Israel hat schon viele Kriege geführt, aber was während des letzten Kriegs in dem Land passierte, war neu. Da kamen zu den Anti-Kriegs-Protesten nur sehr wenige Leute, die wiederum beschimpft und manchmal sogar verprügelt wurden. Da sprach bis auf die linksliberale Haaretz kaum noch jemand über die palästinensischen Opfer des Krieges, und in den Meinungsumfragen gaben bis zu 95 Prozent der Befragten an, dass der Krieg in Gaza gerechtfertigt gewesen sei. Das ganze Land, so schien es, war plötzlich einer Meinung.
Aber der Krieg hat nicht nur die politischen Gräben verdeckt, die die Gesellschaft Israels seit langem durchziehen. Wahrscheinlich hat er sie auch vertieft. Das zeigen jedenfalls die Werbespots, die die Parteien vor den Parlamentswahlen am 17. März veröffentlicht haben. Die Spots sind aggressiver und einseitiger als diejenigen der Wahlen zuvor. Sie bieten einen kleinen Einblick in die politische Kultur Israels, dessen Außenpolitik die Schlagzeilen dominiert, dessen Innenpolitik dabei aber zu kurz kommt.
Der Ton in den Spots ist auch deswegen rauer geworden, weil sie im Internet angeschaut werden sollen, nicht im Fernsehen. Die Spots sollen „viral gehen“, also so gemacht sein, dass Menschen sie von selbst teilen und verbreiten. Bei den Wahlen zuvor achtete ein Komitee darauf, dass in den TV-Spots bestimmte Regeln eingehalten werden. So durften die Parteien erst zwei Wochen vor dem Wahltag beginnen, ihre Spots auszustrahlen. Jede Partei erhielt dabei so viel Sendezeit, wie sie anteilig Sitze im Parlament hat. Dieses Mal kann das Komitee weniger kontrollieren, wer was sendet.
1. ISIS fragt, wohin es nach Jerusalem geht - Likud
https://www.youtube.com/watch?v=rFzFJj7Iup8
Was ist zu sehen?
Zwei bärtige Männer fahren auf einem weißen Pick-up durch die Wüste. Ihre Fahnen verraten, dass sie Kämpfer des selbst ernannten islamischen Staates sind (IS). An einer roten Ampel fragen sie ihren Nachbarn, wo es nach Jerusalem gehe. Der antwortet bereitwillig: „Links abbiegen.“Ein Schriftzug wird eingeblendet: „Die Linke wird sich dem Terrorismus beugen.“ - „Wir oder sie.“ - „Nur der Likud, nur Netanjahu“.
Wie ist das Video einzuordnen?
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seine Parteigenossen wollen „die Linke“ als dumm und unverantwortlich brandmarken, die mit ihren angeblich naiven Bemühungen um Frieden das Leben der Israelis gefährdet. Das ist Netanjahus Lieblingsstrategie seit vielen Jahren. Seine Rede vor dem US-amerikanischen Kongress, in der er vor einem diplomatischen Deal mit Iran warnte, muss man in diesem Kontext sehen - und einen Tweet, den er kürzlich absetzte. Angesprochen auf die astronomischen Immobilienpreise im Land, reagierte er mit einem Verweis auf den Iran. Auch in den anderen Spots seiner Partei versucht sich Netanjahu, dessen Spitzname „Bibi“ ist, als fürsorglicher und beschützender Vater der Nation darzustellen. So tritt er in einem Spot als „Bibisitter“ auf, in einem anderen als Erzieher im Knesset-Kindergarten, der für Ruhe sorgt. Das Wahlkomitee ließ diesen Spot verbieten, weil darin Kinder unter 15 Jahren zu sehen war. Es nützte nicht viel. Der Spot ist immer noch abrufbar.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
24 Sitze (Mehrheit: 61 Sitze)
2. Die Zionisten haben wohl nur ein Problem: die Stimme ihres Chefs - Zionistisches Lager
https://www.facebook.com/video.php?v=877792878930344
Was ist zu sehen?
Der Chef des „Zionistischen Lagers“, Isaac Herzog, redet mit staatstragendem Gestus: „Als ich Chef der Arbeiter-Partei wurde, gaben uns manche Umfragen nur 14 Sitze im Parlament [von 120 - Anm. Red]. Heute ist das zionistische Lager die größte Bewegung in Israel, und wir sind die einzigen, die die scheiternde Netanjahu-Regierung ersetzen können“. Ohne das Gesicht zu verziehen, fährt er fort: „Der einzige Grund, warum manche mich nicht wählen wollen, ist meine Stimme.“
Wie ist das Video einzuordnen?
Isaac Herzog hat recht. Er lügt nicht, wenn er seine Erfolge aufzählt und sich und seine Partei als die einzige realistische Alternative zu Netanjahus Regierung präsentiert. Das „Zionistische Lager“, das sich aus der Arbeiterpartei und der Hatnua-Partei der ehemaligen Justiz-Ministerin Tzipi Livni zusammensetzt, liegt mit Netanjahus Likud-Partei fast gleichauf. Es gilt als Mitte-Links-Bündnis und vereint viele Dimensionen der Linken. Auf der Kandidaten-Liste stehen neben ehemaligen Anführern der israelischen Occupy-Protestbewegung auch Grüne. Der Name „Zionistisches Lager“ ist eine direkte Antwort auf Netanjahu, der seine Gegner als „Anti-Zionisten“ verunglimpfen wollte. Der Witz, den Herzog am Ende seines Spots über seine meist hohe Stimme macht, ist übrigens auch eine Antwort auf den Ministerpräsidenten, denn der hat eine tiefe, sonore Stimme. Bei einem TV-Duell mit Herzog diskutierte das halbe Land über die Stimmlagen der beiden.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
24 Sitze
3. Der ehemalige Botschafter in den USA versucht, „House of Cards“ zu imitieren - Kulanu
https://www.youtube.com/watch?v=NBBCi4RT6Js
Was ist zu sehen?
Der ehemalige Botschafter Israels in den USA, Michael Oren, fordert mit einem schlechten amerikanischen Südstaaten-Akzent die Wähler auf, für die Partei Kulanu zu stimmen, wenn sie „keine schmutzige Politik“ mehr wolle. Am Ende klopft er auf seinen Schreibtisch, wie es auch die fiktive Figur des Frank Underwood in der beliebten US-Politserie „House of Cards“ macht.
Wie ist das Video einzuordnen?
Oren ist ein gefeierter israelischer Historiker und will sich und seine Partei in diesem Video als Außenseiter des politischen Systems darstellen. Dass er dafür ausgerechnet „House of Cards“-Figur Frank Underwood, den Inbegriff des morallosen Politikers imitiert, ist eigenartig. Orens Partei Kulanu wurde erst im vergangenen November vom ehemaligen Sozialminister Israels, Mosche Kachlon, gegründet. Sie will die Ungleichheit in Israel verringern und die Preise für Lebensmittel senken. Dafür will sich die Partei auch mit den mächtigen Nahrungsmittelfabrikanten in Israel anlegen.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
8 Sitze
4. Hipster-Bashing funktioniert auch bei der israelischen Rechten - Jüdisches Heim
https://www.youtube.com/watch?v=AqtYy-l4O74
Was ist zu sehen?
Ein bärtiger Mann mit Holzfällerhemd und kleinem Hund entschuldigt sich, wenn ihm Kaffee übergeschüttet wird, jemand sein Auto rammt oder ihm das Leihrad unter der Nase wegstiehlt. Als er einen Meinungsartikel in Haaretz liest, der eine Entschuldigung Israels für seinen Umgang mit der Gaza-Flotte fordert, sagt er: „Er hat recht.“ Am Ende des Clips nimmt sich die Figur Bart, Cap und Brille ab. Hervor kommt Naftali Bennett, Start-up-Millionär, Poster-Boy der israelischen Rechten und Verteidiger der Siedlerbewegung. Er sagt: „Von heute an hören wir auf, uns zu entschuldigen.“
Wie ist das Video einzuordnen?
Bennett ist Vorsitzender der Partei „Jüdisches Heim“, religiös, für die Besatzung und Besiedlung des Westjordanlandes. In diesem Video macht er sich lustig über die Hipster Tel Avivs, die meist links und säkular sind und oft ein Ende der Besatzung fordern. Nur vier Prozent aller Tel Aviver wählten Bennetts Partei bei den letzten Wahlen. Der Clip symbolisiert den Kulturkampf zwischen verschiedenen Milieus der israelischen Gesellschaft, greift aber auch auf Debatten zurück, die den jüdischen Diskurs seit dem Aufstieg des Zionismus prägen. Die Gründerväter Israels forderten immer wieder, dass die Juden sich nicht in der Diaspora in ihr Schicksal ergeben und selbst hassen, sondern in Israel anpacken und ihr Leben in die Hand nehmen sollten.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
11 Sitze
5. Die Hipster antworten - Meretz
https://www.youtube.com/watch?v=9s9KkjsSXjA
Was ist zu sehen?
Die Vorsitzende der kleinen linksliberalen Meretz-Partei zieht sich irgendwo in Tel Aviv um. Sie zieht einen Rock, einen langen Pullover und ein Kopftuch über. Dann wird die Frage „Glaubst du wirklich?“ eingeblendet, gefolgt von „Meretz macht sich nicht über Brüder und Schwestern lustig“ - „Meretz arbeitet für jeden“.
Wer ist das Video einzuordnen?
Wenn es so etwas wie eine Hipster-Partei in Israel gäbe, dann wäre das am ehesten Meretz. Die Partei setzt sich für fortschrittliche Bürgerrechte für Minderheiten und Umweltschutz ein. Den Spot postete Parteichefin Sahava Gal-On nur Stunden nachdem sich Bennett über die Hipster Tel Avivs lustig machte. Meretz ist säkular, ihr Spot ist ein Zeichen der Versöhnung und passt insofern gut zu Ihrer Politik. Denn Meretz war die erste zionistische Partei, die sich bereit zeigte, einen palästinensischen Staat zu akzeptieren. Die multikulturelle Haltung von Meretz spiegelt sich auch in einem anderen Spot. Darin tut die weiße Führung der Partei so, als wäre sie auf einer drögen Hochzeit, die wenig später bunt und laut wird. Die Musik, die gespielt wird, steht in der Tradition der orientalischen Juden, nicht der europäischen, die die Meretz-Partei dominieren.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
5 Sitze
6. Siedler bedienen anti-semitische Stereotype
https://www.youtube.com/watch?v=qhbyRb8fu44
Was ist zu sehen?
Ein „Herr Stürmer“ liest Zeitung und beauftragt einen hakennasigen Juden, Propaganda gegen Israel zu produzieren. Auf seinem Schreibtisch stehen Flaggen Chinas, Katars, Russland und einiger europäischer Länder. Am Ende erhängt sich der hakennasige Jude. Eine Unterzeile sagt: „Die Europäer mögen euch alle unterschiedlich vorkommen, aber in ihren Augen seid ihr alle gleich.“
Wie ist das Video einzuordnen?
Es wurde produziert vom Samaria Siedler-Komitee; „Judäa und Samaria“ ist der unter Siedlern gebräuchliche Name für das Westjordanland. „Der ewige Jude“ war ein Nazi-Propaganda-Film. Die Zeitung „Der Stürmer“ eines der widerlichsten NS-Propaganda-Blätter. In dem Clip greifen die Siedler europäische NGOs und die israelische Linke an, die mit ihrer Anti-Besatzungs-Politik angeblich gemeinsam daran arbeiten würden, Israels Ruf in der Welt zu zerstören. Netanjahu verurteilte das Video in einem Tweet. Die Linke im Land wies darauf hin, dass das Samaria Siedler-Komitee staatliche Zuschüsse erhalte.
Wo steht die Partei in den Umfragen?
Das Siedlerkomitee ist keine Partei.
Ein wichtiger Politiker fehlt noch in dieser Liste: Yair Lapid. Er gewann bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren viele Stimmen, weil er sich dafür aussprach, auch die ultraorthodoxen Juden qua Wehrpflicht in die israelische Armee zu holen. Beobachter seiner diesjährigen Wahlkampagne sagen, dass es für ihn noch besser laufe als vor zwei Jahren, auch wenn er in den aktuellen Umfragen bis zu sieben Sitze einbüßt. Einen ulkigen Werbespot brauche Lapid nicht. Genug Bildschirmpräsenz hatte Lapid sowieso schon. Bevor er Politiker wurde, war er einer der bekanntesten TV-Journalisten des Landes.