Irren ist menschlich. Deswegen müsste es kein Problem sein, Fehler einzugestehen. Aber in vielen Online-Debatten würden Menschen scheinbar lieber ihren Internet-Anschluss kündigen als zuzugeben, dass sie Unrecht hatten.
Bei meinen Recherchen zur Psychologie von Online-Kommentaren bin ich aber auf Studien und Artikel gestoßen, die ganz konkrete Hinweise geben, wie man eine andere Person überzeugen kann, dass sie falsch liegt.
Die ersten acht basieren auf einer Untersuchung der Reddit-Community „Change my view“. Dort wollen Menschen überzeugt werden, dass sie falsch liegen. Wenn sie überzeugt worden sind, signalisieren sie das mit einem speziellen Symbol. Deswegen kann man genau analysieren, was funktioniert und was nicht. Warum das jeweils funktioniert, haben die Forscher nicht untersucht.
1. Antworten Sie zügig auf Kommentare.
2. Antworten Sie in Gruppen. Sie sind glaubwürdiger, wenn andere Menschen ihnen zur Seite springen.
3. Tauschen Sie Argumente aus, aber niemals öfter als drei- oder viermal. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu überzeugen rapide ab.
4. Verlinken Sie Quellen! (Wie Sie vertrauenswürdige Quellen finden, habe ich hier beschrieben.
5. Zitieren Sie die Person, mit der Sie argumentieren, nicht wörtlich. Das wirkt wie Korinthenkackerei und die überzeugt bekanntlich niemanden.
6. Halten Sie sich zurück, in Wortwahl und Form. Keine aggressiven Wörter benutzen, keine Großschreibung, keine Satzzeichen wiederholen.
7. Nehmen Sie sich Zeit. Mit zwei Sätzen überzeugen Sie niemanden von irgendetwas.
8. Dieser Tipp könnte einer der wichtigsten sein: Bauen Sie ihre Thesen auf Argumenten auf, die der Andere zunächst gar nicht erwähnt hat. Beispiel: Wenn jemand sagt, dass er AfD wählen wolle wegen der vielen Flüchtlinge, sprechen sie die neoliberale Wirtschaftspolitik der Partei an. Wenn jemand die Grünen wählen wolle, wegen ihrer liberalen Gesellschaftspolitik, erwähnen Sie, dass die Partei offen mit einer CDU-Koalition flirtet.
9. Wenn Sie diese Argumente noch am Weltbild des Anderen anbinden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er überzeugt wird.
Als ich die Überschrift für diesen Text geschrieben habe, war mir nicht ganz wohl zumute. Denn bei der gezielten, aktiven Überzeugung sind die Grenzen zur Manipulation fließend. Aber wenn jemand alle Tipps oben beherzigt, dann überzeugt er vielleicht jemanden, er macht aber auch die Debatte um Einiges angenehmer. Außerdem kann ja auch die Gegenseite diese Tipps beherzigen, wodurch die Debatte praktischerweise noch angenehmer wird. Entscheidend ist aber, dass alle diese Tipps technischer Natur sind. Sie lassen die Beziehung zwischen den Diskutanten völlig außen vor.
So haben australische Forscher untersucht, wie man Menschen, die bekannten Verschwörungstheorien anhängen, davon überzeugen kann, dass sie deswegen nicht gleich den Sinn von Impfungen oder den Klimawandel in Frage stellen müssen: „Wenn Verschwörungstheoretiker wissenschaftliche Themen fehldeuten, sollte man ihnen am besten auf indirektem Weg begegnen, etwa durch die Bestätigung der Kompetenz und des Charakters des Verschwörungstheoretikers oder dadurch, dass andere Glaubenssätze bestätigt werden, die ihnen am Herzen liegen.“ Man muss den Menschen also gut zureden. Das wirkt bei Wildfremden bestenfalls verrückt, schlimmstenfalls wie ein Übergriff. Gut zureden ist aber kein Selbstzweck. Es dient dazu, Vertrauen zu schaffen. Das können sie glücklicherweise auch noch auf anderen Wegen schaffen, auch wenn es durch die computer-vermittelte Kommunikation deutlich schwieriger ist.
10. Schaffen Sie Vertrauen, in dem Sie immer wieder mit den gleichen Menschen sprechen. So lernen Sie, wie der Andere tickt.
Den besten Tipp hat in meinen Augen, aber der französische Philosoph Blaise Pascal formuliert: „Will man mit Nutzen tadeln, und einem andern zeigen, daß er sich irrt, so muß man beobachten, von welcher Seite er die Sache ansieht, denn von der Seite ist sie gewöhnlich wahr und muß ihm diese Wahrheit zugestehen. Er ist damit zufrieden, weil er sieht, daß er sich nicht geirrt und nur unterlassen hat alle Seiten zu sehn. Nun schämt man sich nicht, daß man nicht alles sieht; aber man will sich nicht geirrt haben und vielleicht kommt das daher, weil natürlicherweise der Geist von der Seite, von welcher er es ansieht, sich nicht täuschen kann, wie alle Wahrnehmungen der Sinne immer wahr sind.“ Daraus ergibt sich der elfte Punkt:
11. Sagen Sie, nicht, dass Ihr Gegenüber falsch liegt, was unangenehm ist. Sondern, dass er etwas übersehen habe. Etwas übersehen – das kann schließlich jedem einmal passieren.