Die naheliegende Moschee
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Die naheliegende Moschee

Als Salafisten-Hochburg verschrien, als Feindbild beliebt: die Al-Nur Moschee in Berlin. Lektionen über und von Bushido, Ingwer, den Quassel-Imam und Terrorismus made in Germany.

Profilbild von Christian Gesellmann
Reporter für Feminismus und Neue Männlichkeit

An einem Freitagmittag stehe ich am Seiteneingang der Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln und unterhalte mich mit einem etwa 55-jährigen Deutschen, der vor vier Jahren zum Islam konvertiert ist. Ab und zu hilft er in dem Krämerladen der Moschee aus, in dem es eine merkwürdige Mischung aus Lebensmitteln und Bedarfsartikeln gibt, Thunfisch zum Beispiel, Tee und Süßigkeiten, aber auch Parfüm.

Während wir sprechen, strömen die ersten Besucher in die Moschee, etwa 800 werden die Predigt von Imam Sheikh Nasser El-Issa heute hören, manchmal kommen mehr als tausend. Fast jeder der Männer, die an uns vorbeigehen, grüßt mit “Salam Aleikum”, reicht uns die Hand und lässt sie danach kurz auf dem Herz ruhen. “Hast du dich erkältet?”, fragt ein Mann mit Schnurrbart den Konvertiten. “Ja, hab’ mir wohl einen Schnupfen eingefangen.” “Dann trink mal eine heiße Milch mit Honig”, sagt er und klopft ihm auf die Brust. “Nee, Ingwer musst du nehmen”, rät ein anderer.

Dies, findet der Schnurrbärtige, sei kein guter Rat an einen Unverheirateten. “Ingwer regt die Durchblutung an, besonders in Körperteilen, in denen die Adern ganz fein sind. Das ist nicht gut. Du weißt, wohin das führt.” Plötzlich ruft jemand: “Da stehen Journalisten und filmen.”

Vor dem Haupteingang steht ein Kamerateam von Sat.1. Der Reporter hält in einer Hand das Mikrofon, in der anderen ein Foto von Rafik Y. im A3-Format. Der Iraker Rafik Y., verurteilter Islamist, hatte einen Tag zuvor in Berlin-Spandau eine Polizistin mit einem Messer attackiert. Daraufhin war er von ihrem Kollegen erschossen worden.

"Was sagen Sie zu Rafik Y.?": Kamerateam filmt Moscheebesucher.

“Was sagen Sie zu Rafik Y.?”: Kamerateam filmt Moscheebesucher. Foto: Christian Gesellmann

Niemand will ein Interview geben, manche halten die Hand vors Gesicht und gehen schnell rein. “Okay, wenn keiner mit uns redet, dann müssen wir im Fernsehen sagen, dass hier keiner mit uns reden wollte”, sagt der Reporter. “Was wollt ihr hier, warum fragt ihr uns über diesen Typ aus? Was haben wir mit dem zu tun?”, fragen mehrere Männer. “Wir sollen Muslime dazu befragen, was sie über das Attentat von gestern sagen. Da sind wir einfach zu der von unserem Studio am nächsten gelegenen Moschee gefahren”, erklären die Reporter.

Das Hauptstadtstudio von Sat.1 ist fast elf Kilometer von der Al-Nur Moschee entfernt. Mindestens sechs im Internet zu findende Moscheen liegen deutlich näher. Aber die Al-Nur wird seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet, ausländische Imame hielten hier antisemitische und frauenfeindliche Predigten, der deutsche Top-Terrorist in Diensten des Islamischen Staates Denis Cuspert (früher Deso Dogg, heute Abu Talha al-Almani) besuchte hier Islam-Seminare.

“Hat jetzt jeder Verbrecher was mit Al-Nur zu tun, oder was”, fragt Sheikh Nasser El-Issa, als ihm von dem Vorfall berichtet wird. Er bereitet sich gerade auf seine Predigt vor und trägt bereits das lange, weiße liturgische Gewand eines Imams.

Die Anzahl der Salafisten in Deutschland hat in den vergangenen beiden Jahren stark zugenommen. Laut Verfassungsschutz stieg das Potenzial in Berlin auf 650 Personen an, die meisten werden als gewaltorientiert eingestuft. Etwa 90 Berliner Islamisten, die sich an Kampfhandlungen in Syrien oder dem Irak beteiligten, sollen inzwischen zurückgekehrt sein.

Die Al-Nur Moschee in Neukölln

Die Al-Nur Moschee in Neukölln Foto: Christian Gesellmann

Die Al-Nur Moschee steht seit 2009 unter Beobachtung. Imam El-Issa findet das gut: “Wenn der Verfassungsschutz uns beobachtet, dann weiß er, dass wir nicht gefährlich sind. Wenn hier Leute beten, die gefährlich sind, können sie die rausfischen. Wir können den Menschen nicht in ihre Seelen schauen, wir wissen nicht, was die außerhalb der Moschee machen.”

"Können den Menschen nicht in ihre Seelen schauen": Imam Sheikh Nasser El-Issa

“Können den Menschen nicht in ihre Seelen schauen”: Imam Sheikh Nasser El-Issa Foto: Christian Gesellmann

Als Denis Cuspert die Al-Nur Moschee besuchte, stand er laut einer Lageanalyse des Berliner Verfassungsschutzes am Anfang seiner Radikalisierung, war noch mehr Deso Dogg als Abu Talha al-Almani, Propagandastratege einer islamistischen Terrormiliz.

Das erste Dokument, das Cusperts Kontakte in das salafistische Milieu belegt, datiert vom Februar 2010. Es handelt sich um ein Video, das anlässlich eines sogenannten “Islamseminars“ in der Neuköllner “Al-Nur Moschee” aufgenommen wurde und ein Gespräch zwischen dem bekannten salafistischen Prediger Pierre Vogel und Denis Cuspert beinhaltet. In diesem wird deutlich, dass Cuspert bereits Anfang 2010 einen engen Bezug zur “Al-Nur Moschee” hatte und diese vermutlich schon seit geraumer Zeit frequentierte. (Wie) er den Kontakt zur „Al-Nur Moschee“ fand, ist nicht bekannt. Allerdings könnten die Angaben Cusperts, der Gaza-Konflikt um den Jahreswechsel 2008/2009 habe seine Hinwendung zum Islam gefördert, in Verbindung gerade zur „Al-Nur Moschee“ stehen. Ein Prediger der „Al-Nur Moschee“ hatte den Konflikt im Rahmen seiner Unterrichtseinheiten und Freitagspredigten aufgegriffen und mindestens einmal am 9. Januar 2009 mit explizit jihadistischen Äußerungen kommentiert. (…)Im Mai 2010 rief Cuspert in einem Video zur Teilnahme an einem „Deutschsprachigen Islamseminar“ in der „Al-Nur Moschee“ auf. (…) Dies ist insofern bemerkenswert, als Cuspert, selbst noch am Beginn seiner salafistischen Radikalisierung, zu dieser Zeit nur über ein sehr begrenztes Wissen über die salafistische Ideologie mit ihren weitgespannten Ge- und Verbotsvorschriften verfügt haben dürfte. Er besetzte bei seinen Vorträgen folglich nicht die Position eines Predigers, sondern wirkte einerseits über die Ausstrahlung eines prominenten ehemaligen „Gangsta-Rappers“, andererseits in religiösen Dingen auf Augenhöhe mit der zu großen Teilen jungen und noch ungeschulten Zuhörerschaft.
Lageanalyse des Berliner Verfassungsschutzes

Die Analyse erwähnt auch, dass sich namhafte nicht-dschihadistische salafistische Prediger von Cuspert abwendeten, der im Juni 2012 über Ägypten nach Syrien ausreiste.


Ich treffe Imam El-Issa in seinem Büro in der Moschee. Er trägt dunkle Cargohosen, gestreiftes Hemd, Vollbart.

Der IS hat angekündigt, Kämpfer mit den Flüchtlingen nach Europa zu schicken, damit sie hier Anschläge verursachen. Haben Sie Angst, dass die sich in Ihrer Moschee - aufgrund ihres Rufes - einschleichen könnten?

Wir hatten bisher keine Anzeichen dafür, aber das kann überall passieren. Genau deshalb muss man noch enger mit der Regierung arbeiten und einen Mechanismus finden, mit dem man solche Leute entlarven kann. Für die IS-Kämpfer sind wir alle Ungläubige, die Deutschen, die Franzosen, die Engländer - die machen keine Unterschiede, wir sind alle in einem Boot. Was der IS macht, hat mit dem Islam absolut nichts zu tun. Das sind Mörder. Sie schaden unserer Religion und den Muslimen.

Schuhregal in der Moschee während der Freitagmittag-Predigt

Schuhregal in der Moschee während der Freitagmittag-Predigt Foto: Christian Gesellmann

Würden Sie sich selbst als Salafisten bezeichnen?

Bevor ich diese Frage beantworte, möchte ich erstmal erläutern, was Salafist überhaupt bedeutet, damit wir wissen, über was wir reden. „Salafist“ gibt es schon mal gar nicht, aber es gibt Salafi. Das bedeutet Vorfahre. Wenn man seine Religion von seinen Vorfahren übernimmt, ist man ein Salafi. Nach dieser Definition wären auch Juden und Christen Salafi. Im Arabischen gibt es drei verschiedene Gruppierungen der Salafi: Die einen tendieren zum Dschihad. Die anderen zur Strenge, bei denen ist alles verboten, haram. Die dritte ist weder streng, noch lasch, sie sucht die Mitte. Zu dieser Gruppe gehören wir. Deswegen werden wir von strengeren Muslimen teilweise auch komisch angeschaut. Mittlerweile ist der Begriff zu einer Bedrohung geworden - weil die Journalisten ihn auch nicht richtig erklären.

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Im Allgemeinen versteht man unter einem Salafisten jemanden, der die politische Grundordnung Deutschlands ablehnt - mit unterschiedlichen Mitteln.

Wenn ich das politische System Deutschlands ablehnen würde - würde ich dann hier leben? Warum lebe ich nicht in einem islamischen Staat?

Weil Sie vor dem Krieg geflohen sind.

Ja, aber jetzt bin ich ja kein Kind mehr, ich könnte ja auch umziehen. Wenn es ein Kalifat gäbe, einen islamischen Staat, errichtet nach den Gesetzen des Korans, dann würde ich gern dort leben, oder ich würde es mir zumindest einmal anschauen. Es ist aber nicht meine Pflicht, dort zu leben. Und einen solchen Staat gibt es derzeit auch nicht. Wir streben auch nicht an, aus Deutschland einen Kalifatstaat zu machen.


Anfang 2003 hatte ein 26-jähriger Tunesier, der zuvor in Afghanistan Al-Qaida-Kämpfer ausgebildet haben soll, im Fitnessraum der Al-Nur Moschee “Sportunterricht” angeboten. Laut Anklage der Bundesanwaltschaft habe er in Wahrheit eine “Dschihad-Ausbildung” anbieten wollen, möglicherweise zur Vorbereitung eines Terroranschlags. Nach wenigen Tagen entzog der damalige Imam Salem el-Rafei dem Tunesier allerdings die Erlaubnis wieder, den Raum nutzen zu dürfen.


Welche Auswirkungen hat die aktuelle Flüchtlingskrise auf die Al-Nur Moschee und ihren Trägerverein?

Dass Flüchtlinge ihre Heimat verlassen müssen, ist eine traurige Angelegenheit. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Diese Menschen hatten ihr Leben, ihre Familie, Freunde, Grundstücke, Häuser, Schulen, Arbeit - und das alles zu opfern und aufzugeben, innerhalb von Stunden oder Tagen fluchtartig aufzubrechen und alles hinter sich zu lassen, vielleicht auch die eigenen Eltern zurückzulassen - das ist immer traurig.

Aber was uns erfreut, ist, dass diese Flüchtlinge aufgenommen worden sind von Deutschland. Das ist ein Lob an die deutsche Regierung, an das deutsche Volk. Die meisten Deutschen sind auch dafür, es gibt ein paar, die dagegen sind, aber es gibt immer schwarze Schafe, in jeder Generation, in jedem Haus. Diese herzliche Art, die Leute aufzunehmen und zu empfangen, das ist bemerkenswert, und das hat man in vielen anderen Ländern nicht gesehen.

Vor allen Dingen macht es mich traurig, dass viele arabische und islamische Länder ihre Tore geschlossen haben, zum Beispiel Kuwait, Dubai, Saudi-Arabien - also reiche Länder, denen es sehr gut geht und in denen Frieden herrscht. Trotzdem haben sie die Flüchtlinge, diese armen Menschen, nicht mal angeschaut. Das ist sehr traurig.


El-Issa wurde 1979 im Libanon geboren und kam als Achtjähriger mit seinen Eltern aus dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land nach Berlin. Er machte Abitur, anschließend war er selbstständiger Kleinunternehmer, verkaufte Falafel und Schawarma, Lederwaren, hatte einen Reifenservice. “Ich bin gern in Deutschland, es war nicht schwer, sich hier einzuleben. Unser Leben im Libanon war von ständigen Umzügen wegen des Krieges geprägt”, sagt er. In der Pubertät habe er nichts mit Religion zu tun gehabt. Während eines Besuches bei seiner Mutter, da war er Anfang zwanzig, kam für ihn die Wende hin zum Religiösen.

Im Radio las ein Rezitator Suren aus dem Koran vor. In einer ging es darum, dass Gott den Menschen geschaffen habe, damit er ihm diene. “Da passierte etwas mit meinem Herzen, das hat mein Leben verändert. Ich habe den Sinn des Lebens erkannt”, sagt er. Er lernte zunächst bei seinem Vorgänger el-Rafei. In Frankreich studierte er dann vier Jahre Theologie, seit mehr als drei Jahren ist er Imam - eine ehrenamtliche Tätigkeit.

https://soundcloud.com/krautreporter/al-nur


Die letzten Minuten des Gottesdienstes in der Al-Nur Moschee am vergangenen Freitag. Zu hören ist die Stimme von El-Issa.


Ist Ihr Verein in der Flüchtlingshilfe aktiv?

Wir waren schon immer aktiv, was Flüchtlinge und humanitäre Hilfe angeht. Demnächst haben wir ein Treffen mit Politikern, mit denen wir zusammen arbeiten werden. Letzte Woche haben wir bereits verkündet, dass wir eine Spendenaktion starten, in der wir Kleider sammeln für die Flüchtlinge. Und wir werden auch Essen und Trinken geben.

Können Sie noch konkreter beschreiben, wie ihre Hilfe bisher aussah? Haben Sie zum Beispiel Flüchtlinge aufgenommen?

Nein, leider nicht. Wir hatten ein Gespräch dazu im Vorstand. Ich war der Meinung, dass wir einige Flüchtlinge aufnehmen sollten, denn es kann ja nicht sein, dass sie auf der Straße schlafen und die Moscheen leer sind. Doch einige im Vorstand waren dagegen, vor allem aus politischen Gründen.

Welche Gründe sind das?

Unter den Flüchtlingen sind auch Anhänger von Baschar al-Assad (dem syrischen Präsidenten, C.G.). Und wir sind gegen dieses Regime. Sie wissen nicht, wen sie reinholen, das könnte zu Schwierigkeiten im Verein führen.

Werden Ihre geplanten Hilfsaktionen an Bedingungen geknüpft sein, an eine bestimmte Religions- oder Staatsangehörigkeit?

Nein. Man hat uns vor kurzem unterstellt, dass wir angeblich nur Muslimen helfen. Das verneinen wir strikt, das ist eine Hetze gegen die Al-Nur Moschee. Erstens haben wir bisher noch keine Aktivitäten außerhalb der Moschee gemacht. Zweitens wäre das unislamisch. Unsere Religion macht keinen Unterschied darin, ob man ein Almosen einem Muslim oder Nicht-Muslim gibt. Im Gegenteil, es ist überliefert worden, dass unser zweiter Kalif, Umar ibn al-Chattab, als er einen älteren Christen betteln sah, befahl, diesem Mann eine monatliche Rente auszuzahlen. Auch Safiya, die Frau des Propheten Mohammed, ṣallā llāhu ʿalayhi wa-sallam („Gott segne ihn und schenke ihm Heil”, C.G.), unsere Mutter der Gäubigen, hat ihre jüdischen Verwandten mit Geld unterstützt.

Mit welchen Politikern sind Sie denn derzeit in Kontakt?

Mit verschiedenen Politikern, von der CDU und der SPD. Ich möchte lieber keine Namen nennen.

In welche Richtung gehen die Gespräche?

Noch haben wir uns nicht zusammengesetzt, deshalb möchte ich noch nichts dazu sagen. Wir wollen nicht die Richtung vorgeben, das müssen die Politiker machen.

Ich finde das ehrlich gesagt überraschend, denn gegenwärtig wird ja noch das Verbot gegen Ihren Verein geprüft.

Der Verbotsantrag ist noch offen, das heißt ja nicht, dass wir nicht aufeinander zugehen. Wir verneinen nicht, dass wir in der Vergangenheit Fehler begangen haben. Aber Fehler macht man, um daraus zu lernen und sich zu verbessern.

Mit Fehler meinen Sie den Einsatz von Gastpredigern, die antisemitische und frauenverachtende Reden hielten?

Wir haben im Vorstand einstimmig beschlossen, keine Imame mehr aus dem Ausland zu holen. Wenn wir jetzt Imame einladen, dann nur solche, die wir kennen und die in unserer Gesellschaft integriert sind, die wissen, was sie reden, damit sie keine Unruhe stiften. Aber ich bin der Meinung, dass, wenn ein Verein Fehler macht, die Gesellschaft auch auf ihn zugehen und mit ihm reden muss. Es kann sein, dass man es selbst nicht erkennt, deswegen ist das Aufeinanderzugehen wichtig. Und das ist in letzter Zeit auch öfter entstanden.

Die Imame, um die es ging, waren aber doch relativ bekannte Prediger…

Es geht nicht um prominent oder nicht, sondern einfach darum, dass man bestimmte Themen in einer bestimmten Gesellschaft nicht ansprechen und einfach sein lassen sollte, wenn es der Gesellschaft nicht gut tut.

Konkret ging es darum, dass einer der Imame zur Tötung von Juden aufgerufen hat.

Das Problem ist, wenn man einen Imam hat und zu ihm sagt, rede bitte nicht über Juden, und er geht auf die Kanzel und beginnt - dann hat man keinen Einfluss mehr auf ihn, dann bist du ihm ausgeliefert. Man kann nicht aufstehen und ihn stoppen. Die Situation, in der dieser Imam sprach, das war während des Krieges. Er ist selbst Palästinenser, und im Gaza-Streifen wurden zu der Zeit Kinder bombardiert. Er hat zu mir gesagt, dass er gar nicht alle Juden gemeint hat, sondern nur die, die den Krieg führen - also nur die israelische Führung, nicht das Volk. Da ist schon ein Unterschied.

Wir wissen, dass viele Juden gegen den Krieg sind, und für eine Zwei-Staaten-Lösung, genau wie wir. Das Thema wurde in den Medien aufgeputscht. Wir haben den Stempel Salafisten-Hochburg aufgedrückt bekommen, ohne dass man uns kennt. Die Medien profitieren davon. Keiner würde eine Zeitung kaufen, auf der die Titelgeschichte lautet: Junger Moslem hilft einem alten Mann über die Straße. Aber wenn man etwas schreibt, was einem Angst macht, das zieht die Leser an. Wir vertrauen der Regierung und wissen, dass sie nicht schläft. Wenn wir gefährlich wären, Waffen unter dem Fußboden hätten oder sowas, dann würde es uns doch schon lang nicht mehr geben.


Anfang des Jahres war El-Issa zu Gast in der Abendschau des RBB-Fernsehens, um sich zu der frauenfeindlichen Predigt des Gast-Imams zu äußern. Eine Reporterin der Welt hat ebenfalls mit ihm gesprochen. Auch eine vom Spiegel. Auch dem Deutschlandfunk hat er schon ein Interview gegeben. Die taz war ebenfalls da. Es ist eines der obersten Gebote des Journalismus, alle Seiten zu hören. Im Zusammenhang mit der Al-Nur Moschee ist das zumindest in der jüngeren Vergangenheit trotzdem häufig außer Acht gelassen worden.

Wenn man die Berichterstattung zu dem Vorfall mit dem Gast-Imam und dem darauf folgenden Verbotsantrag des Bezirkes gegen den Moscheeverein nachverfolgt, findet man bei Google News eine Vielzahl an Berichten, in denen nie ein Vertreter der Moschee zitiert wird - in fünf Artikeln der Berliner Zeitung (inklusive einem Kommentar der Chefredakteurin) zum Beispiel sowie in drei Artikeln des Tagesspiegels.

Auch die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine haben je zweimal berichtet. Sie haben immerhin ein einzeiliges Statement des Vereinsvorstandes zitiert, das dieser dem Evangelischen Pressedienst (epd) gegeben hatte. Selbst haben aber auch sie nicht mit dem Verein gesprochen. Ich habe einen Redakteur der Süddeutschen Zeitung angerufen, um von ihn zu erfahren, woran das liegt. “Ich habe in der Moschee angerufen, aber es ist niemand rangegangen. Der Artikel war tagesaktuell, es hat sich aufgrund des Zeitdrucks nicht mehr ergeben, jemanden in der Moschee zu erreichen”, sagte er mir, ohne namentlich genannt werden zu wollen. Allerdings hatte er Zeit genug, um drei CDU-Politiker dazu zu befragen.

Zwischen dem 19. Mai 2010 und dem 27. Februar sind in der SZ fünf Artikel (von verschiedenen Autoren) über Al-Nur erschienen. In keinem davon lässt der Autor einen Vertreter der Moschee zu Wort kommen, von der epd-Ausnahme abgesehen. Meine Vermutung ist, dass man es auch nicht so wirklich hart probiert hat. So dreimal klingeln lassen. “Ach geht nicht ran, kann man nichts machen”-mäßig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gleiche unwidersprochen bleibt, wenn es um eine katholische Gemeinde geht.


Wo bekommen Sie denn Ihre Gast-Imame her? Sind die auf Wanderschaft? Werden die bezahlt?

Sie werden nicht bezahlt. Es sind Imame, die zu Besuch in Berlin sind. Dann rufen Sie an und fragen, ob sie bei uns predigen können. In der Al-Nur Moschee wird gern gepredigt.

Ein Grund, warum sie als radikal bezeichnet werden, ist ihr Frauenbild. Gibt es in ihrem Verein Frauen, die kein Kopftuch tragen?

Nein. Wir zwingen Frauen aber nicht, das Kopftuch zu tragen.

Warum sind dann keine Frauen ohne Kopftuch bei Ihnen Mitglied?

Weil diese Frauen sich nicht in einer Moschee engagieren. Sie haben mit der Religion wenig zu tun. Jemand, der nie in der Kirche betet, wird sich doch auch nicht einem Kirchenchor anschließen.

Das heißt, das Kopftuch ist Voraussetzung, um bei Ihnen Mitglied zu werden?

Wir haben uns darüber noch nie Gedanken gemacht, weil noch nie eine Frau zu uns gekommen ist, die kein Kopftuch trug.

Sie sollen auch Ehen vermitteln. Stimmt das?

Ja, wenn wir die Möglichkeit haben. Manchmal haben wir Brüder, die nach einer Frau zum Heiraten suchen. Ein Moslem geht ja nicht in Discos oder Bars, er ist meistens unter Brüdern - da kann er keine Frauen kennenlernen. Viele von ihnen haben auch keinen Kontakt zu anderen Familien, sie kennen keine Menschen. Und dann fragen sie: Kennst du nicht eine Schwester, die heiraten möchte. Und manchmal ist es genau umkehrt, dass eine Frau einen Mann sucht. Und wenn wir vermitteln können, dann tun wir das. Aber das ist sehr sehr selten.

Wie läuft das konkret?

Das ist eigentlich genau wie bei Parship, Partnersuche im Internet. Man füllt einen Fragebogen aus, und dann treffen sich die beiden hier, wo wir jetzt sitzen, werden vorgestellt und reden miteinander, stundenlang, treffen sich zwei-, dreimal - und wenn sie beide Interesse haben, dann verloben sie sich und lernen sich näher kennen, und dann wird eine Beziehung daraus.

Wie viele Ehen sind hier auf diese Weise schon entstanden?

Ich weiß es nicht genau. Aber weniger als zehn.

Haben Sie in den letzten Monaten einen Zuwachs bei der Mitgliederzahl gehabt?

Die Moschee ist immer voll, und es sind mehr geworden. Aber einen Zuwachs durch die Flüchtlinge haben wir nicht bemerkt.

Wer sind Ihre Mitglieder?

Das ist ganz verschieden: Palästinenser, Libanesen, Afrikaner, Jugoslawen, Deutsche, Türken, Mazedonier.

Lackschuh und Flipflop: Rund 800 Besucher kamen zur letzten Freitagspredigt in der Al-Nur Moschee

Lackschuh und Flipflop: Rund 800 Besucher kamen zur letzten Freitagspredigt in der Al-Nur Moschee Foto: Christian Gesellmann


Von den etwa 800 Besuchern, die vergangenen Freitagmittag El-Issas Predigt verfolgen, tragen höchstens eine Handvoll Kaftan. Trikots des FC Bayern München und der deutschen Fußballnationalmannschaft sind zahlreicher zu sehen. Die Vollbartquote entspricht der einer Kreuzberger Szenekneipe. Während der gesamten Predigt kommen noch Verspätete an, ein Mann mit der orangefarbenen Warnweste eines Bauunternehmens läuft durch den Saal und setzt sich dann im Schneidersitz auf den Teppich. Ein Mann trägt ein Baby in einer Wiege mit sich. Ein Teenager macht ein Selfie. Ganz hinten sitzen einige alte Männer auf Plastikstühlen. Hin und wieder ist der Pfeifton reinkommender Whatsapp-Nachrichten zu hören. Manche Männer sehen aus wie Schwergewichtsboxer. Frauen sind keine zu sehen, sie haben einen eigenen Raum, eine Etage höher, der Gottesdienst wird per Video übertragen.

Während ich mir die Funkkopfhörer abhole, auf denen man die Predigt, von einem Simultandolmetscher übertragen, auf Deutsch anhören kann, komme ich an einem Büro vorbei. „Wie oft habe ich euch gesagt: Redet nicht mit den Journalisten. Die Springer-Presse, die drehen euch jedes Wort im Mund um, das habt ihr doch gesehen“, ist aus der offen stehenden Tür zu hören.

In der Predigt geht es unter anderem um den Erzengel Gabriel und wie Mohammed die Götzenanbeter von Mekka belehrte. Nicht wenige Besucher haben mit dem Schlaf zu kämpfen, man kann zusehen wie hier, am späten Freitagmittag auf dem weichen Teppich der Moschee, eine lange Arbeitswoche in die Knochen sackt.

Zu den Besuchern der Predigt gehört auch Bushido. Der Rapper mit dem Gangster-Image geht seit Jahren in die Al-Nur Moschee. Er trägt ein schwarzes Sweatshirt, grüne Cargohosen, seinen Vollbart durchziehen graue Strähnchen. Als ich ihn das letzte Mal sah, besuchte Bushido ein Spiel des Fußballregionalligisten Berliner AK 07, zu dem 800 Asylbewerber eingeladen waren und dessen Einnahmen an die Flüchtlingshilfe gespendet wurden. So viele Besucher wollten sich mit dem Rapper fotografieren lassen, dass der Stadionsprecher durchsagte: „Okay, Leute, jetzt lasst den Bushido mal in Ruhe Fußball gucken.“

Nach der Predigt steht er noch eine Weile auf dem Fußweg vor der Moschee, umringt von seinen Kumpels, die sich mit anderen Besuchern unterhalten. Bushido selbst sieht sich um, ohne gelangweilt zu wirken. Als stiller Beobachter wirkt er fast jungenhaft durch seine schmale Figur und die großen braunen Augen, nicht wie der pöbelnde Rapper mit den Gangster-Freunden und dem langen V__orstrafenregister, den er sonst gern gibt.

In einem Youtube-Interview erzählte er kürzlich, wie skeptisch ein Teil seiner Angehörigen auf den muslimischen Prediger Abdul Kamouss reagierte, der die Trauerrede bei der Beisetzung von Bushidos Mutter, einer gebürtigen Deutschen, hielt. Nachdem sie ihn kennengelernt hatten, fanden ihn alle okay, sagt er. Kamouss erlangte kurzzeitig Berühmtheit als „Quassel-Imam“, nachdem er in einer Talkshow von Günther Jauch die Gäste in Grund und Boden redete. Nach der Show trennte sich die Moschee von Kamouss, der 17 Jahre lang dort predigte. „Scheiße, hoffentlich macht jetzt keiner ein Foto von uns, sonst heißt es gleich wieder, ich bin Islamist“, soll Bushido zu Kamouss gesagt haben, als er ihn nach der Sendung einmal zufällig am Flughafen von Zürich traf.


Aufmacherbild: Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln; Foto: Christian Gesellmann