Hamburg 2024: Das Problem der Einmütigkeit
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Hamburg 2024: Das Problem der Einmütigkeit

Das Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes hat sich für Hamburg als deutschen Olympiabewerber 2024 ff. entschieden. Wie geht es nun weiter, und wie steht es um die Chancen dieser Bewerbung?

Profilbild von Jens Weinreich

Am Ergebnis wird nicht mehr gerüttelt. Die DOSB-Vollversammlung wird diese „Empfehlung des Präsidiums“, den eigentlichen Olympiabeschluss, am kommenden Sonnabend an symbolträchtigem Ort, in der Frankfurter Paulskirche, mit voraussichtlich 100 Prozent aller Stimmen absegnen. Der Berliner Landessportbund (LSB) oder einzelne Sportfachverbände, die Hamburg nicht für die beste Wahl halten, werden kaum riskieren, die Feierlichkeiten zu stören.

Abweichler sind unerwünscht.

Die Entscheidung im DOSB-Präsidium wurde am Montag in einem Frankfurter Hotel in kleinstem Kreise getroffen. Zehn Mitglieder hat das Präsidium. DOSB-Präsident Alfons Hörmann (CSU) enthielt sich der Stimme. Die Berlinerin Gudrun Doll-Tepper, ehemals Präsidentin des Weltrates für Sportwissenschaft und langjähriges Präsidiumsmitglied des Berliner LSB, erklärte sich für befangen und stimmte ebenfalls nicht ab. IOC-Präsident Thomas Bach gehört formal dem DOSB-Präsidium an, wird aber Zeit seines olympischen Hochamtes an keiner Abstimmung und äußerst selten überhaupt einmal an einer DOSB-Präsidiumssitzung teilnehmen. Blieben also sieben Funktionäre, die über die Bewerbung und damit potenziell auch über Milliardeninvestitionen aus öffentlichen Kassen entschieden.

„Nicht einstimmig, aber einmütig“, sagte Hörmann.

4:3 soll es ausgegangen sein, berichteten einige Medien. Knapper ging nicht. Indes sagen Teilnehmer der Sitzungen, dieses Resultat sei falsch.

Alfons Hörmann, ein Unternehmer aus dem Allgäu, der sich Mitte April vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Kartellrecht verantworten muss, wehrte sich vehement gegen grassierende Gerüchte, er habe die Präsidenten von Sportfachverbänden in persönlichen Gesprächen auf Hamburg eingeschworen. Das sei Unsinn. In Frankfurt hatte Hörmann am Sonntag beim Treffen der Verbände mit merkwürdigen Aktionen verwirrt, einem Fragebogen mit schwammigen Fragen an die Verbandschefs statt einer klaren Abstimmung, wie Jens Hungermann in der Tageszeitung Die Welt berichtete. Hörmann musste sein Papier wieder einpacken. Die olympischen Verbände haben sich mit 18:11-Stimmen für Hamburg und gegen Berlin entschieden, vier hielten beide Bewerberstädte gleichermaßen für geeignet. Das Votum der Verbände kam überraschend, auch für DOSB-Leute, und hat vor allem im Berliner Sport Schockwellen ausgelöst. Denn die Olympiaplaner um den ehemaligen Sportsenator und heutigen LSB-Präsidenten Klaus Böger (SPD) hatten die Mehrheit der Verbände hinter sich gewähnt.

Ein Anfängerfehler: Im Sport gibt es keine Dankbarkeit. Jeder ist sich selbst der nächste. Soll heißen: Jene Verbände, die in Berlin bereits eine großzügige Infrastruktur vorfinden, erwarten das künftig eben auch in Hamburg. Die Rechnungen begleichen die Steuerzahler.

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Ein Votum der Verbände für die Hauptstadt hätte die Entscheidung des Präsidiums womöglich ebenfalls zugunsten Berlins ausfallen lassen können. So aber war die Stadt draußen. Denn auch beim wichtigsten Kriterium des DOSB, der öffentlichen Meinung, lag Berlin deutlich hinten.

Der DOSB hatte im September 2014 und vor einem Monat in beiden Städten von Forsa Umfragen durchführen lassen. Im Februar lag die Zustimmungsrate in Hamburg bei 64 Prozent – in Berlin betrug sie nur 55 Prozent. Die DOSB-Granden entschieden sich also für das geringere Risiko. Die Chance, im September, kurz vor Meldeschluss beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC), einen Bürgerentscheid in Hamburg zu gewinnen, erschien ihnen extrem größer als in Berlin. Die Angst vor einer erneuten Abfuhr dominierte das gesamte Verfahren, das Ende 2013 begann – unmittelbar nachdem Münchens extrem aussichtsreiche Bewerbung für die Winterspiele 2022 bei Bürgerentscheiden in vier Städten, Landkreisen und Gemeinden gekippt worden war.

Die Sportoberen hatten lernen müssen, dass sich derlei Mega-Projekte in Deutschland gegen den Willen der Bevölkerung nicht mehr durchsetzen lassen. In Berlin fürchteten sie die Ablehnung, Hamburg versprach eine Mehrheit für die Olympiapläne.

Es könnte im Herbst natürlich noch anders kommen, sollten Hamburgs Bürger beim noch nicht terminierten Entscheid die Bewerbung ablehnen. Aber daran glaubt derzeit niemand. Zumal die Olympia-Opposition in Hamburg bislang weniger rigoros agierte als die in Berlin. Wenn Hamburgs Planer keine groben Fehler machen, sollte der Bürgerentscheid zu meistern sein. Die von der Hamburger Handelskammer maßgeblich finanzierte Olympia-Propaganda läuft ohnehin weiter auf Hochtouren.

Die Frage, ob Hamburg infrastrukturell tatsächlich besser für das Mega-Event Olympia geeignet ist als Berlin, spielte keine entscheidende Rolle. Der DOSB, dessen Vorstand und Präsidium stets trompeten, Deutschland könne die Reform-Agenda 2020 des IOC befruchten, verpasste eine historische Chance, schon mit einem transparenten, überzeugenden innerdeutschen Wettbewerb neue Maßstäbe zu setzen und international zu beeindrucken. Wie die 14 Kriterien, an denen Hamburg und Berlin gemessen wurden (hier noch einmal die Übersicht, in die Bewertung einflossen, blieb jedem der sieben Präsidiumsmitglieder überlassen. Es gab keinerlei Vorgaben, hieß es. Außer dem Primat der öffentlichen Meinung.

Anders formuliert: Getrieben von der Angst, nicht wieder einen Bürgerentscheid zu verlieren, geht der DOSB mit einer Stadt ins Rennen, die in fundamentalen technischen Kriterien (etwa Sportstätten und Hotel-Kapazitäten) gegenüber Berlin deutlich im Nachteil ist.

Die Abstimmungsergebnisse unter den Fachverbänden und im Präsidium bergen durchaus Konfliktpotenzial, sollte es mit Hamburg nicht wie erhofft laufen.

Die DOSB-Politik: Legitimität und öffentliche Mittel

DOSB-Chef Hörmann und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), als größter Förderer des Spitzensports, reden nun unisono von einer nationalen Aufgabe. Mit dem Projekt Olympia sei “die Grundsatzfrage verbunden, wo der Sport in unserem Land 2030 steht“, sagte Hörmann. Im Kern, daran haben Hörmann und der Sportminister zuletzt oft genug erinnert, geht es um Medaillenproduktion und professionelle Strukturen für olympischen Hochleistungssport. Der DOSB sieht sich in Detailfragen, etwa dem Sportfördersystem oder dem Antidopinggesetz, beträchtlich unter Druck. Jüngst hat der Bundesrechnungshof die eklatante Intransparenz und das Beratungsmonopol des DOSB in der Sportförderung gerügt. Diese Olympiabewerbung verschafft dem Dachverband zunächst einmal größere Legitimität und mehr Geld aus öffentlichen Kassen. Für 2015 gab es aus Bundesmitteln bereits einen Aufwuchs.

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Mit dem Argument der „nationalen Aufgabe“ lässt sich prächtig wuchern – weit über die IOC-Session im Juli 2017 in Lima hinaus, auf der die Olympiastadt 2024 gekürt wird. Denn sollte Hamburgs Offerte für 2024 vom IOC nicht erwählt werden, wovon eher auszugehen ist, wird eine erneute Bewerbung für die Sommerspiele 2028 versprochen. Diese Spiele werden dann im Jahr 2021 vergeben. Das heißt, der DOSB kann in Verhandlungen mit Zuwendungsgebern bis mindestens 2021 quasi auf Sonderbehandlung pochen. Darum geht es. Kontrollgremien, wie etwa der mit zahlreichen Sportlobbyisten besetzte Sportausschuss im Bundestag, kamen schon in der Vergangenheit ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe kaum nach. Unter dem Deckmäntelchen „Olympiabewerbung im nationalen Auftrag“ lässt sich noch besser kungeln.

Diese innenpolitische Funktion des Olympia-Abenteuers war bislang dominant. Der DOSB hat seine Stellung innerhalb des sportpolitischen Komplexes untermauert. Erst langsam wird sich der Fokus auf die Hamburger Pläne verschieben, die in den kommenden Monaten gemeinsam mit dem IOC verfeinert werden. Anfang März beriet sich eine fünfköpfige DOSB-Delegation bei IOC-Direktoren in Lausanne. Es werden Seminare mit Hamburgs Planern folgen. Der DOSB bleibt gemäß des olympischen Grundgesetzes, der IOC-Charta, Herr des Verfahrens und wird mit 51 Prozent auch die Mehrheit in der nun zu gründenden Bewerbungs-GmbH halten. Am finanziellen Risiko der Mammut-Aufgabe Olympiabewerbung aber beteiligt sich der DOSB nicht. Das ist so üblich. Eventuell wird Bernhard Schwank, das DOSB-Vorstandsmitglied Internationales, wie schon bei der gescheiterten Münchener Bewerbung für die Winterspiele 2018 auch in Hamburg eine der Führungsrollen in der Olympia GmbH übernehmen.

Das umstrittene Doppel: Olympia und Fußball-EM

Die Sommerspiele inklusive der Paralympischen Spiele sind nicht das einzige Mega-Projekt, das Deutschland 2024 ausrichten soll. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) will im selben Sommer die Europameisterschaft der Männer austragen und hat dafür bereits viele Weichen gestellt. Zwei Events von dieser Größenordnung hat noch kein Land in einem Jahr gemeistert – oder besser: Noch nie wurde ein Land mit Sommerspielen und einer Euro innerhalb weniger Wochen beauftragt. Als zuletzt für das Jahr 2020 die Türkei sowohl die Sommerspiele als auch die Euro anvisierte, haben sowohl das IOC als auch die Europäische Fußball-Union (UEFA) verlangt, die Türken sollten sich für ein Ereignis entscheiden.

DOSB-Chef Hörmann, DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und IOC-Boss Thomas Bach haben zuletzt mehrfach beteuert, das Doppel von Fußball-EM und Sommerspielen sei 2024 machbar und sei ernsthaft beabsichtigt. Wer, wenn nicht Deutschland könne sich so ein historisches Doppel leisten?

Man muss derlei Parolen nicht glauben. Andererseits ist der Markt der Mega-Events derartig volatil, dass eine Vorhersage, was machbar und denkbar ist und was nicht, so schwer fällt wie nie zuvor. Nahezu wöchentlich ändern sich die Geschäftsbedingungen. Nach vielen Turbulenzen, Unwägbarkeiten und Abenteuern brauchen die Sportkonzerne verlässliche nationale Partner. Wenn diese ausnahmsweise nicht aus Russland, Katar und anderen dominierenden Spezialdemokratien kommen, ließe sich das als Zeichen des Wandels sogar besser verkaufen. Denn demokratische Nationen hatten sich zuletzt reihenweise von Olympia-Abenteuern verabschiedet, meist nach Bürgerentscheiden.

Das IOC hatte und hat beispielsweise mit den Winterspielen 2014 in Sotschi, den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro, den Winterspielen 2018 in PyeongChang (Südkorea) und den Winterspielen 2022 in Almaty (Kasachstan) oder Peking - die im Juli 2015 vergeben werden - aus unterschiedlichen Gründen enorme Probleme. Die UEFA hat ihre EM auf 24 Teams aufgebläht, findet keinen vernünftigen Ausrichter mehr und dachte sich deshalb in der Not für 2020 ein paneuropäisches Turnier in dreizehn Nationen aus. 2024 soll es wieder eine normale EM sein. Neben Deutschland wird sich wohl nur die Türkei bewerben. Oder konzentrieren sich die Türken auf eine sechste Olympiabewerbung von Istanbul für 2024?

Auch die Behauptung, die Sommerspiele 2024 seien praktisch schon an die USA und den Bewerber Boston vergeben, ist viel zu gewagt und kann in wenigen Monaten hinfällig werden, sollte die enorm anwachsende Nolympia-Bewegung in Boston eventuell einen Volksentscheid erzwingen.

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Neben Hamburg und Boston steht bisher nur Rom als Kandidat fest. Südafrika ist nicht mehr im Rennen, konzentriert sich mit Durban auf die Commonwealth Games 2022, die man nach dem Ausstieg von Edmonton (wegen des sinkenden Ölpreises und unsicherer Finanzierung) nun konkurrenzlos erhalten wird. Mit Kandidaturen von Doha und Baku ist immer zu rechnen - St. Petersburg wird sich eher zurückhalten und vielleicht erst 2028 antreten. In Paris wird in Kürze eine Entscheidung fallen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo war stets skeptisch, Staatspräsident François Hollande ist ein glühender Olympiaverfechter. Die Pläne sind spektakulär mit zahlreichen Wettbewerben inmitten der City. Daran muss sich Hamburg messen.

Gern wird argumentiert, der gigantische TV-Vertrag über 7,75 Milliarden Dollar, den das IOC im vergangenen Jahr mit dem Network NBC bis 2032 abgeschlossen hat, forciere eine Entscheidung für Boston. Wenn es aber nur nach derlei gigantischen Verträgen gegangen wäre, hätte das IOC die Sommerspiele 2012 nach New York und nicht nach London und die Sommerspiele 2016 nach Chicago und nicht nach Rio vergeben müssen. So einfach ist es nicht. Vielmehr waren die USA in der sogenannten olympischen Familie seit Beginn des „Krieges gegen den Terror“ isoliert. Hinzu kamen interne Verteilungskämpfe, denn die olympischen Weltverbände und die 204 Nationalen Olympischen Komitees (NOK) neideten dem US-Olympiakomitee USOC den riesigen Anteil an den NBC-Verträgen und am Vertragsvolumen amerikanischer IOC-Sponsoren. Seit etwa fünf Jahren unternimmt die neue USOC-Führung viel, um sich mit dem IOC und den anderen olympischen Stakeholdern zu versöhnen. Erst im Verlaufe dieses Jahres wird man sehen, wohin das Pendel ausschlägt. Ende Oktober beispielsweise tagt die Vollversammlung aller NOK in Washington.

Dieser Termin könnte zum großen Friedensgipfel avancieren. Davon wird viel für die Olympiabewerbung 2024 abhängen.


Aufmacherbild: Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp), Büro Gärtner und Christ