Hier ist Isolde und ich staune immer noch ein bisschen: Ein falscher Vitali Klitschko hat mit der Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey telefoniert. Ich erkläre dir, wie das passieren konnte. Außerdem habe ich ein paar Vorschläge, wie man – egal, ob am Telefon oder im echten Leben – mit Menschen spricht, die Russlands Angriffskrieg unterstützen.
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Vitali Klitschko ist der Bürgermeister von Kyjiw und mit dem hätte Franziska Giffey (SPD) gerne telefoniert. Stattdessen hat ein Betrüger mit der Berliner Bürgermeisterin gesprochen. Vergangenen Freitag gab die Senatskanzlei Berlin bekannt, dass das Gespräch Misstrauen erregt habe und deshalb vorzeitig abgebrochen worden sei. Giffey ist übrigens nicht als Einzige auf den Fake-Klitschko reingefallen: Auch die Bürgermeister von Wien und Madrid telefonierten mit dem falschen Klitschko.
Was haben die manipulierten Anrufe zu bedeuten – und wie konnten die Bürgermeister:innen darauf hereinfallen?
Mimik, Gestik und Lippenbewegungen – all das sei authentisch gewesen, sagte Franziska Giffey dem RBB. Der erste Teil des Gesprächs sei ganz normal gewesen, sagte Giffey. Dann habe der falsche Klitschko irritierende Fragen gestellt: ob ukrainische Flüchtende in Deutschland Sozialleistungen erschleichen würden, ob Berlin ukrainische Männer für den Kampf in die Ukraine zurückschicken könne und ob Berlin in Kyjiw einen Christopher Street Day organisieren könne. An dieser Stelle habe sie zu ihren Mitarbeiter:innen gesagt: „Da stimmt was nicht.“ Daraufhin habe die Gegenseite das Gespräch abgebrochen. Die Staatskanzlei sagte, es handele sich wohl um ein Deepfake, also mit künstlicher Intelligenz erstelltes, täuschend echt wirkendes Videomaterial.
Die Gegenseite habe das Gespräch per E-Mail angebahnt, ein „standardmäßiger Vorgang“, wie Giffey sagte. Offenbar kam die E-Mail nicht von einer offiziellen Domain, auch der Wiener Bürgermeister erhielt die E-Mail von einer Adresse namens mayor.kyiv@ukr.net. Die Domains staatlicher ukrainischer Stellen enden eigentlich auf „gov.ua“. Dem Spiegel sagte die Senatskanzlei, dass man seit Beginn des Angriffskrieges oft auf inoffiziellen Kanälen kommuniziere, auch für den Fall, dass es Cyberattacken auf die Netze gebe.
Nach Angaben der Senatskanzlei wusste die ukrainische Botschaft in Deutschland von dem Gespräch. Und die Mitarbeiter:innen des Wiener Bürgermeisters sprachen im Vorfeld des manipulierten Telefonats mit der österreichischen Botschaft in Kyjiw. Mit offiziellen Stellen in Kyjiw selbst sprach allerdings wohl niemand der Beteiligten – das hätte den Schwindel vermutlich im Vorfeld auffliegen lassen.
Wer hinter dem gefälschten Klitschko steckt, ist nach wie vor unklar. Der Staatsschutz ermittelt jetzt. Ob eine Regierung dahinter steckt oder ob es sich um einen schlechten Scherz handelt, muss erst noch ermittelt werden. Klar ist aber, dass sich Politiker:innen jedes Landes besser auf solche Ereignisse vorbereiten müssen. Deepfakes werden technisch immer einfacher und somit immer wahrscheinlicher.
Schon im März tauchten gefälschte Videos von Selenskyj und Putin auf, in denen sie den Krieg für beendet erklärten. In beiden Fällen handelte es sich um Deepfakes. Die Videos waren allerdings dilettantisch gemacht und für die meisten Menschen leicht als Fake zu erkennen. Außerdem stellten offizielle Stellen in Kyjiw und Moskau schnell klar, dass die Videos nicht echt waren.
Etwas Gutes haben die manipulierten Telefonate aber trotzdem. Der echte Vitali Klitschko sagte der Bild: „Ich hoffe, dass wir bald über meine offiziellen Kanäle telefonieren können.“ Franziska Giffey nahm das Angebot an.
Die Frage der Woche
KR-Leser Alexander fragt: „Wie kann man die Menschen erreichen, die Putins Vorgehen befürworten? Wie kann man sie zum Nach- oder Umdenken anregen?“
Ähnliche Fragen stellen sich viele schon seit Beginn der Corona-Pandemie: Wie überzeugt man jemanden, der in einer Parallelwelt lebt? Meine Kollegin Theresa Bäuerlein hat in diesem Text darüber geschrieben, wie wir bessere Diskussionen führen können. Ihre Erkenntnis: Mit Argumenten, und mögen sie noch so gut sein, überzeugt man niemanden, der sich nicht überzeugen lassen will. Denn gegen Fakten sind Menschen resistent, wenn sie an eine bestimmte Sache glauben.
Ein Beispiel: Manche Menschen in Russland glauben ihren Angehörigen in der Ukraine nicht, dass Putin wirklich einen brutalen Angriffskrieg führt. Der Ukrainer Misha Katsurin hat so eine Erfahrung gemacht. Sein Vater lebt in Russland und glaubte ihm nicht, dass Russland die Ukraine bombardiert.
Katsurin gründete deshalb das Projekt Papa, pover’, was „Papa, glaube mir“, bedeutet. Auf der Internetseite stehen auf Russisch und Englisch die häufigsten Falschinformationen – zum Beispiel, dass die Ukraine von Nazis beherrscht ist – und wie man empathisch darauf antworten kann. Außerdem ist dort auch erklärt, was man nicht tun sollte: die gleichen Tatsachen wiederholen, wütend werden oder das Gespräch dramatisch beenden. Man müsse zuhören, steht dort, und die Gespräche immer wieder führen.
Auf der Webseite ist auch der Mitschnitt eines Telefonats, das Katsurin mit seinem Vater geführt hat. Darin erzählt Katsurin von seinen persönlichen Erlebnissen, von seiner Angst, von der Oma, die sich vor Bombardierungen verstecken muss, von traumatisierten Kindern, die er selbst kennt. Am Ende sagt der Vater: „Ich glaube dir, Misha. Ich mache mir große Sorgen.“ Misha Katsurins Vater hat zwar nicht alle seine Glaubenssätze in einem Gespräch über den Haufen geworfen – aber teilweise seinen Blick auf den russischen Angriff verändert.
Das macht Hoffnung. Aber es funktioniert leider nicht immer. Wenn einem die Gegenseite nicht zuhören will, bringt auch empathische Kommunikation nichts mehr. Solche Gespräche können Zeit und Kraft rauben. Überlege dir deshalb gut, ob du die Energie dafür hast – oder ob du lieber noch einmal genau darüber nachdenken möchtest, was du sagen willst.
Hast du eine Frage zum Krieg in der Ukraine? Dann nimm jetzt an meiner Umfrage teil.
Die Links der Woche
Belarus, Nachbarland von Russland und der Ukraine, spielt eine unrühmliche Rolle in diesem Krieg. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin präsentieren sich als gute Freunde, und von belarussischem Staatsgebiet fliegen Raketen in die Ukraine. Ein Großteil der Menschen in Belarus wünscht sich aber eine politische Veränderung. Der belarussische Autor und Künstler Artur Klinau hat im Deutschlandfunk über die belarussische Abhängigkeit von Russland gesprochen. Er sagt: „Zuerst muss Putins Regime demontiert werden, erst dann kann sich die Situation in Belarus ändern.“ Hier kannst du das ganze Interview anhören oder lesen. Und wie es jungen Menschen in Belarus geht, zeigt der Fotograf Maxim Sarychau in diesem Fotoessay bei Krautreporter.
Die Hoffnung der Woche
Störche haben in vielen Ländern eine symbolische Bedeutung, auch in der Ukraine:
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger