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Heute geht es in meinem wöchentlichen Newsletter um das orthodoxe Christentum in der Ukraine und was das mit dem russischen Angriffskrieg zu tun hat. Außerdem beantworte ich die Leserinnen-Frage, warum es in einem Krieg Regeln gibt, obwohl doch Krieg an sich verboten sein sollte. Und wie immer gebe ich dir ein Portiönchen Hoffnung mit.
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Was ist gerade wichtig?
Viele orthodoxe Christ:innen feierten dieses Jahr am siebten und achten Januar Weihnachten – aber nicht alle. Einige Ukrainer:innen haben das Weihnachtsfest auf den 24. und 25. Dezember vorverlegt und feierten damit nach dem gregorianischen Kalender und nicht mehr nach seinem Vorgänger, dem julianischen Kalender.
Religion ist für viele Ukrainer:innen eine Frage der Identität. Und sie ist auch Teil der ukrainischen Politik: Vergangenen November durchsuchten Beamte des Geheimdienstes kirchliche Einrichtungen der Ukrainisch Orthodoxen Kirche (UOK), der Nähe zu Russland nachgesagt wird. Außerdem darf die UOK nicht mehr das berühmte Kyjiwer Höhlenkloster nutzen. Der Mietvertrag wurde zum Jahreswechsel nicht verlängert.
Welche Rolle spielt das orthodoxe Christentum in diesem Krieg?
Der russische Angriffskrieg hat eine religiöse Dimension. Und die orthodoxen Kirchen sind auf unterschiedliche Weise daran beteiligt. Der russische Patriarch Kyrill unterstützt den Krieg gegen die Ukraine und ist Wladimir Putin ideologisch eng verbunden. Putin inszeniert sich immer wieder als gläubiger Christ der russisch-orthodoxen Kirche. Patriarch Kyrill wiederum ist ein wichtiger Vertreter der „russischen Welt“. Das ist ein Konzept, das auf der Annahme beruht, dass es eine gemeinsame ostslawische Identität auf dem heutigen Gebiet von Russland, der Ukraine und Belarus gebe. Die meisten Ukrainer:innen lehnen diese Vorstellung stark ab.
Aus Sicht der Ukraine ist die russisch-orthodoxe Kirche Teil der russischen Aggression. Und das hat auch Auswirkungen auf die Kirchenpolitik in der Ukraine. In der Ukraine gibt es nämlich zwei orthodoxe Kirchen: die Ukrainisch Orthodoxe Kirche (UOK), die Russland nahestehen soll und aus dem Kyjiwer Höhlenkloster geflogen ist – und die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU – die Abkürzungen sind sich zum Verwechseln ähnlich). Letztere gründete sich erst 2018 und ist unabhängig vom Moskauer Patriarchat.
Die beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine rivalisieren miteinander. Seit Russland die Ukraine angegriffen hat, geht es für viele Ukrainer:innen vor allem darum, sich möglichst stark von Russland zu distanzieren. Deshalb haben sie auch das Weihnachtsfest auf ein anderes Datum verlegt: Sie wollen möglichst wenig mit der russisch-orthodoxen Kirche gemeinsam haben.
Die Frage der Woche
KR-Leserin Christine fragt: „Wie kann es ‚Regeln‘ für Krieg geben? Warum wird Krieg nicht verboten?“
Diese Frage wirkt nur auf den ersten Blick naiv – auch ich habe sie mir schon oft gestellt. Regeln im Krieg, das ist, als ob es eine rechtmäßige Art und Weise gebe, jemanden zu ermorden. Dabei ist die Tat an sich moralisch derart verwerflich, dass es absurd scheint, dafür auch noch Gesetze zu haben.
Angriffskriege sind grundsätzlich völkerrechtswidrig, das ist im „allgemeinen Gewaltverbot“ der UN-Charta geregelt. In gewisser Weise ist Krieg also verboten. Deshalb wird der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch als „völkerrechtswidrig” bezeichnet. Doch im Völkerrecht gibt es trotzdem ein „Recht zum Krieg“ (ius ad bellum) und ein „Recht im Krieg“ (ius in bello).
Denn es gibt Ausnahmen vom Gewaltverbot der UN-Charta. Eine davon tritt ein, wenn der Sicherheitsrat der UN einer militärischen Intervention zustimmt, wie etwa in Somalia oder in Afghanistan. Eine andere Ausnahme ist, wenn sich ein Land verteidigen muss. Aus Sicht des Völkerrechts durfte Russland die Ukraine also nicht angreifen, die Ukraine darf sich aber gegen Russland verteidigen.
Und dann gibt es noch das „Recht im Krieg“, das auch humanitäres Völkerrecht genannt wird. Es basiert auf der Vorstellung, dass Menschen einander seit jeher bekriegen, aber dass man die Brutalität des Krieges zumindest verringern kann. Deshalb stehen Zivilist:innen und Kriegsgefangene im humanitären Völkerrecht unter besonderem Schutz, denn sie können sich nicht zur Wehr setzen. Kranke und Verletzte haben ein Recht auf medizinische Versorgung.
Als Kriegsverbrechen bezeichnet man schwere Verbrechen gegen das humanitäre Völkerrecht, beispielsweise wenn eine Kriegspartei Zivilist:innen erschießt, Krankenhäuser bombardiert oder Kriegsgefangene foltert. Russland verstößt also auf verschiedenen Ebenen gegen das Völkerrecht: zum einen, weil es die Ukraine angegriffen hat und zum anderen, weil es unzählige Hinweise auf russische Kriegsverbrechen gibt.
Auch die Ukraine soll Kriegsverbrechen begangen haben: Vergangenen Sommer warf die Menschenrechtsorganisation Amnesty International der ukrainischen Armee vor, dass sie mit ihrer Kampftaktik Zivilpersonen gefährde. Allerdings steckte Amnesty International für diesen Bericht viel Kritik ein, warum genau, hat die Süddeutsche Zeitung erklärt. Beispielsweise wollten viele Zivilist:innen in umkämpften Gebieten ihre Häuser nicht verlassen. Oder die ukrainische Armee verteidigte sich dort, wo die russische Armee angreife: in Wohngebieten.
Einen Überblick über alle Kriegsverbrechen in der Ukraine findest du in diesem Projekt der Associated Press. Die Nachrichtenagentur hat bislang 623 Kriegsverbrechen in der Ukraine verifiziert – der Großteil davon auf russischer Seite.
Der Link der Woche
Wenn ukrainische Dörfer und Städte von Russland besetzt sind, hat das Folgen für jeden Lebensbereich der Bewohner:innen. Dieses Video auf Englisch zeigt, was es für die Schule in Tschornobajiwka in der Südukraine bedeutete. Die russischen Besatzer:innen übermalten ukrainische Symbole auf den Wänden des Schulgebäudes, entfernten alle Geschichtsbücher und warfen sogar Feuerlöscher weg, weil sie auf Ukrainisch beschriftet waren.
Die Hoffnung der Woche
Seit einigen Monaten gibt es in der Ukraine „Punkte der Unbesiegbarkeit“. Das sind Zelte, in denen sich Menschen aufwärmen, etwas zu essen bekommen und ihr Handy aufladen können. Jetzt hat Kasachstan der Ukraine sechs „Jurten der Unbesiegbarkeit“ geschickt. Die erste wurde bereits in Butscha aufgestellt. Kasachstan liegt in Zentralasien, Jurten sind die traditionellen Zelte der Nomaden in Zentralasien.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert