Hiroshima. Nagasaki.
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki zählen zu den fatalsten Ereignissen des vergangenen Jahrhunderts. Die Tagesschau hat anlässlich des diesjährigen Jahrestages eine umfangreiche Multimediadokumentation produziert. Eine detaillierte Zeittafel hat die Nuclear Age Peace Foundation auf ihrer Website zusammengestellt.
Beim Gedenken an die Atomkatastrophe darf jedoch nicht vergessen werden, dass es letztendlich Menschen waren, die die Katastrophe zu verantworten haben oder womöglich hätten verhindern können. Den Befehl, die Waffe einzusetzen, gab Harry Truman. Die Truman-Library dokumentiert die Schritte, die den US-Präsidenten dazu geführt haben.
Auf japanischer Seite hat der Historiker Hiroshi Hasegawa vor einigen Jahren den Angriff auf Hiroshima rekonstruiert. Er kam zu dem erschreckenden Schluss, dass der Pilot ein Täuschungsmanöver über der Stadt vollzog, das noch mehr Menschenleben kostete. Erinnert sei noch an einen der berühmtesten zeitgenössischen Beiträge „Hiroshima“, eine literarische Reportage des amerikanischen Journalisten John Hersey, mit dem das Magazin „New Yorker“ zum ersten und einzigen Mal monothematisch erschienen war. Die Geschichte von sechs Überlebenden ist zugleich ein herausragendes Beispiel des sogenannten New Journalism, den Truman Capote später bekannt machte.
Atomphysiker Leo Szilard bereut. Der Hiroshima-Pilot: „Ich würde es wieder tun“
Das Nuklearzeitalter hat viele prägende Köpfe. Einer der interessantesten ist zweifelsohne Leo Szilard. Der ungarische Physiker ist zunächst Vater und später vehementer Gegner der Atombombe. „I opposed it with all my power, but I’m afraid not as effectively as I should have wished“, erinnert sich der am Manhattan-Projekt Beteiligte 15 Jahre nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in einem Interview mit dem U.S. News & World Report. Die Süddeutsche Zeitung hat Szilard vor einiger Zeit in einem Porträt gewürdigt.
Während der Wissenschaftler Zeit seines Lebens die Geister, die er mit rief, versuchte zu bekämpfen, spürten andere keineswegs Reue oder Verantwortung. Paul Tibbots warf mit seinem Flieger 1945 die Bombe über Hiroshima ab. Der B-29-Bomber „Enola Gay“ war nach seiner Mutter benannt. Noch im August 2002 in einem Interview mit dem Guardian ist sich der 87-Jährige gewiss, das Richtige getan zu haben und: „Ich würde es wieder tun.“ In einer bizarren Show brachte er das Massaker 1976 sogar auf die Bühne, woran die Spiegel-Online-Rubrik „einestages“ erinnert.
Den japanischen Opfern ist doppeltes Leid widerfahren
Zum Schluss sei noch an eine der berühmtesten Langzeitstudien der Geschichte erinnert. Die „Life Span Study“ (LSS) der Radiation Effects Research Foundation an fast 100.000 Überlebenden der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki ist eine weltweit einzigartige Erhebung. Sie untersucht die Auswirkungen der Atombombenkatastrophe auf die Einwohner der betroffenen Regionen: Die LSS erfasst die Krebsdiagnosen und Todesursachen und untersucht einen Teil der Teilnehmer alle zwei Jahre medizinisch. Die Japaner haben anlässlich des 70-jährigen Jahrestages noch einmal an die Studie erinnert, die bis heute fortgesetzt wird. Die FAZ hat ihr aktuell einen Beitrag gewidmet, ebenso die Süddeutsche, die Christoph Reiners, den Leiter des nationalen Kollaborationszentrums der WHO für Strahlenunfallmanagement, interviewt. Reiners erinnert daran, dass den Opfern doppeltes Leid widerfahren ist - einmal, indem sie durch die Strahlung geschädigt wurden, und zum zweiten Mal, als sie von ihrer Umwelt aus Angst vor Ansteckung geächtet wurden.
Die Wasserstoffbombe, die fast über den USA explodiert wäre und andere Unfälle
„Wiedersehen in Goldsboro - oder: Wie ich lernte, der H-Bombe zu misstrauen“ – mit dieser Anspielung auf den berühmten Film „Dr. Seltsam - oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, bewies der US-Ingenieur Parker F. Jones Galgenhumor. Jones untersuchte den spektakulären Fall der Bombe „MK39 Mod 2“. Diese Wasserstoffbombe war 260-mal so stark wie die Hiroshima-Bombe und wäre fast über North Carolina detoniert, wie der Guardian vor zwei Jahren anhand der von Jones verfassten vertraulichen Dokumente aufdeckte. Schuld war eine Flugzeugpanne.
Dies war keineswegs der einzige Unfall seit Entwicklung der Kernwaffen. Allein im militärischen Forschungsprojekt „Manhattan Project“ in Los Alamos ereigneten sich zwischen 1943 und 1946 insgesamt 24 Unfälle, wie der Historiker Alex Wellerstein in seinem kenntnisreichen Blog anhand von Originaldokumenten zeigt. Die Macher von Orbital Mechanics haben in einer eindrucksvollen Animation die nuklearen Detonationen von 1945 bis heute visualisiert.
Übrigens, einige Atomsprengkörper sind bis heute verschwunden, wie die Wasserstoffbombe Nr. 78252, die seit 40 Jahren im grönländischen Eis schlummert. Wer wissen möchte, wo und wie sich die insgesamt 1.200 Atombomben-Vorfälle ereigneten, denen die Menschheit teilweise nur knapp entgangen ist, dem sei das Buch „Command and Control“ des amerikanischen Journalisten Eric Schlosser empfohlen, das vor zwei Jahren auch auf Deutsch erschienen ist.
Aufmacher-Foto: NATO-Beobachter bei Atombombentest (Wikipedia, National Nuclear Security Administration, Gemeinfrei). Illustrationen: Veronika Neubauer.