Nachdem ich vergangene Woche in meinem Newsletter noch gezweifelt hatte, war es heute morgen soweit: Das erste mit Getreide beladene Schiff hat den Hafen von Odessa verlassen. Es ist ein Lichtblick angesichts des Hungers in der Welt, den der russische Angriffskrieg verursacht hat. Auch wenn wir noch nicht wissen, ob alles gut geht.
Heute geht es um das Fotoshooting mit Olena Selenska, Wolodymyr Selenskyjs Ehefrau. Außerdem beantworte ich die Frage, ob man mit Russland überhaupt noch Verhandlungen führen kann und gebe dir, trotz vieler trauriger Nachrichten, eine Portion Hoffnung mit.
Für mich geht es jetzt in eine vierwöchige Sommerpause – auch wenn Russlands Krieg in der Ukraine natürlich keine Pause macht. Ab dem 5. September halte ich dich wieder mit allen wichtigen Infos auf dem Laufenden. Bis dahin empfehle ich alle Hintergrundstücke in unserem Zusammenhang: Krieg in der Ukraine – Wie konnte das passieren?. Aktuelle Nachrichten findest du bei Kyiv Independent.
Was ist gerade wichtig?
Die Vogue, eine der einflussreichsten Modezeitschriften der Welt, hat Olena Selenska zum Interview in Kyjiw getroffen. „Ein Porträt des Mutes“ lautet die Überschrift des Artikels über die Ehefrau von Wolodymyr Selenskyj. Die Starfotografin Annie Leibovitz fotografierte Selenska, mal in dominanter Pose im Präsidentenpalast, mal umschlungen von ihrem Ehemann Selenskyj. Viele feierten das Fotoshooting, andere kritisierten es als unangemessen und geschmacklos. „Krieg? Make it Fashion!“ titelte zum Beispiel der Schweizer Tagesanzeiger.
Wie stylisch darf Krieg sein?
Seit Russland die Ukraine überfallen hat, verfolgen wir das nicht nur in den Nachrichten, wir sehen auch Videos von tanzenden Soldat:innen auf Tiktok oder stilisierte Gemälde von Freiwilligen an der Front auf Instagram. Diese Inhalte rufen, wie auch das Fotoshooting mit Selenska, sehr gemischte Reaktionen hervor. Man könnte den Vorwurf oder das Unwohlsein angesichts dieses Contents so formulieren: Wie stylish darf Krieg sein?
Viele von uns haben eine bestimmte Vorstellung vom Krieg, ohne ihn selbst je erlebt zu haben. Grausam, schmutzig, blutig – ohne Zweifel ist der Krieg in der Ukraine meist genau das. Gleichzeitig müssen viele Ukrainer:innen arbeiten gehen, die Wohnung putzen, und ja, vielleicht mal einen schönen Moment erleben, während an der Front Soldat:innen sterben. Das mag widersprüchlich klingen, aber es ist die Realität. In dem Artikel der Vogue ist das so formuliert: „Diese kognitive Dissonanz ist vor allem in Kyjiw zu beobachten, wo man in einem Café einen Matcha trinken und danach eine Stunde nach Butscha fahren kann, um ein Massengrab zu besuchen.“
Außerdem ringt die Ukraine täglich um Aufmerksamkeit und Sympathie. Wenn westliche Staaten wegschauen und keine Waffen mehr liefern, ist die Ukraine Russland ausgeliefert. Deshalb kämpfen Ukrainer:innen an allen Fronten: Mit Videos, Zeichnungen, Liedern und eben einem Fotoshooting in der Vogue. Das kann man geschmacklos finden – aber mit solchen Inhalten erreicht man auch die Menschen, die vielleicht keine Nachrichten schauen und sich sonst nicht für den Krieg interessieren.
Die Frage der Woche
KR-Mitglied Lydia fragt: „Könnten aktuell Verhandlungen mit Russland geführt werden? Wären beide Kriegsparteien dazu bereit?“
Aktuell liegen die Friedensverhandlungen auf Eis. Auch wenn Gespräche theoretisch möglich wären, werden die Hürden mit jedem Angriff und jeder Woche höher. Vielleicht hilft diese Chronik, das zu verstehen:
Mitte Juni sagte der ukrainische Chefunterhändler, dass er Ende August Friedensgespräche mit Russland aufnehmen wolle. Bis dahin wolle sich die Ukraine allerdings mit Gegenangriffen in eine bessere Verhandlungsposition bringen.
Russland wäre prinzipiell zu Friedensgesprächen bereit. Zumindest sagte Wladimir Putin das in einer Rede am 7. Juli. Allerdings behauptete er in derselben Rede, dass der Westen schuld am Krieg in der Ukraine sei – obwohl ja Russland die Ukraine überfallen hat. Und Putin drohte, wie er das gerne tut. Er sagte: „Jeder sollte wissen, dass wir noch gar nicht richtig angefangen haben.“ Es ist die Art von Lügen und Drohungen, wie man sie von Putin kennt, doch mit einem kleinen Hinweis, dass er zu Verhandlungen bereit wäre.
Am 22. Juli betonte der Chef des ukrainischen Präsidialamtes noch einmal, dass die Ukraine erst nach taktischen Siegen im Süden und Osten des Landes an den Verhandlungstisch zurückkehren wolle. Es gehe auch darum, dass das russische Volk frage: „Wofür zahlen wir einen so hohen Preis, nämlich Menschenleben?”
Am 25. Juli macht der russische Außenminister Sergej Lawrow Hoffnungen auf Friedensgespräche wieder zunichte. Er forderte einen „Regimewechsel“ in Kyjiw und erklärte, dass der Kreml die Regierung in der Ukraine stürzen wolle. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Friedensgesprächen. Es ist eine Kampfansage, die man in etwa so übersetzen kann: Entweder ihr gebt auf oder wir schießen weiter, bis wir gewonnen haben. Außerdem hält sich Russland wiederholt nicht an Absprachen. Kürzlich griff Russland den Hafen von Odessa an, obwohl es weniger als 24 Stunden vorher in einem Abkommen zugesichert hatte, die sichere Ausfuhr von Getreide aus dem Hafen der Stadt zu gewährleisten.
Das alles macht Friedensgespräche schwierig. Grundsätzlich kann man sagen: Je besser die Ukraine militärisch dasteht, desto eher sieht sich Russland gezwungen, ernsthaft an Verhandlungen teilzunehmen.
Der Link der Woche
Mit Beginn des russischen Angriffskrieges richtete sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf die russlanddeutsche Community in Deutschland. 2,6 Millionen Menschen leben hier, sie haben Wurzeln in Kasachstan, der Ukraine, Belarus oder Russland. Der Blick auf die Russlanddeutschen ist oft klischeehaft und sie werden, zugespitzt formuliert, als AfD-wählende Putinversteher:innen dargestellt, die sich noch dazu schlecht integriert haben. Diese Doku des Bayerischen Rundfunks hat versucht, die Ängste, Traumata und Probleme der Russlanddeutschen darzustellen – jenseits von Klischees. Und es geht darum, wie die Community mit dem Krieg in der Ukraine und den ukrainischen Geflüchteten in Deutschland umgeht.
Die Hoffnung der Woche
Rund 200 Menschen tanzten bei einem Flashmob auf dem Stephansplatz in Wien, den die ukrainische Choreographin Alena Shoptenko organisiert hatte. Sie hat 2006 mit Tanzpartner Wolodymyr Selenskyj eine ukrainische TV-Tanzshow gewonnen. Shoptenko hat auf Instagram ein Video des Flashmobs gepostet und dazu geschrieben: „Bei dieser Aufführung ging es nicht um Tanz. Es ging um Liebe, Einigkeit und Unterstützung, um menschliche Werte!“
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Thembi Wolf, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert