Ich schreibe diese Zeilen, während immer mehr ukrainische Städte Raketenangriffe melden. Unter anderem Kyjiw, Lwiw und Dnipro traf es am Morgen. Saporischschja war schon in der Nacht zu Sonntag bombardiert worden. In fast allen Landesteilen heulen die Sirenen. Das ist sie wohl, die „Vergeltung“ für die Explosionen auf der Krim-Brücke, die Russland angekündigt hatte. Um diese berühmte Brücke zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland geht es heute in diesem Newsletter. Außerdem beantworte ich die Frage, ob die EU Russen aufnehmen sollte, die nicht in den Krieg ziehen wollen, und gebe dir wie immer eine Portion Hoffnung mit.
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Was ist gerade wichtig?
Am Samstagmorgen gab es eine Explosion und einen Brand auf der Krim-Brücke. Sie verbindet russisches Festland mit der von Russland annektierten Halbinsel Krim. Nach russischen Angaben soll eine Bombe auf einem LKW explodiert sein, drei Menschen starben. Russland reagierte darauf offenbar mit Vergeltungsschlägen, heute morgen wurden zahlreiche Menschen verletzt und getötet.
Der Verkehr auf der Krim-Brücke rollt wieder, doch natürlich bleibt die Frage: Wer wars? Und warum spielt die Brücke überhaupt so eine große Rolle?
Warum ist die Krim-Brücke so wichtig?
Kurz: Sie ist ein wichtiger Teil von Russlands Logistik. Einerseits wird die Krim selbst über die Brücke versorgt, beispielsweise mit Lebensmitteln und Benzin. Andererseits beliefert Russland seine Truppen in der Südukraine, etwa in Cherson oder Saporischschja, über die Krim-Brücke.
Noch wichtiger aber ist die Symbolik: Für viele Ukrainer:innen ist die Brücke das Zeichen der Annexion durch Russland. Nachdem Russland die Halbinsel 2014 völkerrechtswidrig annektiert hatte, unterbrach die Ukraine alle Versorgungslinien über das Festland. Wollte man also Waren oder Personen zwischen Russland und der Krim befördern, musste man das Flugzeug oder die Fähre nehmen. Deshalb baute Russland die 19 Kilometer lange Brücke, die das Festland in Südrussland mit der Krim verbindet. Sie wurde 2018 eröffnet und ist so etwas wie Putins persönliches Projekt: Bei der Eröffnung fuhr er persönlich als Erster über die Brücke. Verantwortlich für das 3,6 Milliarden Euro teure Projekt war übrigens ein Kindheitsfreund Putins: der Oligarch Arkadi Rotenberg.
Putin beschuldigt ukrainische Geheimdienste, für die Explosion verantwortlich zu sein. Wolodymyr Selenskyj äußerte sich zunächst nicht direkt dazu. Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podoljak sieht Russland selbst in der Verantwortung, weil der LKW, der die Explosion verursachte, von der russischen Seite auf die Brücke gefahren sei. Nach Informationen der Zeitung Ukrajinskaja Prawda steckt der ukrainische Geheimdienst SBU hinter dem Anschlag. Der SBU äußerte sich nicht offiziell dazu, postete aber in den sozialen Netzwerken ein ziemlich eindeutiges Gedicht über die Brücke. Es endet mit den Worten: „Der SBU trifft.“
Die Frage der Woche
KR-Mitglied Lisa fragt: „Sollte die EU Russen aufnehmen, die vor der Mobilisierung flüchten, und ihnen Asyl gewähren?“
Bevor ich diese Frage beantworten kann, stellt sich eine andere: Schaffen die Russen es überhaupt in die EU? Rund 700.000 Russen haben seit dem 21. September, als die „Teilmobilmachung“ ausgerufen wurde, das Land verlassen. Das berichtet die russischsprachige Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes unter Berufung auf eine Quelle im Kreml. Wie viele davon aus touristischen Gründen ausgereist sind und wieder zurückkehren wollen, ist nicht bekannt. An den Grenzen zu Ländern wie Georgien und Kasachstan bildeten sich lange Staus.
Doch Deutschland erreichen die meisten Russen gar nicht. Flüge gibt es schon lange keine mehr und über den Landweg kommen sie nicht nach Deutschland, weil die EU-Nachbarländer von Russland – Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen – die Einreise russischer Bürger:innen stark eingeschränkt haben.
Die Antwort auf die Frage, ob die EU die flüchtenden Russen aufnehmen sollte, stellt sich trotzdem. Für den Fall, dass es Einzelne doch bis hierher schaffen. Und sie hat eine rechtliche und eine moralische Komponente. Rechtlich gesehen können Personen, die aus dem Militärdienst in Russland desertieren, in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt werden. Das schreibt der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg in einer Einschätzung. Auch wer noch nicht einberufen wurde, aber im wehrpflichtigen Alter ist, würde wahrscheinlich den Flüchtlingsstatus bekommen.
Dagegen spricht die moralische Komponente: Nicht alle Russen, die der Mobilisierung entkommen, sind auch gegen den Krieg. Möglicherweise unterstützen sie den Krieg gegen die Ukraine, möchten aber nicht selbst darin sterben. Manche befürchten, dass die fliehenden Männer ihr problematisches Gedankengut nicht an der Grenze ablegen: die Feindschaft gegen Ukrainer:innen, die kolonialistischen Vorstellungen oder gar die heimliche Unterstützung Putins. Manche finden auch, dass die betroffenen Männer in Russland bleiben und dort gegen Putins Regime protestieren sollten.
Wenn wir die Frage moralisch beantworten, könnte das hier ein Kompromiss sein: Wir sollten niemandem pauschal unterstellen, Putin-Unterstützer zu sein und ihm deshalb verwehren, einen Asylantrag zu stellen. Einige, die Russland jetzt verlassen, hatten vielleicht vorher kein Geld oder wollten Angehörige nicht zurücklassen und nutzen jetzt die letzte Gelegenheit zu fliehen. Auf der anderen Seite sollten wir nicht erwarten, dass alle, die dann kommen, Russland und Putin so kritisch sehen wie wir.
Die Links der Woche
Glück im Unglück: Aus den Lecks in den Nord-Stream-Pipelines ist weniger Gas ausgetreten als befürchtet. Forscher:innen hatten zuvor vor einer Katastrophe fürs Klima gewarnt. Mit dem Thema Gas hat sich auch meine Kollegin Katharina Mau beschäftigt: In diesem Text erklärt sie, wie man es schafft, dass das eigene Haus weniger Energie verbraucht – und die Heizkosten trotz hoher Preise nicht ins Unermessliche steigen.
Die Hoffnung der Woche
Hryhoriy Yanchenko ist wahrscheinlich der berühmteste Veteran der Ukraine. Der 75-Jährige war früher Fallschirmspringer und hat beide Beine und mehrere Finger verloren. Er kommt aus Cherson, der Stadt, die seit Monaten von Russland besetzt ist. Doch davon ließ sich Yanchenko nicht einschüchtern: Regelmäßig fuhr er mit dem Rollstuhl durch die Stadt, spielte über einen Lautsprecher patriotische Lieder und sammelte Geld für die ukrainische Armee. Inzwischen ist er nach Saporischschja geflohen, hat aber vorher nach eigenen Angaben mehr als 16.000 US-Dollar gesammelt. In der Bildunterschrift steht: „Unser Held aus Cherson.“
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert