Russland führt Krieg in der Ukraine. Außenpolitisch sind wir gerade gut beschäftigt. Warum sollte ich mich ausgerechnet jetzt für China interessieren?
Weil China und Russland sich ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick denkt. Deutschland ist wirtschaftlich abhängig von China. Und China rüstet auf. Politisch aber sind wir so gar nicht auf einer Wellenlänge.
Weil China kommunistisch ist?
Wenn es das mal wäre! Xi Jinping hat das einstmals kommunistische Land in den vergangenen Jahren in eine Diktatur umgewandelt, die Minderheiten unterdrückt und nach den neuesten Recherchen eines internationalen Medienverbundes sogar foltert.
China hat außerdem die größte Flotte seiner Geschichte gebaut und liegt mit fast all seinen Nachbarn im Clinch. Ich will hier keine Panik machen, aber: Das könnte jederzeit eskalieren.
Du meinst, es droht Krieg mit China?
Nicht direkt uns. Aber die Nachbarstaaten wie etwa Taiwan und Indien sind akut bedroht. Wir, also Deutschland und die europäischen Staaten, müssen uns deshalb dringend mit der Frage beschäftigen, wie wir mit China umgehen. Sonst machen wir hier vielleicht die gleichen Fehler wie mit Russland. Wir drücken der Wirtschaft zuliebe ein Auge zu – bis es vielleicht zu spät ist. Das habe ich im ersten Teil dieser Serie erklärt.
Was ist denn China nun: kommunistisch, kapitalistisch – oder eine Diktatur?
Ich würde sagen: von allem ein bisschen. China stellt die Vorstellung, dass Kommunismus und Kapitalismus gegensätzlich sind, auf den Kopf: Die Volksrepublik ist eine kommunistische Einparteien-Diktatur. In den vergangenen Jahrzehnten wurde China aber auch in ein kapitalistisches El Dorado verwandelt – und das hat auch Folgen für Deutschland: China war 2021 das sechste Jahr in Folge unser wichtigster Handelspartner.
Dass sich China so entwickelt hat, liegt vor allem an einem Mann: Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Präsident Chinas. Er hat das Land seit seinem Amtsantritt im Jahr 2012 nicht nur wirtschaftlich umgekrempelt, sondern auch politisch in eine gleichgeschaltete Diktatur verwandelt.
Wer China verstehen will, muss also verstehen, wie Xi Jinping denkt.
Genau. Aber dafür muss man erstmal verstehen, wie China vor Xi Jinping funktioniert hat.
Du erinnerst dich vielleicht an diesen Mann?
Das ist Mao Tse-tung!
Genau, Mao. Der erste Anführer der Kommunistischen Partei. 1911 wurde die Republik China gegründet, hielt aber nicht lang. Es folgte bald ein Bürgerkrieg und wer 1949 gewonnen hat, ist weltweit bekannt: Mao Tse-tung und seine Kommunistische Partei. Mao wurde Präsident und blieb das auch bis zu seinem Tode 1976. Mao ist bekannt für den „Großen Sprung nach vorn“ und seine „Kulturrevolution“. Das klingt vielversprechend, aber unter diesen Politikprogrammen kam es zu grausamen Morden, Hungersnöten und ethnischen Säuberungen, die rund 45 Millionen Menschen das Leben kostete. Außerdem wurde jahrhundertealtes, chinesisches Erbe zerstört.
Auf Mao folgte Deng Xiaoping, der Reformer. Er wollte verhindern, dass es je wieder einen Massenmörder wie Mao an der Spitze des Landes geben sollte und begrenzte die Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre. Dengs Reformen waren vor allem marktwirtschaftlicher Natur: Er machte einzelne chinesische Städte zu sogenannten Sonderwirtschaftszonen, in denen nach marktwirtschaftlichen und kapitalistischen, nicht nach sozialistischen Vorstellungen gearbeitet wurde. Diese Wende war das Ende der kommunistischen Planwirtschaft und der Beginn des Aufstiegs Chinas. Zur gleichen Zeit kontrollierte die KP die Bevölkerung totalitär.
Erinnerst du dich an dieses Bild?
Das Bild zeigt einen Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Die Demonstrierenden verlangten die Öffnung des Landes und demokratische Reformen. Aber die Proteste wurden, wie man sieht, gewaltsam niedergeschlagen. Erst nachdem China im Jahr 2001 Mitglied der Welthandelsorganisation wurde, begann eine zaghafte Entspannung. Das Internet schien eine moderate Pluralisierung von Meinungen und eine dosierte Vielfalt ihres Ausdruck zu begünstigen. Dann aber kam Xi Jinping. Er stoppte den Öffnungskurs nach seinem Amtsantritt als Generalsekretär.
In den vergangenen zehn Jahren hat er die Reformen Dengs kassiert und sich, neben Mao, als wegweisenden Führer des Landes positioniert. Noch nie war die Kontrolle so groß und die Freiheiten der Menschen so klein wie unter Xi Jinping.
Wie funktioniert Xi Jinpings System?
Xi Jinping will den Chines:innen ein besseres Leben im ökonomischen Sinne verschaffen, ohne dabei, wie es in den meisten anderen freien Ländern überall auf der Welt üblich ist, gleichzeitig bürgerliche Freiheiten einzuräumen. Xis Ideologie richtet sich also gegen die Öffnung und die Modernisierung des Landes und teilweise gegen die Umsetzung grundsätzlicher Menschenrechte.
Xi sagt, der „chinesische Traum“ sei im übertragenden Sinne „die Kommunistische Partei“. So sagt es ein Parteiorgan, die Zeitung China Daily. Das heißt, dass sich alle Regungen des Landes dem Willen der Partei unterzuordnen haben. Das, was die Partei wiederum will, manifestiert sich allerdings alleine im Willen Xi Jinpings. Das heißt: Xi ist die Partei.
Xis Traum ist also der chinesische Traum.
Ja, und das kann man auch nachlesen: Xi Jinping hat seine gesammelten Überlegungen als Xi Jinpings Gedanken herausgegeben und jeden, vom Schüler bis zur Obersten Richterin, darauf verpflichtet, diese Elaborationen zu lesen. Damit knüpft er an Maos kleines, rotes Taschenbuch an, in dem dieser seine Ideologie zusammenfasste. Du kennst es vielleicht unter dem Begriff „Maobibel“.
Sind denn alle Chines:innen automatisch Mitglied in der Kommunistischen Partei?
Derzeit hat die Kommunistische Partei rund 95 Millionen Mitglieder. Das klingt nach einer Menge, gemessen an der Einwohnerzahl des Landes ist es das aber nicht. Es sind nur knapp sieben Prozent, denn China hat 1,4 Milliarden Einwohner:innen. Die Volksrepublik ist das bevölkerungsreichste Land der Welt. Dennoch hat die Partei viel Einfluss. Ein Beispiel: Firmen, in denen mehr als drei Parteimitglieder arbeiten, müssen eine Zelle einrichten, die mit der Parteiführung im Austausch darüber ist, ob in der jeweiligen Firma auch in der Tat Linientreue herrscht.
Das erinnert mich an die DDR.
Das System ist nicht dasselbe, aber vergleichbar. Präsident Xi betrachtet sich als Kopf des Parteiapparats. Mit einer kleinen, ausgewählten Zahl von Personen, dem Politbüro, leitet Xi die Geschicke des gesamten Landes. In den Nationalen Volkskongress, der einmal im Jahr tagt, werden Leute berufen, die sich um die Partei und ihre Ziele verdient gemacht haben. Anders als der Name vorgeben möchte, handelt es sich bei diesem Gremium nicht um ein Parlament. Weder bringt der Kongress Gesetze ein, noch diskutiert er sie. Er nickt vielmehr in einer einmal im Jahr stattfindenden, zeremoniellen Sitzung die Beschlüsse des Obersten Gremiums ab.
Welcher Ideologie folgt Xi Jinping, wenn er kein Kommunist ist?
Xi Jinping hat die Volksrepublik in eine totalitäre, faschistische Diktatur umgebaut. Im Zentrum dieser Diktatur steht der Präsident, der, in Anlehnung an die konfuzianische Lehre, als „Sohn des Himmels“ betrachtet wird, der „ein Mandat des Himmels“ zum Herrschen haben soll. Mit dieser pseudo-religiösen Aufladung des obersten Partei- und Staatsamts will Xi vorgeben, dass die Kommunistische Partei eine direkte, legitime Nachfahrin der vorangegangenen chinesischen Herrschaftsformen sei. Das Wesen „echten Chinesen-Seins“, so Xi, zeige sich in einem „Sozialismus chinesischer Prägung“. Damit meint Xi, dass Chines:innen quasi genetisch nicht zur Demokratie in der Lage seien, was natürlich Quatsch ist. Aber es stärkt sein Narrativ: Er bezeichnet die Demokratie sowie deren Freiheiten und Menschenrechte als westliche Erfindung.
Himmel, Herrgott!
Ja, so kann man es sagen. Xi Jinpings chinesischer Traum ist die allumfassende Herrschaft der Partei, mit dem Ziel einer „Verjüngung der Nation“. Das sind Vokabeln für die Gleichschaltung in Xis Diktatur, die einen ethno-nationalistischen Kern hat.
Sekunde. Xi Jinping bezeichnet sich als „Sohn des Himmels“ und ist noch dazu Rassist?
Das muss man leider so sagen, ja. Xi geht davon aus, dass die Han-Rasse, zu der 95 Prozent der Chinesen gehören, die „überlegene Rasse“ sei. Angehörige anderer Ethnien, wie die Uiguren im Nordwesten des Landes, in der Provinz Xinjiang oder die Tibeter gelten als minderwertig. Ihre Kultur wird mutwillig angegriffen, ihre Kulturdenkmäler zerstört, die Menschen all ihrer Freiheitsrechte beraubt. In Xinjiang sitzen eine Million Menschen in Konzentrationslagern ein, in denen sie zu „echten Chinesen“ umerzogen werden sollen. Der Kongress der Vereinigten Staaten hat dieses Vorgehen Xis, eine direkte Konsequenz aus seiner Rassenlehre, als Genozid an den Uiguren bezeichnet.
Was bedeutet das für das tägliche Leben der Menschen in China?
Wie in jeder Diktatur braucht Xi äußere und innere Feinde. Außen sind es die USA als Inbegriff der freiheitlichen und demokratischen Welt. Im Inneren sind es jene, die nicht der Maßgabe der Partei folgen
Die Überwachung in Xis Reich ist total, überall hängen Kameras, Gesichtserkennungssoftware ist im Einsatz. Den Menschen in China ist es nicht erlaubt, über VPN ins freie Internet zu gehen und so Informationen zu gewinnen, die von den Verlautbarungen der Kommunistischen Partei abweichen. Xi Jinping schreibt sogar vor, wie lange Jugendliche Computerspiele zocken dürfen.
Ich erinnere mich daran, dass während der Corona-Pandemie viele Menschen in chinesischen Städten dazu gezwungen wurden, zu Hause zu bleiben.
Ja, in China gilt die Zero-Covid-Strategie und das bedeutet, es gelten unbequeme Regeln. Vielleicht hast du das Video des Roboter-Hundes gesehen, der in Shanghai durch die Straßen lief und über einen Lautsprecher Hygieneregeln verkündet? Zum Höhepunkt der Omikron-Welle waren in Shangai rund 26 Millionen Menschen dazu gezwungen, in ihren Wohnungen zu bleiben.
Aber das ist nicht alles. Die Partei wacht nicht nur über die Technik, sondern auch über die Kultur. Wie viele Diktatoren und selbst ernannte „Strong men“ steht Xi Jinping für ein toxisches Männer- und ein antiquiertes Frauenbild. Es dürfen keine „femininen, verweichlichten“ Männer im Fernsehen zu sehen sein. Menschen der LGTBQI+-Gruppen werden ebenfalls geschmäht. Außerdem hat Xi Jinping den privaten Schulbetrieb abgeschafft. In den Abendschulen bekamen Kinder und Jugendliche Nachhilfe und Englischunterricht. Diese Schulen bereiten auch für ein Studium im Ausland vor, was der KP ein Dorn im Auge ist. Natürlich ist in Xis Reich auch Religion verboten.
Religion ist verboten? Was ist mit dem Konfuzianismus?
Der Konfuzianismus, dessen sich Xi bedient, ist nur eine abgespeckte Variante des wirklichen Konfuzianismus. In dem gäbe es keinen absoluten Herrscher, wie Xi einer ist. Religiöse Kultstätten, gleich welcher Religion, werden überwacht. Die fünf Millionen Katholiken im Land werden diskriminiert, weil der Papst in Rom und damit nicht in China sitzt. Anhänger der Meditationsbewegung Falun Gong werden verfolgt, gequält und auch getötet.
Das klingt alles grausam. Was bedeutet das denn für die Wirtschaft, hat die Partei die Arbeitgeber:innen auch in so einem festen Griff?
Die Kommunistische Partei hat in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass auch die Wirtschaft sich der Politik unterordnen und vor Xi Jinping beugen muss. Der weltweit bekannte Internet-Unternehmer Jack Ma, Gründer des Google-Pendants Alibaba, verschwand für Wochen von der Bildfläche, nachdem er es gewagt hatte, die Politik zu kritisieren. Und den Fahrservice Didi (das chinesische Äquivalent zu Uber) nahm die KP von der Börse, um ein Exempel zu statuieren.
Doch Chinas Bruttoinlandsprodukt wächst und wächst und wächst…
Ist die chinesische Wirtschaft nicht wegen der harten Lockdowns in sich zusammengebrochen?
Ganz so schlimm ist es nicht. Die Wirtschaftsleistung der Volksrepublik China hat sich innerhalb von zehn Jahren nahezu verdreifacht. Bereits jetzt ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt – hinter den USA. Ein Ende des Aufwärtstrends war lange nicht absehbar. Nun haben die Corona-Pandemie und auch die harten Lockdowns die Wirtschaft erstmals erschüttert. Auf lange Sicht aber wird sie sich wohl erholen.
Auf der anderen Seite hat Xi es verstanden, sich der Wirtschaft- und Finanzkraft Chinas zu bedienen, um seine Ideologie in der ganzen Welt zu verbreiten. So verkauft China etwa die Überwachungstechnologie, mit der die Uiguren unterdrückt werden, an andere Diktaturen wie die in Simbabwe. Und über die Initiative „Neue Seidenstraße“, die Xi Jinping 2013 gestartet hat, hat sich die Volksrepublik Einfluss auf rund 140 Länder auf der ganzen Welt gesichert.
Was ist das, die „Neue Seidenstraße“?
Im Zuge der Neuen Seidenstraße vergibt Peking Investitionskredite für Infrastrukturprojekte: Häfen, Straßen, Brücken, Kraftwerke. Sollten die Kreditnehmer ihre Schulden und die Zinsen nicht mehr begleichen können, sichert sich Peking ein Nutzungsrecht dieser kritischen Infrastruktur. Nach den Maßgaben Pekings müssen alle Investitionsprojekte der Neue Seidenstraße auch militärisch nutzbar sein. Die Kredite werden deshalb auch nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten vergeben, sondern nach der politisch-militärischen Wirksamkeit, die sie entfalten können. In Sri Lanka hat China beispielsweise in den Hafen Hambantota investiert. Eine Firma, an der der Staat China Anteile hat, besitzt deshalb nun die ausschließlichen Nutzungsrechte für die nächsten 99 Jahre. Der Hafen kann, wie jeder Hafen, nun auch militärisch genutzt werden. Kritiker:innen befürchten, dass China den Hafen strategisch nutzen wird, denn Sri Lanka ist sozusagen die Haustür Indiens – eines Erzrivalen Pekings.
Du hattest anfangs gesagt, dass China aufrüstet. Was haben wir da zu befürchten?
Die Volksrepublik hat in Militär und Ausrüstung investiert und hat heute eine der größten Flotten der Welt, nur noch übertroffen von den Vereinigten Staaten von Amerika. Das schlimme daran ist: Es ist gut möglich, dass sie auch eingesetzt wird. Unter Xi Jinping hat die Volksrepublik mit all ihren Nachbarn Grenzstreitigkeiten vom Zaun gebrochen. Mit dem Nachbarn Indien kam es bereits 2020 zu einem Gefecht im Himalaya. China erhebt aber auch Besitzansprüche gegenüber Territorien, die zu den Philippinen, zu Japan und zu Südkorea gehören. Peking behauptet auch, dass Taiwan, eine unabhängige Inseldemokratie 100 Meilen vor der chinesischen Küste, eine abtrünnige Provinz Chinas sei. Xi hat geschworen, die Insel einzunehmen und zu besetzen.
Die Situation erinnert stark an Russland und die Ukraine.
Die Situation ist vergleichbar, nur geht es China eben nicht um Europa, sondern um den Westpazifik. Chinas militärische Umtriebe haben das Ziel, den gesamten Westpazifik zu einem territorialen Gewässer Chinas zu machen. Derzeit handelt es sich um internationale Gewässer, die für den Welthandel offen stehen. China möchte die Weltregion kontrollieren, was unabsehbare Folgen für die gesamte Welt hätte.
Wie stabil ist die chinesische Diktatur?
Xi Jinping möchte sich im Oktober 2022 vom Nationalen Volkskongress ein drittes Mal zum Präsidenten ausrufen lassen. Dann hätte er den Umbau Chinas in eine faschistische Diktatur vollendet. Im Moment herrscht allerdings ein gewisser Richtungsstreit in Peking. Die Gegner Xis weisen auf die internationale Isolation hin, in die Xi die Volksrepublik manövriert hat. Zudem hat Xi die Corona-Pandemie schlecht gemanagt: Während der Lockdowns in Shanghai, Peking und anderen Metropolen des Landes im April und Mai 2022 waren Millionen von Chines:innen in ihren Häusern eingesperrt, ohne ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung. Die Arbeitslosigkeit hat mit 6,1 Prozent den höchsten Stand seit Jahren erreicht. Alles in allem ist durch Xis Politik Chinas Wirtschaft und ihr Wachstum in Gefahr.
Wie hat sich China durch die Corona-Pandemie verändert?
Peking hat die Pandemie und die Angst der Menschen vor Ansteckung genutzt, um die Freiheitsrechte weiter einzuschränken. Ein Beispiel: Auf dem Höhepunkt der Pandemie im Jahr 2020 brachte Peking ein sogenanntes Sicherheitsgesetz in der autonomen Stadt Hongkong durch, gegen das zuvor Millionen Menschen demonstriert hatten. Aufgrund der Pandemie konnten keine Proteste mehr stattfinden, das nutzte die chinesische Regierung für sich. Seitdem sind Gedanken, Worte und Werke, die im entferntesten mit Demokratie zu tun haben, in Hongkong verboten und können mit einer Auslieferung an die Volksrepublik und der Aussicht auf Gefängnis in China geahndet werden.
Der neue Stadthalter, John Lee, ist bekannt für seinen Gewalteinsatz gegen friedliche Demonstranten. Er hat geschworen, die einstmals so freie und plurale Stadt weiter unter das Joch des Sicherheitsgesetzes zu beugen und die Bewohner:innen zu knechten. Jüngst ließ Lee den 90-jährigen Kardinal der Stadt, Joseph Zen, inhaftieren, weil dieser von jeher ein Freund der Demokratie war. Das Signal an Hongkong ist klar: Religionsfreiheit ist ein Privileg der Vergangenheit. Das offiziell atheistische, gottlose China wird zum Angriff gegen alles blasen, was ihm nicht in den Kram passt.
Du sprichst von Hongkong, einer Sonderverwaltungszone. Gibt es denn auch direkt in China Proteste, vielleicht sogar eine mögliche Gegenbewegung?
Während des Lockdowns in Shanghai im April haben die Bewohner:innen der Stadt nachts ihre Fenster geöffnet und ihren Hunger und Frust auf die Partei in den Nachthimmel geschrien. Videos davon gingen um die Welt und haben Führer Xi blamiert. Er hatte angeordnet, dass Loblieder auf den Kommunismus gesungen werden.
https://www.youtube.com/embed/RBJj_UwkSyc
Shanghai ist ein Wendepunkt, denn zum ersten Mal dämmert es der Mehrzahl der Chines:innen, die in den Metropolen im Osten und an der Küste des Landes leben, in welcher Weise sie überwacht, kontrolliert und auf Knopfdruck eingesperrt werden können.
Glaubst du, China steht vor einer Revolte?
Leider glaube ich zurzeit noch nicht daran. Sollten sich die Menschen in China in der Tat erheben, dürfte Xi vor dem Einsatz von Waffengewalt gegen die eigene Bevölkerung nicht zurückschrecken.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger