Heute geht es mal wieder um Panzer – und den internationalen Ruf Deutschlands. Außerdem beantworte ich die Leserinnenfrage, ob wir uns in einem neuen Kalten Krieg befinden. Und wie jede Woche gebe ich dir eine kleine Portion Hoffnung mit.
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Was ist gerade wichtig?
Vergangene Woche traf sich die Ukraine-Kontaktgruppe zum dritten Mal auf dem US-Stützpunkt in Ramstein und beriet über Waffenlieferungen an die Ukraine. Die Kontaktgruppe besteht aus rund 50 Ländern und Organisationen, die Unterstützung für die Ukraine organisieren. Das Ergebnis: Mehrere Länder kündigten weitere Hilfen an. Deutschland will der Ukraine Waffen im Wert von einer Milliarde Euro liefern, darunter viele Flugabwehrwaffen. Aber weiterhin: keine Leopard-2-Panzer.
Bei der wichtigsten Entscheidung ging es nämlich um diesen Panzertyp. Soll die Ukraine sie bekommen oder nicht? Da wurde sich die Gruppe nicht einig. Als Bremse bei dieser Entscheidung gilt Deutschland. Die Regierung gibt weiterhin kein grünes Licht für die Leo-Lieferung. Außenministerin Annalena Baerbock hat aber gesagt, dass sie es nicht blockieren würde, wenn beispielsweise Polen seine Leopard-Panzer an die Ukraine liefert.
Warum ist die Leo-Entscheidung so wichtig?
In den vergangenen Tagen wurde die Debatte immer schriller. Manche loben die „Besonnenheit“ von Bundeskanzler Olaf Scholz, die meisten schimpfen aber über seine „Zögerlichkeit“. Unabhängig davon, ob Scholz jetzt besonnen oder zögerlich ist, können wir drei Punkte festhalten.
Erstens: Die Lieferung der Leopard-Kampfpanzer ist nicht kriegsentscheidend, auch wenn dieser Eindruck an manchen Stellen entsteht. Wolodymyr Selenskyj sagte in einem Interview, dass ein paar Dutzend Panzer zwar keine Lösung, aber trotzdem wichtig seien: „Sie motivieren unsere Soldaten, für ihre eigenen Werte zu kämpfen, denn sie zeigen, dass die ganze Welt hinter einem steht.“
Zweitens: Deutschland hat gerade einen schlechten Ruf bei seinen Verbündeten. Polen betreibt Deutschland-Bashing, weil dort gerade der Wahlkampf für die Parlamentswahlen kommenden Herbst beginnt. Aber Polen ist nicht allein, auch die baltischen Staaten und die USA schütteln den Kopf über Deutschland.
Und drittens: Niemand versteht Olaf Scholz. Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) sagte über Scholz: „Wir wissen ja gar nicht, warum er so zögert. Auch wenn man dann bereit wäre, Verständnis für seine Haltung zu haben, er müsste sie wenigstens gut erklären“. Auch aus der FDP und von den Grünen kommt Kritik – und die sind immerhin Regierungsparteien. Scholz’ Strategie scheint zu sein, den Mystery-Man zu spielen und jegliche Kritik einfach wegzuschweigen, auch wenn dafür immer weniger Menschen Verständnis haben.
Die Frage der Woche
KR-Leserin Ute fragt: „Welches Interesse hat die westliche Welt am Sieg der Ukraine? Ist es nicht wieder dasselbe wie in der Zeit des Kalten Kriegs?“
Wenn Russland gewinnt und die Ukraine verliert, hätte das Auswirkungen auf die Sicherheit Europas und sogar der ganzen Welt. Die westlichen Länder haben deshalb großes Interesse daran, dass die Ukraine den Krieg gewinnt – trotzdem ist die Situation nicht unbedingt vergleichbar mit dem Kalten Krieg.
Wenn Russland mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat, würde das Wladimir Putin (und anderen autokratischen Herrschern) signalisieren: Es ist möglich, ohne große Konsequenzen ein anderes Land zu überfallen, wenn man nur lange genug durchhält. Und die Erpressung mit Atomwaffen funktioniert. Das erhöht die Gefahr, dass Russland noch andere Länder angreift: Das kleine Land Moldau, das zwischen Rumänien und der Ukraine liegt, fühlt sich sowieso schon bedroht. Und die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen sind seit dem 24. Februar 2022 alarmiert. Wie die Menschen an den Grenzen mit der Bedrohung umgehen, hat meine Kollegin Esther Göbel vor Kurzem die Bürgermeisterin einer estnischen Grenzstadt gefragt.
Auch außerhalb Europas hätte es Folgen, würde die Ukraine verlieren. Andere Atommächte würden sich ermutigt fühlen, Länder zu unterwerfen und kompromisslos ihre Interessen durchzusetzen – mit ihren Atomwaffen als Druckmittel. In den vergangenen Jahren haben Atomwaffen eher dazu gedient, ein Land zu schützen. Wenn Russlands Erpressung erfolgreich ist, könnte es dazu führen, dass das Risiko eines Atomkriegs weltweit steigt.
Der Kalte Krieg war ein jahrzehntelanger Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion und ihren jeweiligen Verbündeten. Es war ein Konflikt zwischen zwei gesellschaftlichen Ordnungen: Kapitalismus gegen Kommunismus, Demokratie gegen Diktatur. Das Ziel war, den jeweils anderen Block zu schwächen, wenn nicht sogar zu zerstören.
Heutzutage hat Europa kein Interesse mehr daran, Russland zu schwächen. Das würde die Sicherheitslage in Europa destabilisieren. Schon jetzt flammen Konflikte und Kriege in Osteuropa und Zentralasien auf, weil Russland als Schutzmacht nicht mehr so präsent ist. Beispielsweise in Bergkarabach und an der Grenze zwischen Kirgisistan und Tadschikistan. Europa will also ein stabiles Russland – aber kann Russlands Verhalten, so wie es ist, nicht akzeptieren.
Der Link der Woche
Wolodymyr Selenskyj hat der ARD ein halbstündiges Interview gegeben. Darin spricht er darüber, wie schlimm es sich anfühlt, im Krieg geliebte Menschen zu verlieren, und warum er glaubt, dass deutsche Gegner:innen von Waffenlieferungen die Situation nicht ganz verstanden haben. Mehrmals betont er, dass er Deutschland sehr dankbar ist. Und doch fühlt er sich von Scholz erniedrigt. „Man muss nicht erzählen, dass die Ukrainer 80 Jahre brauchen, um zu verstehen, was ein Panzer ist“, sagte er und fügte hinzu: „So dumm sind wir nicht.“
Das ganze Interview auf Deutsch gibt es hier zu sehen, die Originalfassung hier. Übrigens wechselt Selenskyj in dem Interview zwischen Ukrainisch und Russisch, den größten Teil spricht er Russisch. Das widerspricht der häufig verbreiteten Falschinformation, dass die russische Sprache in der Ukraine verboten sei.
Die Hoffnung der Woche
Das vierte mobile Krankenhaus ist von Deutschland in die Ukraine gefahren worden, wie die Westerwälder Zeitung berichtet. Mehrere Freiwillige haben den Bus ausgebaut, zur Ausstattung gehören OP-Tische, Intensivbetten und Ultraschallgeräte. Der Bus soll an die Front im Osten der Ukraine gebracht werden. Fotos von einem ähnlichen Bus hat das ukrainische Militär hier veröffentlicht.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert