Was auf der Trauminsel der Whistleblower schiefläuft
Politik und Macht

Was auf der Trauminsel der Whistleblower schiefläuft

Island sollte ab 2010 Schritt für Schritt zum Musterbeispiel für Internet- und Pressefreiheit werden. Ich habe nachgefragt, warum dieser Prozess ins Stocken geraten ist. Und entdeckt, dass Deutschland trotzdem von den Isländern lernen kann.

Profilbild von Stefanie Mnich

Stell dir vor, du merkst auf der Arbeit, dass etwas richtig schiefläuft. Unhaltbare Zustände. Deinen Chef interessiert das nicht die Bohne. Du kannst aber mit diesen Missständen nicht leben. Öffentlichkeit ist vielleicht der einzige Weg. Doch selbst, wenn diese Veröffentlichung für die ganze Gesellschaft wichtig und relevant ist, musst du mit schlimmen Konsequenzen rechnen. Als Whistleblower hast du in der Welt keinen guten Stand. In Island sollte sich das ändern.

„Oase der Aufklärung“, „Insel fürs freie Internet“, „Paradies für Journalisten rückt näher“ - nur einige der Überschriften, mit der die Icelandic Modern Media Initiative, kurz IMMI, 2010 von deutschen Medien begrüßt wurde. Es klingt nach Aufbruch, nach Zukunft, nach einem leuchtenden Beispiel. Island als Ort der Freiheit, an dem Daten sicher sind und Whistleblower geschützt werden. Island, der kleine, exotische Inselstaat; in dem es keinen McDonalds gibt und kein Militär, dafür aber Elfen und Gleichstellung – wenn es hier nicht klappt mit dem Medien-Paradies, wo dann?

Ich rufe bei Birgitta Jónsdóttir an, sie ist Sprecherin der Icelandic Modern Media Initiative und außerdem Fraktionsvorsitzende der Píratar, der isländischen Piratenpartei, die sie mitgegründet hat. Birgitta bezeichnet sich als „Poetician“, eine Mischung aus Politikerin und Poetin. Bevor sie 2009 ins Parlament einzog – damals noch mit der Partei „Die Bewegung“ –, war sie Dichterin, Künstlerin und Web-Entwicklerin.

IMMI sollte also ein Vorbild für andere Länder werden. „Das war die Idee“, sagt Birgitta. „Island würde erster sein und dann würden andere Länder dieses Modell nutzen, um sich um diese wirklich extrem wichtigen, grundlegenden Menschenrechte zu kümmern. So, dass wir funktionierende Demokratien haben, denn die Demokratie wird gerade angegriffen.“

Ein fettes Gesetzespaket für das digitale Zeitalter

Icelandic Modern Media Initiative - das klingt sperrig und ja, das ist es auch. Umfasst das Projekt doch ein ganzes Paket an Gesetzen, welche das bislang geltende Recht Schritt für Schritt umkrempeln will. Zu einem „Switzerland of Bits“ soll Island werden, dazu soll erst einmal sehr viel geschützt werden:

  • Journalistische Quellen. Nicht einmal Richter sollen darauf zugreifen können.
  • Whistleblower. Menschen sollen durch Gesetze dazu ermutigt werden, Missstände zu veröffentlichen, statt kriminalisiert zu werden.
  • die Kommunikation zwischen Journalisten und ihren Informanten. Vorratsdatenspeicherung adé! (Auf die gehe ich unten noch einmal genauer ein)
  • Medien in Gerichtsprozessen. Auch kleinere Medien, mit wenig Geld sollen sich eine Verteidigung leisten können. Sie sollen nicht wegen fehlender finanzieller Mittel Veröffentlichungen scheuen oder zurückziehen müssen.
  • Archive im Netz. Niemand soll sie im Nachhinein verändern können.
    Neben dem Schutz all dieser Dinge soll es Gerichten schwer gemacht werden, eine Veröffentlichung im Vorhinein zu verbieten. Zudem soll es „Verleumdungstourismus“ (libel tourism) nicht mehr geben: Bisher können Isländer zum Beispiel auch vor britischen Gerichten klagen, wenn sie sich von jemandem zu Unrecht bezichtigt fühlen oder jemand ihren Ruf zerstören will. Ein solcher Prozess in Großbritannien ist viel teurer als vor einem isländischen Gericht, und auch das Verleumdungsgesetz ist dort viel strikter. Das wirkt natürlich abschreckend, auch auf Journalisten. Außerdem wollen die Isländer den „Freedom of Information Act“ einführen, mit dem jeder das Recht auf den Zugang zu Dokumenten der Regierung bekommt.

Würde Island dadurch zum Datenfreihafen für Terroristen?

IMMI besteht, nach eigener Darstellung, aus den „besten Gesetzen anderer Nationen“. Zum Beispiel floß ein belgisches Gesetz aus dem Jahr 2005 in die Initiative mit ein. Es bietet einen starken Schutz für die Kommunikation von Journalisten und ihren Quellen.

Klingt alles ziemlich gut, doch es gibt auch Bedenken: Der Journalist Frederik Fischer schreibt 2011, dass die Gefahr bestehe, IMMI könne neben Journalisten auch Gruppen und Organisationen schützen, die in anderen Ländern als terroristische Vereinigungen gelten. „Der Schutz von Servern der al-Qaida beispielsweise wird sich international schlecht verteidigen lassen. Und wenn Island anfängt, selbst zu entscheiden, wer unter den Schutz von IMMI fällt und wer nicht, untergräbt es damit den eigentlichen Sinn der Initiative.“ Aber am Ende ist IMMI auch für ihn ein „wichtiger Schritt in die richtige Richtung“.

Birgitta schrieb das Gesetzespaket für die Initiative damals mit, auch Julian Assange und Daniel Domscheidt-Berg haben daran mitgearbeitet. Sie waren 2010 mit WikiLeaks in Island, haben von hier aus das Video „Collateral Murder“ veröffentlicht. Dieses zeigt, wie in Bagdad zwei Reuters-Mitarbeiter von amerikanischen Piloten getötet werden. Birgitta hat bei der Veröffentlichung geholfen.

In der Finanzkrise waren viele Isländer empört, wollten vieles ändern in ihrem Land. So kam es zu der Initiative. Heute ist IMMI nicht nur ein Gesetzespaket, sondern auch ein Institut, das International Modern Media Institut. Für Birgitta ist IMMI wichtiger als je zuvor: „Angesichts der jüngsten Entwicklungen war es nie wichtiger, dass es einen sicheren Hafen in unserer Welt gibt.“

„Vielleicht ist der Traum vorbei“

Birgitta Jónsdóttir, Gründerin der isländischen Piratenpartei

Birgitta Jónsdóttir, Gründerin der isländischen Piratenpartei Foto: privat

IMMI sei bisher aber nicht gut genug umgesetzt geworden, sagt Birgitta. Der Vorstoß sei zwar kein totaler Misserfolg, aber auch kein voller Erfolg: „Es ist enttäuschend, nach all diesen Jahren. Die Initiative wurde 2010 angenommen, nun haben wir 2017. Und sieben Jahre sind in Tech-Jahren wie ein Jahrzehnt.“ Im Moment kämpfe weder das Parlament für das Gesetzespaket noch kümmere sich die Regierung um die Umsetzung.

Das IMMI-Institut hat geholfen, mehrere Gesetze voranzubringen. „Wir haben schon ein Whistleblower-Gesetz, das sehr gut ist, es wurde jahrelang daran gearbeitet“, sagt Birgitta. „Wir haben auch andere wirklich wichtige Gesetzesentwürfe. Aber all das wartet seit Jahren im Büro des Premierministers, und das steht auch nicht auf der Agenda unseres neuen Premierministers.“

Birgitta hat die Hoffnung, dass die neue Regierung IMMI vorantreibt, noch nicht aufgegeben, aber so richtig glaubt sie nicht daran. „Vielleicht ist der Traum vorbei.“

Auch Deutschland muss seine Gesetze verbessern

Birgitta hofft sehr, dass andere Länder sich die Isländer Initiative zum Vorbild nehmen und eigene Initiativen starten: „Es wäre toll, Deutschland an der Spitze zu sehen, weil Deutschland eines dieser Länder ist, auf das ich setze, wenn es um das Verständnis der Wichtigkeit von Privatsphäre geht.“

Deutschland also. Deutschland stand 2015 gerade mal auf Platz 16 in der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit. Was muss passieren, damit Deutschland ein „Paradies für Journalisten“ wird, habe ich Reporter ohne Grenzen gefragt.

Zunächst einmal sehen sie „besorgniserregende Entwicklungen und strukturelle Mängel, die die Presse- und Informationsfreiheit im Land bedrohen“. Keine guten Voraussetzungen für ein Paradies. Drei Punkte nennen sie, die besonders dringend gelöst werden müssten.

Punkt eins – der Datenhehler-Paragraf muss weg: Seit dem Dezember 2015 gibt es in Deutschland eine neue Straftat, „Datenhehlerei“. Man darf sich oder anderen keine vertraulichen oder geheimen Daten verschaffen, überlassen, verbreiten oder sonst zugänglich machen, um sich oder jemand anderen zu bereichern oder zu schädigen. Tut man es doch, wandert man bis zu drei Jahre ins Gefängnis. Es gibt eine Ausnahme, die es beispielsweise Journalisten möglich machen soll, legal Material von Whistleblowern anzunehmen. Diese Ausnahme geht Reporter Ohne Grenzen und anderen NGOs aber nicht weit genug. Denn schon wenn die Daten auf einen USB-Stick kopiert und an einen Kollegen oder Experten weitergegeben werden, ist das weiterhin illegal.

Gegen diesen Paragrafen der Datenhehlerei haben Anfang Januar die Gesellschaft für Freiheitsrechte, Reporter ohne Grenzen, netzpolitik.org sowie sieben Journalisten und Blogger Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Punkt zwei – die Vorratsdatenspeicherung muss weg: Die Vorratsdatenspeicherung: Wer hat wann mit wem wie telefoniert, wie lange und von welchem Ort aus? Solche Metadaten sollen bei der Vorratsdatenspeicherung erfasst werden, und zwar ohne bestimmten Anlass, also „auf Vorrat“. Das soll Straftaten aufklären oder verhindern. 2015 wurde das Jahr der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland.

Seitdem dürfen Metadaten bis zu zehn Wochen gespeichert werden. E-Mails und aufgerufene Internetseiten werden nicht gespeichert. Dafür werden bei SMS nicht nur Verbindungsdaten, sondern auch die Inhalte der Nachrichten gespeichert und zwar, weil es anscheinend technisch nicht möglich ist, diese Daten zu trennen.

Gegen die Vorratsdatenspeicherung werden seit 2015 Verfassungsbeschwerden eingereicht. Viele Kläger halten sie für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre von Millionen unverdächtigen Bürgern. Viele sehen, wie Reporter ohne Grenzen, auch den Schutz der Kommunikation gefährdet: „Jede pauschale und verdachtsunabhängige Speicherung von Telekommunikationsdaten untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern“, schreiben sie.

Punkt drei - der BND muss aufhören, Verkehrsdaten zu sammeln: Der Bundesnachrichtendienst (BND) sammelt mit seinem Verkehrsanalysesystem, kurz „VerAS“, Metadaten von Bürgern und zwar ohne gesetzliche Grundlage, erklärt Reporter ohne Grenzen. Dabei funktioniert „VerAS“ im Prinzip wie die Vorratsdatenspeicherung, schreibt der Journalist Kai Biermann: „Wenn man weiß, wer mit wem wie oft redete, kann man Beziehungen erkennen, auf Pläne schließen, ja ganze Netzwerke aufklären.“

Und das wiederum widerspreche dem Informantenschutz, einem zentralen Element der Pressefreiheit. Journalisten könnten sich nicht mehr sicher sein, dass ihre Kommunikation vertraulich bleibt, wenn sie sich an Reporter ohne Grenzen wenden.

Die Nachteile der Sammelwut

Man kann also bis hierhin festhalten: Das Sammeln von Daten gefährdet die Pressefreiheit in Deutschland, ob durch die Regierung oder den BND. Besonders investigative Journalisten und Whistleblower haben es durch solche Gesetze schwer.

Der Whistleblowerschutz ist in Deutschland ohnehin noch ausbaufähig. Whistleblower.net, ein gemeinnütziger Verein, erklärt: Es gebe zahlreiche internationale Vorgaben und Verträge, die wirksamen Hinweisgeberschutz verlangen. Doch obwohl im Koalitionsvertrag festgelegt, hat die Regierungskoalition nicht einmal geprüft, ob die internationalen Vorgaben umgesetzt sind, schreibt der Verein und hat selbst geprüft. Ergebnis: „Das deutsche Recht entspricht nicht den internationalen Vorgaben.“ Deshalb fordert er von der Regierung unter anderem ein eigenes Whistleblowerschutzgesetz und die „Berücksichtigung des Schutzes von Whistleblowern, Journalisten und Bloggern bei der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Geschäftsgeheimnissen“. Die Richtlinie soll Unternehmen davor schützen, dass ihre Geschäftsgeheimnisse weitergegeben werden.

Für Whistleblower kann sie große Nachteile haben, denn die müssen nun beweisen, dass sie im öffentlichen Interesse gehandelt haben.

Selbst die Beseitigung der aufgezählten Probleme würde „Deutschland noch nicht zu einem ‘Paradies’ für Journalisten machen“, schreibt mir Reporter ohne Grenzen. Denn: Im Jahr 2015 sei zum Beispiel auch die Zahl der Angriffe, Drohungen und Beleidigungen gegen Journalisten sprunghaft gestiegen. Ein Paradies sieht anders aus.

In Island warten die richtigen Gesetze auf eine Regierung, die sie umsetzen wird. Damit sind die Isländer nur ein bisschen weiter als Deutschland. Birgitta ist trotzdem zuversichtlich, dass das Whistleblower-Paradies irgendwo entsteht: „Es ist sehr wichtig diese Arbeit fortzuführen. Wenn wir das im Moment nicht selbst schaffen, gibt es hoffentlich ein anderes Land, das es tut.“ Und sie verspricht: „Egal wo, ich werde helfen.“


Bildredaktion: Martin Gommel; Redaktion: Esther Göbel; Produktion: Vera Fröhlich