Warum ich aus Sachsen weggezogen bin

© Sibylle Jazra

Politik und Macht

Warum ich aus Sachsen weggezogen bin

Wenn Hauptkommissare Selbstjustiz verüben und keinen juckt's, wenn Nazis ungestraft in aller Öffentlichkeit Jagd auf Ausländer machen, wenn man nicht nicht mit schuld sein kann: Auf Wiedersehen, Sachsen.

Profilbild von Christian Gesellmann
Reporter für Feminismus und Neue Männlichkeit

Zwickau, Mitte der Neunzigerjahre: Ich war gerade aufs Gymnasium gekommen, Deutschland gewann die Fußballeuropameisterschaft und meine Nachbarn feierten Adolf Hitler. Meine Nachbarn, das waren die „HooNaRa“ – Hooligans, Nazis und Rassisten. Die hießen wirklich so. Es stand auf ihren T-Shirts und auf ihren Bannern. Weiß auf Schwarz.

Sie standen im Fan-Block des FSV Zwickau, sie besetzten die Terrasse des Eiscafés im Freibad, sie veranstalteten Konzerte und hatten einen Klamottenladen in der Innenstadt. Und ab und zu feierten sie auf dem Fahrübungsplatz hinter dem Haus meiner Eltern. Dort hatten sie eine kleine Baracke.

Weil Nazis gern um Feuer herumstehen, wenn sie Nazifeiern machen, und auf Fahrübungsplätzen nicht viel Brennbares zu finden ist, suchten sie nach Holz in der Nähe und fanden unseren Zaun. Er brannte gut und knackte wie ein altes Grammophon, während die HooNaRa drumherumstanden, unfassbare Mengen Bier tranken und Sieg Heil riefen. Wenn 50 Männer gemeinsam singen, kann man das sehr weit hören. Manchmal kletterten mein Bruder und ich auf das Vordach unseres Hauses, drückten uns an die Hauswand und beobachteten sie.

Meine Eltern riefen die Polizei. Die Polizei sagte, man wisse schon Bescheid. Man könne aber nichts machen – man habe nicht genug Leute. Meine Eltern schrieben dem Ordnungsamt – der Ordnungsamtsleiter rief zurück und sagte: Das sind nur Dumme-Jungs-Streiche und er habe Wichtigeres zu tun. Bald hatten wir keinen Zaun mehr.

Einmal stand ein Polizeiwagen in der Einfahrt zu unserem Haus, während die Nazis wieder mal feierten. Zwei Polizisten blitzten Raser. Wir gingen hin zu ihnen. „Hören Sie das nicht?“, fragten wir.

„Was denn?“

„Die Sieg Heil-Rufe?“

„Und? Was soll’mern da jetzt machen?“

Es waren nicht nur Dumme-Jungs-Streiche, die die HooNaRa ausheckten. Das hätte man damals schon wissen können. Heute muss man es wissen – einige von ihnen gehörten zum Netzwerk des späteren Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Sie halfen beim Töten. Mindestens einer von ihnen war beim Bundesverfassungsschutz. Er lebt heute in der Schweiz.

Der Ordnungsamtsleiter von damals ist heute Stadtrat in Zwickau. Er ist CDU-Mitglied und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Bei der Polizei hat sich nicht viel geändert seitdem, darauf komme ich gleich nochmal zurück. Mein Bruder und ich sind aus Zwickau weggezogen, wie die meisten unserer Freunde, bald nach dem Abitur.

Heimat gesucht

Vor fünf Jahren bin ich zurück gekommen, um erst in Chemnitz, dann in Zwickau für die Tageszeitung Freie Presse zu arbeiten. Vielleicht auch, um meine Heimat wiederzufinden.

Nazis – nennt sie von mir aus wie ihr wollt – gab es hier schon immer. Das wussten alle außer der CDU. Aber was musste geschehen, dass sie die Überhand gewinnen? Was haben wir – ich und die anderen, die sich für die Guten hielten – falsch gemacht?

Ein Beispiel: Vergangenen Sommer sehe ich, wie in der Fußgängerzone ein Mann eine Roma anschreit. Die Frau saß dort, direkt vor dem Eingang der Redaktion, seit einigen Tagen mit ihrem Pappbecher auf dem Kopfsteinpflaster und sagte: Gutetag.

Der Mann war ein sehr wütender und auch ein sehr muskulöser. Er forderte die Frau auf, aufzustehen und abzuhauen. Und er hatte offensichtlich vor, so lange zu brüllen, bis sie geht. Ich habe den Mann gefragt, was genau er denn da macht. Da wendete er sich sofort von der Frau ab, trat bis auf Bockwurstlänge an mich heran und durch seinen voluminösen Brustkorb pumpte Wutblut. Ich hätte mich hier nicht einzumischen und solle gehen. Da habe ich ihm gesagt, dass er kein Recht hat, irgendjemanden herumzukommandieren. Darauf sagt er: Doch!

„Dann sind Sie also gerade in dienstlichem Auftrag?“, frage ich ihn.

„Sie behindern hier eine Polizeiaktion. Ich verweise Sie vom Platz!“

„Sie sind allein und in zivil. Der Frau haben Sie Ihren Ausweis auch nicht gezeigt. Das soll eine Polizeiaktion sein?“

„So, jetzt reicht’s! Jetzt zeigen Sie mir mal Ihren Ausweis!“

Ich zeige ihm meinen Presseausweis. „Kann ich jetzt mal Ihren Ausweis sehen?“

„Sie haben sich hier nicht einzumischen. Weg jetzt! Sie denken och, weilse Journalist sind, dürfen Sie alles?“

„Um Ihnen eine Frage zu stellen, brauche ich nicht mal Journalist sein. Im Moment frage ich als ganz normaler Bürger: Was machen Sie hier?“

„Als Bürger haben Sie mich GAR NICHTS zu fragen!“

Dann zeigt er mir aber doch einen Ausweis. So ein blauer Lappen, für mich sah das aus wie selbstgemacht, das Foto, auf dem er einen massiven Schnauzer hat, sah aus, wie vor zwanzig Jahren im Fotofix am Hauptbahnhof geknipst – aber ich hab auch noch nie einen Polizeiausweis gesehen (ohne jetzt kleinlich werden zu wollen, aber ich muss meinen Presseausweis jedes Jahr neu beantragen und dafür rund 80 Euro bezahlen).

Daraufhin ist er erstmal abgedampft. Die Bettlerin blieb sitzen. Ich fand den Typ so absurd, dass ich dachte, der ist ein Reichsbürger, und will gerade bei der Polizei anrufen und fragen, ob es den Hauptkommissar Wutbürger tatsächlich gibt, da kommt er in die Redaktion gepoltert, brüllt mich ungefähr fünf Minuten lang an – was ich mir einbilde, blabla, und beschwert sich dann persönlich beim Redaktionsleiter über mich. Während er also im Nachbarzimmer zur Abwechslung mal auf meinen Chef einbrüllt, google ich den Name des vermeintlichen Reichsbürgers.

Es stellt sich heraus: Er ist wirklich Hauptkommissar bei der Zwickauer Polizei. Sein Job: Präventionsbeauftragter.

Mein Chef hat mich danach in seiner Was-hast-du-denn-nu-schon-wieder-gemacht-Stimme gefragt, was da los war. Und das war’s. Im Nachhinein betrachtet eigentlich unglaublich: Man hindert einen ranghohen Polizisten an der Ausübung von Selbstjustiz gegenüber einer Roma. Anschließend bedroht mich der Polizist, der in seiner Eigenschaft als Präventionsbeauftragter regelmäßig von der Zeitung interviewt wird, und schwärzt mich bei meinem Boss an – und die Reaktion darauf ist gleich Null.

Alltäglicher Rassismus

Wir waren so abgestumpft, dass wir solche Aktionen einfach ignorierten. Für Zwickauer Verhältnisse war das eine Lappalie. Ein kleiner Blick in den hiesigen Wahnsinn:

  • Etwa ein Dutzend Neonazis stürmt in eine Diskothek in der Innenstadt und treibt alle Ausländer nach draußen, um sie zu verprügeln. Ein Türke liegt danach im Koma. Etwa 60 Gäste sind zu dem Zeitpunkt in der Disko. Viele filmen und fotografieren die Tat. Als Zeuge meldet sich niemand von ihnen. Es kommt noch schlimmer: Der Chef der Zwickauer Ausländerbehörde versucht den Türken, der seit elf Jahren in der Region lebt, nun abzuschieben – wohl gemerkt nach der Attacke auf ihn, die ihm bleibende Schäden und unendliche Schmerzen verursachte. Und trotz des wiederholten Hinweises der Staatsanwaltschaft, dass er in einem Gerichtsprozess der wichtigste (bis dahin sogar einzige) Belastungszeuge wäre. Konsequenzen für den Chef der Ausländerbehörde: keine. Politische Reaktionen auf den Vorfall: null. Eine Barkeeperin, die Aussagen zu rassistischen Äußerungen der Diskobetreiber macht, wird mit anonymen Briefen bedroht. Ihre Tochter wird angespuckt, weil sie einen Albaner geheiratet hat. Eine Meute Neonazis macht Jagd auf Ausländer – und kommt weitgehend ungestraft davon. Nur ein einziger der Schläger landet vor Gericht, er erhält eine Bewährungsstrafe.
  • Eine Gruppe von rund 15 Punks wird an einem Samstagabend auf dem Hauptmarkt von einer etwa gleichgroßen Gruppe Neonazis verprügelt, die aus einem Pub stürmen – und sich dorthin zunächst auch wieder zurückziehen, als die Polizei kommt. Die hält es für unverhältnismäßig, die Täter aus dem Pub herauszuholen, mehrere flüchten durch den Seitenausgang, während erstmal die Personalien der Punks aufgenommen werden. Die Polizei hält es auch nicht für notwendig, den Vorfall in ihren Medienberichten zu erwähnen. Erst auf Nachfrage erklärt sie in einer späteren Pressemitteilung, der Übergriff sei “politisch motiviert” gewesen. Das “Bündnis für Demokratie und Toleranz” der Region weist diese Bewertung daraufhin in einer eigenen Pressemitteilung zurück – und empfiehlt, sich mit den lokalen Handelstreibenden an einen Tisch zu setzen, da es von deren Seite häufiger Beschwerden über die Punks gegeben haben soll. Das “Bündnis für Demokratie und Toleranz” rechtfertigt indirekt Selbstjustiz – einige der Punks gehören übrigens einem Verein an, der sehr aktiv im Bündnis mitarbeitet – und will mehr wissen als der ermittelnde Staatsschutz. Punks berichten mir, dass die Polizisten zu ihnen am Tatort gesagt haben, dass sie doch aus Deutschland abhauen können, wenn es ihnen hier nicht passt. Ein einziger Täter landet vor Gericht. Gegen eine Geldauflage wird der Prozess eingestellt.
  • Noch drei Jahre nachdem Beate Zschäpe die Wohnung des Terror-Trios NSU in die Luft sprengte, erklären ausnahmslos alle Fraktionen im Stadtrat – auch die Linken und die Grünen –, dass Zwickau kein Problem mit Rechtsextremismus habe und es reiner Zufall gewesen sei, dass sich das Trio mehr als zehn Jahre in Zwickau vor der Polizei verstecken konnte. Zu diesem Zeitpunkt ist längst bekannt, dass der NSU zahlreiche Unterstützer in der Stadt hatte, dass Beate Zschäpe für die ehemaligen Nachbarn des Trios immer noch die “liebe Lisa” ist. Das Haus wurde schnellstmöglich abgerissen. Nichts erinnert in irgendeiner Form an die Taten des Trios oder an deren Opfer. Eine Künstlergruppe, die sich dafür einsetzt, eine Aufarbeitung der Taten vor Ort zu betreiben, wird öffentlich von der Oberbürgermeisterin und dem Bundestagsabgeordneten der CDU angefeindet. Der Stadtsprecher schrie mich einmal am Telefon an, ich solle aufhören, auf dem Thema herumzureiten. Was wollt ihr denn, fragte er.

Problem Crystalmeth

Rund die Hälfte der Straftaten, die in der Stadt verübt werden, und etwa die Hälfte aller Strafprozesse im Amtsgerichtsbezirk stehen im Zusammenhang mit Crystalmeth. Die Zahl dieser Drogensüchtigen ist seit 2012 sprunghaft angestiegen, die Kapazitäten der Suchtberatungen und der Suchtprävention – Aufgabe des Landkreises – hingegen stagnieren seit zehn Jahren, die Region ist mit Fachpersonal unterversorgt. In keinem der fünf Wahlkämpfe, die ich in meiner Zeit in Zwickau erlebt habe, hat ein einziger kandidierender Politiker das Thema – das ganz offensichtlich das drängendste Problem der Gesellschaft in Zwickau ist, noch vor Rechtsextremismus und Arbeitslosigkeit – von sich aus angesprochen, kein einziges Mal war es Thema im Stadtrat. Bis heute hat sich am Budget der Suchtberatungen nichts geändert.

Und so weiter und so fort. Natürlich gäbe es auch Positives zu berichten. Und natürlich spielte in den Prozessen oft auch eine Rolle, dass die Opfer nicht aussagen wollten, weil sie nicht mit dem Staat kooperieren wollen. Aber nichts kann das beschriebene Versagen von Politik und Behörden rechtfertigen oder aufwiegen.

Dass ich keinen Elan hatte, mich über den Hauptkommissar Wutbürger nach seiner Sheriff-Nummer zu beschweren und den Vorfall öffentlich zu machen, lag aber nicht nur daran, dass es für Zwickauer Verhältnisse nur eine kleine Episode war. Es lag auch daran, dass ich wusste, dass es nichts bringen würde. Es würde keine Konsequenzen haben, außer der, dass es in Zukunft die Zusammenarbeit mit der Polizei erschweren würde und es einen Haufen wutsabbernder Anrufe von Lesern geben würde, die drohen, die Zeitung abzubestellen, weil sie es nämlich richtig finden, dass mal jemand die Bettelzigeuner aus der Stadt jagt.

Schleichendes Gift

Ich beschreibe diesen Vorfall deshalb so ausführlich, weil er den Mechanismus deutlich macht, mit dem auch ich korrumpiert wurde und mich der Meinungshoheit der Xenophoben von ganz allein gebeugt habe. Mir musste niemand sagen: Du darfst darüber nicht schreiben. Ich hatte auch keine Angst davor oder hätte den Ärger gefürchtet. Ich hatte schlichtweg keinen Bock mehr, mich darüber aufzuregen.

Es ist ein schleichendes Gift, das mir Sachsen verabreicht hat:

Vor etwa vier Jahren traf ich Mohammed im Zug, einen Iraner, der ein Jahr zuvor als Flüchtling nach Deutschland gekommen war. Ich lebte damals noch, wie er, in Chemnitz und wir beide waren auf dem Heimweg von der Arbeit. Er jobbte in einer Dönerbude. Ich hatte ihm beim Umzug vom Asylbewerberheim in eine eigene Wohnung geholfen und seitdem besuchten wir uns ab und zu.

Es war Freitagabend und wir beschlossen, noch ein Bier trinken zu gehen im „Flower Power“, einer Musikkneipe in der Innenstadt. Der Türsteher fragte nach Mohammeds Ausweis. Er zeigte ihm seine Aufenthaltsgenehmigung.

„Damit können wir ihn nicht reinlassen“, sagt der Türsteher zu mir.

„Warum?“

„Weil generell keiner mehr mit so einem Ausweis hier reinkommt. Ist zu viel Scheiße passiert.“ Der Türsteher trug eine Schutzweste und war vietnamesischer Herkunft.

Ich hielt ihm meinen Personalausweis hin. „Hier, behalt meinen Ausweis, er ist mein Freund und ich bürge für ihn.“

„Nee, ich kann jetzt hier keine Ausnahmen machen. Araber kommen nicht mehr rein, wenn sich jemand bei meinem Chef beschwert, hab ich den Ärger. Die Asylbewerber haben hier schon Zeug abgezogen, das geht hier einfach nicht mehr.“

„Ihr könnt doch nicht alle über einen Kamm scheren. Und übrigens ist er Perser und kein Araber.“

„Es bringt nichts, hier rumzudiskutieren.“

Wir diskutierten aber trotzdem noch eine Weile. Mohammed stand neben uns und guckte zu Boden. Irgendwann verlangte ich, den Chef zu sprechen, sprach von Pauschalverurteilung und Rassismus und drohte damit, in der Zeitung darüber zu berichten. „Ey guck mal“, sagte der Türsteher, „ich bin doch selber Ausländer. Das hat nichts mit Rassismus zu tun.“

Dann wollte er uns doch noch reinlassen. Aber ich hatte jede Lust verloren, und Mohammed schon viel länger, und ich begann mich dafür zu schämen, diese Situation überhaupt angezettelt zu haben.

Mohammed erzählte mir, dass er in noch mindestens fünf weitere Diskotheken in Chemnitz und Zwickau nicht reinkommt. Er sagte: Reg dich nicht auf.

Ich habe darüber nie geschrieben. Aus folgendem Grund: Eine weitere Schlagzeile, ein weiterer Artikel, in dem es um Asylbewerber und Probleme mit ihnen geht – denn so nimmt das die absolute Mehrheit der Leser war –, hätte nur folgende Reaktionen verursacht: weitere Hetze gegen Ausländer. Es hätte die schon damals aggressive Stimmung noch weiter angeheizt. Die meisten fanden und finden es einfach richtig, wenn die Disko blond bleibt.

Der Nestbeschmutzer

Ich begann taktisch zu denken, nicht mehr als Journalist. Damals hat das vollkommen Sinn für mich gemacht, es gab ja noch ein paar Clubs, in die Asylbewerber durften, und das waren eh die besseren Clubs und in den anderen wäre es für Mohammed sowieso ein einziges Spießrutenlaufen geworden.

Das versteht man erst mit etwas Abstand so wirklich. Besser ist natürlich, man entwickelt dafür nie Verständnis. Bei allem Sachsen-Bashing darf man aber nicht vergessen, dass diejenigen, die sich hier für Werte wie Toleranz und Menschenrechte eingesetzt haben, schon an der Belastungsgrenze waren, bevor es mit der Flüchtlingskrise losging und als es offiziell noch gar keinen Rechtsextremismus in Sachsen gab.

Nestbeschmutzer – das war der Begriff, mit dem auch ich oft genug von denen abgekanzelt wurde, denen das Image Sachsens ach so wichtig war, unter dessen Deckel jedes Argument luftdicht verschlossen wurde. Im Nachhinein muss ich feststellen, dass es ganz gut funktioniert hat.

Und ich habe ja nur meinen Job gemacht und wurde dafür gut bezahlt und war unbefristet angestellt. Diejenigen, die wirklich Demokratiearbeit in Sachsen leisten, die sich seit jeher gegen Rechts engagierten, die sind nicht nur regelmäßig Opfer realer Gewalt geworden, und mussten sich dafür auch noch öffentlich auslachen lassen, sie waren auch stets in prekären Arbeitsverhältnissen angestellt, mit Einjahresverträgen und mieser Bezahlung,wenn nicht gar ehrenamtlich.

Und wer jetzt sagt, na, dann zieh doch weg: Jep, das mach ich auch. Und es werden und haben mir schon viele gleichgetan. Es ist keine Genugtuung dabei, das zu schreiben. Ich bin zum Fremden in meiner eigenen Heimat geworden. Und die mag nun mal keine Fremden. Die mag sich ja noch nicht mal selbst.

Ich weiß von Lehrern, die ausländische Schüler nur mit Nummern ansprechen, weil sie keinen Bock haben, sich deren exotische Namen einzuprägen. Es gibt Blogs, auf denen mit Name und Foto über Lokaljournalisten gehetzt wird, die über Asylpolitik berichten. Es gibt Youtube-Videos, die zur Gewalt gegen ehrenamtliche Flüchtlingshelfer aufrufen – der Kanal verwendet dabei eine Bildsprache, die der des Bekennervideos des NSU gleicht, und die Hinweise, dass die Produzenten die gleichen sind, gibt es schon seit Jahren.

Ich weiß von Krankenschwestern, die von ihren Kolleginnen schief angeguckt werden, weil sie versuchen, ihre ausländischen Patienten zu verstehen (nicht in einem philosophischen Sinn oder so, sondern aus rein medizinischer Sicht), und von Sozialarbeitern, die am Verzweifeln sind, weil ihr Vorgesetzter nun AfD-Politiker ist. Und so weiter und so fort.

Unglückliche Wutbürger

Sachsen ist zu einem Land geworden, das von ganzkörpertätowierten, kontrollwütigen, kulturlosen, kaufsüchtigen und zutiefst unglücklichen Wutbürgern dominiert wird, von Meth-heads und kaputtgespielten Schichtarbeitern. Wir haben es lang nicht wahrgenommen, weil die Killerprolls in keinem öffentlichen Diskurs vorkamen, weil sie nie nach gesellschaftlichen Funktionen gestrebt haben, weil wir sie wie schlechtes Wetter behandelt haben. Die Flüchtlingskrise hat den ganzen Hass nicht ausgelöst. Sie hat ihn nur sichtbar gemacht.

Für Industriegötter wie Volkswagen, für die soziale Verantwortung alte Kamellen sind, hat die CDU jedes Götzenopfer gebracht, das verlangt wurde. Sachsen ist zur verlängerten Werkbank gemacht worden. Unsere sozialen Bindungen sind immer loser geworden, die Arbeitsverhältnisse immer sklavenartiger. Ganz Deutschland lacht über Sachsen. Aber der Fremdenhass hier ist nicht über Nacht entstanden und er ist auch kein Phänomen, das auf Sachsen oder den Osten beschränkt bleiben wird, wenn Politik und Wirtschaft weiter dankbar für jeden sind, der die Klappe hält und sich alle zwei Jahre einen neuen Flatscreen kauft.

Den Zaun, den die HooNaRa für ihre Lagerfeuer verwendet hatten, ersetzten wir durch einen neuen, einen, der nicht entflammbar ist, einen grünen Maschendrahtzaun. Von Weitem verschwamm das feinmaschige Muster des Zaunes mit den Bäumen und Sträuchern, die dahinterstanden. Im Sommer, wenn alles grün war und blühte, sah es so aus, als hätten wir gar keinen Zaun mehr.


Aufmacher-Illu Sibylle Jazra für Krautreporter. Produktion Vera Fröhlich.