Macron hat gewonnen! Steht das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahl jetzt endgültig fest?
Ja! Emmanuel Macron wurde als Präsident wiedergewählt. Mit 58,5 Prozent der Stimmen setzte er sich im zweiten Wahlgang gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen durch. Sie erzielte 41,5 Prozent.
Champagner🍾! Oder? Das ist doch Grund zur Freude?
Also mir fällt eher ein Stein vom Herzen. Kein Rechtsruck! Aber nach Champagner ist mir noch nicht.
Aber das ist doch ein ziemlicher Erfolg für ihn, oder?
Ja und nein. Macron ist der erste Präsident seit Jacques Chirac im Jahr 2002, der eine zweite Amtszeit antritt. Aber nur weil er die Wahl gewonnen hat, hat er nicht unbedingt die Herzen der Französ:innen erobert. Macron ist sich bewusst, dass es für ihn ziemlich knapp war. Seine Wahlparty am Fuß des Eiffelturms am Sonntagabend war bemerkenswert bescheiden, gerade für französische Verhältnisse: Es gab weder ein Buffet noch Champagner.
Warum war denn die Stimmung so schlecht?
Zunächst einmal, weil sich 28 Prozent der Französ:innen bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag enthalten haben. Sprich: Ein Drittel der Leute ist einfach zu Hause geblieben. Bei den 18 bis 24-Jährigen haben sich sogar mehr als 40 Prozent enthalten. Außerdem haben sechs Prozent der Französ:innen entweder keinen oder einen ungültigen Stimmzettel abgegeben. Dieser sogenannte „Vote blanc“ ist in Frankreich recht verbreitet.
Warum hatten die Französ:innen keine Lust zu wählen?
Bereits vor den Wahlen wurde immer wieder darüber gesprochen, dass die Menschen in Frankreich politikverdrossen und müde sind. Das Gefühl der Wahl war Erschöpfung. 2017 war es noch Wut. Das spiegelte sich bereits in der ersten Runde der Wahl in den katastrophalen Wahlergebnissen der traditionellen Parteien wider: Die Kandidatin der Republikaner, Valérie Pécresse, erhielt nur 4,78 Prozent der Stimmen, Anne Hidalgo von den Sozialisten sogar nur 1,75 Prozent. Es wirkt, als hätten die Französ:innen einfach keine Lust mehr auf Politik, zumindest nicht auf Demokratie. Die alten Großparteien sind am Ende. Als ich in Paris war, habe ich in den Tagen nach der ersten Runde immer wieder von einem „Zusammenbruch“ der republikanischen Werte sprechen hören.
Haben deshalb so viele Leute extrem gewählt?
Vermutlich. Immerhin haben bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April über die Hälfte der Wahlberechtigten auf die ein oder andere Art extrem gewählt: Die Rechtspopulistin Marine Le Pen ging mit 23,15 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Kandidatin hervor. Ihr folgten der Linke Jean-Luc Mélenchon mit 21,95 Prozent und dann auch schon der rechtsextreme Publizist Éric Zemmour mit 7,07 Prozent.
Dieser Text ist Teil des Zusammenhanges Deutschland und Frankreich: So bleiben wir Freunde.
Okay, krass. Aber zurück ins Hier und Jetzt: Was bedeutet das für das Ergebnis der Stichwahl am vergangenen Sonntag?
In Frankreich sagt man oft, in der ersten Runde entscheidet man sich für eine:n Kandidat:in, in der zweiten Runde entscheidet man sich gegen eine:n Kandidat:in. Es geht bei einer Stichwahl also oft nicht darum, jemanden ins Amt zu wählen, sondern zu verhindern, dass der oder die Zweitplatzierte ins Amt kommt: Marine Le Pen.
Auch diesmal sind viele der Stimmen für Macron in Wahrheit Stimmen gegen Le Pen gewesen. Im Anschluss war immer wieder zu hören, die Französ:innen hätten keine „echte Wahl“ gehabt – das ist aber, wie gesagt, nichts Neues in Frankreich. Es wird seit Jahren nach einem neuen Parlamentarismus, einem neuen Wahlsystem, gerufen. Nur wie das genau aussehen soll, das weiß leider keiner.
Aber Macron hat doch einen deutlichen Vorsprung! Redet ihr Medien ihn nicht nur klein?
Stimmt schon, insgesamt liegt Macron über 17 Prozentpunkte vor Marine Le Pen. Viele Bürger:innen und Expert:innen hatten mit einem knapperen Ergebnis gerechnet. Aber die 41,5 Prozent bei dieser Wahl sind das beste Ergebnis, das Le Pens Partei, der Rassemblement National, jemals erreicht hat: Über 13 Millionen Französ:innen haben sich eine Rechtspopulistin an der Macht gewünscht! Unter den 50- bis 59-Jährigen erreichte sie sogar eine knappe Mehrheit, und vor allem in den kleinen Kommunen holte sie deutlich auf. Auch in den meisten Überseegebieten, darunter die Französischen Antillen im Atlantischen Ozean und die Insel La Réunion im Indischen Ozean, lag Le Pen an erster Stelle.
Und wie reagiert Macron darauf?
Gleich zu Anfang seiner Siegesrede am Eiffelturm wandte sich Macron an all diejenigen, die er noch oder wieder von sich überzeugen muss: die Menschen, die ihn nur gewählt hatten, um Le Pens Sieg zu verhindern, die Nichtwähler:innen sowie die Wähler:innen des Rassemblement National. „Ab heute bin ich nicht mehr der Kandidat einer Partei, sondern der Präsident aller Französ:innen“, erklärte er. Macron versprach, Antworten auf die Wut, die Zweifel und das Schweigen all derjenigen zu finden, die ihre Stimme der Rechtspopulistin Le Pen gegeben oder sich enthalten hatten. Niemand werde vergessen werden, sagte Macron. „Diese neue Ära wird nicht die Fortsetzung der vergangenen Amtszeit werden.“
Macron will also alles anders machen als beim letzten Mal?
Das Ergebnis ändert nichts daran, dass viele Französ:innen mit Macron wahnsinnig unzufrieden sind. Seine Art zu regieren, nämlich nach der Top-down-Methode, kam zum Teil überhaupt nicht gut an. Das hat er offenbar verstanden und ist bereit, sich anzupassen. Vielleicht wird ihm aber auch nichts anderes übrig bleiben.
Wie meinst du das?
Am 12. und 19. Juni wird in Frankreich auch die Nationalversammlung neu gewählt. Gemeinsam mit dem Senat als zweiter Kammer des französischen Parlaments bildet die Nationalversammlung die Legislative der französischen Regierung. Auch sie wird in Frankreich durch das Volk direkt gewählt. Und viele Leute sprechen in diesem Zusammenhang aktuell von der „dritten Runde der Präsidentschaftswahlen“.
Wenn das Parlament neu gewählt wird, entscheidet sich, wie viel Rückhalt Macron wirklich hat?
Ja. In der Regel versucht man, dem neuen Präsidenten bei den Wahlen zur Nationalversammlung zu einer Mehrheit zu verhelfen, damit er handlungsfähig ist. Wenn seine Partei eine Mehrheit hat, kann das Parlament sich zum Beispiel bei Abstimmungen schneller einigen. So war es auch bei Macrons erster Amtszeit: Seine Partei, La République en Marche, erreichte damals eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Jetzt aber ist es gut möglich, dass Macron seinen Anspruch darauf verwirkt hat und man ihn abstrafen möchte. Das wäre auch eine Möglichkeit, die Macht, die in Frankreich ohnehin sehr stark auf den Präsidenten konzentriert ist – und die Macron besonders stark auf sich gemünzt hat – wieder etwas breiter zu verteilen.
Also erstmal Abwarten und vielleicht doch ein Schlückchen Champagner trinken?
Ja, los, schenk dir ein! Aber fest steht: Selten waren Prognosen so schwierig wie bei dieser Wahl. Das liegt unter anderem daran, dass noch nicht feststeht, welche Parteien sich bei der Wahl zur Nationalversammlung gegebenenfalls zusammentun und gemeinsame Kandidat:innen aufstellen, um ihre Chancen zu erhöhen.
Denn natürlich haben auch sie alle ein Interesse daran, Macrons Macht einzugrenzen und sich ihr Stück vom Kuchen zu holen. Noch lässt sich also nicht viel dazu sagen, wie leicht es die Regierung haben wird, die Macron in den kommenden Tagen ernennt.
Macrons erste Aufgabe ist es also, eine Regierung zu bilden?
Ganz genau. In Frankreich ernennt der Präsident den oder die Premierminister:in, sowie auf deren Vorschlag die einzelnen Minister:innen. Premierminister:in und Minister:innen bilden mit dem Präsidenten gemeinsam die doppelköpfige Exekutive. In den kommenden Tagen tritt zunächst die aktuelle Regierung unter Premierminister Jean Castex zurück. Sie führt die Geschäfte dann noch interimsmäßig bis zur Ernennung der neuen Regierung. Macrons erneute Einführung ins Amt muss spätestens am 13. Mai stattfinden, bis dahin muss eine Regierung gebildet worden sein. Noch kann nur spekuliert werden, wer Frankreichs neue:r Premierminister:in wird. Macron hat auf jeden Fall bereits vor der Wahl angekündigt, dass diese Person von nun an persönlich die Planung der Klimapolitik verwalten wird. Damit will er dieses Thema in seiner zweiten Amtszeit zur Chefsache und zur Priorität machen.
Was hat sich Macron für die nächsten fünf Jahre noch vorgenommen, was erwartet ihn?
Macron hat in seinem Wahlkampf nicht unbedingt mit konkreten Vorstellungen gepunktet, wie ich bereits in meinem Text über Macron erklärt habe. Einige Punkte zeichnen sich aber dennoch ab. Macron hat etwa erneut eine Rentenreform versprochen, zu der es in seiner letzten Amtszeit unter anderem aufgrund der Corona-Pandemie nicht gekommen ist. Er möchte das Renteneintrittsalter von 62 auf 65 erhöhen und das französische Rentensystem vereinheitlichen.
Weitere Themen sind die Klimapolitik, unter anderem mit Blick auf die Energiewende: Erst vor Kurzem hat Macron angekündigt, sechs neue Kernkraftwerke bauen zu wollen, der Bau weiterer acht soll noch geprüft werden. Außerdem hat er versprochen, die Jugend in den Mittelpunkt seiner Amtszeit zu stellen. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel das Bildungssystem eine große Rolle spielen, in dem es an mehreren Stellen hapert – unter anderem fehlen in Frankreich so viele Mathematik-Lehrer:innen, dass Mathe ab der 10. Klasse im Moment nur als Wahlfach angeboten wird.
Bleibt denn die Europapolitik ein wichtiges Thema für Macron?
Wie bereits 2017 lief Macron zu seiner Siegesrede zum Klang der europäischen Hymne ein, der „Ode an die Freude“ – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Europäische Union auch in dieser Amtszeit eines seiner größten Anliegen bleiben wird. Dabei steht der Krieg in der Ukraine natürlich ganz oben auf der Tagesordnung: Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar hat kein anderer westlicher Staatschef so oft mit Wladimir Putin telefoniert wie Macron. Er dürfte auch weiterhin die Lösung dieses Konflikts zu seiner obersten Priorität machen.
Auf europäischer Ebene wird die Energiepolitik zu einem der wichtigsten Themen von Macrons zweiter Amtszeit werden. Die teilweise Abhängigkeit der EU von russischen Gas- und Kohlelieferungen hat deutlich gemacht, wie dringend hier eine gemeinsame europäische Strategie erarbeitet werden muss.
Und dann ist da noch Macrons Wunsch nach einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik. Das von Bundeskanzler Olaf Scholz beschlossene Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr legt zwar einen jahrelangen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland bei, in dem die französische Regierung Berlin immer zu geringe Verteidigungsausgaben vorgeworfen hatte. Ich persönlich glaube zwar, dass die EU dadurch stark zusammenwachsen wird, dennoch machen nicht zuletzt die andauernden Debatten um Waffenlieferungen deutlich, wie viel Arbeit in diesem Zusammenhang noch nötig ist.
Wo wir gerade bei Scholz sind: Wann trifft er mit Macron zusammen?
Der Besuch in Deutschland ist traditionell die erste Amtsreise eines neuen französischen Präsidenten. Es wird damit gerechnet, dass Macron in den nächsten Tagen, vermutlich sogar noch in dieser Woche nach Deutschland reist, um Scholz zu treffen. Scholz hat Macron bereits einige Minuten nach der Verkündung der Wahlergebnisse gratuliert und betont, er freue sich, die gute Zusammenarbeit fortzusetzen.
Félicitations, herzliche Glückwünsche, lieber Präsident @EmmanuelMacron. Deine Wählerinnen und Wähler haben heute auch ein starkes Bekenntnis zu Europa gesendet.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) April 24, 2022
Ich freue mich, dass wir unsere gute Zusammenarbeit fortsetzen! pic.twitter.com/ZJQSc6OAz9
Bist du optimistisch für Macrons zweite Amtszeit?
Macron muss aus den Fehlern seiner ersten Amtszeit lernen. Er muss mehr zuhören, mehr Macht abgeben, weniger von oben nach unten regieren. Und wie gesagt: Vielleicht bleibt ihm nach dem Ergebnis der Nationalversammlungswahl gar nichts anderes übrig. Außerdem glaube ich, dass Macron grundsätzlich mit vielen Menschen und Parteien zusammenarbeiten kann: Wenn es ihm gelingt, eine möglichst breit gefächerte Regierung aufzustellen, und er tatsächlich die Klimapolitik zur Priorität dieser Amtszeit macht, glaube ich, dass dabei auch viel Gutes herauskommen kann.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert