In diesem Text geht es um die Frage, warum ein eingefrorener Konflikt keine Lösung für den Krieg gegen die Ukraine ist. Außerdem beantworte ich noch eine andere Frage, nämlich ob sich Deutschland gerade in einem Stellvertreterkrieg befindet. Vorweg noch eine kurze Durchsage: Die nächste reguläre Ausgabe dieses Newsletters bekommt ihr am 9. Januar. Aber zwischen den Jahren schicke ich meinen Abonnent:innen meinen persönlichen Jahresrückblick.
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Was ist gerade wichtig?
Es scheint wie eine Lösung in einem Krieg, der jeden Tag neue Schrecken hervorbringt: ein eingefrorener Konflikt. Darunter versteht man eine kriegerische Auseinandersetzung, die zwar durch eine Waffenruhe pausiert, aber nicht gelöst wurde. „Eingefroren“ bedeutet „nicht friedlich“. Die Konflikte schwelen oft jahrelang, immer wieder kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Für die Ukraine würde es aber auch bedeuten: Es gäbe keine Toten und Verletzten mehr, die Menschen hätten wieder durchgehend Strom, Heizung und Wasser. Tatsächlich will vor allem eine Person einen eingefrorenen Konflikt: Wladimir Putin.
Warum bringt ein eingefrorener Konflikt keinen Frieden?
Russland ist der Meister der eingefrorenen Konflikte. Transnistrien in der Republik Moldau, Abchasien und Südossetien in Georgien, Bergkarabach in Aserbaidschan und lange Zeit auch die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk in der Ukraine: Das sind die eingefrorenen Konflikte, an denen Russland beteiligt ist. Für Russland ist das eine Möglichkeit, Politik zu machen und seinen Einfluss in diesen Ländern zu sichern.
Im September hat Aserbaidschan Armenien zwei Tage lang attackiert. In diesem Moment blockiert Aserbaidschan den Versorgungsweg nach Bergkarabach, die Bewohner:innen bekommen keine Lebensmittel und keine Medikamente mehr. Es ist nur ein Beispiel dafür, dass eingefrorene Konflikte selten ruhig und friedlich verlaufen.
Putins Ziel ist es möglicherweise, möglichst viel ukrainisches Gebiet zu erobern und dann in einem Abkommen den Krieg einzufrieren. Putin könnte dann in Ruhe seine Truppen aufrüsten und seine Waffen- und Munitionsbestände auffüllen. In dieser Zeit könnte in den westlichen Staaten die Bereitschaft schwinden, die Ukraine zu unterstützen. Schon jetzt leiden vor allem arme Menschen in Europa unter den hohen Preisen und viele sind der Kriegsnachrichten müde.
Putin könnte einen eingefrorenen Konflikt auch nutzen, um in dieser Zeit über eine Aufhebung der Sanktionen zu verhandeln. Damit könnte er Erfolg haben: Politiker:innen wie Wolfgang Kubicki (FDP) haben schon vor Monaten vorgeschlagen, über die Öffnung der Gaspipeline Nord Stream 2 zu verhandeln.
Die Frage der Woche
KR-Leser Thomas fragt: „Ist Deutschland ‚inoffiziell‘ im Krieg?“
Völkerrechtlich gesehen befindet sich Deutschland nicht im Krieg gegen Russland. Auch Waffenlieferungen machen Deutschland nicht zu einer Kriegspartei. Allerdings sprechen immer mehr Menschen von einem „Stellvertreterkrieg“ in der Ukraine. Beispielsweise der Politologe Johannes Varwick, die Journalistin Alice Schwarzer oder die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen. Aber stimmt das auch?
Eine einheitliche Definition von Stellvertreterkrieg gibt es nicht. Grob gesagt bedeutet der Begriff, dass mächtige Staaten die Streitkräfte eines anderen Landes benutzen, um ihre eigenen Ziele auf dem Schlachtfeld eines anderen Landes durchzusetzen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein mächtiger Staat einen anderen Staat schwächen will – aber ohne eben selbst aktiv Krieg zu führen. Ein klassisches Beispiel ist der Vietnamkrieg: Die USA unterstützen Südvietnam, die Sowjetunion und China den Norden.
Ob man den russischen Krieg gegen die Ukraine als Stellvertreterkrieg bezeichnet, hängt davon ab, wie genau man Stellvertreterkrieg definiert. Zwar gibt es Politikwissenschaftler:innen, die diesen Krieg so sehen, aber diese Einschätzung ist noch lange kein Konsens. Andere Politolog:innen bewerten den Krieg gegen die Ukraine anders und sehen ihn nicht als Stellvertreterkrieg.
Wer recht hat, ist nicht so wichtig, denn die Diskussion um den Stellvertreterkrieg ist eine Scheindebatte. Eigentlich geht es um diese Frage: Wem geben wir die Schuld an diesem Krieg? Denn wer den Krieg als Stellvertreterkrieg bezeichnet, impliziert damit, dass die Nato oder die USA ihn provoziert hätten oder dafür verantwortlich seien, dass er immer weitergeht. Obwohl klar sein sollte: Russland hat die Ukraine ohne Not angegriffen, die Ukraine verteidigt sich. Und Russland ist die Partei, die den Krieg immer weiter eskalieren lässt.
Hinter der Frage nach dem Stellvertreterkrieg steckt auch die Angst vor der Ausweitung des Krieges auf den Rest Europas. Wer von einem Stellvertreterkrieg spricht, fürchtet eigentlich, dass Russland sich von der Nato attackiert fühlen könnte. Zur Klarstellung: Der russische Außenminister Sergej Lawrow hat schon im April gesagt, dass die Nato in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg in der Ukraine führe. Russische Staatsmedien wiederholen das seitdem regelmäßig.
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Der Link der Woche
Der amerikanische Moderator David Letterman ist in die Ukraine gefahren, hat mit dem Chef der ukrainischen Eisenbahn gesprochen, mit einem Comedian, mit Menschen, die sich vor russischen Angriffen in den U-Bahn-Stationen von Kyjiw verstecken. Und er hat Wolodymyr Selenskyj interviewt. Daraus ist eine 45-minütige Doku auf Netflix geworden. Die Doku stellt interessante Fragen, zum Beispiel: Sollte man in Kriegszeiten noch Comedy machen? Außerdem sieht man einen Selenskyj, der zwar erschöpft aussieht, aber auch lacht und Scherze macht.
Die Hoffnung der Woche
In Butscha ließ die Stadtverwaltung vergangene Woche eine geschmückte Tanne aufstellen. Mit der Dekoration aus dem vergangenen Jahr und ausgeschalteter Beleuchtung. Zuvor hatte der Bürgermeister die Bewohner:innen in den sozialen Medien gefragt, was sie davon hielten. „Seit neun Monaten lebt das Land unter dem russischen Terror. Es ist klar, dass es keine derartigen Feierlichkeiten wie in den vergangenen Jahren geben wird“, schrieb der Bürgermeister dazu. Es gebe jedoch geteilte Meinungen, ob man in diesen Zeiten eine Tanne aufstellen solle.
In den Kommentaren sprachen sich einige Bewohner:innen dagegen aus – aber auch viele dafür. „Natürlich sollten wir das tun, vor allem, weil es keine zusätzlichen finanziellen Kosten verursachen wird“, schrieb beispielsweise eine Frau namens Tetjana auf Facebook. Die Kinder bräuchten ihrer Meinung nach ein „Neujahrswunder“. In der Ukraine ist das wichtigste Fest des Jahres Neujahr und nicht Weihnachten. Man nennt den geschmückten Baum deshalb „Neujahrstanne“ und nicht „Weihnachtsbaum“.
Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger