Die Idee der European Games ist einige Jahrzehnte alt und wurde in Sportzirkeln in unregelmäßigen Abständen debattiert. Im Grunde hatten die Befürworter der Spiele aber nur ein mäßig prickelndes Argument, dem ohnehin prall gefüllten internationalen Sportkalender eine weitere Großveranstaltung hinzuzufügen: Europa war bisher der einzige Erdteil ohne Kontinentalspiele. Von einigen Vorläufern abgesehen werden die Asian Games und die Pan American Games seit 1951 durchgeführt. Die All-African Games gibt es seit 1965, zwei Jahre zuvor fanden die ersten Pacific Games statt, die demnächst in Oceania Games umbenannt und mit der Einbeziehung von Neuseeland und Ozeanien aufgewertet werden.
Nun also die European Games, die vom 12. bis 28. Juni 2015 in Baku ihre erste Auflage erleben - in einem der korruptesten, undemokratischsten Länder des Planeten, in dem die Pressefreiheit mit Füßen getreten wird.
Zusätzlich zu den vielen Milliarden, die in Baku für die Europaspiele in Beton investiert werden, hat Ilham Alijew Hunderte Millionen Euro in gigantische Werbe-Kampagnen, Lobbyisten und PR-Agenturen investiert. „Azerbaijan - Land of Fire“, hieß es beispielsweise auf den Trikots des letztjährigen Champions-League-Finalisten und spanischen Fußballmeisters Atletico Madrid. Ein seltener Vorgang, dass ein Land als Brustsponsor eines bekannten Profiteams auftritt. In dieser Saison trat Atletico mit Werbung für „Baku 2015“ an.
Wieder einmal soll ein sportliches Mega-Event das Image eines Despoten aufbessern und Geschäfte ankurbeln, von denen gewiss erkleckliche Profite im weit verzweigten Firmenimperium des Alijew-Clans versickern. Die Machenschaften von Alijew & Konsorten sind unter anderem durch die beeindruckenden Enthüllungen von Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Projects (OCCRP) belegt. Auch die im Dezember 2014 erneut inhaftierte Journalistin Khadija Ismayilova arbeitete für das OCCRP.
Der Sport aber feiert.
Noch bleibt der Umstand, dass es Europaspiele gibt, einer größeren Öffentlichkeit verborgen. Außer Alijew und einigen Sportfunktionären hat kaum jemand Aktien daran, und jene Ausländer, die Interesse daran haben, fürchten die European Games durchaus, weil sie nicht wissen, wozu Alijew und seine Büttel fähig sind, sollte es Proteste geben und die Berichterstattung im Juni nicht in den gewünschten Bahnen verlaufen. Es ist ein Tanz auf der Rasierklinge.
Der olympische Sport tanzt diesen Tanz aus freien Stücken.
In der Regel, das belegen andere skandalumtoste Mega-Events wie die Olympischen Spiele 1936 in Berlin, 1980 in Moskau, 2008 in Peking oder 2014 in Sotschi, wirkt die damit verbundene Propaganda im Gastgeberland nachhaltig. Im Ausland jedoch ändern derartige milliardenschwere Projekte kaum etwas an der Wahrnehmung von Regimen. Meist ist die Situation nach dem Sport-Spektakel brisanter als davor. In China verdreifachte sich beispielsweise im Olympiajahr 2008 die Zahl der belegten Hinrichtungen. Und vor einem Jahr bereitete Wladimir Putin während der Winterspiele in Sotschi die verdeckte Annexion der Ukraine vor.
Der Sport baue Brücken zwischen Nationen und Kulturen, heißt es so oft.
Manchmal fahren halt Panzer über diese Brücken.
Die Lage in Aserbaidschan ist besorgniserregend. Das beschreibt nicht nur Stefan Niggemeier in seiner Geschichte „Kein Platz für Kritiker“, in der er den Bogen über die Nachwehen des Eurovision Song Contest 2012 zu den European Games 2015 zieht. Das wurde kürzlich sogar in einer Sitzung des Sportausschusses im Bundestag deutlich. Und dieser Ausschuss, besetzt mit zahlreichen Sport-Lobbyisten, ist wahrlich nicht als Hort der Kritik bekannt geworden, sondern eher als Legitimationsgremium der bizarren Politik von Sportverbänden.
Probesitzen: Sportkamerad Alijew in Bakus nagelneuem Olympiastadion, wo die European Games eröffnet werden. Gemahlin Mehriban und der korpulente Sportminister Azad Rahimow sind stets in Reichweite, um Alijews genialen Gedanken zu lauschen. Foto: Press Service of the President of the Republic of Azerbaijan
Die Vereinigung der European Olympic Committees (EOC) trägt die Verantwortung für das Baku-Abenteuer. Manch einen sonst aufrechten Funktionär wie den Dänen Niels Nygaard aus dem EOC-Vorstand zerreißt es förmlich, weil er einerseits stets für demokratische Prinzipien eintritt, andererseits aber die Veranstaltung des Despoten Alijews unterstützt. Auf lange Sicht betrachtet könnten die European Games positive Auswirkungen in Aserbaidschan haben, glaubt Nygaard tatsächlich. Belege dafür gibt es nicht. Es ist eine Hoffnung, die stets mit derlei Veranstaltungen verbunden wird. Es ist auch eine Art Weltanschauung - eine Frage des Glaubens.
Andere Offizielle wie EOC-Präsident Patrick Hickey aus Irland haben weniger Skrupel als Nygaard. Als Alijew am Wochenende die Fackel der European Games auf die Reise schickte, verkündete Hickey entgegen der Faktenlage die üblichen olympischen Botschaften von Frieden und Freundschaft:
The Olympic values of excellence, friendship and respect are perfectly expressed through the Torch Relay. By passing the flame from one to another in a collaborative gesture, torchbearers spread a message of peace, friendship and celebration through sport.
Patrick Hickey, EOC-Präsident
In wenigen Wochen, noch im Mai, wird das EOC schon über die zweiten Europaspiele für 2019 entscheiden. Dabei hatten die EOC-Bosse lange Zeit behauptet, man wolle erst die Erfahrungen von Baku auswerten und dann schauen, was aus den European Games werde und ob es überhaupt weitere Auflagen gäbe. Die Sinnhaftigkeit dieses Unternehmens bleibt unklar. So argumentierte im Dezember 2012 auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), als er auf der EOC-Vollversammlung in Rom für die European Games in Baku stimmte, obgleich die deutschen Sport-Fachverbände mehrheitlich dagegen waren. Baku sollte ein Test sein auf heißem Terrain.
Inzwischen sieht man es anders - und schafft Fakten.
Das EOC müsse die nächsten Spiele jetzt unbedingt vergeben, weil nur noch vier Jahre Zeit für die Vorbereitung blieben, heißt es. Bei anderen großen Veranstaltungen wie Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften bleiben in der Regel sieben Jahre (Olympia), manchmal sogar zwölf, wie bei der hoch umstrittenen Fußball-WM 2022 in Katar. Ein solches Mega-Event aber in zweieinhalb Jahren zu stemmen, das kann nur in Spezialdemokratien wie Aserbaidschan gelingen - oder in Militärdiktaturen.
Als Favorit für die zweiten European Games 2019 gilt Rotterdam. In Fachmedien war von sechs oder gar sieben Bewerbern die Rede. Das ist im Grunde falsch. Denn ein Bewerbungsverfahren wurde nicht ausgeschrieben. Die Emissäre von Hickey, allen voran Zlatko Mateša, ehemals Ministerpräsident Kroatiens, suchten nur Städte aus, die sie für geeignet hielten. Zunächst Glasgow, das offiziell zurückzog, auch Minsk, natürlich wurde mit den Russen über Kasan und Sotschi diskutiert - außerdem waren Liverpool, Istanbul und Prag in der Lostrommel. Fündig wird man wahrscheinlich in Rotterdam, in Kooperation mit anderen Städten in den Niederlanden. Merkwürdig ist, dass das EOC nicht einmal die Namen der Kandidaten verraten will, da bleibt wieder vieles intransparent. Für diesen Mittwoch war eigentlich ein Besuch der European Games Commission, der auch DOSB-Vorstandschef Michael Vesper (Bündnis 90/Die Grünen) angehört, in Minsk angesetzt. Inzwischen haben aber andere Termine Vorrang. Man darf auch deshalb davon ausgehen, dass im Mai auf der außerordentlichen EOC-Generalversammlung in Belek (Türkei) Rotterdam bzw. die Niederlande gewählt werden.
(Nachtrag, 29. April 2015: Nach Veröffentlichung dieses Beitrages hat sich der Sportdachverband der Niederlande NOCNSF auf seiner Vollversammlung in Arnhem für eine landesweite Bewerbung um die European Games 2019 ausgesprochen. Man will die Sport-Infrastruktur der gesamten Nation nutzen - mit den Zentren Amsterdam, Utrecht und Den Haag - und ein neues, kostengünstiges Modell für die Austragung von Multisport- und Mega-Events kreieren. So will man unter anderem auf ein teures Athletendorf verzichten und stattdessen bestehende Beherbergungs-Optionen ausschöpfen. Das Projekt soll gemäß einer Studie insgesamt nur 125 Millionen Euro kosten. Diese European Games wären somit ein Gegenstück zu Baku 2015 - auf dieser Grundlage hätten die Europaspiele durchaus eine Zukunft. André Bolhuis, President des NOCNSF, gehört der EOC-Koordinierungskommission für Baku an und ist mit der Problematik bestens vertraut.)
Alexander Lukaschenko muss ein paar Jahre warten.
Der weißrussische Diktator Lukaschenko zählt zu Hickeys liebsten Kameraden. Der Ire hat ihm 2008 den EOC-Orden für seinen angeblich „herausragenden Beitrag zur olympischen Bewegung“ verliehen. In dieser Bewegung hat sich Weißrussland in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem durch spektakuläre Dopingfälle profiliert. Ausgerechnet Lukaschenko sponsert ein Regionalbüro der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Minsk, was per se Misstrauen schüren muss. Lukaschenko hat sich vor Ewigkeiten zum Präsidenten des weißrussischen NOK gekürt, wie Alijew in Aserbaidschan. Bei den Winterspielen 2014 in Sotschi saß Lukaschenko bei seinem Verbündeten Wladimir Putin in der ersten Reihe, zu den Sommerspielen 2012 in London aber hatte ihm die britische Regierung die Einreise verwehrt. Sanktionen etwa der Europäischen Union gegen Lukaschenko haben das IOC oder das EOC stets wenig gekümmert, solange Lukaschenko nur Geld in den Sportkreislauf pumpte und Weltmeisterschaften ausrichtete wie zuletzt im Bahnradsport und im Eishockey.
Baku zahlt Flugtickets und Unterkünfte für alle Teilnehmer
Die European Games sind keine Kopie der Olympischen Spiele, dort werden nur 16 von derzeit 28 olympischen Sommersportarten ausgetragen, dazu kommen einige nichtolympische Sportarten (wie Putins Kampfsport Sambo oder Karate) und Disziplinen (Beachsoccer oder 3 x 3 Basketball). In einigen Sportarten wurden die Wettbewerbe in Baku aufgewertet und gelten als Qualifikation für die Sommerspiele 2016 in Rio de Janeiro. Für andere Disziplinen sind die Europaspiele eine kleine Chance, sich auf großer Bühne zu profilieren. Das war der sportpolitische Schachzug, um mehr Verbände, Athleten (rund 6.000) und alle 50 EOC-Nationen nach Baku zu locken und Alijews Propagandaspiele besser wirken zu lassen.
Gastgeschenke für das First Couple: Europas Olympiaboss und IOC-Vorstand Pat Hickey bei der EOC-Generalversammlung 2014 mit Mehriban und Ilham Alijew. Foto: Press Service of the President of the Republic of Azerbaijan
Das Organisationskomitee, geführt von Alijews Gattin Mehriban, übernimmt die Kosten für die Unterkünfte aller Athleten, Trainer, Betreuer und Funktionäre. Für die Flugtickets werden Pauschalen überwiesen, die großzügiger sind als die Ansätze des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bei den Olympischen Spielen. Während die British Olympic Association (BOA) erklärt hat, mit den Zuschüssen aus Baku seien die Entsendungskosten des Team GB vollständig gedeckt, zahlen die Deutschen drauf. Zusätzlich zu den Überweisungen aus Baku hat der DOSB für seine 267 Sportler (und eine dreistellige Zahl von Betreuern und Funktionären) ein Budget von 990.000 Euro erstellt. 500.000 Euro davon trägt das Bundesinnenministerium.
Der DOSB legt inzwischen öffentlich viel Wert darauf, eine kritische Haltung zu den Zuständen in Aserbaidschan zu verbreiten. So sei man mit NGOs wie Human Rights Watch oder Reporter ohne Grenzen im Dialog, heißt es beständig aus der Zentrale in Neu-Isenburg. „Mit Blick auf die Europaspiele sind wir gerade über die Einschränkung der Pressefreiheit und die Repressalien gegen Journalisten und Medien beunruhigt. Wir werden die Themen selbstverständlich bei unseren Gesprächen vor Ort und mit Vertretern des Gastgeberlandes ansprechen“, behauptet Michael Vesper.
Joint Venture mit dem Weltverband der Sportjournalisten
Vor wenigen Tagen wurden die jüngsten Direktiven aus Alijews Reich bekannt: Demnach müssen ausländische Reporter, die von den European Games berichten, bei allzu kritischen Beiträgen, „unfairen und verzerrten Informationen“ mit dem Entzug der Akkreditierung und damit auch des Visums rechnen. Einen Aufschrei der Association Internationale de la Presse Sportive (AIPS) hat man deshalb nicht vernommen. Das scheint in Lausanne, wo der Weltverband der Sportjournalisten nahe des IOC-Konzernsitzes residiert, niemanden zu interessieren. Stattdessen ist die AIPS-Webseite gespickt mit Jubelmeldungen über die großartigen Taten von Aserbaidschans First Couple: Mehriban Alijewa und Ilham Alijew.
Ganz klar, Personenkult ist nicht verboten.
Ähnlich unappetitliche Propagandastücke zu Baku 2015 veröffentlichen olympische Branchendienste wie Insidethegames seit zwei Jahren. Mit Journalismus hat das nichts zu tun, für derlei Texte fließt Geld, die Partnerschaften werden von olympischen PR-Agenten wie JTA gepflegt und vermittelt. Bei bei den Europaspielen richtet die AIPS erneut eines der ominösen Projekte für Nachwuchsjournalisten aus (Young Reporters Programme), das von den Gastgebern und vom EOC bezahlt und bei dem eines gewiss nicht gelehrt wird: kritische Berichterstattung. Derlei Programme zieht der Journalistenverband schon mit dem IOC, zahlreichen Weltverbänden (wie Fußball, Schwimmen, Handball, Turnen) und natürlich Katar durch. Auch bei der Fußball-WM der Juniorinnen 2012 in Aserbaidschan gab es ein Young Reporters Programme.
Vor exakt einem Jahr tanzte sogar der AIPS-Weltkongress auf Kosten Alijews in Baku. AIPS-Präsident Gianni Merlo (Italien) überreichte Alijew einen Orden. Die Granden des Sportjournalismus waren mehrheitlich begeistert von exquisiter Verpflegung, noblen Herbergen und Alijews Versprechen, während der European Games freies WLAN zu offerieren.
Da kann man die wirklich wichtigen Themen über Aserbaidschan schon mal vergessen.
Auf der Schleimspur: Während investigative Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Projects (OCCRP) Ilham Alijew als Mafiaboss bezeichnen und seine Verbrechen belegen, ehrte ihn AIPS-Präsident Gianni Merlo (r.) mit einem Journalisten-Orden. Foto: Press Service of the President of the Republic of Azerbaijan
Natürlich agiert Aserbaidschans gottgleicher Alleinherrscher Ilham Alijew auch als Präsident des dortigen NOK. Streng genommen ist das ein Verstoß gegen das olympische Grundgesetz, die Olympische Charta, ein unbotmäßiges Diktat der Politik. Aber im IOC und im EOC gehen die Sportkameraden offenbar davon aus, dass Alijews Wahl zum NOK-Präsidenten total demokratisch ablief. Alijew ist einer der ihren. Ein Mann, der viele Milliarden Dollar in den Sportzirkus steckt, der im kleinen Aserbaidschan Sportstätten olympischen Ausmaßes errichtet, der zahlreiche Verbände und Vereine sponsert, der ab 2016 auch die Formel-1-Boliden auf einer Rundstrecke durch Baku jagt. Ein NOK-Präsident, dessen Kinder schon als Minderjährige auf wundersame Weise Multimillionäre wurden und der sich vom Parlament lebenslange Immunität vor Strafverfolgung festschreiben ließ.
Ein echter Olympier.
Großganoven wie Alijew bleiben die idealen Partner für internationale Sportverbände, in deren Schlepptau zahlreiche Berater, PR-Firmen und Eventplaner glänzende Geschäfte machen. Es läuft alles wie geschmiert. Daran ändern vorerst auch die Versprechen der sogenannten Reform-Agenda 2020 des IOC nichts, die angeblich olympische Events bezahlbarer machen sowie Aspekte des Umweltschutzes und der Menschenrechte in die Vergabepraxis einbeziehen will. All das steht vorerst nur auf dem Papier. Schon einen Monat nach den European Games vergibt das IOC auf seiner Session im Juli in Kuala Lumpur die Olympischen Winterspiele 2022 an Kasachstan (Almaty) oder China (Peking und Zhangjiakou).
In anderen asiatischen Republiken wie Turkmenistan werden ebenfalls große Pläne geschmiedet: Dort steht mit dem Diktator Gurbanguly Berdimuhamedow der nächste Gernegroß bereit, hat bereits fünf Milliarden Dollar in Sportanlagen und Propaganda investiert und richtet im Herbst die Vollversammlung der asiatischen Olympia-Föderation aus. Präsident des NOK von Turkmenistan ist Berdimuhamedow natürlich auch. Er wird von denselben olympischen Lobbyisten und Spindoktoren betreut, meist aus England, die für Baku 2015 Werbung machen, die für Hickey arbeiten, für viele IOC-Mitglieder und zahlreiche Weltverbände. Es bleibt alles in der Familie.
Absprache beim ESC
Das EOC des notorischen Geschäftemachers Patrick Hickey hatte 2007 in Valencia beschlossen, Europaspiele einzuführen. Wie dieses Event aber gestaltet und wann es zum ersten Mal durchgeführt werden sollte, blieb zunächst unklar. Erst 2011 legte Deloitte im Auftrag des EOC ein Anforderungsprofil für Ausrichter der European Games vor. Zwischenzeitlich war die Rede davon, die European Games in London auszutragen, drei Jahre nach den Sommerspielen 2012 wäre das zumindest nachhaltig gewesen. Doch diese Idee zerschlug sich wohl auch deshalb, weil Londons Cheforganisator Sebastian Coe schon während der heißesten Vorbereitungsphase auf die London-Spiele andere Pläne hatte. Seine Firma CSM Strategic war im Frühjahr 2012 längst in Baku unter Vertrag und kümmerte sich dort um die Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2020. Das Engagement des umtriebigen Lord Coe deckte sich mit den Interessen des EOC-Präsidenten Hickey. Der Ire war an einem Kandidaten für die European Games interessiert, der viel Geld garantieren musste. Das Projekt sollte in Windeseile durchgezogen werden - bis 2015 blieben nur noch drei Jahre.
Die CSM des ehrenwerten Lord Coe, der in diesem Jahr Präsident des Weltverbandes der Leichtathleten (IAAF) werden und als solcher auch ins IOC einziehen will, ist inzwischen von Aserbaidschan nach Turkmenistan weiter gezogen und kassiert dort die Millionen. Coe ist nur ein Beispiel für die vielfältigen Interessenkonflikte und die Absahnermentalität in dieser Branche - offiziell reden wir ja von Ehrenamtlichen.
Der Alijew-Clan lud Hickey im Mai 2012 als Ehrengast zum Eurovision Song Contest ein. Hickey, der auch dem IOC angehört und keinesfalls als Korruptions-Gegner bekannt wurde, verfolgte das ESC-Finale aus einer Loge der eigens dafür erbauten Crystal Hall. Drei Tage vor dem ESC-Finale hatte das IOC-Exekutivkomitee auf seiner Sitzung in Quebec City auch die zweite Olympiabewerbung von Baku beerdigt. Wie schon vier Jahre zuvor (für die Sommerspiele 2016) kam Baku nicht in die IOC-Endrunde für die Sommerspiele 2020. Zu klein für große Spiele. Neben Baku wurde überraschend auch Doha aussortiert - Istanbul, Madrid und Tokio qualifizierten sich für das Finale.
Als Hickey zum ESC in Baku gastierte, war die Wunde noch frisch, die das IOC geschlagen hatte. Aserbaidschans Sportminister Azad Rahimow kehrte aus Kanada zurück und erstattete seinem Chef Alijew Bericht. Alijew, Rahimow und Hickey wurden sich auf Vermittlung von CSM schnell handelseinig: Statt Olympia 2020 sollten in Baku die European Games 2015 stattfinden. Parallel dazu bereitete der unersättliche Minister Rahimow mit deutschen Planern (AS & P, Proprojekt) die Bewerbung für die Sommer-Universiade 2019 vor, die Weltspiele des Studentensports, die man später wegen stockender Vorbereitungen der European Games aber zurückziehen sollte. Stattdessen akquirierte er vier Spiele der paneuropäischen Fußball-EM 2020.
Olympias Präsidenten: IOC-Vorsteher Thomas Bach (r.) ist ein stets willkommener Gast in den gigantischen Sportpalästen des Ilham Alijew. Foto: Press Service of the President of the Republic of Azerbaijan
Im Dezember 2012 war der Deal zu den Europaspielen perfekt: Die EOC-Vollversammlung stimmte in Rom mit 38:8 Stimmen für Baku als Gastgeber der neuen Mega-Veranstaltung. Der DOSB votierte ebenfalls für Alijews Offerte. Es gab keinen anderen Kandidaten.
In den folgenden Monaten des Jahres 2013, die geprägt waren vom letztlich erfolgreichen Wahlkampf des damaligen DOSB-Präsidenten Thomas Bach (FDP) um den IOC-Vorsitz, hörte man aus der DOSB-Zentrale nichts Kritisches zu den andauernden Menschenrechtsverletzungen und Inhaftierungen in Baku. Bach brauchte Hickey und dessen Verbündete für die Wahl zum IOC-Präsidenten. Nachdem Bach die Macht in Lausanne übernommen hatte, machte er Hickey alsbald zu einem Sonderbevollmächtigten. Ausgerechnet für den EOC-Iren mit dem schlechten Leumund und einem gebrochenen Verhältnis zur Wahrheit, der mit Alijew paktierte und Lukaschenko mit einem Olympia-Orden ehrte, schuf Bach eine neue Position in der IOC-Führungsriege: Hickey wurde Delegate Member for Autonomy.
Delegate Member für die Autonomie des Sports.
Autonomie des Sports?
Hickey, Lukaschenko, Alijew, Aserbaidschan und die European Games? Bach, Putin, Sotschi und die kommenden Olympiagastgeber Nasarbajew (Kasachstan) und Xi Jinping (China)? Joseph Blatter und Putin und der Emir von Katar?
Der neue Titel Delegate Member for Autonomy war gewiss nicht witzig gemeint vom IOC-Präsidenten.
Aber es ist zum Lachen. Und zum Weinen.
Aufmacherfoto: Foto: Press Service of the President of the Republic of Azerbaijan