Paarterror am Brückengeländer
Politik und Macht

Paarterror am Brückengeländer

Wer Liebesschlösser im öffentlichen Raum aufhängt, begeht „ästhetischen Terrorismus“. Ernsthaft? Ja, zumindest sagt das die junge Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule und will damit kleinbürgerliche Besitzverhältnisse in der Liebe anprangern. Grund genug für einen Besuch vor Ort.

Profilbild von Reportage von Esther Göbel

Wenn dieses Treffen eine Beziehung wäre, dann wäre jetzt Schluss, noch bevor alles angefangen hat.

Verabredet war ich mit Nicolas, der eigentlich anders heißt, seinen Klarnamen aber nicht nennen will und der jungen Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule angehört, am Hauptbahnhof der Main-Metropole um 13 Uhr. Wir hatten vereinbart, dass wir zur Fußgängerbrücke Eiserner Steg spazieren würden, um von dort einen Schwenk ins Ostend in die Galerie conSpace im ATELIERFRANKFURT zu machen, wo die Kids der Hauptschule am Abend zuvor ihre Aktion „Stahlbad ist 1 Fun“ mit einer Party eröffnet hatten.

Es muss ein gutes Fest gewesen sein, denn als ich am Freitagmittag nach vier Stunden Fahrt von Berlin nach Frankfurt endlich am Hauptbahnhof ankomme, teilt man mir kurzfristig per E-Mail mit, dass sich nun doch keiner aus der Truppe mit mir treffen könne. „Es ist gerade für uns alle etwas viel“, schreibt der anonyme Absender. Ich vermute statt vieler Termine, die sich über Nacht ergeben haben, eher einen fiesen Kater, den die Nacht fabriziert hat.

Nach einiger Erregung und zwei wenig verständnisvollen E-Mails von meiner Seite taucht Nicolas eine Stunde zu spät doch noch auf. Ein schmaler Typ, Mitte 20 schätze ich, kurzes blondes Haar, T-Shirt, Turnschuhe. Unprätentiös. Sichtlich müde wirkt er, auf der Nase sitzt ihm eine Ray-Ban-Sonnenbrille, die die Schäden der vergangenen Nacht und wohl auch die Scham über die kurzfristige Absage überdecken soll. Aber jede Beziehung lebt nach Unstimmigkeiten von einer Geste der Versöhnung, jedes schlechte Gewissen braucht ein Geschenk, also hat mir Nicolas ein kleines rotes Schloss in Herzform mitgebracht, übrig geblieben von der gestrigen Party. Es soll ein Witz sein, ein Pressegeschenk zur Ausstellung, bei der es genau um eben jene Liebesschlösser geht.

„Der Terror ist in Deutschland! Die Liebesschlösser sind ein Anschlag kleinbürgerlicher Ästhetik auf alle Einwohner und Besucher Frankfurts. […] Hier geht es nicht um Liebe, sondern um Besitz. Es ist ein massenhafter Ausdruck von Zwangsliebe und Liebeszwang.”

Mit diesen Worten hatte die Frankfurter Hauptschule die „Stahlbad ist 1 Fun“-Aktion im Vorfeld angekündigt. Und gleichzeitig alle Bewohner der Stadt dazu aufgefordert, Liebesschlösser wie die auf dem Eisern Steg gegen ein Entgelt von jeweils einem Euro in eine Galerie zu tragen. Die Hauptschüler wollten die Teile einschmelzen und zu einem neuen Objekt umformen, das eben seit dem 18. August öffentlich ausgestellt wird.

Diese Schlösser, wie sie an Brückengeländern in ganz Deutschland baumeln, sind "ästhetischer Terror". Sagt zumindest die Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule.

Diese Schlösser, wie sie an Brückengeländern in ganz Deutschland baumeln, sind “ästhetischer Terror”. Sagt zumindest die Künstlergruppe Frankfurter Hauptschule. Foto: Frankfurter Hauptschule

Was wollen die Künstler-Kids der Frankfurter Hauptschule?

Ich fand diese Idee spannend; ein Dutzend junger Menschen, die mit radikalen Worten gegen verkrustete Beziehungssymbolik und vermeintlich veraltete Liebesideale antreten. Aktionskunst, auch noch eingewoben in einen politischen Kontext. Bekannt war mir die Hauptschulgruppe schon länger; im vergangenen Jahr hatte sich ein Mitglied öffentlich Heroin spritzen wollen, um damit gegen die Gentrifizierung des Frankfurter Bahnhofsviertel zu protestieren. Im Wagner-Jahr 2013 hatten die Hauptschüler – damals noch unter anderer Besetzung als heute – nach eigener Auskunft Tausende Tickets für den Premieren-Abend der Bayreuther Festspiele gefälscht, weil die Gruppe darauf aufmerksam machen wollte, dass Wagners Vergangenheit in ihren Augen zu milde beurteilt wird.

Ich wollte nun wissen: Wie sieht es hinter der Tür im Klassenzimmer der Frankfurter Hauptschule aus? Wer sind diese Leute? Und was bitte ist an Liebesschlössern so schlimm?

Nicolas und ich laufen also los, Richtung Main. Wenn dieses Treffen eine Beziehung wäre, dann würde jetzt das Kennenlernen beginnen. Ich stelle ein paar Fragen zum Warmwerden. Wer seid ihr? „So zehn bis fünfzehn Leute“, antwortet Nicolas, „die meisten haben was mit Kunst zu tun, studieren noch.“ Was macht ihr? „Ganz billige Provo-Nummern. Kunst im Vorbeigehen. Den Rest kann sich jeder selbst dazu denken.“ Was wollt ihr? „Es macht uns einfach Spaß zu provozieren. Und Sachen zu machen, die mit dem deutschen Wesen nicht konformgehen.“ Wie entscheidet ihr, welche Aktionen ihr macht? „Ehm, ach. Einfach so, wenn einer ’ne Idee hat, die viele aus der Gruppe gut finden, wird das gemacht.“ Warum macht ihr das? „Weil wir gern auf die Kacke hauen.“ Gibt es ein konkretes Ziel? „Ehm, nee.“ Gibt es ein künstlerisches Vorbild für die Gruppe? „Nicht direkt.“

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Okaaaay. Nicholas spricht langsam und unaufgeregt, er nimmt sich Zeit für seine Antworten, vielleicht liegt das aber auch nur am Kater. Er bleibt höflich, auch wenn ich nachhake. Nicht unsympathisch. Trotzdem: Das, was er sagt, klingt in meinen Ohren gleichgültig. Wie eine Riesenübung in Sachen Zynismus, die am Ende überdreht.

Ich grabe weiter nach Substanz. Woher kommt der Name? „Naja, Frankfurter Schule – Frankfurter Hauptschule. Unser Name ist eine Art wohlwollende Referenz.“ Man lehnt sich an Adorno und Co. an. Aber in welchem Sinne? „Die Frankfurter Schule hat über Kulturindustrie geschrieben – und wir machen Kulturindustrie-Kultur.“ Das verstehe ich nicht ganz. „Ich auch nicht“, sagt Nicolas.

Auf die Kacke hauen und provozieren macht die Frankfurter Hauptschule gern. Ich suche derweil: die Substanz hinter der Aktion.

Auf die Kacke hauen und provozieren macht die Frankfurter Hauptschule gern. Ich suche derweil: die Substanz hinter der Aktion. Foto: Frankfurter Hauptschule

Mittlerweile sind wir auf dem Eisernen Steg angekommen. Überall baumeln kleine Herzschlösser vom Brückengeländer, ein Straßenmusiker spielt melancholische Musik auf seinem Akkordeon, um uns herum fotografieren sich Touristen, während sie vor den Schlössern selig in die Kameras lächeln. Woher kommt der Hass der Hauptschüler auf die eisernen Liebesbeweise? Wieso sprechen sie von ästhetischem Terror, frage ich. „Wir finden diese Symbolik schon scheiße. Die Aktion hatte vielleicht auch therapeutische Wirkung. Wo wir jetzt hier auf der Brücke stehen, lässt mich das eigentlich kalt.“

Längeres Schweigen. „Ich kann ja noch dabei mitgehen, dass es vielleicht an einer kleinen Brücke in Italien romantisch ist, so ein Schloss aufzuhängen. Aber wenn überhaupt eine Romantik in dieser Geste liegt, dann hat die Vermassung sie definitiv kaputt gemacht“, sagt Nicholas.

Gegossene Beweise der Zuneigung als Touristenattraktion, so versteht er die Liebesschlösser, die bundesweit an Brücken baumeln. Was er selbst romantisch findet? Darauf will Nicholas nicht antworten. Wie er sich ein modernes Konzept von Liebe vorstellt? „Schön.“ Ob er und die anderen aus der Frankfurter Hauptschule denn Monogamie prinzipiell ablehnen? Das könne man so nicht sagen, aber er wolle nicht näher darauf eingehen. Ob der Kunst der Frankfurter Hauptschule eine tiefere Bedeutung zugrunde liege, eine Utopie vielleicht? „Puh. Nö. Wir haben halt Spaß an dem, was wir machen.“

Wenn dieses Treffen eine Beziehung wäre, dann hätten wir jetzt ein Kommunikationsproblem.

Wir wandern weiter den Main entlang Richtung Galerie, die Sonne scheint, der Wind weht leicht, rechts neben uns glitzert der Fluss, links reckt sich das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank schnittig und glänzend in den Himmel. Dieser Spaziergang könnte ein philosophisches Gespräch über die Liebe werden, über vielleicht veraltete Vorstellungen der Menschen, die in herzförmigen Schlössern ihre Sehnsüchte nach Geborgenheit und Ewigkeit verbarrikadieren, über Liebe in der Moderne, über das Diktat der Zweierbeziehung in der Gesellschaft, zu hohe Ansprüche, alternative Beziehungskonzepte. Aber Nicholas und ich reden aneinander vorbei. Er findet meine Herangehensweise und Fragen falsch, ich finde, er entzieht sich konkreten Antworten.

Statt eines Riesen-Penis doch lieber eine Zinkwanne

Wir schweigen eine Weile, während wir weiterlaufen. Links biegen wir ab, laufen noch wenige Meter durchs den Industrieschick des Frankfurter Ostends. Dann stehen wir in der Galerie. In einem kleinen dunklen Raum, durch den man in ein Fenster ohne Glas hereinblickt, läuft an der gegenüberliegenden Wand eine Projektion des PR-Videos zur Aktion, in dem Frontfrau Johanna sich, an einem Tisch sitzend, mit Wasser begießen lässt und dadaistische Sätze von Tonkartons abliest, die ihr männliche Kollegen in einigen Metern Entfernung hinhalten. „Wer das liest ist doof“, sagt Johanna in dem Video, und mehrmals hintereinander „Stahlbad ist 1 Fun.“ „Das ist ein sexistisch aufgeladenes Video“, erklärt Nicholas, „weil Johanna sich vor den Männer zum Affen machen und sich erniedrigen lassen muss.“

Diese Zinkwanne sei aus 3.000 abgegebenen Liebesschlössern gegossen worden, sagen die Künstler der Gruppe Frankfurter Hauptschule. Die Flaschen gehören eigentlich nicht zum Kunstwerk; sie waren nur am Eröffnungsabend Bestandteil der Ausstellung.

Diese Zinkwanne sei aus 3.000 abgegebenen Liebesschlössern gegossen worden, sagen die Künstler der Gruppe Frankfurter Hauptschule. Die Flaschen gehören eigentlich nicht zum Kunstwerk; sie waren nur am Eröffnungsabend Bestandteil der Ausstellung. Foto: Frankfurter Hauptschule

Aha. Das Objekt, um das es eigentlich geht, erkenne ich erst nach einigen Sekunden. Da steht sie nun, eine Zinkwanne, das „Stahlbad Fun“. Angeblich gegossen aus 3.000 eingeschmolzenen Liebesschlössern, die im Vorfeld abgegeben worden seien. Sagt zumindest Nicolas. Ich hatte die Wanne glatt übersehen; im Dunkel des Zimmers geht sie unter. Man habe in der Gruppe überlegt, ob man statt der Wanne nicht einen riesigen Penis oder eben ein riesiges Vorhängeschloss in Herzform aus den Schlössern hätte gießen sollen, hatte Nicolas mir noch während des Spaziergangs erklärt. Am Ende habe sich die Gruppe aber doch für die Wanne entschieden, weil die beiden anderen Motive zu naheliegend gewesen seien.

Ich bin enttäuscht. Schon klar: Alles hier ist ironisch, man will sich nicht festlegen. Eine Substanz hinter der eigentlichen Aktion hätte man sich trotzdem gewünscht. Alles bleibt Oberfläche; als ob eine Gruppe Kids ein paar Knaller schmeißt, die schnell verpuffen. Das macht zwar Spaß und gibt im Falle der Frankfurter Hauptschule ein schönes (mediales) Theater – aber nachhaltig ist es nicht. Auch bleibt fraglich, wie viele Menschen wirklich mit einem Bolzenschneider irgendwelche Liebesschlösser von Brücken geknackt haben. Erlaubt ist das rein rechtlich zumindest nicht.

Wenn dieses Treffen eine Beziehung wäre, dann müsste man spätestens jetzt sagen: Es ist kompliziert. Nicht nur in der Liebe – auch in der Kunst.


Aufmacherfoto: Gesicht der „Stahlbad ist 1 Fun“- Aktion, Johanna, selbst Mitglied der Frankfurter Hauptschule, steht auf der Brücke Eiserner Steg in Frankfurt. Im Hintergrund sieht man das, wogegen die Künstler protestieren: Liebesschlösser. Foto: Frankfurter Hauptschule.

Produktion: Susan Mücke; Redaktion: Vera Fröhlich.