Wenn ihr einen arabischen Nachrichtenbeitrag anseht, der ins Englische übersetzt wurde, dann ist das wahrscheinlich das Werk von Memri - The Middle East Media Research Institute. Der einflussreiche Dienst aus Washington D.C. will „die Sprachlücke zwischen dem Westen und dem Nahen Osten und Südasien überbrücken“, durch die Übersetzung arabisch- und persischsprachiger Nachrichten für westliche Konsumenten.
Die von Memri übersetzten Videos werden an eine Mailingliste mit fast hunderttausend Mitgliedern verschickt, darunter Nachrichtenunternehmen und politische Entscheidungsträger. Über die Videos wird breit berichtet, und sie werden online weit verbreitet.
Zu den kontroversen Inhalten, die im Westen zuerst Dank der Arbeit von Memri bekannt wurden, gehören die antisemitischen Micky-Maus-Cartoons der Hamas und das Video einer elfjährigen jemenitischen Kinderbraut.
Vor kurzem wurde ein Memri-Videoclip fast acht Millionen Mal geklickt, er zeigt die libanesische Nachrichtensprecherin Rima Karaki, wie sie einem unhöflichen Imam das Wort abschneidet. Über den Vorfall, der sich im März 2015 im libanesischen Al-Jadeed-TV ereignet hat, wurde in den westlichen Medien ausführlich berichtet - auch in Deutschland. „Sie sind eine Frau, …“ – Moderatorin dreht Islamisten Ton ab, titelte der NDR. „Das will sich der Islamist Hani al-Sebai nicht bieten lassen: Da muss er sich schon von einer Frau interviewen lassen - und dann unterbricht die ihn auch noch“, schmetterte der Stern. Es folgten Beiträge in Spiegel, Fokus, huffingtonpost.de und der Süddeutschen Zeitung, die immer wieder den Satz des Imams zitierten.
Das Problem ist nur, dass der Imam die Worte niemals gesagt hat.
Die Nachrichtenagentur Global Post berichtete über die oft zitierte Zeile: … am Ende des Interviews soll der Geistliche laut Übersetzung sagen: „Es ist unter meiner Würde, von ihnen interviewt zu werden. Sie sind eine Frau, die …“, bevor die Moderatorin ihm das Wort abschneidet. In Wirklichkeit, sagt er: „Es ist keine Ehre, von ihnen interviewt zu werden. Sie sind eine Person, die …“
Schiefer Blick auf die arabische Welt
Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Global Post nannte Mohamed el-Gohary, ein ägyptischer Blogger und Vorstandsmitglied und Lingua Manager von Global Voices Online, die Übersetzung „genau, aber schief “.
„Er hat nicht direkt gesagt: ‘Halt den Mund, weil du eine Frau bist’, er hat die weibliche Form des Verbs benutzt“, sagte Elgohary.„ [Ähnlich wie die deutschen Personalpronomen “er„ und “sie” haben im Arabischen die zweite Person und der Imperativ eine männliche und weibliche Konjugation.]
In einem Artikel für den Guardian mit dem Titel „Eine arabische TV-Moderatorin verweist einen unhöflichen Gast auf seinen Platz – na und?“ setzte sich Kolumnistin Nesrine Malik mit dem Hype über das Video auseinander. „Sie haben ganz offensichtlich noch nie arabische Fernsehnachrichten gesehen, wenn Sie denken, dass dies etwas Besonderes ist“, sagt sie. „Arabische TV-Nachrichten werden überwiegend von Frauen moderiert … Ich vermute, dass der Sexismus des in London ansässigen Scheich Hani al-Sebai in der Berichterstattung über die Geschichte aufgebauscht wurde, und ich wage zu behaupten, er hätte sich genauso eingeschnappt und aufgeblasen verhalten, wäre er von einem männlichen Moderator unterbrochen und in seine Schranken verwiesen worden.“
Beispiel: Hamas-Cartoon
Das Karaki-Interview war weder ein Einzelfall - noch war es Memris krasseste Fehlübersetzung. Seit seiner Gründung im Jahr 1998 durch eine Beraterin israelischer und amerikanischer Politiker und einen ehemaligen Nachrichtenoffizier des israelischen Militärs wurde Memri immer wieder von arabischen Muttersprachlern kritisiert. Das scheint jedoch seinem Einfluss keinen Abbruch getan zu haben. Im Jahr 2007 geriet der Dienst in die Kritik für die Übersetzung einer Trickfilm-Sendung des Al-Aqsa-TV-Senders der Hamas. Zu sehen war eine Micky Maus ähnliche Figur im Gespräch mit einer jungen Palästinenserin.
Memri verbreitete das Video unter dem Titel „Hamas Al-Aqsa-TV: Eine Micky Maus-Figur lehrt Kinder die islamische Weltherrschaft und die ‘Vernichtung der Juden’“. CNN, MSNBC, Fox und die New York Times berichteten darüber. Sogar Jon Stewart verwendete Memris Übersetzung des Cartoons in seiner Daily Show.
Aber wie der Guardian später aufdeckte: Die Übersetzung strotzte vor eklatanten Fehlern - und der angebliche Aufruf zum Völkermord fehlte im Original völlig.
„In dem Hamas-Videoclip, der von Memri verbreitet wurde, fragt eine Micky Maus nachempfundene Figur ein junges Mädchen, was sie ’für das Wohl der Al-Aqsa“ tun werde. Offenbar, um eine Antwort zu erzielen, macht die Maus eine Geste, als würde sie ein Gewehr abfeuern und sagt: ‘Ich werde schießen’.
Das Kind antwortet: ‘Ich werde ein Bild zu zeichnen.’ Die Memri-Übersetzung ignoriert diese Bemerkung und zitiert stattdessen das Kind (fälschlich) mit den Worten: ‘Ich werde schießen.’
Von der Maus weiter zu einer Antwort gedrängt - ’Was werden wir tun? ’ - antwortet das Mädchen auf Arabisch: ‘Bidna nqawim.’ Die normale Übersetzung dafür wäre ‘Wir werden [oder wollen] Widerstand leisten’, aber Memris Übersetzung legt eine aggressivere Interpretation nah: ‘Wir wollen kämpfen.’
Die Maus fährt fort: ‘Was dann?’
Laut Memri antwortet das Kind: ‘Wir werden die Juden vernichten.’”
Aber, berichtet der Guardian weiter, „was das Mädchen zu sagen scheint: ‘Bitokhoona al-yahood’ - ‘Die Juden werden uns erschießen’ oder ‘Die Juden erschießen uns’ […] Kinderfernsehen für Propagandazwecke zu missbrauchen, wie die Hamas das macht, ist ganz klar verabscheuungswürdig, wie die BBC, der Guardian und andere angemerkt haben, und es ist nicht nötig, die Inhalte auch noch übertrieben darzustellen.“
Beispiel: Nada – Video eines jemenitischen Mädchens
Im Jahr 2013 kursierte Memris Übersetzung eines Videos, in dem das elfjährige jemenitische Mädchen Nada sich mutig gegen den Versuch ihrer Eltern stellt, sie zwangszuverheiraten. Als aufgedeckt wurde, dass das Video inszeniert ist, war es bereits über neun Millionen Mal angeschaut worden.
Die arabische Zeitschrift Majalla enthüllte: „Ramizia Al-Eryani, Präsidentin der jemenitischen Frauenunion, sagte, Nada sei dazu gedrängt worden, ihre Eltern fälschlich zu beschuldigen. Sie sagt, sie sei wütend auf die Medien, deren unverantwortliche Art der Berichterstattung echten Missbrauchsopfern schade, weil die Glaubwürdigkeit anderer Beanstandungen infrage gestellt werde. Besonders verstörend: (Jemens bekannteste Kinderrechtsorganisation, d.Red.) Seyaj erklärt, Nada sei eigenen Ermittlungen zufolge von ihrem Onkel zu diesem Video genötigt worden, um … Ruhm und Geld zu ergaunern.“
Schon 2002 machte der Guardian auf die problematischen Übersetzungen von Memri aufmerksam. Seitdem haben sich die Falschzitate in den westlichen Medien verbreitet. Deshalb wurde das Blog Memri Watch gegründet, von „einem kleinen Kollektiv von Übersetzern und Beratern … um auf Fehlübersetzungen und Fälschungen aufmerksam zu machen, und auch auf die umfassendere Strategie von Memri“. Außerdem gibt es einen Eintrag auf der Seite Source Watch und eine umfangreiche Chronik der Kontroversen auf der Wikipedia-Seite über Memri.
Wer ist Memri wirklich?
Im Memri-Vorstand sitzt eine veritable Riege aus amerikanischen und israelischen Neokonservativen, die großzügige finanzielle Unterstützung aus dem US-Außenministerium erhielt. Memri-Gründer Yigal Carmon arbeitete 20 Jahre für den israelischen Militärgeheimdienst. Tatsächlich scheint sich das Institut vorwiegend der Übersetzung aufrührerischer Inhalte aus dem arabischen Raum zu widmen - ein Großteil davon thematisiert den israelisch-palästinensischen Konflikt. Die New York Times, die Memri dutzende Male zitiert hat, bezeichnete den Dienst kürzlich als „pro-israelische Kontrollgruppe, die regelmäßig Untertitel in Videos von Islamisten einfügt, in denen sie abscheuliche oder beschämende Dinge sagen.“
In den Fehlübersetzungen wird oft Kritik an Israel mit Kritik an Juden gleichgesetzt. Ein besonders krasses Beispiel ist der Fall von Halim Barakat, Professor an der Georgetown Universität in Washington D.C. und Kolumnist für die in London ansässige Zeitung Al-Hayat. Barakat behauptet, sein Aufsatz mit dem Titel „Das wilde Tier, das der Zionismus hervorbrachte: Selbstzerstörung“ wurde von Memri falsch übersetzt und umbenannt in: „Juden haben ihre Menschlichkeit verloren„. Barakat erklärt: “Jede Stelle, an der ich ‘Zionismus’ geschrieben hatte, wurde von Memri ersetzt mit den ‘Juden’ oder ‘Judentum’. Sie wollen den Eindruck erwecken, dass ich nicht die israelische Politik kritisiere, sondern antisemitische Dinge sage.”
Was wir daraus lernen können
Nicht alle Memri-Übersetzungen sind von scheinbar gewollten Ungenauigkeiten durchzogen. Viele Fehler entstehen dadurch, dass transitive Verben in aktive Verben übersetzt werden oder weil Subjekt und Objekt in einem Satz vertauscht werden. Kritiker behaupten, dies sei absichtliche Spitzfindigkeit. „Wenn man kein Arabisch spricht und die Nuancen der Sprache (nicht) analysieren kann, ist Memri keine vertrauenswürdige Quelle für Nachrichten über die arabische Welt, wenn sie die Übersetzung selbst durchgeführt haben”, sagte Nesrine Malik der Global Post.
Die Tatsache, dass viele Journalisten weiterhin eine unzuverlässige Quelle zitieren - mit einer langen Liste bisheriger Ungenauigkeiten - ohne unabhängige Überprüfung, zeigt das Bild eines faulen, sensationslüsternen Medienbetriebes, in dem Memri so weitermachen kann. Wie Brian Whitaker vom Guardian im öffentlich gemachten E-Mail-Verkehr mit einem Memri-Mitbegründer beklagte: „Mein Problem ist, dass Memri sich als Forschungsinstitut ausgibt, im Grunde jedoch ein Propagandaunternehmen ist.“ Whitaker schloss: „Der Effekt ist, dass alles, was Memri übersetzt, entwertet wird – Gutes und Böses gleichermaßen. Verantwortungsbewusste Medienunternehmen können sich auf nichts verlassen, das Memri sagt, ohne einen Gegencheck zu machen und die Übersetzung mit dem arabischen Original zu vergleichen.“
Karikatur: Samer Doumet / http://www.samerdoumet.com. Doumet zeigt auf spielerische Weise, dass Begriffe im Arabischen unterschiedliche Bedeutungen haben können. So gibt es nur ein Wort für „Selfie“ und „Salafist“. Für den Karikaturisten macht deshalb der coole Salafist ein Selfie von sich.