Ein Novemberabend an einer etwas heruntergekommenen Stadtteilschule in einem rauen Teil Brooklyns. Ich bin hier, weil ich seit einigen Monaten Mentor eines 14-Jährigen jungen Mannes bin. Er heißt auch Christian, ein saucooler und smarter Typ, den ich mehr beeindrucken will, als ich zuzugeben bereit bin. Einmal im Monat sieht das Programm ein Event für alle Mentoren und Schüler in der Cafeteria vor, dieses Mal ist es das erste Treffen nach der Wahl. Wir reden – wie in den Monaten zuvor auch – eine Stunde über die Schule, das Basketballteam und seine Suche nach einem Aushilfsjob. Erst nachdem Christian und seine Klassenkameraden heimgeschickt werden und die Schulleiterin sich an uns Mentoren wendet, lerne ich, was sich in Amerika sich seit Trumps Sieg verändert hat.
Ungefähr zwanzig Prozent der Jungen und Mädchen an der Lyons Community School haben mindestens ein Elternteil ohne gültige Papiere. In jeder Klasse meldete sich nach der Präsidentschaftswahl mindestens ein Schüler und fragte: Was soll ich machen, wenn einer meiner Eltern deportiert wird? „Ich habe Angst, dass nachts jemand an unsere Tür klopft und meinen Vater abholt”, zitiert die Schulleiterin einen ihrer Schüler.
Schon Wochen vor der Amtseinführung hat Donald Trump also mit seinem eklig hasserfüllten Wahlkampf dafür gesorgt, dass 14-jährige Kinder nicht schlafen können – das Gerede davon, wir müssten “erst einmal abwarten”, welche Politik Trump im Amt verfolgt, geht für mich von da an am Kern des Problems vorbei.
In den folgenden Wochen kommt Hysterie auf, in meinem Umfeld und in mir. Trumps Twitterstream und die immergleichen düster-entsetzten Reaktionen darauf werden zu meiner Morgenlektüre und für zu viele Medien zur Redaktionskonferenz. Die Reizüberflutung ist riesig.
Auf medium fragt sich einer, ob der Einreisestopp nur ein Testballon für einen Coup und für die Frage sei, ob sich das Militär auf die Seite der Gerichte oder auf die von Trump und seine Hintermännern schlagen würde. Die Zeit vergleicht den angeblich laxen Umgang der Medien mit Trump flugs mit der Hitlerzeit und GQ und Time Magazine bringen lange Strecken über den angeblich wahren Präsidenten, den Neonazi Stephen Bannon, früherer Chef der rechten Nachrichtenseite Breitbart. Ich lese all diese Texte und werde hübsch abhängig von dem vielen Katastrophenporno um mich herum. Auf Partys spreche ich mit gestandenen Kollegen über ihre plötzlichen Schlafprobleme und woran eigentlich die Menschen in den Dreißigern erkannten, dass es Zeit ist, Nazideutschland zu verlassen.
Das ist im Moment die eine Seite des Lebens hier in New York. Die Seite, die extrem viel Energie zieht. Die Seite, auf der ich sowohl aus Egoismus als auch aus Gemeinsinn sicher nicht vier Jahre lang bleiben kann.
Auf der anderen Seite erlebe ich spätestens seit der Amtseinführung Trumps eine breite Politisierung. Tech-Freunde gründen Arbeitskreise gegen den Einreisestopp oder laden mich zu Phonebanking-Nachmittagen ein, bei denen wir Abgeordnete anrufen. Twitter wird geflutet mit Bildern von Lokaltreffen der Indivisible-Initiative, bei der Regierungsbeamte aus der Obama-Zeit frischen Aktivisten Tipps für effektiven Widerstand geben. Auf Facebook wird ständig zu Spenden, Benefizkonzerten und Protestmärschen aufgerufen. Zugegeben: Die Umfragewerte für Trump sind immer noch erstaunlich gut und viele freuen sich über das hohe Tempo, mit dem er vorlegt. Aber die rund 260 Millionen Amerikaner, die ihn nicht gewählt haben, sind aufgewacht. Jetzt suchen sie, wie meine deutschen Freunde in der Heimat auch, nach Antworten auf eine Frage: Wie kann aus dem Widerstand echte Politik werden? Auch wenn wir erst noch am Anfang stehen, habe ich hier vor Ort in den letzten Wochen fünf erste Ansätze kennengelernt.
Die Lösung I: Schau auf die Helfer
Eine Samstagnacht Mitte Januar, mehrere Dutzend Menschen sitzen auf dem Fußboden im New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen. Es sind Rechtsanwälte für Einwanderungsrecht, die hier hastig Schriftstücke für die Menschen im Transitbereich schreiben. In der Nacht zuvor hat Trump seinen Einreisestopp durchgedrückt. Jetzt halten Grenzbeamte allein in New York ein knappes Dutzend Menschen in irgendwelchen Flughafen-Ermittlungszimmern fest. Am Mittag gab es die ersten Meldungen auf Twitter. Am Nachmittag sind bereits viele hundert Demonstranten vor Ort. Am Abend sind es weit über tausend, darunter viele, die Pizza oder literweise Kaffee bringen.
Um kurz vor 21 Uhr kommt die Meldung aus einem Gericht ein paar Kilometer weiter: Die Festgehaltenen dürfen einreisen. Jubel brandet auf. Auch ich merke, wie sich einen Abend lang die Lethargie in etwas Konstruktives verwandelt hat. Der Womens March am Wochenende zuvor war ein anderes solches Erlebnis: Mit über drei Millionen Teilnehmern in Dutzenden Städten war er die größte Demonstration in der Geschichte der USA, sagen manche Statistiken. Beide Male waren winzige Rädchen am Werk, um die große Protestmaschine anzuwerfen.
Sie alle zeigen nach Wochen der Verunsicherung zunächst mal, wie groß der Widerstand ist. Durch die Proteste weht das Gefühl, nicht allein zu sein. Die vielen Freiwilligen sind ein lebendes Beispiel dafür, was der Pädagoge Fred Rogers Eltern rät, deren Kinder von Katastrophen oder Kriegen hören und Angst bekommen: „Look for the Helpers!“ In jeder schlimmen Situation gebe es immer auch helfende Menschen mit Mitgefühl, glaubt er. Man muss nur lernen, sich auf sie zu konzentrieren.
Die Lösung II: Auch Journalisten brauchen in neuen Zeiten neue Lösungen
Auf dem Heimweg von JFK wiederum denke ich über andere Fragen nach. Erstens: Darf ich überhaupt so entschieden und öffentlich gegen Trump sein? Und zweitens: Wie lange hält der Widerstand diese Geschwindigkeit durch?
Die erste Frage hat mit meiner Rolle als Journalist zu tun. An deutschen Journalistenschulen wird auf Basis eines eng interpretierten Zitats von Hanns-Joachim Friedrichs (“Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.”) seit Jahrzehnten eine bedingungslose Neutralität gefordert. Auch in den USA führen Artikel wie dieser der Medienseite Poynter aus, wie problematisch es für Journalisten sei, Stellung zu beziehen.
Mitten in Trumplandia finde ich das falsch. Es erscheint mir legitim, Teil eines ungewöhnlichen Protests zu sein, wenn auch die Regierung unorthodox attackiert - eine andere Art der Abwehr für eine neue Form des Angriffs. Trump-Berater Steve Bannon zum Beispiel fand in der New York Times, die Medien sollten jetzt doch mal eine Zeit lang den Mund zu halten. Er unterschlägt dabei den bodenlosen Hass der Regierung auf alles, was nicht weiß und männlich ist. Trump stellt Gewaltenteilung, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung extrem in Frage und das sind Werte, um die ich nicht entlang irgendwelcher Parteilinien, sondern grundsätzlich kämpfen will.
Dazu kommt: Meine winzigen Teilnahmen an Protesten und meine kleinen Spenden für die Bürgerrechtler der ACLU sind längst Selbstschutz. Ich brauche diese kleinen Aktionen zur eigenen Seelenhygiene, weil ich irgendetwas draußen tun muss, um nicht dauernd auf dem Bett zu liegen und auf Twitter zu schauen, ob nun China oder Trump die erste Bombe gezündet haben.
Die Lösung III: Selbstschutz - Der beste Protest, ist der, den Du durchhältst
Wieder daheim google ich nach Antworten auf meine zweite Frage nach der Nachhaltigkeit des Widerstands. Als erstes stoße ich auf gut gemeinte Tipps. „Self-Care“ heißt der Top-Trend in hübschem Ratgeberdeutsch. Wie hier bei Arianna Huffington gibt es seit Trumps Amtsantritt unzählige Blogbeiträge zum Thema, alle mit einem Tenor: Nur, wer sich ausreichend um sich selbst kümmert, kann sich auch erfolgreich um andere kümmern. Vier Regeln schlägt die Anwältin und Aktivistin Mirah Curzer vor:
- Protest ist dann am Besten, wenn Trump weit weg ist. Pausen sind in Ordnung, um die eigene Empörung aufrecht zu erhalten. „Hör damit auf, Dich schuldig zu fühlen, wenn dich jemand fragt, ob Du die neuesten Nachrichten schön gehört hast und Du mit „Nein“ antworten musst.“ So wie man produktiver arbeitet, wenn man ab und an in Urlaub fährt, protestiert man auch besser, wenn man sich ab und an Trump-Pause gönnt.
- Es ist OK, sich nur ein oder zwei Themen zu suchen. Wer irgendetwas verändern will, der solle sich einige Herzensthemen wählen und darauf vertrauen, dass die gesamte Bewegung sich um den Rest kümmert. „I don’t do Whataboutisms“, schreibt Journalismusprofessor Jay Rosen dazu bei Twitter, also etwa: „Ich habe keine Lust auf Einwände wie: „Aber was ist mit XYZ …???““ Ein schlechtes Gewissen für eine solche Auswahl sei genauso unnötig wie eines dafür, erst spät mit dem Protest begonnen zu haben, findet Curzer.
- Man darf Spaß haben. Witzige Schilder sind gut, Drinks nach einer Demonstration sind erlaubt. „Man muss nicht leiden, um etwas zu bewirken.“
- Nie die grundsätzlichen Dinge aus den Augen verlieren: Schlaf, Gesundheit, Sport, Freunde, Therapie, Essen, Zeit zum Abschalten.
Die Lösung IV: Mit Verwundbarkeit überzeugen
Mir gefallen diese Regeln, aber sie kommen mir etwas kurzfristig vor. Noch immer weiß ich keine Antwort auf meine zweite Frage danach, wie jetzt aus dem Protest etwas Nachhaltiges wird. Um mir das beantworten, empfiehlt mir ein Bekannter ein Gespräch mit Pamela Campos-Palma. Wenn ich mit meinen Anfängerfragen in den Widerstandskindergarten gehe, dann steht sie irgendwo kurz vor dem Aktivistendoktortitel.
Ich finde beim Googlen heraus, dass sie mit 19 zum ersten Mal als Soldatin im Ausland war. Sie war in der Air Force, bei Einsätzen in Deutschland, Kirgistan, im Irak und in Afghanistan. Als Frau. Als Latina. Im vergangenen Jahr hat Campos-Palma ein Studium in „Public Service“ abgeschlossen. In einer TV-Debatte hat sie Hillary Clinton eine Frage gestellt, auf MSNBC hinterher Interviews gegeben. Jetzt ist sie eine der Köpfe von #VetsVsHate, einer Bewegung von Veteranen gegen den Hass, für den Trump steht. Mehr als 11.000 Dollar hat sie eingesammelt, um 400 Veteraninnen in Bussen zum Womens March nach Washington zu bringen.
Ich spreche sie auf die Hoffnung meiner Freunde an, dass möglicherweise nicht alles so schlimm wird. Sie lacht. „Ehrlich gesagt sind es gerade die Worst-Case-Szenarien, die mich so richtig motivieren“, sagt sie und meint damit die Unverfrorenheit, mit der Trump über Institutionen herzieht oder die Gewaltenteilung in Frage stellt. Berührungsängste mit Untergangsszenarien hat Campos-Palma also nicht. Anders als bei mir spüre ich bei ihr sehr viel mehr Energie. „Trump hat auf die Angst gewettet“, erklärt sie. „Und Angst ist furchtbar. Meine Aufgabe ist es aber, der Paranoia die Realität entgegen zu stellen.“ Die vielen furchtbaren Äußerungen Trumps hätten sie erst darin bestärkt, über ihre eigenen Erfahrungen als Tochter einer Einwanderin und als ehemalige Soldatin zu sprechen. Dafür habe es im extrem maskulinen und konservativen Militär-Umfeld Mut und Offenheit gebraucht - aber wer ein Risiko eingeht und sich verwundbar zeigt, ist eben oft auch besonders glaubwürdig.
„Es ist nicht leicht, Proteste von Veteranen zu organisieren“, erzählt sie. Zu viele Teile des Militärs zögen über zu viele andere her, Bildung und Interesse an Politik seien oft sehr breit gestreut. „Ich habe einen weißen Freund aus Air-Force-Zeiten in Boston, der sieht in mir nur Air-Force-Pam und kennt nicht die politisch aktive und progressive Latina.“ Die gemeinsame Vergangenheit mache viele Gespräche erst möglich und sorgten für Vertrauen, findet sie.
Die Lösung V: Bedingungsloser Optimismus
Für Campos-Palma sind diese Diskussionen nur ein Antrieb im Kampf gegen Trump. „Ich sage mir einfach immer wieder, dass ich nicht alleine bin. Zwei Drittel der Menschen in diesem Land haben Trump nicht gewählt“, sagt sie. So viele Menschen hätten sich bei ihr gemeldet, so viele Bürger seien endlich politisiert. Hinzu kämen Zeichen wie der Hashtag #regrettrump, unter dem Leute erklären, warum sie ihre Stimme für ihn bedauern. Und die Gewissheit, dass Protest viele verschiedene Formen annehmen kann.
„Ich habe viele Bekannte in Regierungsämtern, die aus Protest nicht am Porträt von Donald Trump in ihren Foyers vorbeigehen“, erzählt sie. Widerstand habe nun einmal viele Formen und jede einzelne spende Hoffnung. Zum Abschied erinnert sie mich noch einmal an die Führungsfiguren, die gegen Trump sind: “All unsere Champions sind noch immer da! Die Obamas gehen nicht weg. Joe Biden wird bis zum letzten Atemzug für das kämpfen, was er für richtig hält.“
Die Bilanz: Aufgeben ist keine Option
Ja, das Klima hat sich verändert und es macht weniger Spaß, hier zu sein. Aber in New York zu sein, heißt eben auch nicht, irgendwo in den USA zu leben, sondern in der Stadt der Vereinten Nationen. Wortwörtlich. Wenn die Menschen hier Hakenkreuze sehen, holen sie ihre Sagrotan-Gel-Fläschchen raus und rubbeln sie weg.
Und die Liste der kleinen Erfolge ist lang: Gerichte stellen sich Trump und seinem Einreisestopp in den Weg, er ist genervt von schlechten Umfragewerten, hunderte Firmen kündigen ihre Werbung auf Breitbart. Und dann ist da ja noch Travis Kalanick, der Chef von Uber. Nach massiven Protesten hat er sich auf Seite der Trumpgegner geschlagen und ist aus dem Wirtschaftsberaterkreis des Präsidenten ausgetreten.
Er ist der Beweis für eine wichtige Lektion, die ich schon jetzt aus Trumps Amtszeit ziehe: Es geht immer um den Einzelnen. Politik passiert nicht einfach so. Politik entsteht, wenn Menschen andere Menschen und ihre Ideen gewähren lassen. Und sie passiert nicht, wenn Menschen sich anderen Menschen in den Weg stellen. Nur durch Protest verlassen CEOs Machtzirkel. Nur durch Spenden klagen NGO-Anwälte gegen den Einreisestopp.
Ich habe aber auch schon jetzt gelernt, dass die nächsten Jahre verdammt lang werden könnten, und dass es Kraft dafür braucht. Brexit und Trump haben mir gezeigt, wie lang der Kampf für meine Werte noch dauern wird. Ich bin aber sicher, dass am Ende die Zeit gegen Trump spielt. Bis jetzt hat er nur an Wahlversprechen gearbeitet, bei denen er Menschen etwas wegnehmen konnte. Das ist viel leichter als die Versprechen zu erfüllen, bei denen er ihnen etwas geben muss, zum Beispiel eine Mauer oder einen Job.
Viele der beschriebenen Lösungen sind naive Hoffnungen und vielleicht lachen Historiker irgendwann über uns, weil wir zu optimistisch waren. Aber ich habe in den vergangenen Monaten auch gelernt, dass nichts anderes für mich funktioniert als genau das: Zuversicht.
Redaktion: Sebastian Esser; Foto-Redaktion: Martin Gommel; Porträt Christian Fahrenbach im Aufmacherbild: Rainer Möller.