Heute geht es um die „Teilmobilmachung“ in Russland und welche Folgen das für den Krieg in der Ukraine hat. Außerdem erkläre ich, welche Argumente es gegen Waffenlieferungen in die Ukraine gibt und gebe dir eine kleine Portion Hoffnung mit.
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Was ist gerade wichtig?
Wladimir Putin hat eine „Teilmobilmachung“ der russischen Streitkräfte angekündigt. 300.000 Reservisten sollen nach Angaben des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu mobilisiert werden. Viele vermuten aber, dass es noch viel mehr werden könnten. Insgesamt hat Russland 25 Millionen Reservisten. Das bedeutet konkret, dass im ganzen Land Männer eingezogen werden, um im Angriffskrieg gegen die Ukraine zu kämpfen – ob sie wollen oder nicht.
Was bedeutet das für den Krieg?
Erstens bedeutet es, dass Putin nun Schwäche gezeigt hat. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem „Akt der Verzweiflung“ und da ist was dran. Bei Putin und seinem engen Umfeld scheint angekommen zu sein, dass Russland den Krieg verlieren könnte, wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert. Es bedeutet auch, dass sich lange nicht genug Freiwillige gemeldet haben, um gegen die Ukraine zu kämpfen. Die erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine in den vergangenen Wochen hat wahrscheinlich viele davon abgehalten, sich freiwillig zu melden. Niemand will zu einer Armee, die verliert.
Zweitens bedeutet es, dass die Situation in Russland instabiler wird. In mehreren Städten sind Demonstrierende auf die Straße gegangen, aber was noch wichtiger ist: Jede Familie, die einen Bruder, Vater oder Onkel hat, ist von der „Teilmobilmachung“ potentiell betroffen. Die unausgesprochene Abmachung zwischen Putin und der Bevölkerung, dass man sich aus der Politik heraushält und dafür ein stabiles, sicheres Leben hat, ist jetzt Vergangenheit. Es sieht zwar nicht so aus, als würde Putin nächste Woche gestürzt werden, aber die Unterstützung für den Krieg gegen die Ukraine hat in Russland einen Riss bekommen.
Wichtig ist an dieser Stelle, dass überdurchschnittlich viele Männer aus ethnischen Minderheiten eingezogen werden, zum Beispiel aus der Republik Burjatien an der Grenze zur Mongolei. Schon vorher kämpften auffällig viele Männer aus entlegenen und oftmals bitterarmen Regionen Russlands in der Ukraine. Das liegt zum einen daran, dass Männer ohne Geld und Perspektive eher bereit sind, einen Vertrag mit der russischen Armee zu unterschreiben. Manchmal ist es ihre einzige Möglichkeit, überhaupt Geld zu verdienen. Zum anderen betrifft der Krieg dadurch weniger die politisch aktivere Bevölkerung in Moskau oder Sankt Petersburg. Eine Untersuchung der russischen regimekritischen Zeitung Mediazona zeigt, dass die meisten verstorbenen russischen Soldaten aus armen Regionen kommen, in denen ethnische Minderheiten leben. Die wenigsten kommen aus Moskau oder Sankt Petersburg.
Drittens hat die „Teilmobilmachung“ natürlich Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Krieges. Wie genau, das lässt sich noch nicht absehen. Zwar werden gerade sehr viele Soldaten mobilisiert, doch die müssen auch alle versorgt werden. Sie brauchen Ausrüstung, Essen und müssen an die Front gebracht werden. Und die russische Armee hatte in den vergangenen Monaten ziemlich oft Logistikprobleme.
Die Frage der Woche
KR-Mitglied Béla fragt: „Was genau sind die Argumente gegen Waffenlieferungen aus Deutschland?“
Hätte vor einem Jahr jemand die Deutschen gefragt, ob sie Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet befürworten, hätte sich wohl eine große Mehrheit dagegen ausgesprochen. Doch heute findet fast ein Viertel der Deutschen, dass die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine „nicht weit genug“ gehen, so das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Befragung. Es kommt nunmal darauf an, gegen wen die Waffen eingesetzt werden sollen.
Die Kritiker:innen von Waffenlieferungen, laut der Studie 32 Prozent der Befragten, befürchten allerdings, dass Putin Deutschland als Kriegspartei betrachtet und Deutschland in eine militärische Auseinandersetzung mit Russland gezogen wird, sobald wir noch mehr und noch stärkere Waffen liefern. Vor allem vor einem Atomkrieg mit Russland fürchten sich viele. Putin droht immer wieder sehr deutlich mit dem Einsatz von Atomwaffen, zuletzt in seiner Ansprache vom vergangenen Mittwoch.
Dem halten Befürworter:innen entgegen, dass man durch Waffenlieferungen völkerrechtlich nicht zur Kriegspartei wird und die Nato für Putin schon längst Kriegspartei sei. Tatsächlich ist in den russischen staatlich kontrollierten Medien schon seit Monaten sehr deutlich die Rede davon, dass Russland in der Ukraine ja eigentlich gegen die Nato kämpfe.
Das zweite Argument der Gegner:innen ist, dass Waffenlieferungen den Krieg und damit das Leid der Menschen nur in die Länge ziehen würden. Oberstes Ziel solle es sein, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, auch wenn das zum Beispiel Gebietsverluste bedeutet. Dem entgegnen Befürworter:innen von Waffenlieferungen, dass die Ukrainer:innen in von Russland besetzten Gebieten ebenfalls leiden. Aus Städten wie etwa Cherson gibt es Berichte von Entführungen und Folter durch die russischen Besatzer.
Das dritte Argument ist, dass Deutschland selbst nicht genug Waffen hat. Manche Militärs sprechen sich gegen die Lieferung bestimmter Waffen an die Ukraine aus, weil sie befürchten, dass sich die Bundeswehr dann selbst nicht mehr verteidigen kann. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes André Wüstner befürchtet eine „Kannibalisierung unserer Truppe“. Er ist gegen die Lieferung von Waffen und Munition, könnte sich aber vorstellen, Schützenpanzer aus den Beständen der Industrie abzugeben.
Das vierte Argument, wenn es um die Lieferung schwerer Kampfpanzer geht, ist, dass Deutschland keine „Alleingänge“ machen will. Das betont Bundeskanzler Scholz immer wieder. Weder die USA, Großbritannien oder Frankreich liefern bisher Panzer westlicher Bauart. Teile der Ampel-Koalition wollen der Ukraine aber Kampfpanzer liefern und wünschen sich, dass Deutschland eine Führungsrolle einnimmt.
Die Links der Woche
Das Journalismusprojekt Correctiv hat recherchiert, wie wir von russischem Gas abhängig werden konnten. Es legt ein riesiges Netzwerk offen, darunter Lobbyist:innen, Politiker:innen, Vereine, Stiftungen und Energiekonzerne. Die ganze Recherche ist hier nachzulesen. Mein Kollege Rico Grimm hat sich überlegt, wie die neue Energie-Weltkarte aussieht, jetzt, wo wir Gas und Öl aus anderen Ländern beziehen.
Die Hoffnung der Woche
Der Direktor des Zoos in Odessa hat ein Video aufgenommen, in dem er sich für die Unterstützung seines Zoos in Kriegszeiten bedankt. Während er spricht, springen ständig zwei Wölfe an ihm hoch, die ihn offensichtlich sehr gerne mögen. Süß!
https://twitter.com/i/status/1571250356637646848
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger