Hier ist Isolde, mit meinem wöchentlichen Newsletter zu Russlands Krieg in der Ukraine. Ich erkläre dir Hintergründe und gebe dir jedes Mal eine Portion Hoffnung mit. Heute geht es um ein Paradoxon: Trotz riesiger Getreidevorräte in der Ukraine müssen Menschen hungern. Außerdem beantworte ich die Frage, wie es den nach Russland verschleppten Ukrainer:innen geht.
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Was ist gerade wichtig?
Die weltweite Hungerkrise dürfte sich bald noch weiter verschärfen. Denn die Ukraine hat keinen Platz, um das Getreide zu lagern, das im Spätsommer geerntet wird. Das sagte die ukrainische Abgeordnete Yevheniia Kravchuk beim Wirtschaftsforum in Davos. Russland blockiert seit Beginn des Angriffskrieges die ukrainischen Häfen. 22 Millionen Tonnen Getreide können deshalb nicht exportiert werden und lagern weiterhin im Land. In wenigen Wochen beginnen die ukrainischen Landwirt:innen mit der neuen Getreideernte – doch die Silos sind voll. Das ist nicht nur absurd, sondern in Hinblick auf die Hungersnot unter anderem in Ostafrika und dem Nahen und Mittleren Osten vor allem abgrundtief traurig.
Was hat Russland davon – und was kann die Weltgemeinschaft tun?
Russlands Blockaden zeigen: Putin kämpft nicht nur mit Waffen. Die Blockaden schaden der ukrainischen Wirtschaft; Putin kann so die Weltgemeinschaft erpressen. Das russische Außenministerium gab bekannt, dass Russland den Zugang zu den Häfen freigeben würde – wenn die EU und USA die Wirtschaftssanktionen gegen Russland aufheben. Und Russland nutzt die Situation, um Getreide und Landmaschinen aus der Ukraine zu stehlen: Nach ukrainischen Angaben hat Russland rund 500.000 Tonnen Getreide aus besetzten Gebieten abtransportiert.
Vertreter:innen Russlands, der Ukraine und den Vereinten Nationen haben bereits in der Türkei über eine Lösung für die Seeblockade verhandelt, bisher ohne Ergebnis. Am Mittwoch soll es eine weitere Verhandlungsrunde geben: Laut eines Medienberichts der russischen Zeitung Iswestija plant Russland, die Seeblockade für ukrainische Lebensmitteltransporte mit türkischem Geleitschutz zu lockern. Die Ukraine hat das allerdings noch nicht bestätigt.
Falls die Verhandlungen am Mittwoch erneut kein Ergebnis bringen, gäbe es noch eine weitere Möglichkeit: Die Nato könnte ukrainischen Schiffen Geleitschutz geben, damit sie unbeschadet Lebensmittel exportieren können. Einen solchen Geleitschutz hat der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber und Admiral der US-Marine, James Stavridis, vorgeschlagen. Auch der litauische Außenminister befürwortet das. Die Nato reagierte bisher zurückhaltend. Ähnlich wie bei der geforderten Flugverbotszone befürchten die Nato-Staaten eine militärische Eskalation mit Russland. Bisher hoffen die Länder auf eine Verhandlungslösung.
Die Frage der Woche
Ein KR-Mitglied fragt: „Was weiß man über die Situation der verschleppten Ukrainer:innen?“
Die Zahl der nach Russland verschleppten Ukrainer:innen steigt immer weiter. Das UN-Flüchtlingshilfswerk geht von mehr als einer Million Menschen aus. Diese Zahlen decken sich ungefähr mit den Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, die die Zahl der Ukrainer:innen in Russland mit 1,6 Millionen beziffert – allerdings spricht Russland von „Evakuierten”. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte hingegen in einer Videobotschaft, dass Russland mehr als 200.000 ukrainische Kinder verschleppt habe und erklärte: „Der Zweck dieser kriminellen Politik ist es nicht nur, Menschen zu stehlen, sondern die Verschleppten dazu zu bringen, die Ukraine zu vergessen und ihnen die Rückkehr unmöglich zu machen.”
Unzählige Ukrainer:innen berichten übereinstimmend von sogenannten Filtrationslagern, die sie durchlaufen müssten, bevor sie die Ukraine in Richtung Russland verlassen konnten. Sie müssten sich dort Befragungen unterziehen, ihre Telefone durchsuchen lassen und sich ausziehen, um Tattoos zu zeigen, die auf eine nationalistische Einstellung hinweisen könnten. Was genau mit denjenigen passiert, die die Filtration nicht bestehen, ist unklar. Eine junge Frau aus Mariupol erzählte CNN, dass sie ein Gespräch zwischen russischen Soldaten gehört habe. Einer habe erzählt, dass er mindestens zehn Menschen erschossen und dann aufgehört habe zu zählen.
Die Ukrainer:innen werden in verschiedene Städte Russlands gebracht, manchen wird wohl sogar ein Job und ein Startgeld von 10.000 Rubel (etwa 140 Euro) geboten. Das geht aus verschiedenen Medienberichten hervor. Inzwischen schließen sich russische Freiwillige zusammen, die Ukrainer:innen helfen, Russland wieder zu verlassen. Manche Ukrainer:innen aber bleiben. Der Politikwissenschaftler und Journalist Jens Siegert hat das anhand einer Familie aus Mariupol so erklärt: Ihr Haus ist zerstört, sie mussten wochenlang unter Beschuss im Keller ausharren. Russische Soldaten ließen sie irgendwann heraus und brachten sie in eine russische Kleinstadt. Dort bekommen sie materielle Hilfe, ein Jobangebot. Prinzipiell könnten sie Russland verlassen, doch ihnen fehlt das Geld und sie wissen nicht wohin. Nach Wochen im Keller haben sie einfach nicht die Kraft, nach Alternativen zu suchen.
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Der Link der Woche
Russische Soldaten haben in Dovzhyk, einem Dorf in der Nähe von Kyjiw, drei Brüder erschossen und in einen Graben geworfen. Doch einer überlebte. Er robbte aus dem nur mit wenig Erde bedeckten Grab und rettete sich über Feldwege nach Hause. Das Wallstreet Journal hat den Mann getroffen. Eine Geschichte, die so entsetzlich ist, dass sie noch lange im Kopf bleibt.
Die Hoffnung der Woche
Die regimekritische russische Onlinezeitung Meduza hat ihre Leser:innen aufgerufen, ihre Haustiere mit Anti-Kriegs-Plakaten zu fotografieren. Meduza schreibt in dem Aufruf: „Weil die Bevölkerung in Russland nicht an Protesten gegen den Krieg teilnehmen darf, kommen ihnen Haustiere zur Hilfe”. Auf den Papierschildern steht auf Russisch „Nein zum Krieg”.
Krautreporter hat Meduza übrigens dabei unterstützt, ihre Finanzierung zu sichern. Denn das unabhängige Magazin ist durch die medienfeindliche Politik Putins akut bedroht. Wenn du sie unterstützen willst, kannst du hier Mitglied werden.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Esther Göbel, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert