Natürlich werden in der Fédération Internationale de Football Association (FIFA) keine Arbeitsgruppen gebildet, um den Verband zu revolutionieren. Kommissionen beruft der FIFA-Präsident Joseph Blatter ein, um seinen Willen durchzusetzen. Er nennt es Demokratie. Nach drei Sitzungen also hat die vor einem halben Jahr gegründete „FIFA-Arbeitsgruppe für den internationalen Spielkalender 2018–2024 und die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022“ jenen, nun ja, Vorschlag unterbreitet, den Blatter seit spätestens 2013 favorisiert und den das Exekutivkomitee in seiner Sitzung am 19./20. März absegnen wird: Die Weltmeisterschaft 2022 wird nicht im Juni/Juli ausgespielt, wie es in der Ausschreibung hieß, sondern von Ende November bis kurz vor Weihnachten. Wahrscheinlich findet das WM-Finale am 23. Dezember 2022 statt.
(Das war der Stand bis zum 27. Februar nachmittags. Inzwischen hat Blatter am Rande der Sitzung des über Fußballregelen entscheidenden International Football Association Board IFAB in Belfast einen WM-Finaltermin „spätestens am 18. Dezember“ 2022 genannt.)
Dass diese WM in eine andere Jahreszeit verlegt werden muss, ist seit dem 2. Dezember 2010 klar, als Blatters FIFA-Regierung Katar in einem absurden, von einigen Korruptionsfällen und vielen Hinweisen auf groß angelegte Staatskorruption überschatteten Verfahren zum WM-Gastgeber gemacht hat. Es war immer nur eine Frage des Geldes. Die meisten der 209 Nationalverbände hat Blatter hinter sich, da wird sich auch jetzt kein Widerstand regen. Viele Verbände haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewaltig von den Reichtümern der katarischen Herrscherfamilie Al-Thani profitiert. Katar hat ganze Erdteile mit zahlreichen sogenannten Entwicklungshilfeprojekten überschwemmt. Katar hat 1998 und 2002 Blatters Wahlkämpfe finanziert. Mohamed Bin Hammam, der lange Zeit wichtigste Fußballfunktionär Katars, hat nachweislich viele Dutzend Funktionäre vor allem aus Asien, Afrika und Amerika geschmiert. Die Abhängigkeiten sind gewaltig. Wie das läuft, weit über den Fußball hinaus, habe ich kürzlich in diesen Texten skizziert:
- FIFA-Präsidentschaft: eine schrecklich nette Familie
- Katar, Petrodollars und die Journalisten
- Supermacht mit Petrodollars: Katars Expansionspolitik im Sport
Im November 2014 hatte der Münchener Strafrichter Hans-Joachim Eckert, Vorsitzender der rechtsprechenden Kammer der FIFA-Ethikkommission, die seltsamen hausinternen Korruptionsermittlungen gegen Katar eingestellt – und gleichzeitig den nicht minder verdächtigen russischen WM-Gastgebern 2018 einen Persilschein ausgestellt. Mit dem bevorstehenden Beschluss, die WM 2022 an das Jahresende zu verlegen, schafft die FIFA weitere Fakten. Inzwischen traf sich das WM-Organisationskomitee mit der FIFA-Administration zu einer ersten Sitzung. An dieser WM wird nicht mehr gerüttelt.
In Medien wurde oft kolportiert, Blatter wolle die WM nicht in Katar. Er hat die Entscheidung sogar öffentlich als Fehler bezeichnet. Allerdings verbietet es sich, Blatters Worten zu trauen. Sein Geschwätz von gestern hat Blatter noch nie interessiert, er ist für seine Wendigkeit berüchtigt. Blatters Aufstieg und sein Machterhalt in der FIFA war und ist untrennbar mit der Erbmonarchie der Al-Thanis verbunden. Es handelt sich quasi um eine lebenserhaltende Symbiose. Wenn das Exekutivkomitee Mitte März in Zürich die WM-Verlegung beschließt, wird Blatter wieder über die „Einheit der Fußballfamilie“ fabulieren. Auf dem FIFA-Wahlkongress Ende Mai wird er die Lösung der Katar-Frage für sich reklamieren und seine drei verbliebenen Herausforderer deutlich distanzieren.
Der Wahnsinn hat Methode. Denn es war Blatter, der ab 2008 gemeinsam mit Generalsekretär Jérôme Valcke den abstrusen Doppelentscheid über die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 eingeleitet hat. Ohne Blatter hätte es die WM in Katar nie gegeben. Man sollte da schon bei der Wahrheit bleiben.
Inzwischen schreiten die Baumaßnahmen für die WM-Stadien und gigantische Infrastrukturprojekte voran. Weit mehr als 200 Milliarden Dollar werden investiert. Den anhaltenden Widerstand von Menschenrechtsorganisationen (Amnesty International, Human Rights Watch) und Gewerkschaften (IGB-Bericht „The case against Qatar“) wegen des sklavenhalterähnlichen Kafala-Systems sowie den Aufruf des Kulturausschusses des Europarats, die WM neu zu vergeben, wird die FIFA routiniert abwehren.
Vielfältige Kompensationszahlungen
Gelegentliche Kritik von Sponsoren aus dem TV-Gewerbe wird ebenfalls verstummen. Das wird so geregelt wie im Fall des Networks Fox aus dem Reich des Rupert Murdoch. Fox hält in den USA auch die milliardenschweren Rechte an der National Football League (NFL, American Football) und musste bei einer WM-Verlegung finanzielle Einbußen befürchten. Denn zum Ende eines jeden Jahres geht die NFL-Saison in die entscheidende Phase. Das musste berücksichtigt werden. 2014 endete die Regular Season der NFL am 28. Dezember, eine Woche später begannen die NFL-Playoffs. 2022 muss Fox die NFL- und die WM-Übertragungen abgleichen. Die FIFA kam Fox vor wenigen Tagen deshalb mit einem weiteren WM-Vertrag zu günstigen Konditionen entgegen: Ohne Ausschreibung und damit auch ohne Konkurrenzangebote einzuholen, verlängerte die FIFA mit Fox bis zur WM 2026. Zahlen wurden nicht genannt. Von Fox wird man kein Wort des Widerspruchs mehr hören.
Andere TV-Anstalten dürften ebenfalls auf die eine oder andere Art kompensiert werden. ARD und ZDF beispielsweise, die Mitte vergangenen Jahres in der heißesten, weltweiten Diskussion über Korruption und Menschenrechte in Katar mit der FIFA bis 2022 verlängerten, haben im Dezember 2022 ein bescheidenes Problem: Sie können bei täglich bis zu vier WM-Spielen (wahrscheinlich werden es sogar mehr, denn der WM-Zeitraum soll ja gestrafft werden) schwerlich das Hauptprogramm bis zu zwölf Stunden mit irrwitzigen Übertragungen von diversen Weltcups des Wintersports füllen, wie es zu dieser Jahreszeit üblich ist. Die Wintersportverbände werden noch ein wenig krakeelen, bis auch sie finanziell entschädigt werden.
Die großen europäischen Fußball-Ligen verlangen Kompensationszahlungen. Dies hat Karl-Heinz Rummenigge, Vorsitzender der European Club Association (ECA), bereits angekündigt. Die FIFA und Katar werden mit der ECA und den Ligen zufriedenstellende Lösungen finden, selbst wenn der notorische FIFA-Lügenbold Valcke in einer ersten Reaktion etwas anderes erzählt - man muss das nicht ernst nehmen. Mit der Diskussion darüber können TV-Rechteinhaber und andere Medien den Unterhaltungsbetrieb eine Weile in Gang halten. Das Ergebnis steht aber fest: Die Vereine und Ligen bekommen, was sie wollen, Emir Tamim Bin Hamad Al-Thani, der über die halbe Sportwelt gebietet, wird sich nicht lumpen lassen.
ECA-Chef Rummenigge, auch Vorstandvorsitzender der FC Bayern München AG, hat seine Affinität zu Katar ohnehin mehrfach beweisen: Der FC Bayern, trainiert von Katars WM-Botschafter Pep Guardiola, hielt zuletzt fünf Winter-Trainingslager in der Aspire-Akademie von Doha ab. Die ECA feierte vor zwei Jahren zum fünften Geburtstag ebenfalls in Doha. Dort nahm Rummenigge zwei Luxusuhren als Geschenk entgegen, die er bei der Rückkehr nach München nicht verzollte. Er wurde erwischt und akzeptierte einen Strafbefehl in Höhe von 249.000 Euro – seither gilt Rummenigge als vorbestraft. Manche nennen ihn süffisant „Rolex-Kalle“.
Mit 249.000 Euro werden sich die Klubs und Ligen für die WM 2022 nicht zufriedengeben. Eher werden es 249 Millionen oder gar eine kleine Milliardensumme. Man wird über kurz oder lang mit der FIFA und Katar einen Deal abschließen. Protestpotenzial scheint vor allem in England gegeben, wo die Premier League um die traditionellen Punktspiele über Weihnachten und Neujahr fürchtet.
Im Grunde bleibt aber nur eine Partei, die zahlenmäßig größte, die mit der WM im Advent klarkommen muss, ohne in irgendeiner Weise entschädigt zu werden. Denn Millionen Fußballfans aus aller Welt kann Katar nicht einfliegen lassen oder anders besänftigen. Es wird gewiss, ähnlich wie bei der jüngsten Handball-WM, für kleinere Gruppen günstige Reisepakete geben, aber nicht für Massen. Partyfans müssen sich darauf einstellen, zur WM 2022 nicht mit freiem Oberkörper zu feiern, sondern in Winterklamotten auf weihnachtlichen Fanmeilen womöglich im Schneegestöber Fußball zu gucken. Hinterher wird man sagen, das sei irgendwie auch ein Erlebnis gewesen.
Der Diskussion über die Fanmeilen im Dezember kann man in den kommenden 82 Monaten leider nicht ausweichen. Damit lassen sich tausende Zeitungsaufmacher und hunderte TV-Talkshows füllen. Indes, es ändert nichts. Die FIFA ist die FIFA und bleibt die FIFA – und die WM in Katar darf inzwischen als gottgegeben gelten. Eine Revolution ist von keinem Nationalverband zu erwarten - halbwegs wacker wehren sich nur die Engländer. Deshalb ist die Football Association (FA) in der FIFA-Welt auch weitgehend isoliert. Die Engländer sollen sich zum Teufel scheren, keine Lügen erzählen und die Falklandinseln rausrücken, hat der inzwischen verstorbene Finanzchef und FIFA-Vize Don Julio Grondona auf dem Kongress 2011 gezetert, als Blatter zum vierten Mal zum Präsidenten gekrönt wurde und sich allein die FA dagegen gestemmt hatte.
„Let the FIFA family alone“, riet Grondona den Engländern.
Kleinlaut wie meistens äußerte sich Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), zur Weihnachts-WM. „Keine Alternative“ gebe es zum neuen Termin. Niersbach will in vier Wochen ins FIFA-Exekutivkomitee gewählt werden und hat auch sonst andere Sorgen, seit öffentlich über die Rechtmäßigkeit seiner DFB-Betriebsrente in sechsstelliger Höhe diskutiert wird, mit der sich auf Drängen von Niersbachs verfeindetem Vorgänger Theo Zwanziger sogar die FIFA-Ethikkommission befasst.
Globale Machtverschiebungen
Jenseits europäischer Grenzen wird gelassener über die WM im Dezember 2022 diskutiert. Innerhalb der FIFA kam Widerstand fast ausschließlich aus Europa. Am Ende entschied die von Scheich Salman Bin Ibrahim Al-Khalifa, dem in Bahrain schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, geleitete FIFA-Arbeitsgruppe einstimmig. Die Vertreter der Europäischen Fußball-Union (UEFA) haben wie immer taktiert und wollten die sogenannte Einheit der Fußballfamilie nicht gefährden. UEFA-Präsident Michel Platini zählt zu jenen 14 Exekutivmitgliedern, die am 2. Dezember 2010 Katar gewählt haben. Sein Sohn Laurent hat seither einen fürstlich dotierten Vertrag als hochrangiger Manager im Reich der Firma Qatar Sports Investment (QSI), derzeit dient Laurent Platini als CEO der QSI-Tochter Burrda Sport.
Taktiert hat die UEFA auch deshalb, weil man gleich drei Kandidaten unterstützt, die sich gegen Joseph Blatter um den FIFA-Vorsitz bewerben: Luís Figo (Portugal), Michael van Praag (Niederlande) und Prinz Ali Bin Al-Hussein (Jordanien). Eine Total-Opposition gegenüber der WM-Verlegung kam ohnehin nie infrage, weil ja sogar Europas Funktionäre, die damals entgegen der Empfehlung des FIFA-Chefmediziners Michel d’Hooghe (Belgien) für Katar gestimmt haben, inzwischen begriffen haben, dass man dort im Sommer nicht Fußball spielen kann. Der Sohn von d’Hooghe erhielt übrigens auch kurz nach der WM-Vergabe eine neue Arbeitsstelle: Er werkelt seither als Chirurg in der mit wundersamen Finanzmitteln aufgebauten Sport-Klinik Aspetar in Doha.
Wer den Blick für einen Moment über die komplizierte FIFA-Binnenpolitik hinaus weitet, wird unweigerlich feststellen, dass sich die Entscheidung für die WM-Verlegung in den Winter und damit grundsätzlich für die umstrittene WM in Katar in das weltweite Sport-Machtgefüge einbettet. Katar zählt gemeinsam mit Russland und China, das wieder stark im Kommen ist, zu den drei wichtigsten Machtzentren des Weltsports. Olympische Macht verlagert sich weiter rapide nach Osten, in Richtung Asien, wobei Russland geografisch und weltpolitisch eine Brückenrolle einnimmt: Man denke nur an die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU), die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) und die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). All diese Allianzen wirken sich auch auf Sportpolitik aus und beeinflussten zahlreiche wichtige Entscheidungen der vergangenen Jahre.
Russland richtete in Sotschi 2014 die Olympischen Winterspiele aus, PyeongChang (Südkorea) ist 2018 Gastgeber der Winterspiele, 2018 findet in Russland die Fußball-WM statt, 2020 richtet Tokio die Sommerspiele aus, 2022 finden die Winterspiele entweder in Peking und Zhangjiakou oder in Almaty (Kasachstan) statt – Ende 2022 kommt es dann zur Fußball-WM in Katar. Dies sind nur die größten Wettbewerbe, in die mitunter 51 Milliarden Dollar investiert werden (Sotschi) oder gar mehr als 200 Milliarden (Katar). Darüber hinaus gibt es gibt es Dutzende der größten olympischen Weltmeisterschaften in diesen Ländern (nicht nur in der Leichtathletik und im Schwimmen). Der Formel-1-Zirkus orientiert sich ebenfalls nach Osten und wird demnächst in Doha Station machen. Katar will und wird auch die Olympischen Sommerspiele austragen, ob 2024 oder 2028 bleibt zunächst offen, und wird danach weiter in den Sport investieren. „Wir werden nicht stoppen“, erklärt Scheich Saoud Al-Thani, der Generalsekretär des katarischen Olympiakomitees QOC, selbstbewusst und nimmermüde.
China wiederum hat im Oktober 2014 einen gigantischen Masterplan bis ins Jahr 2025 verabschiedet, der nicht nur die Sportindustrie im Reich der Mitte revolutionieren, sondern den Weltsport prägen wird. Eine Sensation. Top-Thema des nächsten Jahrzehnts: Im Sportsektor sollen 800 Milliarden Dollar investiert werden. Schon kaufen sich chinesische Investoren europäische Fußballvereine. Gerade hat der Immobilienkonzern Wanda eine der weltgrößten Sportvermarktungsagenturen erworben: Die Infront-Gruppe, die von Philippe Blatter geführt wird, Neffe des FIFA-Präsidenten.
Auf der Shopping-List der Chinesen steht natürlich auch eine Fußball-WM. 2026 oder spätestens 2030. Dann werden sich in Europa viele der Diskussionen wiederholen, die man jetzt über Katar führt.
Coming soon und wie immer verspätet: Mein neues Ebook „2022: die WM in Katar, Sklavenarbeit, Korruption und die FIFA“
Aufmacherbild: Kashif Pathan Flickr CC BY-SA 2.0 (Qatar 2022 FIFA World Cup Stadium)
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