Egal, wer angreift: Wenn er es ernst meint, wird er das Zentrum von Berlin angreifen, vielleicht dort, wo der Boulevard Unter den Linden die Friedrichstraße kreuzt, in Sichtweite des Brandenburger Tores. In der Nähe sind die Ministerien der Bundesregierung wie das Auswärtige Amt, bald auch der Bundesnachrichtendienst. Er wird kühl kalkulieren, ob er die Bombe über Berlin oder in Berlin explodieren lässt. Bei einer Explosion auf dem Boden gäbe es danach mehr radioaktiven Fallout, weil mehr Material verseucht wird. Eine Explosion im Himmel wäre aber weitaus tödlicher, weil die Explosionsdruckwelle schneller und weiter reisen würde.
Wer es ernst meint, lässt die Bombe über der Stadt explodieren. Fallout-Winde sind zu unberechenbar. Die Hiroshima-Bombe explodierte in 600 Meter Höhe. Aber wer es ernst meint, müsste noch höher gehen. Wenn Sie mit einem Flugzeug nach Berlin fliegen, würde die Atombombe ungefähr auf derjenigen Höhe explodieren, von der Sie beim Landeanflug die ganze Stadt überblicken können. Wenn die Seen am Stadtrand in der Sonne glitzern. Ungefähr auf einer Höhe von 2.100 Meter.
Im Zentrum Berlins wäre ein Ort heißer als der Kern der Sonne
Wenn der Sprengsatz gezündet hat, herrschen in seinem Inneren 100 Millionen Grad Celsius. Damit gibt es für wenige Millisekunden einen Ort auf der Erde, der heißer ist als der Kern der Sonne. Der erste Energieschub breitet sich mit mehreren hundert Millionen Stundenkilometer aus.Ein sehr großer Feuerball entsteht, der zu Beginn mit 110.000 km/h durch die Stadt fegt. Direkt unterhalb der Explosion verschwinden Gebäude, Autos, Menschen, aufgelöst in ihrer Hitze. Bauarbeiter, die an der neuen U-Bahn-Linie Unter den Linden arbeiten, ersticken, weil das Feuer allen Sauerstoff aus den Räumen und Röhren und Körpern des Untergrundes zieht.
Nach gut einer Sekunde hat der Feuerball einen Umfang von deutlich mehr als einem Kilometer. Er hat sich auf 9.000 Grad Celsius abgekühlt, ist damit aber immer noch heißer als die Oberfläche der Sonne. Die Kraft der Explosion reißt alles auseinander innerhalb dieses Radius. Russische Botschaft, US-Botschaft, Brandenburger Tor. Die Kuppel des Bundestages kollabiert und das Gebäude stürzt zusammen. Die Metallskulpturen vor dem Kanzleramt schmelzen, die Spree beginnt zu kochen und die Bäume im Tiergarten verdampfen. Wenn die Druckwelle wenig später das Gebiet erreicht, erheben sich höllische Bodenwinde, die mit 1.000 Kilometer pro Stunde das Inventar von Berlin-Mitte vor sich herschieben: Die Panzer des sowjetischen Ehrenmales auf der Straße des 17. Juni, die Säulen der Museumsinsel, die Taxis, die hinter der Siegessäule warten. Ihre Lenkräder und Armaturenbretter gehen in Flammen auf, während sie durch die Luft fliegen.
Die Spree beginnt zu kochen, der Fernsehturm fällt
Die weltberühmten Kunstschätze der Museumsinsel verbrennen, die U-Bahn-Bögen am Hackeschen Markt stürzen zusammen. Hinter dem Berliner Dom läuft der Feuerball aus, die Druckwelle rast aber ungehindert weiter, auf den Fernsehturm zu. Wer dort oben in Richtung der Explosion schaute, ist jetzt blind, seine Netzhaut verbrannt. Der Feuerball war von dieser Warte aus 10.000mal so hell wie die Mittagssonne in der Wüste. Eine Millisekunde bevor die Druckwelle am Boden den Fernsehturm fällt, reißt ihre Mutter am Himmel die runde Stahlkonstruktion von der Betonstele des Fernsehturms und mit ihr alle Menschen. Die rot-weiße Spitze landet ein paar Kilometer weiter in den Plattenbauvierteln im Osten der Stadt. Die Keller der umliegenden Gebäude am Alexanderplatz verwandeln sich in Öfen. Die Weltzeituhr bleibt stehen.
Es sind jetzt vier Sekunden seit der Zündung vergangen, die Bodenwinde verlangsamen sich auf 750 Kilometer pro Stunde. Sie verwandeln Gegenstände in Projektile und Menschen in Raketen, die solange durch die Luft fliegen, bis sie etwas aufhält. Den zweifachen Druck der Atmosphäre kann der menschliche Körper aushalten, aber jetzt überlebt niemand.
Drei, vier Kilometer von der Explosion entfernt, an der Technischen Universität im Westen, am Mauerpark im Norden, am Gleisdreieck im Süden der Stadt, setzt die Wärmestrahlung Autoreifen in Brand, schmilzt Klingelschilder und verkohlt die menschliche Haut, ehe die Druckwelle anrollt und Häuser umwirft, als wären es Kegel. Wenige Sekunden später reicht ihr Umfang von Hohenschönhausen bis zur Messe. Die Bodenwinde erreichen noch immer 500 Kilometer pro Stunde.
Im Tierpark verbrennt die Explosion die Haut der Elefanten bis auf die Muskeln
Sieben Kilometer vom Stadtzentrum entfernt brennen sich den Menschen die Muster ihrer Kleidung in die Haut. Die Druckwelle ist nicht mehr ganz so stark, mit ihren 150 Kilometer pro Stunde kann sie aber immer noch Fenster zerschlagen und Türen aus den Angeln heben. Zehn Kilometer entfernt verstecken sich die Erdmännchen im Tierpark Berlin in ihren Höhlenbauten und werden gegrillt, die Flamingos wehen davon, und den Elefanten verbrennt die Wärmestrahlung der Explosion ihre dicke Haut.
Seit der Explosion sind nun 40 Sekunden vergangen. In den nächsten Minuten beginnt das ganze Material, das das riesige Berlin birgt, zu brennen. In den wenigen Häusern, die noch stehen, explodieren Gasleitungen. Vom Müggel- bis zum Wannsee wüten stundenlang Feuerstürme. Die Luft misst 200 Grad Celsius, wer die Explosion überlebt hat, stirbt jetzt. Noch Tage später können nicht einmal Kettenfahrzeuge über die Straßen fahren, weil diese zu heiß sind.
Ein Großteil der Berliner Ärzte ist tot
In den ersten 24 Stunden nach der Explosion sterben schätzungsweise 660.000 Menschen in Berlin. 1,2 Millionen Menschen sind verletzt. Sehr viele von ihnen haben Verbrennungen zweiten oder dritten Grades. In der ganzen Bundesrepublik gibt es gerade einmal 170 Betten für Schwerbrandverletzte. Ein Großteil der 30.000 Berliner Ärzte ist tot oder selbst verletzt. Strom fließt nicht mehr. Die Bombe hat mit einem elektromagnetischen Impuls die Elektrogeräte Berlins lahmgelegt. Eine Nachversorgung ist unmöglich.
Dieser Text ist Teil des Zusammenhangs: „Was du über Atomwaffen wissen musst“
Die Bombe, die über Berlin explodiert ist, hatte eine Sprengkraft von 800 Kilotonnen. In ihren Arsenalen haben allein die USA und Russland noch genug Bomben übrig, um circa 1.600 Schläge mit der gleichen Zerstörungskraft durchzuführen.
In den Tagen nach der Explosion verteilen sich die radioaktiven Partikel über den ganzen Erdball. Starke Stratosphärenwinde treiben sie auf 20.000 Meter Höhe in die letzten Winkel der Erde, bis sie wieder zu Boden fallen, noch immer radioaktiv, noch immer dazu fähig, mit ihrer Strahlung jeden DNA-Strang zu Grunde zu richten, auf den sie treffen.
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Illustrationen: Veronika Neubauer