Was ist denn da in Schweden los, die Konservativen und die Rechten haben die Wahl gewonnen?
Ja, am Mittwochabend wurden nach einem dreitägigen Wahlkrimi endlich die Ergebnisse verkündet. Das rechte Lager kommt auf 175 Sitze – das linksgerichtete auf 174.
Irre!
Ja, aber nicht überraschend. Schweden hat schon lange gewisse Probleme. Die Preise steigen auch hier, das Land bekommt die Bandenkriminalität in vielen Vororten nicht in den Griff, vielerorts führt das zu Rassismus – und nun eben zu diesen Wahlergebnissen.
Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten haben bei den Parlamentswahlen in Schweden 20,6 Prozent erreicht. Ein Fünftel der Stimmen! Rückt das Land nun nach rechts?
Vermutlich schon. In der Nacht zu Donnerstag hat die bisherige sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson ihre Niederlage endgültig eingestanden. Das rechts-konservative Lager, zu dem auch die Schwedendemokraten gehören, feiert jetzt. Die Partei wird ihre Forderungen selbstbewusster und lauter vortragen als je zuvor und versuchen, in der Regierungskoalition Einfluss zu nehmen – das ist sicher.
Wie funktioniert das schwedische Wahlsystem überhaupt?
Das Land ist eine parlamentarische Monarchie. Es gibt also keine Präsident:in, sondern eine Königsfamilie und ein:e Ministerpräsidentin, die dem Parlament vorsitzt. Die Mitglieder des Parlaments werden alle vier Jahre gewählt. Die Menschen in Schweden sind eigentlich Demokratie-Fans. Die Wahlbeteiligung ist zumindest sehr hoch, sie lag bei dieser Wahl bei 83 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl haben 76,6 Prozent der Deutschen ihre Stimme abgegeben.
Das schwedische Nationalparlament besteht aus 349 Sitzen, davon werden 310 Sitze in Mehrpersonenwahlkreisen als Direktmandate verteilt. Die restlichen 39 Sitze sind Kompensationssitze, die kleineren Parteien eine Chance bieten, welche nicht über die Vier-Prozent-Hürde kommen.
Dann gibt es vermutlich viele Parteien im Parlament?
Ja, zur Zeit sind es acht. Es ist typisch für Skandinavien, dass sich mehrere Parteien zu einer Koalition zusammentun. Und auch, dass mehrere Parteien eine Regierungskoalition oder Regierungspartei „tolerieren“. Das heißt, sie stimmen nicht gegen sie ab, tragen aber auch keine Verantwortung für deren politische Entscheidung. Das nennt sich Konsenskultur.
Wann wird Schweden eine neue Regierung bekommen?
Am 26. September wird der Parlamentspräsident die erste Wahl einer Regierungschefin oder eines Regierungschefs ausrufen.
Und wer wird Ministerpräsident:in?
Das steht eben noch nicht fest. Die Wahlergebnisse waren knapp. Gewonnen hat das rechtskonservative Lager, der sogenannte blaue Block. Das sind vier Parteien, die sich vor der Wahl zusammengetan haben. „Die Moderaten“, eine konservativ-liberale Partei, bekam 19,1 Prozent. Ihr Parteichef Ulf Kristersson will auch Regierungschef werden, in Koalition mit den „Christdemokraten“ (5,3 Prozent), einer Partei mit freikirchlichen Wurzeln, welche ein wenig konservativer ausgerichtet ist. Dann gibt es noch „Die Liberalen“ (4,6 Prozent) und schließlich die Schwedendemokraten. Die beiden letzteren sollen die Koalition „tolerieren“.
Wieso schließen sich die Moderaten und die Christdemokraten zusammen, wenn doch die Schwedendemokraten die stärkste Partei sind?
Die Schwedendemokraten gelten wegen ihrer extremistischen Vergangenheit als nicht koalitionsfähig. Auf die Schwedendemokraten komme ich noch näher zu sprechen. Kristersson musste im Vorfeld versprechen, dass er kein Bündnis mit den Schwedendemokraten eingeht. Denn sonst hätte er viele seiner bürgerlichen Wähler verschreckt.
Kann das gut gehen? Wie groß wird denn diese Koalition?
Sie können gerade 176 Sitze von 349 beanspruchen, die Koaltion ist also gewagt klein. Vermutlich müssen die Regierungsparteien viele Zugeständnisse gegenüber den Schwedendemokraten machen und es ist unklar, ob diese wirklich kooperationswillig sind.
Wer ist denn dieser Ulf Kristersson? Was ist sein Wahlversprechen?
Die Moderaten versprechen wie alle rechtsgerichteten Parteien mehr Sicherheit, mehr Polizei. Dazu muss man wissen: Seit Anfang des Jahres haben in Schweden bereits 47 Menschen in Schießereien ihr Leben verloren. Kriminelle Banden, die vornehmlich Mitglieder mit ausländischen Wurzeln haben, kämpfen in den Vororten um die Drogenreviere. Der 58-jährige Kristersson will straffällige Migrant:innen rasch ausweisen, das Asylrecht einschränken, das Zeugenschutzprogramm einführen.
Das klingt nach Law und Order.
Ja, das ist es auch. Fast alle Parteien haben sich das von den Schwedendemokraten abgeguckt.
Und neben der Sicherheitspolitik? Was ist mit dem Klimawandel?
Als Rezept für das Klima und die Energiekrise setzt Kristersson auf Atomkraft, ein weiterer Reaktor soll gebaut werden; die Sozialdemokraten wollten die bestehenden Anlagen vorerst laufen lassen. Ansonsten wollen sie Steuern senken und Arbeitsrechte auflockern, um mehr Jobs zu schaffen.
Die bisherige Regierungschefin Magdalene Andersson hat ausgiebig davor gewarnt, dass die Schwedendemokraten die Demokratie gefährden.
Ja, das hat sie. Manche Journalist:innen werfen ihr allerdings vor, dass sie die Wahl damit zu einer Art Volksabstimmung über die Schwedendemokraten gemacht hatte. Davon waren viele Wähler:innen genervt.
Die Sozialdemokraten, das ist die schwedische Traditionspartei, erreichte immerhin 30,4 Prozent.
Stopp, dann waren sie ja die erfolgreichste Partei! In Deutschland ist das doch meist auch die Partei, die die Regierung bilden darf!
Wir sind aber in Schweden und hier geht es neben den Parteien eben auch um die Blockbildung. In Deutschland muss ja die stärkste Partei auch Koaltionspartner finden, wenn sie nicht allein auf eine Mehrheit kommt – sonst regiert sie nicht. Der rote Block, das linksgerichtete Lager mit ebenfalls vier Parteien, hat jedenfalls insgesamt zu wenig Unterstützung bekommen.
Die Grünen schafften gerade mal 5,1 Prozent, das Thema Klima war nicht so stark vertreten im schwedischen Wahlkampf, wohl wegen der Energiesorgen. Die Linkspartei und die liberale „Zentrumspartei“ kamen beide auf 6,7 Prozent. Eigentlich gehörte letztere zur bürgerlichen Gruppe. Doch Parteichefin Annie Lööf wollte unbedingt einen Einfluss der Schwedendemokraten verhindern. Am Ende hing es an drei Sitzen.
Was genau wollen diese Schwedendemokraten?
Die Schwedendemokraten sind eine Partei, die sich selbst als „sozial-konservativ“ bezeichnet, sie nennt sich jedoch auch „nationalistisch“. Sie wurde 1988 teils von Neonazis gegründet, aber auch von einem Altnazi, von Gustaf Ekström, der im Zweiten Weltkrieg als Mitglied der Waffen-SS kämpfte und zudem in einer Propaganda-Abteilung der SS in Berlin wirkte.
Ihr primäres Ziel war, Zuwanderung zu verhindern und Einwanderer auszuweisen. Ab Mitte der neunziger Jahre versuchten sie, bürgerlicher aufzutreten. Jimmie Akesson, der seit 2006 als Parteichef wirkt, ersetzte das Fackellogo der Partei mit dem Leberblümchen, einer unschuldig aussehenden Heilpflanze in den Nationalfarben blau und gelb, und schmiss einige Extremisten heraus.
Das half?
Wie man sieht! Die Anhängerzahl der Partei wuchs seitdem jedenfalls ständig.
Woran liegt das?
Zunächst einmal an Akesson selbst. Er lebt seit seiner Jugend vor allem für die Partei. Er schloss deshalb sein Volkswirtschaftsstudium nicht ab, ist aber ein vielseitiger Rhetoriker. Bei seinen Auftritten kann er wie ein netter Schwiegersohn wirken, trifft er auf andere Politiker, konfrontiert er sie aber gerne als strenger Anwalt des schwedischen Volkes mit deren Verfehlungen. Bei vielen Debatten erscheint er als Gewinner, das gestehen ihm auch liberale Medien zu. Gleichzeitig hält der 43-Jährige weiter Kontakte zum radikaleren Milieu, wie zu der Rechtsband „Ultima Thule“.
Warum sind die Schwedendemokraten ausgerechnet jetzt so erfolgreich?
Der kurdischstämmige Ökonom Tino Sanandaji, der als Neunjähriger mit seinen Eltern aus dem Iran nach Schweden kam, erklärte es mir einmal so: Als die Schwedendemokraten 2010 in das Parlament einzogen, einigten sich die dortigen Parteien diese strikt zu meiden. Dabei mieden sie lange auch deren Thema: Die Probleme mit der Integration. Somit konnten die Rechten allerdings argumentieren, dass die Sorgen der Schwed:innen nicht ernst genommen würden – allein sie würden die wirklichen Probleme ansprechen. Und: Das Thema Sicherheit war in diesem Wahljahr ausschlaggebend, vor allem Jungwähler und Frauen liefen dieses Mal der Partei zu.
Du sprachst anfangs von Bandenkriminalität – das spielt den Schwedendemokraten jetzt also in die Hand?
Sie glauben, mit harter Hand gegen die Bandenkriminalität vorgehen zu können. So wollen sie kriminelle Ausländer in die Gefängnisse der Herkunftsländer abschieben und kein Asyl mehr gewähren. Benzinpreise und Stromkosten sollen gesenkt und die Ausgaben für die Wohlfahrt erhöht werden. Sie argumentieren, der schwedische Staat könne dies umsetzen, wenn er nur aufhöre, Gelder für andere Länder auszugeben, für humanitäre Projekte etwa.
Galt Schweden nicht als eine Art Musterland? Viele deutsche Medien wundern sich, dass in „Bullerbü“ nun geschossen wird.
Ja, Schweden ist bekannt für sein Wohlfahrtssystem, bei dem sich der Staat umfassend um seine Bewohner kümmert. Astrid Lindgrens Kinderbücher haben das Ansehen des Landes stark geprägt, vor allem in Deutschland. Allerdings ist das ein wenig einfältig, ein Kinderbuch als Projektion für Schweden zu nutzen und sich jedesmal zu wundern, dass die Realität dort anders aussieht. Wir sind ja alle keine Grundschulkinder mehr.
Gut, wo hapert es dann mit der Integration?
Darauf gibt es viele Antworten. Es liegt wohl auch an eben jenem Wohlfahrtssystem.
Viele Einwander:innen stört, dass Schweden und die schwedischen Behörden sie wie Kinder behandeln, die dankbar sein sollen, im Wohlfahrtsstaat angekommen zu sein und umsorgt zu werden. An ihren Kompetenzen sei der Staat weniger interessiert, es gebe zu viel Bürokratie.
Und was ist los in diesen Vororten?
Das Problem dort ist die„Segregation“. Das heißt, dass in einer Wohngegend vor allem eine soziale oder ethnische Gruppe dominiert. Die Vororte sind oft Bauprojekte des „Millionenprogramms“. Der schwedische Staat entschied Mitte der Sechziger Jahre, eine Million Wohnungen zu bauen, zumeist am Rand von Mittel- und Großstädten, um dem Platz- und Wohnbedarf gerecht zu werden. Manche bestehen aus hohen Wohnblocks, manche aus Flachbauten, Reihenhäuser, es gibt keine Regel. Oft findet sich dort viel Grün, an ihren Rändern beginnt eine Kuhweide oder Wald.
Dort siedelten sich zunehmend viele Einwander:innen und Asylsuchende an, Schwedens Sozialdemokraten etablierten in dieser Zeit eine großzügige Asylpolitik. Die meisten Schweden ohne Migrationshintergrund zogen allerdings weg. Und umso mehr Einwanderer in den Stadtteilen lebten, desto billiger wurde der Wohnraum, was weiterhin Migrant:innen anzog. Heute sind viele der von Gewalt betroffenen Vororte eben jene Stadtteile, die zwischen 1965 und 1974 gebaut wurden.
Vielleicht hierzu ein paar Zahlen: Die Polizei in Schweden definiert 19 „besonders betroffene Gebiete“ – Stadtteile mit hoher Kriminalität und Arbeitslosigkeit, und absteigend 14 „Risikogebiete“ sowie 28 „betroffene Gebiete“.
Was schlagen denn die linksgerichteten Parteien vor, wie sie mit dem Problem umgehen?
Die Sozialdemokraten versprachen, mehr in Bildung dort zu investieren. Aber auch eine zwanghafte Umsiedlung wurde diskutiert. Die Moderaten sprachen das Thema nicht direkt an.
Was wird dort bisher konkret unternommen, damit die Situation sich verbessert?
Es gibt engagierte Menschen, welche in Privatinitiativen wirken, wie solche, die für die Kommune arbeiten. Kommunen sind in Schweden die wichtigste Verwaltungseinheit, nicht die Städte. So habe ich in Vivalla, dem berüchtigtsten Vorort der Provinzstadt Örebro, den in Eritrea geborenen Jonas Mesmer getroffen, der eine Arbeitsvermittlung gegründet hat.
Jonas wohnt vor Ort und kann auf die speziellen Eigenheiten der Bewohner eingehen. Er hält das schwedische System des Spracherwerbs für zu bürokratisch und überholt, viele scheiterten an der sogenannten SFI-Sprachprüfung, die notwendig für die offizielle Arbeitssuche ist. Außerdem seien Kontakte in Schweden sehr wichtig, um einen Job zu bekommen und diese hätten die Bewohner von Vivalla nicht. Die Leute verzweifeln daran, dass sie erfolglos nach einem Job suchen – und so erhalten die Banden Zulauf.
Die Polizei und die Initiative „Mamas dieser Welt“, die Frauen in diesen Vierteln unterstützt, versuchen, Menschen aus autoritär regierten Ländern zu vermitteln, wie Schweden „funktioniert“. Sie sollen verstehen, dass sie Pflichten, aber auch Rechte haben. In den Vierteln gibt es auch sogenannte Feldgänger:innen, also Sozialarbeiter:innen und Hilfskräfte, welche herumlaufen und versuchen, mit den Bewohner:innen in Kontakt zu kommen. Viele Bewohner:innen gründen auch selbst Initiativen und laufen bei Dunkelheit das Viertel ab.
In manchen Kommunen gibt es Beamte, die versuchen, Gangmitgliedern beim schwierigen und gefährlichen Ausstieg zu helfen. Aber das ist nicht ungefährlich. Es ist schon vorgekommen, dass Austeiger:innen erschossen wurden.
Was wird sich in diesen Vororten mit der neuen Regierung ändern?
Schwer zu sagen. Die Kommunen haben ja auch ein Wort mitzureden. Aber ein aggressiverer Stil in der Politik wird auf das Klima dort sicherlich einen polarisierenden Einfluss haben.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos und Tarek Barkouni, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger
Wir haben diesen Artikel am 15. September um 17:30 aktualisiert, da wir einen Satz verdreht und somit fälschlicherweise behauptet haben, dass Beamt:innen erschossen worden waren, die Bandenaussteiger:innen Hilfe angeboten hatten. Richtig ist, dass Aussteiger:innen ums Leben kamen. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.