Krautreporter-Autor Tilo Jung hat am Sonntag – dem Weltfrauentag – in seinem privaten Instagram-Account eine Collage von vier Bildern gepostet. Zu sehen ist eine Frau im Bikini, die die Hand des Fotografierenden nimmt, um ihn in Wasser zu ziehen. Das zweite Bild zeigt einen Männerfuß, der sie ins Wasser stößt. Im dritten Bild fällt sie vornüber. Im vierten liegt sie bäuchlings im Wasser. Darunter schrieb Tilo: „Women’s Day“.
Dieser Post ist frauenfeindlich. Er kokettiert mit Gewalt gegen Frauen.
Krautreporter akzeptiert das Kokettieren mit Gewalt gegen Frauen nicht. Es macht mich wütend, diese Selbstverständlichkeit aufschreiben zu müssen. Mit dieser Haltung will Krautreporter nicht in Zusammenhang gebracht werden. Es wäre den anderen Autorinnen und Autoren nicht zuzumuten, sich mit einem Medium zu identifizieren, bei dem so etwas als akzeptabel gilt.
Welche Konsequenzen sind in diesem Fall angemessen? Einige Krautreporter-Mitglieder haben uns öffentlich aufgefordert, nicht mehr mit Tilo zusammenzuarbeiten. Ich glaube aber, dass das nicht die richtige Reaktion wäre. Aus folgenden Gründen.
Der britische Autor Jon Ronson hat gerade ein Buch mit dem Titel „So You’ve Been Publicly Shamed“ veröffentlicht. Er schreibt darin über Menschen, die einen Fehler machen und anschließend von einem Tornado aus öffentlicher Kritik mitgerissen werden. Eine Welle von Schande überschüttet sie. In manchen Fällen spült sie ihr Ansehen, ihren Job, ihr Leben weg.
Ein bekanntes Beispiel ist die Amerikanerin Justine Sacco, die kurz vor ihrem Abflug nach Johannesburg ihren 170 Twitter-Followern einen sehr verunglückten, rassistischen Spruch twitterte. Während sie offline im Flugzeug saß, verbreitete sich ihr Tweet viral, ihr Arbeitgeber feuerte sie. Als sie ihr Telefon wieder einschaltete, war ihr Leben bereits ein völlig anderes und ist es bis heute. Ronson beschreibt, wie digitale Schande zu einem neuen Instrument der sozialen Kontrolle geworden ist. Wie wir erbarmungslos die Fehler anderer öffentlich anprangern. Wie sich kollektive Wut entlädt, sich ein Mob bildet und Menschen, die einen Fehler gemacht haben, zerstört zurückbleiben. „Wie gnadenlos wollen wir sein?“ fragt er.
Es wäre eine einfache Lösung, wenn Krautreporter sich von Tilo Jung trennen würde. Aber es wäre nicht die richtige. Jeder hat das Recht auf einen bescheuerten Post – zumindest, wenn er versteht, was er falsch gemacht hat.
Wir haben Tilo gebeten, der Redaktion zu erklären, wie es zu dem Post kam. Er sagt, er verstehe inzwischen selbst nicht mehr, was daran witzig sei. Er sagt, ihm sei durch die Diskussion bewusst geworden, dass es einen „blinden Fleck“ bei ihm gebe. Er sagt, er wolle daran arbeiten. Und er hat um Entschuldigung gebeten.
Wir haben die Entschuldigung angenommen. Wir haben beschlossen, Tilo Zeit zu geben, diesen „blinden Fleck“ auszuleuchten. Es ist seine Entscheidung, ob und wie er auf diese Fragen antworten will. Wir werden vorübergehend keine neuen Beiträge von Tilo Jung veröffentlichen, aber er bleibt ein Teil von Krautreporter.