Ein ehemaliger dänischer Kulturminister verlässt seine Partei, gründet eine neue und schafft es achtzehn Monate später leicht und locker ins Parlament – ohne überdrehte Vorstöße, voller großangelegter Ideen und obendrein mit freundlichen Grüßen nach Brüssel. Hinter diesem ambitionierten Szenario steckt Uffe Elbæk, 61.
Vor ein paar Wochen hatte der dänische Wahlkampf ausgerechnet in Flensburg begonnen. Am Tag vor den deutschen Osterfeiertagen fallen dort am Gründonnerstag jedes Jahr tausende Dänen ein, weil die Geschäfte jenseits der Grenze geschlossen sind. Die sozialliberale Regierungspartei Radikale Venstre baute da in der Innenstadt einen Stand auf, Stehtische unter Sonnenschirmen, um mit Zetteln, Stiften und Ballons auf Stimmenfang zu gehen.
Das Wahlkampfbüro von Uffe Elbæks Partei Alternativet befindet sich einige Hundert Meter von Schloss Christiansborg entfernt an der Haupteinkaufsstraße Kopenhagens. Auf Christiansborg – auch bekannt als Hauptspielplatz im Politdrama Borgen, deutsch untertitelt mit Gefährliche Seilschaften –, saß Elbæk bislang als Fraktionsloser im Parlament. Vor anderthalb Jahren hatte er Radikale Venstre verlassen, um im Spätherbst 2013 Alternativet zu gründen. Ein politisches Start-up, „ein Reboot-Versuch für die politische Kultur Dänemarks“, so erklärt Elbæk seine Partei, die mit ihrem frischgegründeten Temperament ein respektables Resultat von 4,8 Prozent erringen konnte.
„Wir kommen nicht mit Forderungen, wir kommen mit Wünschen“, sagt Elbæk – erst im Strickpullover, dann im T-Shirt, weil warm – auf die Frage, bei welchen Themen er drängeln würde, wenn er drängeln könnte. Und seine Wünsche lauten wie folgt: „Weniger Staat“, „mehr Innovation“, „eine Umstellung auf Nachhaltigkeit und Ganzheitlichkeit in allen Bereichen“ und überdies eine „Herabsetzung der Normalarbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche“. Eine ökoliberale Partei ohne Lähmungserscheinungen – so ist Alternativet ausgestattet mit dem größten Stimmenzuwachs nach der rechtsgelagerten Dansk Folkeparti (zehn Prozent zuwachs gegenüber 2011), was angesichts der lärmenden Flüchtlings- und Asyldebatten jedoch weniger überrascht. Sechzig Prozent der Dänen bejahen die Frage, ob Einwanderung eine Gefahr für ihr Land darstelle.
Der politische Wettbewerb in Dänemark hatte etwas von einem Präsidentschaftswahlkampf. Der bürgerliche Block um Helle Thorning-Schmidts (Socialdemokraterne) Herausforderer, Vorgänger und Nachfolger Lars Løkke Rasmussen (Venstre) vermied nach den Anschlägen von Kopenhagen einstweilen persönliche Angriffe gegen die beliebte Regierungschefin. Er hatte den Wahlkampf stattdessen auf strenge Regelungen für Einwanderer, liberale Oldschool-Slogans wie „Arbeit muss sich wieder lohnen“ und vorsichtige Sozialreformen abgestimmt. Die Unterschiede der beiden größten dänischen Parteien waren marginal.
So sind es neben den Rechtspopulisten vor allem die kleineren Bewerber gewesen, die versuchten zu klären, welchen politischen Anspruch sie künftig vertreten wollen, die den Wahlkampf nuancierten und enttäuschten Wählern eine mögliche Neuorientierung aufzeigten. Dazu gehörte der 20 Jahre alte Dichter Yahya Hassan, der für die Nationalpartiet angetreten war und sich – als linkspragmatischer Exot in der Asyldebatte in sämtliche Talkshows eingeladen – mit unterhaltsamer Polemik profilieren konnte, neue Töne setzte. Elbæks kulturradikale Fraktion hat mit dem Tabu gebrochen, offensiv utopistisch zu denken. Die Alternative im Namen, hat sie sich an jene gewendet, die mehr als Abwechslung wollen, einen größeren Entwurf herbeisehnen, eine Kompensation auch für Unzulänglichkeiten der eigenen grün-bürgerlichen Lebenswirklichkeit.
Die Zeit der Volksparteien ist auch in Dänemark an ihr vorläufiges Ende gekommen. Dies unterstreicht nicht nur der Erfolg der Rechten. Im nächsten Folketing sitzen mit Elbæks Alternativet fortan neun Parteien. Die bei dänischen Wahlen niedrigere Zwei-Prozent-Hürde ist eine Erklärung; die wachsende Anzahl Nichtwähler – und der Versuch immer neuer Splittergruppen, Wechselwähler zu gewinnen – verstärkt die fraktionelle Ausdifferenzierung.
Uffe Elbæk, ein Kreativer, der 15 Jahre lang eine Akademie für neues Business-Design und soziale Innovationen (Kaospiloterne) leitete, bewegt sich athletisch zwischen Rationalität und idealistischer Feel-good-Politik. Er kommt aus ohne andauernde populistische Überspannungen und ökoapokalyptische Prophezeiungen – kein Tugendfuror, kein Sittenwächtertum, Bevormundungstendenzen will er vermeiden. Gar nicht so leicht, wenn es darum gehen soll, progressive grüne Positionen durchzusetzen.
Elbæk hatte sich Einiges anhören müssen, als er seine alte Partei verlassen hatte, um eine neue zu gründen, und er hat es lange ausgehalten, überhört zu werden von den anderen linken Fraktionen, von denen Alternativet eine beachtliche Anzahl Stimmen mobilisiert hat. Das wortgewordene Versprechen, Dinge anders machen zu wollen, ist immer auch ein von der eigenen Sache wegführender Versuch, die Konkurrenz langweilig und gestrig aussehen zu lassen. Mit jedem gewonnenen Umfrageprozent mehrten sich zuletzt konkretere Fragen nach der Übersetzung des Programms in Realpolitik, nach reellen ökonomischen Konzepten.
„Mich überrascht nicht, dass wir bei anderen Parteien auf Widerstand stoßen. Wenn man neue Ideen hat, wird man zunächst von den Machthabern ignoriert“, sagt Elbæk. „Hilft das nichts, versuchen sie, einen lächerlich zu machen und die besseren Argumente zu kopieren. Zuletzt fangen sie an, einen zu bekämpfen. Dazu sagt Gandhi: Und dann übernehmen wir.“
Für eine Regierungsbeteiligung hat es nicht gereicht, dazu ist das Ergebnis des roten Blocks zu schwach. Sozialisten und Linksliberale haben das Mitte-Links-Bündnis über zehn Prozent gekostet. Trotzdem stellt das Ergebnis von Alternativet eine Bereicherung für die Formierung der kommenden Opposition dar, die sich gegen eine einwanderungsfeindliche Politik des rechtsdominierten bürgerlichen Lagers in Position bringen wird.
Elbæk und seine Parteikollegen haben sich in den ungeheuer kurzen 18 Monaten seit Gründung so viel Zeit für die Ausarbeitung des Programms gelassen wie möglich. Sie haben sich nicht treiben oder von Provokationen hysterisieren lassen. Dafür haben sie häufiger den für machthabende Politiker so seltenen Satz gebraucht: „Ich weiß es nicht.“ Mit dieser Aufrichtigkeitsstrategie hat sich Alternativet einen geräumigen Glaubwürdigkeitsvorschuss erworben, den sie in oppositioneller Verantwortung in echte Alternativen gegen eine drohende Angstpolitik der Rechten ummünzen könnten.
Elbæks lächelnd vorgetragenes Kalkül des Ungefähren war es, die Wähler auch dort Substanz in sein Programm hineinlesen zu lassen, wo vielleicht noch nicht so viel Substanz drinsteckte. Aber die anderen Parteien hatten Schwierigkeiten, die vermeintlichen Schwächen offenzulegen. Die sinkende Toleranz für politische Eindimensionalität schien bei vielen Wählern größer als die Sorge, der gemeinwohlorientierte Zukunftsentwurf von Alternativet könnte sich als Luftnummer erweisen.
Den Alleinunterhalter Elbæk zeichnen Lockerheit und Beweglichkeit auch in formellen politischen Sphären aus. In seiner Zeit als Kulturminister mochte er bei Besprechungen nicht am Tischende sitzen, er ließ nicht für sich ghostwriten, schrieb alle Facebook- und Twitter-Nachrichten selbst. Seine alte Partei Radikale Venstre machte das Unkonventionelle nervös. Elbæk wollte ein Minister auf Augenhöhe sein, einer, der Nachrichten mit Smileys versendete.
Elbæk weiß den geäußerten Wählerwunsch nach Authentizität einzulösen und kann die heimliche Affinität zu extravaganten Figuren ebenso gut bedienen. Offen erzählt er von seinen drei Kindern, davon, wie er vor neun Jahren das erste Mal einen Mann und dann nur noch Männer küsste. Oder wie er in einem Berliner Luxushotel eines Morgens nackt in der Lobby aufwachte.
Politserien wie „Borgen“ oder „House of Cards“ zeigen, was Politik nicht sein kann: reine Unterhaltung, voll von Höhepunkten mit ewig flamboyanten Hauptakteuren. Uffe Elbæk ist im Kopenhagener Politbetrieb einer der wenigen, die bisweilen auf einem ähnlichen Level mitspielen und unterhalten können. Aber er steht vor allem für eine neue Sichtbarkeit des Widersprüchlichen und Unperfekten, jenseits einer politischen Hermetik, die im Bild der „Burg für Politikverdrossene“ ihren Ausdruck gefunden hat.
„Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die demokratischen Institutionen hat sehr gelitten“, sagt Elbæk, „nur wenige haben Lust auf Parteimitgliedschaften – und jene, die sich wählen lassen möchten, gleichen zunehmend einander, haben den gleichen akademischen Hintergrund, mit immer weniger Erfahrung auf dem Arbeitsmarkt. Das schlägt sich natürlich in der Parteienkultur und der Sicht auf die politische Klasse nieder. Eine Antwort auf die Frage, wie wir Politiker darauf reagieren wollen, kann eigentlich nur im Dialog mit der Bevölkerung gefunden werden. Wir müssen anders miteinander reden.“
Elbæk kritisiert das Design der immer glatter werdenden politischen Formulierungen. Die erhöhten Kommunikationserfordernisse an Politiker dürften kein Grund sein, weniger zu wagen, weniger nach vorn zu gehen aus Angst vor Fehlern und Peinlichkeiten, sagt er. Humorlosigkeit sei ein Hauptgrund für das Problem, das Politik und Bürger nicht nur in Dänemark miteinander haben. Er zeichnet das Bild einer Empathiekrise, spricht vom zynischen Umgang mit Migranten und der Herausforderung, die Situation der Flüchtlinge am Mittelmeer in den Griff zu bekommen. Auch hier trifft er ohne Konkretion den Nerv des linken Lagers. Noch vor dem Langzeitprojekt des „Umbaus der Gesellschaft auf Nachhaltigkeit in allen Bereichen“ dürfte eine Politik gegen diese Empathiekrise die oppositionelle Arbeit von Alternativet bestimmen.
Elbæks Hoffnungen für künftige Perspektiven der Partei liegt auch auf der spürbaren Unlust einer immer größeren Anzahl Bürgerinnen und Bürger, die sich mit Simplizität und Komplexitätsreduktionen nicht abspeisen lassen wollen: „Als junger Mensch war ich Teil der Hausbesetzerszene. Es herrschte kein Zweifel darüber, wer der Feind war. Alles war schwarz-weiß, wie dieser berühmte Satz von George W. Bush: Either you’re with us or you’re with the enemy. So wurden wir politisiert. In all seinem Dogmatismus war der linke Aufbruch der 68er jedoch mit ähnlichen Ambitionen, Hoffnungen und Träumen verknüpft, wie ich sie heute bei vielen jungen Menschen wahrnehme. Es ist die gleiche Sehnsucht nach einer besseren Welt, dem richtigeren Leben, wie damals. Nur sind die Formulierungen bei diesen Leuten heute weitaus nuancierter, das Dogmatische und die Selbstgerechtigkeit lösen sich auf.“
In den schwächeren Augenblicken des Wahlkampfs kippte es bei Alternativet doch ein wenig Richtung Reduktion. So hatte auch Dänemark seine boulevardesk aufgepumpte „Veggie-Day“-Diskussion, nachdem Alternativet den fleischfreien Tag an öffentlichen Institutionen ins Spiel brachte. Elbæk musste erkennen: Was als symbolisches Umwelt-Sensibilisierungs-Manöver gedacht war, wird schnell zur kräftezehrenden Debatte, wenn man sie ernsthaft führen muss. Hierin zeigt sich das Dilemma, das den Piraten widerfuhr: Wer ideenreich daherkommt und viele neue Würfe will, wird an den in der Öffentlichkeit verhandelten schwächsten Ideen gemessen; die starken Thesen zerstreuen sich, man droht schnell wieder jenseits der Messbarkeitsrelevanz zu schrumpfen. In einem kurzen Wahlkampf von wenigen Wochen war das Timing von Alternativet jedoch perfekt.
Alle Machbarkeitsfragen beiseitegelassen, kann das Land von den angestoßenen Lockerungsübungen des Charismatikers Elbæk eigentlich nur profitieren. Nach den Anschlägen von Kopenhagen am 14. und 15. Februar 2015 war der politische Ton in Dänemark ein staatstragender geworden. Wahlwerbespots der Regierungschefin wie ihres Herausforderers sind musikunterlegte Neujahrsansprachen konjunkturschwächerer Jahre. Auch die Fernsehduelle der beiden zeigten: Die alten Parteien haben noch nicht verstanden, dass sich das Wahlvolk nach neuen Formen politischer Ansprachen und Debatten sehnt – oder, was noch schlimmer wäre: Vielleicht sahen sich die Kandidaten nicht in der Lage, den Unwägbarkeiten dieser offeneren Formen entgegen zu treten. Auf Sicht stellen sich Thorning-Schmidt und Rasmussen selbst an die Wand. Mit einem Wahlkampf, der auf alten machtpolitischen Techniken und den fortwährend gleichen Kommunikationsberatern beruht, der schlechten Stil und programmatische Unschärfe offenbart, bekommt man seine Wähler nicht zurück.
Dem Oppositionellen Elbæk, einem ewig vorwärts lächelnden Schwungmann, ist hingegen auch in Zukunft zuzutrauen, vor allem junge Wähler fürs Kreuzchenmachen zu motivieren. Seine emphatischen Suaden gegen die fortschreitende Effektivierung des Arbeitsmarktes treffen vor allem den Nerv der stärker belasteten Teile der Bevölkerung – und den der Studenten, die in den vergangenen Semestern durch Umstrukturierungen das deutliche Signal erhalten haben, doch bitte noch etwas schneller fertig zu werden mit ihren Abschlüssen. Schon jetzt hat sich die Wahl für Alternativet in eine Ankündigung Elbæks aus der Vorweihnachtszeit 2013 verwandelt. „Wir wollen acht bis zehn Mandate holen“, hatte er damals, noch vor der eigentlichen Gründung der Partei, gesagt. Und war allseits dafür belächelt worden.
Verfolgen Sie die Parlamentswahlen in Dänemark auf der englischsprachigen Nachrichtenseite The Local. Prognosen und Resultate gibt es u.a. auf Politiko.dk und Electograph.com__.
Titelfoto: Lars Just