Der Krieg ist 20 Jahre her. Warum liegen in Kroatien immer noch so viele Minen?
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Der Krieg ist 20 Jahre her. Warum liegen in Kroatien immer noch so viele Minen?

Weil Ungarn die Grenzen dicht macht, weichen die Geflüchteten auf das Nachbarland Kroatien aus. Helfer warnen vor den Minen, die dort liegen. Aber wieso wurden die nicht längst geräumt?

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Die ungarische Regierung lässt keine Flüchtlinge mehr durch ihr Land passieren. Der Zaun an der Grenze zu Serbien ist fertiggestellt. Tausende Sicherheitskräfte bewachen ihn. Gestern kam es in Horgos zu Zusammenstößen mit den Flüchtlingen. Die Ungarn setzen Wasserwerfer, Tränengas und Pfefferspray ein.

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Immer mehr Flüchtlinge wenden sich deswegen nach Westen, Richtung Kroatien, dem nächst gelegenen EU-Land. Ersten Berichten zufolge sollen schon mehrere Tausend angekommen sein, mehr als die kroatische Regierung erwartet. Die Grenzbahnhöfe sind überfüllt.

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In den sozialen Medien warnen Helfer vor den Minen, die in Kroatien liegen, einige haben ein dreisprachiges Warnplakat erstellt:

Der Krieg in Kroatien ist seit 1995 vorüber. Das Land ist seit mehr als zwei Jahren Mitglied der Europäischen Union. Und dennoch gibt es noch im ganzen Land Minen. Das Kroatische Minenaktionszentrum geht davon aus, dass noch immer 64.000 Minen im Land liegen, verteilt über eine Fläche von 530 Quadratkilometer - eine Fläche etwas größer, als der Stadtstaat Bremen abdeckt. Auf einer Online-Karte hat das Aktionszentrum eingetragen, wo die Minen liegen.

Rot markiert sind die Landminengebiete Kroatiens

Rot markiert sind die Landminengebiete Kroatiens

Die Karte ist so genau, dass sogar jedes der 12.000 Warnzeichen markiert ist.

Wenn das Minenaktionszentrum so genau weiß, wo die Minen liegen, warum wurden die nicht schon längst in einer gemeinsamen großen Anstrengung Kroatiens und der anderen europäischen Länder geräumt? Warum müssen wir immer noch, 20 Jahre später, Kriegsflüchtlinge vor diesen Minen warnen?

Weil Minenräumen ein verdammt schwieriges Geschäft ist.

1. Die Minen zu zerstören, ist kein Problem – sie zu finden schon

Als zwei Abkommen im Dezember 1995 den Bosnienkriegen ein Ende setzten, stand die neue kroatische Regierung vor einer immensen Herausforderung: Sie musste ihr zerstörtes Land aufbauen – und die geschätzten 90.000 Landminen aus dem Boden holen, die die Kriegsparteien in den vier Jahren vorher vergraben hatten. Ein Viertel des Landes war unter Verdacht, mit Minen verseucht zu sein. Hätten die Militärs genaue Karten angelegt, wo die Minen liegen, wäre Kroatien heute minenfrei. „Das Problem ist nicht, die Minen zu räumen und zu zerstören“, sagt Miljenko Vahtarić, Direktor für internationale Kooperation am kroatischen Minenaktionszentrum. „Das Problem ist es, die Minen zu finden.“ Die Militärs haben keine genauen Karten angelegt.

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Die Karte oben ist das Ergebnis jahrzehntelanger Sisyphos-Arbeit. Die kroatischen Minenräumer mussten in einem mühsamen Prozess Informationen über Minenfelder zusammentragen. Dabei interviewten sie bosnische Kommandanten, kroatische Soldaten, serbische Polizisten – jeden, der etwas beitragen konnte, egal von welcher Seite, egal welchen Ranges. Sie tauschten sich aus mit ihren Kollegen in den Nachbarländern und gingen in die Dörfer. „Manchmal müssen wir noch nicht einmal mit diesen Menschen reden“, sagt Vahtarić, „es reichte, die Angst in ihren Augen zu sehen, wenn wir bestimmte Wälder oder Felder ansprachen“.

2. Minenräumen ist teuer

In einer Datenbank sammelten die Minenräumer alle Hinweise und übertrugen sie anschließend auf Karten. Allein durch dieses genaue Zusammentragen von Informationen konnten sie die verdächtigte Fläche um 5.000 Quadratkilometer verringern. „Manchmal können wir mit 100 Prozent Sicherheit sagen, dass eine Fläche minenfrei ist.“ Es blieben noch 1.000 Quadratkilometer – und das waren die schwierigsten. Denn sie mussten zuerst gefunden und anschließend geräumt werden. Ein Euro kostet es, einen Quadratmeter Minenland zu räumen. Das macht eine Rechnungssumme von einer Milliarde Euro – und das entspricht heute einem Fünfzigstel des kompletten Bruttoinlandsprodukts des Landes. Minenräumen ist also auch sehr teuer.

Kroatien hat bisher 500 Millionen Euro für die Räumung der Minen ausgegeben, muss aber bis 2019 weitere 500 Millionen Euro aufbringen, wenn es das selbstgesteckte Ziel erreichen will und das Land bis dahin minenfrei sein soll. Das Geld stammt aus Weltbank-Krediten, Spenden und dem Haushalt Kroatiens. Nach Aussage von Vahtarić ist das Programm durchfinanziert. Der EU-Beitritt des Landes habe dabei sehr geholfen, weil Kroatien nun auf neue Fördertöpfe zugreifen kann.

3. Springminen? Wälder? Räumen kann lange dauern

Minenräumen ist aber auch langwierig. Im Durchschnitt schaffen die Kroaten 30 Quadratkilometer in einem Monat. Diese Zahl kann aber deutlich sinken, wenn etwa Wälder verhindern, dass großes Gerät eingesetzt wird, wenn die Minen etwa besonders gefährliche Springminen sind und die Arbeiter einen großen Sicherheitsabstand einhalten müssen. Diesen Prozess kann man nur bis zu einem gewissen Grad beschleunigen.

Minenräumen ist schwierig, teuer, aufwändig. Es ist aber auch lohnend. Denn zwar wurden seit 1991 insgesamt 1.900 Menschen in Kroatien durch Minen verletzt, 512 starben. Aber seit drei Jahren ist niemand mehr zu Schaden gekommen. Wenn die Geflüchteten auf den Straßen und Wegen bleiben, sind sie sicher.


Aufmacher-Foto: Landminen-Gefahrenschild in Bosnien-Herzegowina/Wikipedia/CC BY 2.0


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