Ich lebe nicht hinterm Mond. Ich weiß natürlich, was Transgeschlechtlichkeit ist: dass ein Mann zur Frau wird – oder umgekehrt.
Nicht ganz. Menschen, die trans sind, können sich mit dem Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde, nicht identifizieren. Aber sie wechseln nicht das Geschlecht. Der Prozess, in dem trans Menschen beginnen, sich mit ihrer Transgeschlechtlichkeit auseinanderzusetzen, nennt sich Transition.
Wenn trans Menschen also Hormone nehmen und sich operieren lassen.
Auch nicht ganz. Während der Transition entscheiden sich viele trans Menschen für eine Hormonbehandlung, lassen Operationen durchführen oder ändern ihren Namen und den Geschlechtseintrag der Geburtsurkunde.
Manchen trans Menschen ist eine körperliche Geschlechtsangleichung also wichtig – andere verzichten aber darauf. Wie Menschen mit ihrer Transgeschlechtlichkeit umgehen, ist ganz individuell. Und nicht alle trans Menschen sind Männer oder Frauen.
Sondern?
Es gibt nicht-binäre Menschen, die sich als trans bezeichnen. Oder solche, die agender, bigender oder genderfluid sind.
Oje. Warum muss das Thema Geschlecht neuerdings so wahnsinnig kompliziert sein?
Ganz so neu ist das Thema gar nicht. Der Begriff Transgeschlechtlichkeit wird noch nicht so lange verwendet. Menschen, die sich ihrem Geburtsgeschlecht nicht zugehörig fühlten, gab es aber lange bevor Ärzt:innen anfingen, sie zu pathologisieren.
So schrieben etwa bereits Autoren der Antike über Geschlechterwechsel. In seinen „Metamorphosen“ beschreibt Ovid die Geschichte der Iphis, deren Mutter sie als Jungen ausgibt, weil das weniger teuer ist, als ein Mädchen aufzuziehen.
Es gibt viele nicht-westliche Kulturen, in denen trans Menschen gesellschaftlich lange akzeptiert waren. Die Zapoteken im Süden Mexiko haben ein drittes Geschlecht namens „Muxe“. Muxe sind meist Menschen mit Penis, werden aber für eine weiblich konnotierte soziale Rolle erzogen, in der sie Hausarbeiten erledigen und Angehörige pflegen. Fast alle indigenen Völker des amerikanischen Kontinents hatten früher großen Respekt vor intergeschlechtlichen und androgynen Menschen oder vor femininen Männern und maskulinen Frauen.
Moderne indigene queere Bewegungen haben deshalb versucht, die alte, inklusive Kultur unter dem Namen „Two Spirit“ wiederzubeleben. Heute erleben trans Menschen aber in den meisten Gesellschaften – indigen oder nicht – Ausgrenzung und Diskriminierung.
Es gibt trans Menschen also schon immer und überall. Ist mit Transsexualität eigentlich etwas anderes gemeint als mit „transgender“ oder „trans“?
Die Begriffe„ transsexuell“ und „transgender“ werden synonym verwendet. „Transsexuell“ wird mittlerweile aber von vielen trans Menschen abgelehnt.
Warum?
Das Wort erweckt den Eindruck, es handele sich bei Transsexualität wie bei Homo-, Bi- oder Heterosexualität um eine Beschreibung des sexuellen Verhaltens. Dabei sagt der Begriff trans nichts über die sexuelle Orientierung eines Menschen aus.
Das Wort hat seinen Ursprung in der englischen Sprache, in der zwischen dem sozialen und biologischen Geschlecht unterschieden wird. Wenn man über das soziale Geschlecht spricht, verwendet man „Gender“, während man das englische Wort „Sex“ benutzt, wenn man über das biologische Geschlecht spricht. Auch biologisches Geschlecht ist übrigens ein Spektrum.
Was bedeutet „soziales Geschlecht“?
Damit sind die sozialen Dimensionen von Geschlecht gemeint, also etwa Rollen, Erwartungen und Werte, die an unser biologisches Geschlecht geknüpft sind. Dazu zählen die Fragen: Wie will ich von der Gesellschaft gelesen werden – und wie liest die Gesellschaft mich?
„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, hat die französische Philosophin Simone de Beauvoir 1949 gesagt und beschreibt „Gender“ damit treffend. Unsere Vorstellungen darüber, wie sich eine Frau verhält, was Frauen machen oder was sie nicht machen, gehören zur sozialen Dimension von Geschlecht. Was Menschen jeweils darunter verstehen, unterscheidet sich historisch und von Kultur zu Kultur.
Die Unterscheidung macht Sinn.
Ja, total. 2018 verkündete die Weltgesundheitsorganisation offiziell, dass es sich bei Transgeschlechtlichkeit um keine psychische Krankheit handelt. Davor tauchte der Begriff im ICD auf, dem internationalen Katalog, in dem die WHO Krankheiten klassifiziert.
Mittlerweile bevorzugen viele trans Menschen Begriffe wie Transgeschlechtlichkeit oder Transidentität oder nutzen „trans“ als Adjektiv. Es gibt übrigens auch ein Wort, das Menschen beschreibt, die sich mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren: cisgender.
Und was war gleich „queer“?
Queer wiederum dient häufig als Oberbegriff, um alle Menschen zu beschreiben, die nicht der heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Norm entsprechen: Also Schwule, Lesben, Bisexuelle, trans Personen, intergeschlechtliche, asexuelle und nicht-binäre Menschen.
Seit einigen Jahren wird über das Transsexuellengesetz diskutiert. Wozu braucht es das eigentlich – es gibt schließlich auch kein Heterosexuellengesetz?
Das derzeit gültige Transsexuellengesetz ist 1980 verabschiedet worden. Es regelt, wie Menschen ihr Geschlecht rechtlich ändern, also ihren Vornamen angleichen und ihre Geschlechtszugehörigkeit neu feststellen lassen können. Allerdings spiegelt das Gesetz die transfeindliche Haltung dieser Zeit. Denn über diese sogenannte Personenstandsänderung muss ein Gericht entscheiden. Das ist nicht nur sehr teuer, es erfordert auch psychologische Gutachten und ist deshalb für betroffene Menschen entwürdigend.
Dass es das Gesetz überhaupt gibt, ist sinnvoll. Zuvor gab es für trans Menschen gar keine Möglichkeit, sich ihre Geschlechtsidentität rechtlich anerkennen zu lassen. Aber es ist veraltet und bedarf dringend einer Reform.
Woran liegt es denn, dass Deutschland dieses Gesetz noch nicht reformiert hat?
Die Große Koalition unter der Führung der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dafür verantwortlich. Die FDP und die Grünen hatten zuletzt im Frühjahr 2021 Änderungsvorschläge in den Bundestag eingebracht, aber die haben nicht ausreichend Zustimmung von der Großen Koaltion bekommen.
Doch nach der Bundestagswahl haben die Mehrheitsverhältnisse sich geändert. Das Familienministerium liegt jetzt in der Hand der Grünen, das Justizministerium bei der FDP. In den nächsten Monaten soll es endlich soweit sein: Das Transsexuellengesetz soll zum Selbstbestimmungsgesetz werden.
In den vergangenen Jahren scheint sich doch schon viel verändert zu haben. Trans Menschen spielen in Serien und Filmen eine Rolle. Trans sein wirkt fast wie ein Trend.
Du meinst, so wie Linkshänder sein ein Trend ist?
Bitte?
Nachdem wir aufgehört haben, Linkshänder:innen umzuerziehen und zu zwingen, die rechte Hand zu benutzen, stieg die Anzahl der Linkshänder:innen schnell und stark an. Wir könnten von einem Trend sprechen. Oder aber auch bemerken: Jetzt ist es ihnen erst möglich, sichtbar zu sein. Linkshänder:innen gab es schon immer, sie wurden aber durch eine Umerziehung zu etwas, das von der Norm abweicht. Genauso ist es jetzt trans Menschen möglich, sichtbar zu sein – wenn auch nicht gefahrenfrei.
Ich denke auch, dass es problematisch ist, von einem „Trend“ zu sprechen. Schließlich beschwert sich auch niemand darüber, dass fast alle Protagonist:innen in Filmen und Serien heterosexuell und cisgender sind. Ist das auch ein Trend?
Stimmt. Aber ändert sich da nicht auch gerade etwas?
Früher wurden trans Menschen in Filmen fast immer auf problematische Weise dargestellt. Sie waren entweder die Bösewichte oder dienten als Pointe für einen transfeindlichen Witz.
In den vergangenen Jahren wurde die Kritik an dieser Aneignung von trans Geschichten immer lauter. Ich empfehle dir dazu die Dokumentation „Disclosure“ von Netflix, die sich genau damit beschäftigt:
https://www.youtube.com/watch?v=ysbX6JUlaEc
Noch immer sind queere Menschen in Filmen und Serien unterrepräsentiert. In einer Studie von der MaLisa-Stiftung wurden 2020 Streaming-Angebote von Netflix, Amazon Prime, Sky und TNT Deutschland auf deren Geschlechterdarstellung untersucht. Dabei kam heraus, dass nicht-binäre Figuren und Personen mit anderen Geschlechtsidentitäten lediglich in 0,5 Prozent der Filme in einer zentralen Rolle zu sehen sind, also so gut wie gar nicht.
Rate, wie hoch die Zahl in Deutschland war.
Noch niedriger?
In deutschen Produktionen waren sie gar nicht vertreten. Repräsentation in der Popkultur ist natürlich nur ein Aspekt von Diskriminierung. In Befragungen berichten 58 Prozent der trans Personen in Deutschland, in den zurückliegenden zwölf Monaten diskriminiert oder belästigt worden zu sein. Sie erlebten am Arbeitsplatz Ausgrenzung oder Kontaktabbruch, Imitieren und Herabwürdigung ihrer Gestik oder Stimme. Acht Prozent wurden sogar aufgrund ihres Transseins gekündigt.
Die Polizei hat gerade eben erst die Dienstvorschrift 300 geändert, nach der als dienstuntauglich galt, wer als männlicher Bewerber nicht mindestens einen funktionierenden Hoden besitzt, bei Bewerberinnen mussten Eierstöcke vorhanden sein.
Wie absurd.
Dazu kommt Hasskriminalität. Zu Gewalttaten und Beleidigungen auf der Straße gibt es nicht genügend belastbare Zahlen, weil in Statistiken nicht zwischen transfeindlichen Taten und homo- oder bifeindlichen Vorfällen unterschieden wird. Und auch bei Behörden, insbesondere während der Transition, erleben trans Menschen Diskriminierung.
Damit sind wir wieder beim Transsexuellengesetz. Was genau soll sich denn nun ändern?
Das Transsexuellengesetz wird schon seit vielen Jahren in Teilen immer wieder durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig erklärt. So mussten sich verheiratete trans Personen bis 2008 scheiden lassen, bevor sie ihren Geschlechtseintrag im Pass ändern durften. Bis 2011 mussten sich trans Personen sogar sterilisieren lassen und einer Geschlechtsangleichung unterziehen, um ihren Personenstand zu ändern. All das griff nach Ansicht des Gerichts massiv in das Leben von trans Menschen ein.
Dass trans Menschen ihre Unfruchtbarkeit beweisen mussten, ist wirklich krass. Sind die Vorgaben noch immer so streng?
Die Maßnahmen aus dem Transexuellengesetz werden auch heute von vielen als zu einschneidend betrachtet. Wer seinen Personenstand und Namen ändern möchte, benötigt noch immer mindestens zwei psychiatrische Gutachten von unterschiedlichen Sachverständigen, die bestätigen, dass die betreffende Person seit mindestens drei Jahren in der Überzeugung lebt, trans zu sein. Und dass sich daran auch nichts mehr ändern wird. Die Änderung muss dann von einem Gericht anerkannt werden. Dieser Prozess dauert nicht nur sehr lange, mehrere Monate, sondern ist auch teuer.
Wie teuer?
Im Schnitt 2.000 Euro. In dieser ohnehin schon schwierigen Zeit der Transition werden trans Menschen durch diese Regelungen also zusätzlich belastet. Statt auf Selbstbestimmtheit zu setzen, müssen trans Menschen ihre Transgeschlechtlichkeit vor medizinischem Fachpersonal beweisen und sich bevormunden lassen. Dieser Prozess wird von vielen als demütigend empfunden. Insbesondere die Fragebögen der Gutachter:innen.
Was werden trans Menschen da gefragt?
„Falls Sie das Erscheinungsbild eines Mannes haben, tragen Sie dann weibliche Unterwäsche, um sich zu stimulieren?“ Oder: „Wie oft masturbieren Sie durchschnittlich innerhalb eines Monats?“, berichten Betroffene.
Es ist außerdem üblich, dass Gutachter:innen einen sogenannten Alltagstest verlangen. Das bedeutet, dass die Person bereits im „neuen“ Geschlecht leben und den Alltag bewältigen muss. Die Person soll also ohne geschlechtsangleichende oder rechtliche Maßnahmen zur Arbeit, zum Einkaufen oder zum Sport gehen. Zwar ist diese Regelung weder gesetzlich vorgeschrieben noch offizieller Bestandteil der Behandlungsrichtlinien, in der Praxis aber durchaus üblich.
Ich verstehe, dass das für Betroffene belastend ist. Aber was wäre die Alternative – dass sich bald einfach jede:r das eigene Geschlecht aussuchen kann?
Naja. Weder die Geschlechtsidentität noch die sexuelle Orientierung sind eine Wahl. Wir stehen morgens nicht auf und entscheiden uns nach Lust und Laune, ob wir heute eine Frau oder morgen ein Mann sein wollen.
Konservative und AfD-Politiker:innen nutzen dieses Wording aber immer wieder, um die Probleme queerer Menschen lächerlich zu machen und Ängste vor einem sogenannten Genderwahn und einer angeblichen Frühsexualisierung von Kindern zu schüren.
Wenn du mich fragst: Die Annahme, dass ein Mensch sich eine Identität aussucht, die mit Diskriminierung einhergeht, lebenslanger Einnahme von Hormonen, schmerzhaften Operationen und dem potentiellen Verlust sozialer Kontakte, ist sehr absurd.
Das stimmt schon.
Es gibt übrigens viele Länder, die ganz anders mit der Kategorie Geschlecht umgehen.
Länder, in denen man das Geschlecht einfach ändern kann?
Ja! Argentinien war 2017 das erste Land weltweit, das die Änderung des Geschlechtseintrags komplett ohne Voraussetzungen ermöglichte und seither nur mehr eine Erklärung der betroffenen Person fordert. Trans Menschen können also zum Amt gehen und ihr Geschlecht so einfach ändern wie ihren Wohnort.
Das ist mittlerweile auch in Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, der Schweiz, Spanien, Norwegen, Malta, Taiwan, Frankreich, Kolumbien, New York, Kalifornien, Ontario, Quebec und Südaustralien möglich. In vielen Ländern ist ein Trend erkennbar, der die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Änderung des rechtlichen Geschlechts nicht mehr an eine Pathologisierung knüpft. Es gibt aber noch immer viele Länder, die trans Menschen strafrechtlich verfolgen und in denen es gar keine Möglichkeit gibt, den Personenstand jemals zu ändern.
Und in Deutschland?
Die Reform sieht vor, dass das Verfahren in Zukunft nicht mehr vor einem Gericht sondern vor dem Standesamt stattfindet. Menschen ab 14 Jahren, die ihren Personenstand ändern wollen, können dann einfach einen Termin beim Standesamt machen und mit einer Selbstauskunft ganz einfach Namen und Personenstand ändern.
Das sogenannte „Offenbarungsverbot“ soll zudem ausgeweitet werden. Dieses Gesetz regelt unter anderem, dass im Geburtseintrag leiblicher Kinder der Name geführt wird, der zum Zeitpunkt der Geburt noch amtlich war – auch, wenn dieser Name rechtlich gar nicht mehr existiert. Es regelt auch, dass der frühere Name nicht ohne Zustimmung preisgegeben werden darf. Ein Verstoß gegen diese Regelung soll in Zukunft sanktioniert werden. Das soll sogenanntes Deadnaming verhindern – dabei verwenden Menschen die abgelegten Namen von trans Menschen, um ihnen deren Geschlechtsidentität abzusprechen.
Im Koalitionsvertrag steht außerdem, dass die Krankenkassen die Kosten für alle geschlechtsangleichenden Operationen übernehmen müssen.
Was hält die Regierung noch auf?
Die Debatte wird ganz schön emotional geführt. Kritik kommt nicht nur aus Reihen konservativer Politiker:innen. Argumente gegen ein Selbstbestimmungsgesetz sind auch von Feminist:innen zu hören.
Von Feminist:innen?
Ja, von Frauenrechtlerinnen, die trans Frauen nicht als Frauen anerkennen wollen. In der Debatte werden sie auch häufig als TERFs bezeichnet, also als Trans-Exclusionary Radikal Feminists. Sie glauben, dass die Gesetzesform sogar die Rechte von Frauen gefährdet.
Ein Antrag von Mitgliedern der Grünen auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2020 forderte eine kritische Debatte über den Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz. Die Gesetzesänderung ermögliche, dass Männer, die sich als Frau identifizieren, missbräuchlich in Schutzräume eindringen, Frauenförderung beantragen, Sportlerinnen den Sieg wegnehmen oder Ämter beanspruchen, die für Frauen bestimmt seien.
Ist das eine berechtigte Angst? Angenommen ich wäre ein Mann, ich könnte ja mal für ein Jahr behaupten, ich wäre keiner – und von einer Quote profitieren.
Studien räumen das aus. Das Deutsche Institut für Menschenrechte untersuchte 2017, ob eine Selbsterklärung zur Änderung des Vornamens oder Personenstands in vier Ländern – Malta, Argentinien, Dänemark und Irland – zu Missbrauchsfällen führte. Dem ist nicht so. Sie führte auch nicht zu wiederholten Wechseln. Die Ängste sind völlig unbegründet.
Deine Frage zeigt aber ein zentrales Problem der Debatte: Häufig wird nicht klar zwischen medizinischen und rechtlichen Fragen differenziert.
Hast du dafür ein Beispiel?
Die Debatte über trans Kinder. Immer wieder heißt es, dass man trans Kinder vor Entscheidungen schützen müsse, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die Änderung des Personenstandes ist aber nicht dieselbe Entscheidung, wie die, Hormonblocker zu nehmen. Hormonblocker werden verabreicht, um den Pubertätsbeginn und damit einen Prozess mit vielen körperlichen, psychischen und sozialen Veränderungen hinauszuzögern. Damit kann ein bisschen Zeit für weitere Entscheidungen gewonnen werden.
Aber dass sich immer mehr Kinder als trans identifizieren und medizinische Eingriffe vornehmen lassen wollen, ist doch gefährlich?
Dass heute immer mehr Menschen kein Problem damit haben, offen über ihre geschlechtliche Identität zu sprechen, ist erstmal nicht gefährlich. Das zeigt nur, dass sich unser gesellschaftliches Bewusstsein ändert. Heute ist es ja auch selbstverständlicher geworden, dass Kinder bereits in der Schule dazu stehen, schwul oder lesbisch zu sein – das wäre noch vor ein paar Jahrzehnten undenkbar gewesen.
Kinder und Jugendliche haben heute mehr Zugriff auf Informationen und hinterfragen deshalb auch öfter ihre geschlechtliche Identität. Während sich trans Menschen früher noch meist mit Mitte 20 für geschlechtsangleichende Maßnahmen entschieden, wollen Jugendliche das heute bereits mit 13 oder 14 Jahren, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer, der etwa 500 Jugendliche auf dem Weg zur Transition begleitet hat.
Aus repräsentativen Daten aus Schweden wissen wir, dass sich 0,2 Prozent der erwachsenen Bevölkerung geschlechtsangleichende Maßnahmen wünschen. Trotz der erhöhten Nachfrage dieser Behandlungen liegen wir in der Gesamtbevölkerung in Deutschland noch unter diesem Wert.
Nur sind einige geschlechtsangleichende Eingriffe nicht zurückzunehmen.
Deshalb ist man bei Kindern und Jugendlichen besonders vorsichtig und lässt sich Zeit mit der Entscheidung. Es gibt keinen richtigen Weg, der für alle Kinder gilt. Und auch medizinisch ist es eigentlich unmöglich, eine einheitliche Regelung zu formulieren. Jeder Fall ist individuell.
Eine amerikanische Studie des Vereins Trevor Project fand allerdings heraus, dass geschlechtsangleichende Hormontherapien Depressionen und Suizidgedanken bei trans und nicht binären Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich senken.
Was ist mit denen, die ihre Transition bereuen? Derzeit gibt es immer mehr Berichte dazu, ich habe in der Welt, in der Zeit und im Deutschlandfunk davon gehört.
Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans bezeichnet das Thema Detransition als Medienphänomen. Weniger als ein Prozent der betroffenen Personen entscheiden sich dazu, rechtliche Änderungen am Personenstand rückgängig zu machen.
Das neue Gesetz regelt also die Selbstbestimmung neu. Was ist mit der Diskriminierung?
Die Ampel-Koalition hat sich wirklich Einiges vorgenommen. In Zukunft sollen homosexuelle und trans Menschen nicht mehr vom aktuellen Teil-Blutspendeverbot betroffen sein. Gesetzliche Lücken beim Verbot von Behandlungen an intergeschlechtlichen Menschen und sogenannten Konversionsbehandlungen, also Therapien, deren Ziel es ist, homosexuelle Männer heterosexuell zu machen, sollen laut Koalitionsvertrag ebenfalls geschlossen werden.
Es ist geplant, einen Entschädigungsfonds für Menschen einzurichten, die aufgrund früherer Gesetze von Körperverletzungen oder Zwangsentscheidungen betroffen waren.
Und wann ist es soweit?
Bislang liegt noch kein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor. Ich würde sagen, wir sprechen uns dann wieder?
Hast du Tipps für mich, wenn ich mich noch weiter informieren möchte?
Wie es ist, als trans Mann Papa zu werden, zeigt die schöne BBC-Doku „Seahorse“. Wie es sich anfühlt, nichtbinär zu sein, erzählt die einfühlsame kleine ZDF-Serie „Becoming Charlie“ von Lion Lau. Und falls du ein Happy End möchtest: Bei der Serie „Auf Klo“ erklärt ein Paar, was es mit der Liebe macht, wenn eine Person sich als trans outet.
Mit bestem Dank an KR-Mitglied Lion Lau für die hilfreichen Hinweise zur Recherche.
Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger