„Wonach ich mich sehne? Ich habe mein vierjähriges Kind nicht gesehen. Seine Mutter erlaubt es mir nicht. Seit vier Jahren habe ich keinen Hafturlaub mehr. Ich habe keinen, der für mich bürgen würde. Seit vier Jahren hat mich niemand besucht. Ich habe eine alte Mutter, der es zu peinlich ist, mit mir zu sprechen. Ich habe die Adresse meiner eigenen Wohnung vergessen. Ich habe selbst die Gasse vergessen, in der meine Wohnung liegt. Ich vermisse die Menschen, Einkäufe, jemanden, der mich anruft. Ich vermisse es, mit dem Bus zu fahren. Ich sehne mich danach, in ein Taxi zu steigen, Geld in die Hände zu nehmen, die Taxifahrt zu bezahlen … in den Park zu gehen. Ich vermisse es, um Mitternacht noch auszugehen, frei zu sein. Ich sehne mich nach Freiheit.“
Das Gefängnis der Metropole Teheran, Greater Tehran Penitentiary, ist ein Gefängnis für 13.950 Verurteilte. Sie sitzen wegen Gelddelikten, wegen Unterschlagung, Diebstahl und dem Besitz oder Vertrieb von Alkohol. Sie haben sich des Betrugs, Schmuggels, der Untreue, Fälschung, Übertragung illegalen Besitzes oder der Aneignung von Eigentum schuldig gemacht. Eine Universität, deren Pforte stets offensteht, ohne Studiengebühren, Tag und Nacht. „Die Jungs kommen als Eidechsen rein und gehen als Alligatoren wieder raus“, beschreibt Häftling A, wie sich die Haft auswirkt.
Das Großgefängnis von Teheran hat fünf Abteilungen. Die Gefangenen bezeichnen die Abteilungen als „Brigaden“, so wie die Gefängnisbeamten die Zellen „Beratungszentren“ und das Gefängnis „Reueanstalt“ nennen. Aber im Großteheraner Gefängnis wird niemand beraten und niemand bereut.
Die Abteilungen eins und vier sind die für Diebstahl, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten. Die Abteilungen zwei und fünf sind für Finanzdelikte vorgesehen und Abteilung drei ist eine vorübergehende Abteilung für Neuankömmlinge. In Abteilung eins und vier befinden sich 5.000 Gefangene, in Abteilung zwei und drei 2.000 und in Abteilung fünf 3.000 Gefangene.
Diese Reportage ist erstmals im Juli 2020 in der iranischen, regimekritischen Zeitung Etemad erschienen. Beim True Story Award 2020/21 wurde sie mit einer „Ehrenhaften Erwähnung“ ausgezeichnet. Die Jury schreibt in der Begründung, der Text zeige „ein reales Bild der Gefangenen, die eingesperrt sind, um diszipliniert und nicht bestraft zu werden.“ Beim Lesen merkt man dem Text an, dass er aus dem Persischen übersetzt wurde. Wir haben diesen für uns ungewöhnlichen Stil beibehalten, um so nah wie möglich am Original zu bleiben.
In diesen Abteilungen folgt die Verteilung der Grundausstattung, wie Bett, Kühlschrank, Fernseher und Waschmaschine, keiner besonderen Logik. Die einzige Standardvorgabe ist die Aufteilung jeder Abteilung in Gruppen von drei oder 16 Zellen. In den Drei-Zellen-Gruppen verfügt jede Zelle über 24 Betten, sechs Toiletten und acht Bäder. In den 16-Zellen-Gruppen verfügt jede Zelle über 240 Betten, 14 Toiletten und 14 Badezimmer.
Beim Bau des Gefängnisses im Jahr 2000 war es für 15.000 Gefangene ausgelegt. Heute ist das 110 Hektar große Gefängnis 20 Jahre alt. Die Kapazitäten der Abteilungen reichen nicht aus, um auch nur ein Fünftel der derzeitigen Menge an Gefangenen unterzubringen. Angesichts der Anzahl von Toiletten und Bädern müssen Gefangene manchmal eine Woche warten, um ihre Wäsche zu waschen. Oder um das zu tun, was normalerweise zur täglichen Hygiene gehört.
Wer neu ist, muss ein Bett kaufen
Nach den Gefängnisvorschriften muss jeder Häftling ein Bett haben. Das Großgefängnis von Teheran ist aber so überbelegt, dass die Betten nicht einmal für die Häftlinge im Seniorenalter reichen würden.
Eine ungeschriebene Regel sieht vor, dass Neuankömmlinge (mit Ausnahme der „Privilegierten“) bis zu ihrer „Eingewöhnung“ im Gebetsraum oder im Flur neben den Toiletten auf dem Boden schlafen müssen. Manchmal übernachten bis zu 200 solche „Bodenschläfer“ in den engen Korridoren der Zellen und den angrenzenden Fluren neben den Toiletten. Häftling B erklärt, dass diese 200 Häftlinge gezwungen sind, bis zum Weckerklingeln im Morgengrauen wie Bücher übereinander gestapelt zu schlafen. Sie wagen es nicht einmal, auf die Toilette zu gehen, aus Angst, den ein Meter mal 30 Zentimeter großen Platz, den sie sich ergattert haben, zu verlieren und bis zum Morgen im Stehen schlafen zu müssen.
Ein beliebtes und lukratives Phänomen ist die „Bettenvermittlung“. Sie sei in allen Abteilungen gang und gäbe, erklärt Häftling P. Mit Ausnahme der hochrangigen Gefangenen, deren Betten und Unterkünfte bereits vor deren Ankunft festgelegt und vorbereitet werden. Die anderen Neuankömmlinge müssen mit einem Bettenvermittler verhandeln, um ein Bett zu mieten, eine Hypothek aufzunehmen oder ein Bett zu kaufen, wenn sie die finanziellen Mittel dazu haben. Der Leiter der Bettenmakler in jeder Abteilung ist der „Wakilband“ oder Abteilungssprecher, also derjenige, der hier die Gesetze macht. Selbst das Atmen unterliegt angeblich seiner Entscheidung.
„Bei ihrer Ankunft im Gefängnis werden die Häftlinge mit der ihnen zugewiesenen Nummer fotografiert, und diese Nummer wird zu ihrer Identität.“
Ein Gefangener
Die Bettenkaution beträgt vier Millionen Tomans, von denen eine Million Tomans auf den Bettenmakler und drei Millionen Tomans auf den eigentlichen Besitzer des Bettes entfallen. Die Miete eines Bettes koste 400.000 Tomans pro Woche, und „P“ fügt noch hinzu, dass Pacht- und Bettmieten in der Finanzeinheit üblicher seien, weil die meisten Häftlinge in der Abteilung für Diebstahl und Raubdelikte dermaßen arm dran seien, dass sie sich nicht einmal ihr tägliches Mineralwasser kaufen könnten.
Nur die Finanzverbrecher dürfen im Garten arbeiten
6.30 Uhr morgens: Wecken
6.30 bis 7 Uhr: Waschen
7 Uhr: Frühstück
8 Uhr: ein neuer Wachoffizier trifft ein
8 Uhr bis zum Mittagsgebet: Aufenthalt im Freien
Wenn der Adhan, der Ruf zum Gebet, ertönt, stellen sich die Gefangenen im Erholungsraum auf und gehen in einer Reihe in ihre Abteilung, während einer nach dem anderen die ihm zugewiesene Nummer ruft, um seine Anwesenheit anzuzeigen. Bei ihrer Ankunft im Gefängnis werden die Häftlinge mit der ihnen zugewiesenen Nummer fotografiert, und von diesem Moment an wird diese Nummer zu ihrer Identität, wenn bei Kontrollen ihre An- und Abwesenheit registriert wird. Die Insassen haben die Gefängnisleitung aber gezwungen, sie mit ihrem Namen und „Herr“ anzusprechen, wenn sie direkt gerufen oder angesprochen werden. So bleibt das nummerierte Foto für sie nur ein Eintrag in der Akte.
Auf dem Papier halten sich die Insassen der Abteilungen eins und vier an alle Gefängnisvorschriften. Diebe, Schmuggler und Schwerverbrecher lernen, sich an die staatlichen Regeln und Vorschriften zu halten. Finanzverbrecher, die in den Abteilungen zwei und fünf untergebracht sind, sind die einzigen Gefangenen, die nicht an den Erholungsstunden im Freien teilnehmen müssen. Sie dürfen ihre Tage verbringen, wie sie wollen. Sie können sogar beantragen, in die Dienstleistungs- und Beschäftigungseinheit verlegt zu werden, wo sie beispielsweise in der Gefängnisbäckerei oder im Gemüsegarten hinter dem Gebäude arbeiten. Finanzkriminelle ernten die Früchte ihrer verlorenen Kreditwürdigkeit und ihres Ansehens. Der Manager, der Buchhalter und der Fabrikant, der Ökonom, der Schifffahrtsmagnat, der Unternehmer und der Arzt büßen für ihre Fehlkalkulationen.
Der Gefangene T. ist einer von ihnen: 51 Jahre alt, verurteilt wegen illegaler Aneignung von Eigentum. Er wurde am 7. April 2014 verhaftet, am 16. April ins Evin-Gefängnis verlegt und am 25. Juli 2015 nach einem rechtskräftigen Urteil ins Großraumgefängnis Teheran verlegt. „Die erste Woche habe ich nur ein wenig Brot gegessen, um nicht schlapp zu machen. Ich fasste es nicht, eingesperrt zu sein. Wo bin ich hier gelandet? Ich besaß ein Leben, investierte in Projekte, ich hatte eine Wohnung …“
T. wurde zu 490 Millionen Tomans wegen Unterschlagung verurteilt, von denen er bereits 420 Millionen Tomans beglichen hat: durch den Verkauf seines Hauses und seines Hausrats sowie durch das Eintreiben der ihm geschuldeten Gelder. Das Begleichen der Schuld zog aber auch die Familienmitglieder in Mitleidenschaft: Seine Frau und seine beiden Söhne (ein Teenager und ein 20-Jähriger Sohn mit Behinderung) leben in einer 35 Quadratmeter großen Wohnung und erhalten Unterstützung vom Hilfskomitee.
„Meinen älteren Sohn habe ich seit sieben Jahren nicht mehr gesehen. Und jedes Mal, wenn ich meine Mutter anrufe, sagt sie: ‚Das ist schon wieder die Telefonzentrale des Gefängnisses! Wann kommst du raus?‘ Ich war im Gefängnis, als mein Vater starb, ich durfte nicht einmal zu seiner Beerdigung gehen. Meine Frau hat hundertmal von Scheidung gesprochen und ich habe sie angefleht, es sich noch einmal zu überlegen. Hier waren 9.000 der Gefangenen verheiratet, aber 7.000 von ihnen mussten sich nach ihrer Verurteilung scheiden lassen. Welche Frau toleriert schon, dass ihr Ehemann im Gefängnis sitzt? Und die Ehefrauen, die geblieben sind, leiden tausend Qualen. Der süchtige Häftling ruft zu Hause an, um Drogengeld zu besorgen und sagt zu seiner Frau und seiner Tochter: ‚Ich weiß nicht, wie ihr das auftreiben wollt, aber ich brauche Geld – bis morgen.“
Bis heute hat der Gefangene T. das Gefängnis nicht verlassen. Die Strafe für die unrechtmäßige Aneignung von Vermögenswerten besteht in einer finanziellen Entschädigung in einer Höhe, die vom Gericht bei der Verurteilung festgelegt wird. Verurteilte kommen nicht für eine Begnadigung in Frage, und der Heimaturlaub wird von einer Kaution abhängig gemacht, die ein Vielfaches der Schulden des Gefangenen beträgt. Da der Gefangene T. noch 70 Millionen Tomans schuldet, muss er eine Kaution von 300 Millionen Tomans hinterlegen.
„Wohlhabende und Arme, Analphabeten und Gebildete, wir sind hier alle zusammen. Sogar die Reichen sind hier.“
Ein Gefangener
„In der Finanzabteilung gibt es viele wie mich. Da ist jemand, der seit zehn Jahren wegen einer Unterschlagung von 220 Millionen Tomans im Gefängnis sitzt. Ein anderer sitzt für 20 Millionen Tomans seine Strafe ab. Es gab auch schon jemand, der 21 Jahre lang inhaftiert war. Er war Herzpatient, hatte Bluthochdruck und Diabetes. Er starb hier vor 20 Tagen. Der hatte 230 Millionen Tomans unterschlagen. Wohlhabende und Arme, Analphabeten und Gebildete, wir sind hier alle zusammen. Sogar die Reichen sind hier. So wie Herr Reekhtegaran, der Geschäftsführer einer Autofirma, oder Babak Zanjani. Es gibt hier einen Mann, der 84 Jahre alt ist. Er hatte eine Exportfirma für den Seeverkehr, nahm einen Kredit auf und kam seinen Verpflichtungen nicht nach. Er ist seit 16 Jahren im Gefängnis. Er ruft seine Enkelkinder an und spricht mit ihnen. Rahim Norouzi hat einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften. Er besaß das größte Unternehmen in der Region Aras und Anzali. Er beschäftigte 180 Arbeiter. Er hat 2,2 Milliarden Tomans Schulden. Nun sitzt er bereits seit vier Jahren im Gefängnis.“
Mit Zigaretten kann man hier alles erreichen
„Einer war ein großer Bauunternehmer in Shahriar, baute 1.700 Gebäude, nahm einen Kredit auf, konnte aber die Raten nicht zahlen. Die Bank erstattete Anzeige gegen ihn. Er sitzt seit sieben Jahren im Gefängnis und schuldet vier Milliarden Tomans. In der Abteilung für Finanzverbrecher sind alle über 40 Jahre alt, gebildet, Ärzte, Professoren, Manager. Wir haben hier jemanden, der alle erforderlichen Dokumente für seine Entlassung ausgefüllt hat, aber der Richter will ihm die Entlassungspapiere nicht ausstellen. Wir hatten einen Gefangenen, der 27 Jahre lang hier war. Er kam im Alter von 40 Jahren ins Gefängnis und verließ es im Alter von 67 Jahren in der Leichenhülle vom Friedhof Behesht Zahra.“
Die Bett-Mafia, die Drogen-Mafia, die Post-Mafia, die Badezimmer-Mafia, die Toiletten-Mafia … Häftling S. vermutet manchmal, dass sogar das Atmen im Gefängnis eine Mafia hat. Die Mafia von allem, was du willst, die Mafia von allem, was du hast, die Mafia von allem, was du sein willst.
Der Schlüssel zur Lösung aller Probleme in dieser chaotischen Stadt sind Zigaretten. Sie sind die gängige Währung im Gefängnis. Mit einer Zigarette kann man sogar den Posten eines Wachmanns wechseln. Eine Zigarette ist wie die Null im Bankwesen. Sie kann Tausend, eine Million, eine Milliarde bedeuten. Mit Zigaretten kann man im Gefängnis alles erreichen. Was immer du willst, eine Zigarette machts möglich.
„Zigaretten sind Türöffner“, erklärt Häftling G. „Hat jemand Geburtstag, schenken wir ihm zwei Packungen Zigaretten. Wenn dich jemand bittet, ‚Liebe zu geben‘, bedeutet das, dass du ihm eine Schachtel Zigaretten geben musst, damit du tun kannst, was immer du tun musst. Um auf die Toilette zu gehen: zehn Zigaretten. Um zu duschen: zwei Päckchen. Um den Flur putzen zu lassen, zwei Päckchen pro Woche.“
Wenn du Ausbeuter bist, kannst du hier gut leben
Die alten Hasen, deren Strafe eine finanzielle Entschädigung bis zur letzten Rial ist, die der Richter festlegt, sind dazu verdammt, Geschichtenerzähler zu sein. Das Kommen und Gehen, das Laufen einer Ameise und das Fliegen eines Spatzen auf dem Gefängnisgelände, nichts entgeht ihren Augen.
Der Gefangene Ch. zählt die Wunder des Gefängnisses auf, eines nach dem anderen: „Ratten, groß wie Katzen, die nachts, wenn die Lichter aus sind, auf dem Schutzzaun um die Strom- und Telefonleitungen herum marschieren und, wenn es dunkel ist, in die Zellen huschen.“
„Die reichen Gefangenen haben Lakaien und gutes Essen. Sie bestellen sich Rindfleisch, bestellen handverlesenes Obst und erstklassiges Gemüse, sie haben einen eigenen Koch.“
Ein Gefangener
„Wir hatten eine Reihe von erfolgreichen Gefängnisausbrüchen: Nasser Cheraghi war wegen Finanzdelikten inhaftiert, Ali Mohammadi war ebenfalls wegen Finanzdelikten inhaftiert, Murad Heydari saß wegen Diebstahls ein. Es gelang ihnen zu entkommen. Hast du Geld, dann gibts hier Alkohol, Drogen, sogar Handys. Handys sind im Gefängnis verboten, aber sie werden für 15 Millionen Tomans pro Stück gekauft und verkauft … Die reichen Gefangenen haben Lakaien und gutes Essen. Sie bestellen sich Rindfleisch, bestellen handverlesenes Obst und erstklassiges Gemüse, sie haben einen eigenen Koch.
Hussein Hedayati sitzt in der Abteilung für Diebstahl und andere Vergehen. Er hat Teppiche, einen Kühlschrank und einen Fernseher für die Abteilung gekauft und den Flur dekoriert. Wenn er duschen geht, sind alle 16 Kabinen leergeräumt. Und er trifft jeden Tag seine Frau, während eheliche Besuche eigentlich einmal pro Monat gestattet sind.
„Wenn du ein Profiteur und Ausbeuter bist, gute Beziehungen hast und Geld ausgibst, wirst du hier gut leben können. Andernfalls ist man dem Untergang geweiht. Wie die mittellosen Gefangenen, die um ein Stück Brot betteln, weil die staatlichen Rationen nicht ausreichen. Und die meisten Häftlinge sind arm. Zurzeit gibt es hier etwa 6.000 Gefangene, die nicht die Mittel haben, um ihre Strafe zurückzuzahlen.“
Es gibt hier Leute, die wegen eines Diebstahls von 50 Walnüssen, eines Päckchens Buttermilch, eines Schuhregals oder der Unterschlagung von 500.000 Tomans inhaftiert worden sind. Das sind die ganz Armen im Gefängnis. Diejenigen, die beim Betreten des Gefängnisses darum bitten, „Bürgermeister“ der Abteilung zu sein: Bürgermeister bedeutet hier Reinigungskraft, Hausmeister. Sie fegen morgens als Erstes den Flur der Abteilung und putzen die Bäder und Toiletten, und ihr Lohn wird in Zigaretten berechnet. Für das Gehalt des Bürgermeisters muss jeder Häftling wöchentlich eine Schachtel Zigaretten abgeben. Die monatlichen Ausgaben eines Gefangenen müssen durch das Geld gedeckt werden, das seine Familie für ihn hinterlegt hat. Diese Kosten belaufen sich hier auf mindestens eine Million Tomans.
Gefangene, deren Familien nicht die Mittel haben, ihnen Geld zu schicken, sind dazu verdammt, Gefängnisessen zu essen, Gefängnistee zu trinken und sich mit dem zu begnügen, was man ihnen gibt. Aber wissen Sie, für uns alle, ob für Hussein Hedayati oder für einen Taschendieb hat das Gefängnis die gleiche Bedeutung. Es ist ein Gefängnis.“
Wenn das Telefon klingelt und auf dem Display eine unbekannte zwölfstellige Nummer erscheint und Sie die automatische Ansage hören: „Dieser Anruf kommt aus dem Teheraner Gefängnis“, dann ruft ein Gefangener an. Er weiß, dass Sie frei sind. Sie wissen, dass er nicht frei ist. Der räumliche Abstand, die Entfernung vom Stadtzentrum zur Tschermschahr-Straße sind 32 Kilometer. Der zeitliche Abstand beträgt vier Jahre Haft, sieben Jahre Haft, 15 Jahre Haft. Der Mann, mit dem du sprichst, hat seit vier Jahren, sieben Jahren, 15 Jahren nicht mehr seinen Fuß über die Schwelle des Gefängnisses gesetzt. Vielleicht hat er auch danach dazu keine Chance mehr.
In den Jahren seiner Inhaftierung hat sich Teheran ausgedehnt, ist größer geworden, hat sich gesetzt, hat gebebt, ist hässlich geworden, ist verschrumpelt. Der Gefangene hat keine Vorstellung von diesen Veränderungen. Der Faden, der ihn mit der Freiheit verbindet, sind die wenigen Minuten in der Woche oder im Monat, die er mit seiner Frau, seinem Kind, seiner Mutter, seinem Vater, seiner Schwester oder seinem Bruder im Besucherraum verbringt. Sie riechen nach Freiheit. Ein Gefangener, der Besuch empfangen darf, kann jede Woche oder jeden Monat für ein paar Minuten den Duft der Freiheit einatmen. Die schlimmste Strafe für einen Gefangenen ist es, keinen Besuch empfangen zu dürfen, sich die Freiheit nicht vorstellen zu können.
Die erste Nacht im Grab ist einfacher als die im Gefängnis
Der Gefangene H., der einen Masterabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen der Amirkabir-Universität hat und sich im letzten Jahr seines Medizinstudiums befindet, wurde wegen Untreue angeklagt. Er akzeptiert die Anschuldigung immer noch nicht und behauptet, der Kläger habe gelogen und den Fall gegen ihn gefälscht. Gerade fand vor dem Gericht eine Anhörung zu seinem Antrag auf Insolvenz statt. Er erwartet, dass seine Schulden in Höhe von 35.000.000 Tomans in Raten abbezahlt werden und dass er aus dem Gefängnis entlassen wird.
Der Häftling H. ist 35 Jahre alt, Vater eines zwölfjährigen Jungen und Sohn einer 82-jährigen Mutter. Am Abend des 2. Oktober 2016 wurde der Häftling H. vor den Augen seines achtjährigen Sohnes festgenommen, sie legten ihm Handschellen an und der Sohn hat in diesen vier Jahren und nach der Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter, nicht ein einziges Mal seinen Vater besucht. Wahrscheinlich hat auch niemand je dieses Kind gefragt, ob sein Vater immer noch der Held seiner Träume ist – oder nicht.
In diesen vier Jahren der Isolation hat Häftling H. das Leben im Gefängnis auf eine andere Weise kennengelernt als all die Professoren, Manager, Buchhalter, Geschäftsleute, Diebe, Verbrecher und Fälscher. Er bat die Gefängnisbeamten um die Erlaubnis, jeden Abend nach dem Schlafengehen etwa eine Stunde mit dem Studium und der Durchsicht der neuesten medizinischen Lehrbücher zu verbringen, die er bestellt hatte, damit 27 Jahre harter Arbeit hinter diesen fensterlosen Gefängnismauern nicht begraben werden. In diesen Stunden der Einsamkeit, die er Tag und Nacht neben 13.949 Gefangenen verbrachte, erhellt vom Licht einer kleinen Lampe, dachte er über die Wunder des Lebens nach: über die Wendungen des zu Ende gegangenen Tages, über das verlorene, vielversprechende Leben und die Tatsache, dass er noch lebte.
„In Quarantäne haben mir die Alteingesessenen oft geraten, dass man töten muss, um zu überleben.“
Ein Gefangener
„In der ersten Nacht im Gefängnis war ich so verwirrt. Ich wusste nicht, wo ich war. Ich glaube, die erste Nacht im Grab ist einfacher als die erste Nacht im Gefängnis. Ich wollte meine Mutter anrufen, aber sie haben mich nicht gelassen. In Quarantäne haben mir die Alteingesessenen oft geraten, dass man töten muss, um zu überleben. Sie sagten, es gäbe kein Morgen für uns. Sie sagten, wir würden auf einem Friedhof der Lebenden verrotten.
In diesen vier Jahren habe ich jede Art von Verbrechen, jede Art von Verrat miterlebt. Ich war Zeuge der Verwandlung von Menschen in Kannibalen, der Verwandlung von Menschen in eine besessene, ständig unzufriedene Kreatur. Hier habe ich mit eigenen Augen gesehen, dass Geld das Sagen hat. Ich habe gelernt, dass man, wenn man ein Profiteur und Ausbeuter ist, wenn man Beziehungen hat und Geld ausgibt, gut leben kann, ansonsten ist man verdammt. Hast du Geld, bist du im besten Zimmer. Niest du, bringt man dich auf die Krankenstation.
Alles, was ich hier nicht wusste, habe ich von einem Superfälscher in meiner Abteilung gelernt. Er hat so geschickt Schecks gefälscht, dass selbst die Banken nicht sicher waren, ob sie echt waren oder nicht. Wenn sie die Tore zu diesem Ort öffnen, strömen mindestens 10.000 Taschendiebe hinaus. Skrupellose Taschendiebe. Ich fragte sie mal: Wie klaust du Frauen die Handtaschen? Der Typ sagte: Ich hacke ihnen die Hand ab. Womit? Mit langen Messern. Macheten.
Das Gefängnis tötet Mitgefühl in den Menschen. Hier kommen jedes Jahr 20.000 Menschen neu an. Und nur die landen hier, die nicht die Mittel oder das Wissen haben, sich zu verteidigen. Ich habe kein Verbrechen begangen, ich wusste nur nicht, wie ich mich verteidigen sollte. Ich wurde für 35.000.000 Tomans ins Gefängnis geworfen. Und ich hatte kein Geld genommen oder gegeben. Aber der Kläger legte seine Hand auf den Koran und beschuldigte mich der Untreue. Die etwa 13.000 Menschen hier sind größtenteils naive Seelen, die nicht wissen, wie man mit einem Richter spricht. Aber darf ich Ihnen etwas sagen? Wir alle hier im Gefängnis, selbst dieser reiche Hussein Hedayati, sind nicht wegen des Verbrechens hier, dessen wir beschuldigt werden. Wir sind hier wegen des Verbrechens, das wir zuvor begangen haben, wegen der Herzen, dir wir gebrochen haben. Und bevor wir nicht unsere Schuld beglichen haben, wird sich diese Tür nicht öffnen.
Deshalb habe ich nie daran gedacht zu fliehen. Das ist nicht nötig. Ich muss mich selbst kennenlernen. Ich muss diese Zeit hier verbringen. Es war wichtig für mich, hier zu bleiben. Mein falscher Stolz musste gebrochen werden. Jetzt … ja. Ich bin zufrieden. Hier bin ich der Gesundheits- und Hygienebeauftragte der Halle. Ich darf nicht als Arzt arbeiten, aber ich helfe dem Arzt der Krankenstation.
In unserer Abteilung ist niemand krank. Aber Krätze, Grippe, Hepatitis, Tuberkulose und Aids sind im ganzen Gefängnis weit verbreitet, weil die meisten Gefangenen süchtig sind. Wenn die Menschen hier ankommen, leiden sie an Depressionen, Psychosen und Wahnsinn, und sie lindern ihre Schmerzen mit Methadon. Hier gibt es vieles, was nicht sein sollte … Laut Gefängnisordnung müssen der Gesundheitsinspektor und der Arzt der Krankenstation die Abteilungen täglich besuchen. Aber welche Art von Untersuchung können sie in einer Halle mit bis zu 200 Bodenschläfern schon durchführen? Der Anstaltsarzt muss täglich 50 Patienten untersuchen und das mit nur 260 Packungen an Medikamenten. Und selbst die nimmt der Verbindungsmann der Krankenstation mit und verkauft sie in der Abteilung gegen Zigaretten. Eine Schachtel Zigaretten für eine Blisterpackung Pillen.
Es heißt, dass es ein Pro-Kopf-Budget für die Erziehung und den Unterricht der Gefangenen geben soll. Was nützen hier bei dieser Anzahl von Süchtigen die Pro-Kopf-Ausgaben für Bildung und Soziales?“
Selbsttötung, Mord und Drogen sind zum Greifen nah
Die Vorsilbe des Namens eines Menschen spiegelt seinen Beruf und seinen finanziellen und sozialen Status wider. Alles, was geschieht, ist letztlich auf den Rang und das Ansehen einer Person außerhalb des Gefängnisses zurückzuführen. Mehrere alte paramilitärische Guerillas, die Anfang der 70er Jahre im Evin-Gefängnis und im Exil in den Gefängnissen von Abadan und Kermanshah saßen, erinnern sich daran, wie Diebe und Mörder aus Respekt vor ihnen als „Guerillas“ ihre Messer in die Scheide steckten, ihren Mund hielten und Respekt zollten.
Der Häftling H. genießt das Ansehen „Herr Doktor“ zu sein. Er ist ein vertrauenswürdiger Augenzeuge unsäglicher und unbeschreiblicher Szenen im Gefängnis, mit Menschen, die nicht einmal für das Wort „Menschlichkeit“ Erbarmen haben. In diesem 110 Hektar großen Areal, das von dunklen Straßen umgeben ist, die ein Zufluchtsort für streunende Hunde, Straßenräuber und Angreifer sind, die auf den Schatten eines Passanten warten.
Die einzige Unterhaltung von Tausenden verurteilten Männern besteht darin, unzählige Schritte im farb- und formlosen Gefängnishof zu gehen. Einsamkeit ist ein undefinierbarer Begriff innerhalb dieser vier Wände, in denen die Höhe der Bestrafung größer ist als die Toleranzgrenze der Menschen.
Wenn die Gefangenen in diesen hohen, fensterlosen Mauern bleiben und die „Freiheit“ heraufbeschwören, indem sie die Abwässer des Kahrizak-Viertels einatmen, sich ihr Geist mit der Sehnsucht erfüllt, nur einen Moment lang wie andere Menschen zu sein. Dann reißt ihnen der Geduldsfaden, und das letzte Stückchen ist zum Greifen nah: Selbstmord, Selbsttötung, Mord, Überflutung der Adern mit so viel Drogen wie möglich.
„Wahid hatte Heimaturlaub er hatte Drogenkapseln genommen, also in mehrschichtige Plastikhüllen verpackte Drogen, die nach dem Stuhlgang mit dem Kot ausgeschieden werden. Als er ins Gefängnis zurückkam, platzte die Packung in seinem Magen. Er starb an einer Überdosis. Mehrdad ging zum ehelichen Besuchsraum, er hatte eine Siqeh, eine Ehefrau auf Zeit. Die Frau legte ihn rein. Sie gab ihm eine Ladung Drogen, aber sie verschloss einen der Beutel absichtlich nicht ganz richtig. Der Beutel öffnete sich in seinem Magen. Ich habe ihn sterben sehen.
„Ojaghi war 24 Jahre alt. Er beging viermal Selbstmord. Jedes Mal haben wir ihn wiederbelebt, und jedes Mal sagte er: Ich werde mich wieder umbringen.“
Ein Gefangener
Es gab einen alten Mann, Mehdi, um 7.10 Uhr morgens färbte sich sein Gesicht gelb. Er behauptete, dass seine Augen nichts sehen könnten. Der Arztgehilfe meinte, er bilde sich das nur ein. Er starb um 8.50 Uhr. Vor seinem Tod weinte er und seufzte, er habe seinen Enkel nicht mehr sehen können. Ojaghi war 24 Jahre alt. Er beging viermal Selbstmord. Jedes Mal haben wir ihn wiederbelebt, und jedes Mal sagte er: Ich werde mich wieder umbringen. Das fünfte Mal kam er von seinem ehelichen Besuch zurück und erhängte sich über seinem Bett. Eines Tages fragte mich der Gefängnisdirektor: Wirst du diese Tage hier vermissen? Würdest du zurückkommen, um hier zu arbeiten? Ich habe vergessen, wie es draußen ist, antwortete ich ihm. Aber das Leben hier ist schon anders … Wer weiß, vielleicht komme ich zurück …“
Gefangener Ch. gibt mir einen Bericht über den Schwarzmarkt im Gefängnis:
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Das Aufgeben eines Briefes in der Abteilung für Dienstleistungen und Beschäftigung kostet 8.300 Tomans, in Abteilung eins: 15.000 Tomans.
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Das Schreiben einer Petition kostet 2.000.000 bis 5.000.000 Millionen Tomans.
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B2-Pillen (Buprenorphin) 50.000 Tomans pro Tablette.
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Crystal Meth (Methamphetamin) 120.000 Tomans pro Gramm.
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Haschisch 220.000 Tomans pro Gramm.
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Heroin 250.000 Tomans pro Gramm.
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Opium 200.000 pro Gramm.
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Eine Schachtel Winston-Zigaretten 20.000 Tomans; eine Schachtel Kent-Zigaretten 10.000 Tomans, eine Schachtel Bahman-Zigaretten 7.000 Tomans.
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Fußball 100.000 Tomans, Volleyball 50.000 Tomans.
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Volleyballnetz 250.000 Tomans.
Die Inflation im Gefängnis hat keinen Index. Der Preisindex für verschiedene Waren und Dienstleistungen wird in jeder Abteilung vom „Thinktank“ festgelegt. Abseits der Augen der Gefängnisbeamten sind die fleißigen Denkfabriken mit zahlreichen Sitzungen beschäftigt, die wie ein Stadtrat Entscheidungen für und über jeden Gefangenen treffen – ihren Freiraum, ihre anderthalb Quadratmeter Privatsphäre und Unabhängigkeit, ihr Überleben in diesem vergessenen 110 Hektar großen Areal am Stadtrand von Teheran. Dieselben Denkfabriken erteilen Lizenzen für Korruption, Nötigung und Schlägereien im Gefängnis.
Alles verfällt: dein Denken, dein Körper, deine Gefühle, deine Werte
Häftling D erklärt: „Jede Abteilung hat Ausgaben von 1.000.000 Tomans pro Tag. Um diese Summe aufzubringen, muss der Vertreter der Abteilung nicht nur von jedem Gefangenen einen Anteil nehmen, sondern auch Drogen in der Abteilung verkaufen, bis die eine Million Tomans zusammen sind … Die Wohlhabenden kaufen Teppiche, Kühlschränke und Fernsehgeräte für die Abteilung, sobald sie dort ankommen, damit sie zum Vertreter der Abteilung werden oder besondere Annehmlichkeiten und Privilegien in der Abteilung erhalten.
Die Abteilungen eins und vier (für Diebe, Schmuggler und Schwerverbrecher) sind so etwas wie ein Mexiko für sich. Jeder Neuankömmling sucht sich gleich zu Beginn einen Arbeitssklaven aus. Alle Häftlinge müssen zum Rauchen nach draußen gehen, aber in den Abteilungen eins und vier rauchen sie drinnen und nehmen offen Drogen. Das sieht man zu jeder Tageszeit, wenn man dort hingeht. Sie verstecken sich einfach in einer Ecke, wenn sie sich etwas spritzen wollen. Der Drogenhandel in den Abteilungen eins und vier ist zu einer Einnahmequelle für die Gefangenen geworden. Zu den Dienstleistungen gehören Spritzen und gemeinsame Injektionen. Die Häftlinge sind alle bewaffnet. Klingen, Rasiermesser, alle Arten von Messern sind dort zu finden.“
Das Gefängnis ist ein Ort des Verfalls. Verfall des Denkens, Verfall des Körpers, Verfall der Gefühle, Verfall der menschlichen Werte, Verfall der Menschen. Was aus dem Gefängnis kommt, ist nicht vergleichbar mit dem, was vor dem Gefängnis war. Das Gefängnis macht aus den Menschen neue Wesen, ohne die Rationalitäten und Sensibilitäten des gesellschaftlichen Lebens. Wie eine Gussform kann die Haftzeit aus ihrem Inhalt machen, was sie will. Die Abgeschiedenheit und die bittere Entfremdung des Gefängnisses verflechten sich bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, und der Gefangene wird wie eine isolierte Kugel auf einem Schlachtfeld zu einer eindimensionalen Materie reduziert. Und wenn er das Glück hat freizukommen, wird er entweder verunsichert in die Gesellschaft zurückkehren, die ihn diesem System der Korrektur und Bestrafung ausgeliefert hat, oder er wird den Stecker der Unschuld ziehen und in die Umarmung seiner Gang zurückkehren.
Häftling Z erklärt: „Eine Internetfirma hat in allen Abteilungen Telefonanlagen installiert. Man muss zum Telefonieren die Telefonkarte aufladen – eine Smartphone-Karte, auf der nur acht Nummern gespeichert sind. Auf meiner habe ich die Nummern für mein Zuhause, meine Mutter, meine Kinder, das Gericht, ihre Zeitung und meinen Anwalt gespeichert. Alle anderen Nummern kann ich nicht anrufen. In der Abteilung für Finanzkriminalität gibt es keine Beschränkungen für die Benutzung der Telefone, aber in den anderen Abteilungen darf jeder Gefangene nur eine halbe Stunde pro Tag telefonieren.“
„Unsere einzigen persönlichen Gegenstände sind eine Hose, ein Hemd und Schuhe für die Gerichtsverhandlungen.“
Ein Gefangener
Die Gefängnisbibliothek versorgt uns nicht mit nützlichen Büchern. In die Finanzabteilung werden nur zwei Zeitungen geliefert, für die wir bezahlen müssen; 220.000 Tomans pro Monat. In den Abteilungen eins und vier gibt es nicht genug warmes Wasser und die Duschen sind eingeschränkt. In der Abteilung zwei gibt es ebenfalls zu wenig Warmwasser, weil die Heizungsanlage alt ist. Im Erholungsgebiet des Gefängnisses gibt es kein einziges grünes Blatt. Im gesamten Gefängnis gibt es nur ein Amphitheater, das sich in Abteilung eins befindet, und die Gefangenen in den anderen Abteilungen können es nicht benutzen, weil es verboten ist, in andere Abteilungen zu gehen. Unsere einzigen persönlichen Gegenstände sind eine Hose, ein Hemd und Schuhe für die Gerichtsverhandlungen. Wenn man das Gefängnis betritt, bekommt man ein Unterhemd, eine Unterhose, ein Handtuch und ein Shampoo. Alle 40 Tage erhält jeder Gefangene ein kleines Shampoo, Handseife und 2,7 Kilo Zuckerwürfel als Gefängnisration. Geschirrspülmittel, Zahnbürste, Zahnpasta und ein zusätzliches Handtuch muss man selbst kaufen.
Die Gefangenen der Abteilungen eins und vier (Diebstahl und Raubdelikte) haben kein Geld, um etwas zu kaufen. Manchmal benutzen vier Personen das gleiche Handtuch und tragen sogar die Kleidung der anderen … Um in den Werkstätten für Holzschnitzerei, Schreinerei, Malerei und Mosaik zu arbeiten, müssen die Gefangenen einen Antrag ausfüllen, der vom Gefängnisrat genehmigt werden muss. Aber es gibt viele Bewerber und nur wenige freie Stellen in den Werkstätten. So sind die Gefangenen dazu verurteilt, arbeitslos zu bleiben und sich mit nichts zu beschäftigen.
Die Ärzte hier wurden in die Krankenstation des Gefängnisses geschickt, weil sie entweder wegen Verstößen gerügt wurden oder weil ihnen die ärztliche Zulassung entzogen werden sollte. Ihre einzige Sorge ist es, am Ende der Arbeitszeit rechtzeitig den Abholservice zu erwischen, selbst wenn ein Gefangener auf dem Sterbebett liegen sollte. Ein Häftling ging zum Gefängniszahnarzt, um sich einen Zahn ziehen zu lassen, und die Hälfte des Zahns blieb in seinem Mund und verrottet.
Obwohl so viele Gefangene hier leben, haben wir keinen Rat zur Beilegung von Streitigkeiten. Dabei schreibt das Statut der Gefängnisorganisation das vor. Die mit den Fällen betrauten Richter sind nicht ein einziges Mal gekommen, um sich die Umstände eines Häftlings anzusehen. Wenn sie kommen und die Bedingungen in diesem Gefängnis sehen würden, würde die Hälfte der Gefangenen freigelassen werden. Selbst der Vertreter des Leiters des Justizwesens hat dieses Gefängnis noch nie besucht. Auch hat noch kein Vertreter des Justizministers den Fuß in dieses Gefängnis gesetzt. Es kommen nur der Staatsanwalt von Teheran und der Leiter der Staatsanwaltschaft, was uns nichts nützt. Wir haben Fehler gemacht, aber ist die Strafe für diese Fehler eine Gefängnisstrafe von sieben Jahren, 18 Jahren? Wie sollen wir in die Gesellschaft und zu unserer Familie zurückkehren? Sieben Jahre Haft, 18 Jahre Haft, was nützt das dem Kläger? Mein Kind ist jetzt 18 Jahre alt. Wenn ich nach Hause zurückkehre, wird er mich nicht mehr kennen. Und er sollte mich nicht kennen. Ich habe mit einem Dieb zusammengelebt, der 16 Diebstähle begangen hat, und niemand hat ihn gefragt: Junger Mann, warum hast du 16-mal gestohlen? Gefängnis und Gefangenschaft bedeuten nicht Bestrafung.“
Die Einsamkeit bleibt für immer an ihnen haften
Regierungen fragen einen Dieb nicht, warum er gestohlen hat. Sie fragen einen Mörder nicht, warum er eine Person getötet hat, warum er gefälscht und betrogen hat. Gemäß den Definitionen der Regierung sind Diebstahl, Mord, Fälschung und Betrug Straftaten, und die Gründe sind nicht zu beantworten, während die Normen und Definitionen der Gesellschaft verbindlich sind. Die russische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch schreibt: „Das größte Leiden ist die Einsamkeit. Weit weg von der Gesellschaft, allein und still.“
Eine Person, die ins Gefängnis kommt, weil sie sich nicht an das ABC der staatlichen Normen gehalten hat, ist selbst nach ihrer Freilassung, selbst in Gesellschaft ihrer engsten Kumpels, Freunde und Sympathisanten, dazu verurteilt, für den Rest ihres Lebens allein zu sein.
Eine Person, die im Gefängnis ist, in dieser Gruppe von Gleichrangigen, lernt das Leiden der Einsamkeit kennen und spürt, wie dieser Schmerz in jede Faser ihres Wesens eindringt, als ob ein Krebstumor in einer Ecke ihres Daseins keimte, der durch kein Gegenmittel neutralisiert und eingedämmt werden kann. Ein Gefangener ist jener kleine Stern, dessen Flimmern wir heute in einer Entfernung von Millionen Lichtjahren sehen. Im iranischen Film „So weit, so nah“ antwortete der Sohn des berühmten Neurologen dem Arzt der Dorfgemeinde: „Viele dieser Sterne, die wir heute sehen, sind schon lange tot, nur wissen wir es nicht.“
Übersetzung aus dem Persischen: Farsin Banki, Redaktion: Thembi Wolf und Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Lisa McMinn; Audioversion: Iris Hochberger
Wir bedanken uns für die freundliche Zusammenarbeit mit dem Schweizer Magazin REPORTAGEN.