenden wiedergewählt. Seine Mission? Die rot-rot-grüne Mehrheit im Dresdner Stadtrat ablösen. Hartmann sieht eine konservative Wende auf Dresden zukommen, weshalb sich CDU-Mann festlegt: „Eine rot-rot-grünen Mehrheit wird es hier nach der Kommunalwahl 2019 nicht mehr geben.“

Stattdessen könnte er sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen. Schon allein deshalb, weil Kommunalpolitik weniger von Ideologie geprägt sei. „Bei Themen wie Straßenbau ist es mir egal, ob Blaue oder Grüne mitregieren“, sagt er, „da schließe ich nichts aus – außer Rechtsextreme wie die NPD“. Die AfD dagegen, so Hartmann, sei „keine rechtsextreme Partei“. In Sachfragen müsse es möglich sein, mit ihr zusammenzuarbeiten.

Ein blau-schwarzen Bündnis für Dresden wäre nicht das erste Mal, dass die AfD mitregiert. In sechs Bezirken Berlins bekleidet die Partei bereits kleinere Ämter, wie das des Ordnungsbürgermeisters. Sicher, mit Autos abschleppen lässt sich keine Weltpolitik machen. Aber die Kommunalpolitik könnte, auch in Sachsen, als Generalprobe für größere Aufgaben herhalten. Als „Aushängeschild für die Regierungs- und Leistungsfähigkeit der AfD“, wie es der Berliner Parteichef Georg Pazderski formulierte.

„In der Opposition ist die AfD nicht zu entzaubern“

Folgt man Pazderskis Logik und überträgt sie nach Sachsen, dann könnte man im Dresdner Stadtrat also bald proben, was später im Landtag auf großer Bühne aufgeführt wird.

Natürlich bescheinigen einem Politiker von der anderen Seite gern, dass CDU und AfD sich längst ihrer Sympathien versichern. „Im Landtag ist zwischen manchen Politikern von CDU und AfD eine regelrechte Kumpelei zu beobachten“, sagt der Abgeordnete Lutz Richter von den Linken. „Es gab Zeiten, da applaudierte die CDU bei Anträgen und Redebeiträgen der AfD“, sagt er, „heute sieht man Politiker beider Parteien zusammen auf der Raucherinsel gemeinsam lachen.“

Man kann solche Sätze als Stimmungsmache abtun. Man kann sie aber auch für einen Moment stehen lassen, und währenddessen CDU-Landtagsabgeordnete anrufen, und sie um anonyme Stellungnahmen bitten. Man wolle „möglichst wieder mit der SPD regieren“, hört man dann. Aber manche Abgeordnete fangen an laut nachzudenken: „Warum sollten wir uns dem Wählerwillen verweigern und nicht aufeinander zukommen, wenn CDU und AfD die Mehrheit stellen?“, sagt einer. „In der Opposition ist die AfD nicht zu entzaubern“, meint ein anderer.

Warum wird nicht laut über Schwarz-Blau nachgedacht?

In der sächsischen CDU wird also zumindest darüber nachgedacht, welche Vor- und Nachteile eine Zusammenarbeit mit der AfD hätte. Konkrete Pläne gibt es nicht. Trotzdem muss man sich fragen: Warum wird darüber nicht schon viel lauter geredet?

Um das zu verstehen, muss man den Landtag verlassen und etwa anderthalb Stunden aus Dresden rausfahren, bis ins tiefste Erzgebirge, nach Schwarzenberg, wo am Ende eines steilen Aufstiegs das Büro des CDU-Bundestagsabgeordneten Alexander Krauß liegt. Krauß kam 2004 mit Anfang 30 in die sächsische Landtagsfraktion. Seit 2017 sitzt er im Bundestag, als direkt gewählter Kandidat für den Erzgebirgskreis.

Nein, sagt auch Krauß, die AfD sei „zu unzuverlässig“, man bekäme mit ihr „keine gemeinsame Marschrichtung“ hin. Schließlich seien, abgesehen von Niedersachsen, bislang alle Landtagsfraktionen der Partei zerfallen. Und auch ein Bündnis, das nur dazu diene dem Wähler die Unzuverlässigkeit der AfD vorzuführen, wäre Krauß „zu gewagt“. Sachsen, so der CDU-Mann „würde unter so einem Experiment leiden.“

„Die CDU muss konservativer werden“

Aber Krauß sieht auch „Punkte, an denen CDU-Positionen mit der AfD-Meinung große Schnittmengen aufweisen“. Man müsse nicht „gegen etwas sein, nur weil die AfD dasselbe glaubt.“. Schon vor einem halben Jahr erklärte Krauß in einem Interview mit dem rechten Compact-Magazin, die CDU müsse “konservativer werden”. Sind Politiker wie Krauß also die Triebfeder hinter einem rechten CDU-AfD-Bündnis? Und warum sprechen sie dann nicht viel offener darüber?

„Es wäre auch wahlstrategisch falsch, jetzt zu sagen, dass eine Koalition mit der AfD denkbar wäre“, sagt Krauß, „das würde die AfD nur stärken.“ Vielleicht denken deshalb viele CDU-Politiker noch nicht lauter über Schwarz-Blau nach. Weil das die Hemmschwelle, ein Kreuz bei der AfD zu machen, bei unentschlossenen Wählern tiefer legen würden. Weil sie plötzlich auch AfD wählen könnten, um ihre Stimme in die Regierung zu geben.

Eine Koalition, über die noch niemand spricht

Es stellt sich noch eine letzte Frage: Will die AfD überhaupt in Sachsen regieren? Möchte sie das System, das sie seit ihrer Gründung kritisiert, überhaupt übernehmen? Sachsens AfD-Chef Jörg Urban sagte in seinem Jahresrückblick auf YouTube, er wolle die CDU „unterstützen, wenn es darum geht, Beschlüsse zu fassen, die unserem Land dienen”.

Heute ist Urban zu dem Thema nicht mehr zu erreichen. Auch sonst möchte sich niemand bei der sächsischen AfD öffentlich über eine CDU-Koalition äußern. Vielleicht ja aus einem ähnlichen Grund: Die AfD hat Angst ihre Wähler zu verlieren, die nicht für – sondern gegen etwas stimmen wollen.


Redaktion: Rico Grimm. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherbild: Wikimedia. Panoramabild „Dresden im Barock“ von Yadegar Asisi im Gasometer der Stadt).