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Hier ist Isolde, mit dem wöchentlichen Newsletter. Hier erkläre ich dir die wichtigsten Nachrichten zum Krieg in der Ukraine, heute geht es darum, ob Russland einen Genozid an den Ukrainer:innen begeht.
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Was ist zuletzt passiert?
Immer mehr internationale Politiker:innen nennen das Vorgehen der russischen Truppen in der Ukraine einen Völkermord. „Die Welt wird das als Genozid anerkennen“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei seinem Besuch in Butscha, das Schauplatz von grausamen Kriegsverbrechen geworden war. Auch der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nutzt das Wort „Völkermord“. Und das estnische und das lettische Parlament haben vergangene Woche dafür gestimmt, die Ereignisse in Orten wie Butscha als Genozid anzuerkennen. Aber der Begriff sollte nicht vorschnell eingesetzt werden – denn er zieht Konsequenzen nach sich.
Begeht Russland wirklich einen Genozid an den Ukrainer:innen?
Je mehr grausame Details aus der Ukraine an die Öffentlichkeit gelangen, desto klarer scheint für viele zu sein: Es handelt sich um einen Völkermord. Doch Grausamkeit, ja, selbst die massenhafte Ermordung von Zivilist:innen, bedeuten nicht automatisch, dass es sich um einen Genozid handelt.
Viele verwenden den Begriff „Genozid“, um zu betonen, dass es eine große Anzahl ziviler Opfer gab oder Kriegsverbrechen begangen wurden. Juristisch ist der Begriff aber klar definiert. Laut der UN-Völkermordkonvention versteht man darunter „die an einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe begangenen Handlungen“, in der Absicht, diese Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Es kommt also auf die Absicht an – und diese zu beweisen, ist oft schwer.
Viele sehen die Absicht bereits im Verhalten Putins und der russischen Truppen: Der Genozid-Forscher Eugene Finkel sprach schon vor Wochen von einem Genozid an der ukrainischen Bevölkerung und erklärte das auch in einem Interview mit N-tv. Andere sind zum jetzigen Zeitpunkt noch vorsichtig und befürchten eine Verwässerung des Begriffs. Expert:innen debattieren teilweise jahrelang darüber, ob man ein bestimmtes Ereignis als Genozid bezeichnen kann.
Juristisch ist das relevant, weil Wladimir Putin vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden könnte. Dort ist es möglich, einzelne Personen für schwerste Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Genozid, verantwortlich zu machen. Einer der bekanntesten Verurteilten ist Ratko Mladić, der unter anderem wegen Völkermordes an Bosniak:innen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Ein ähnliches Urteil könnte auch Putin bevorstehen, wenn mehr Beweise zusammengetragen sind.
Die Frage der Woche
KR-Mitglied Anna fragt: „Zahlt Russland weiterhin die Gebühr von etwa einer Milliarde US-Dollar im Jahr an die Ukraine für das Durchleiten des Gases an Europa?“
Es klingt paradox, aber Russland leitet weiterhin Gas durch ukrainische Pipelines nach Westeuropa. Vergangenen Freitag waren es 58,2 Millionen Kubikmeter Gas, sagte ein Gazprom-Sprecher der russischen Nachrichtenagentur Interfax. In den ersten Kriegswochen war die Gasmenge sogar besonders hoch und betrug täglich mehr als 100 Millionen Kubikmeter.
Nach dem aktuellen Vertrag zahlt Russland der Ukraine tatsächlich mehr als eine Milliarde US-Dollar Transitgebühren pro Jahr. Russland zahlt diese Gebühr, weil es auf die Einnahmen durch diese Gastransporte angewiesen ist. Die internationalen Sanktionen haben die russische Wirtschaft stark getroffen. Russland braucht die Einnahmen also dringend – so dringend, dass es sogar bereit ist, Gas durch die Ukraine zu leiten und dafür Gebühren zu zahlen. Am Ende lohnt sich diese Rechnung.
Es kann passieren, dass die Gasleitungen im Krieg so stark beschädigt werden, dass kein Gas mehr durch die Ukraine gepumpt werden kann. In diesem Fall gibt es eine Alternative: Das Gas könnte durch die Jamal-Pipeline strömen, die durch Belarus und Polen nach Deutschland führt.
Hast du eine Frage zum Krieg in der Ukraine? Dann nimm jetzt an meiner Umfrage teil.
Die Links der Woche
Wie viele Russ:innen stehen wirklich hinter dem Krieg in der Ukraine? Das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Lewada hat nun die Bevölkerung befragt. Das Ergebnis: Mehr als 80 Prozent der Russ:innen unterstützen den Krieg. Der Direktor von Lewada zweifelt nicht an diesen Zahlen, obwohl sie erstaunlich hoch sind.
Die Frage ist für Russ:innen allerdings schwer zu beantworten: Der Krieg muss in Russland offiziell „Spezialoperation“ genannt werden, und die russische Regierung leugnet die Kriegsverbrechen russischer Soldaten. Die Umfrageergebnisse sind also auch ein Ergebnis dieser Propaganda.
Meinungsforscher:innen kritisieren immer wieder, dass Umfragen in autoritären Systemen nicht zuverlässig seien. Das liegt unter anderem daran, dass kritische Menschen gar nicht erst an den Umfragen teilnehmen oder Angst haben, ihre Kritik zu äußern. In diesem Interview, das die Internetplattform Dekoder auf Deutsch übersetzt hat, erklärt ein russischer Soziologe, warum er Umfragen in Russland am liebsten verbieten würde.
Der russische Journalist und Youtuber Maxim Katz hat es einfach selbst versucht und die Menschen auf den Straßen Moskaus nach ihrer Meinung gefragt. Das Video hat englische Untertitel. Die Antworten sind sehr vielfältig und zeigen meiner Ansicht nach gut, wie unterschiedlich Russ:innen über den Krieg denken.
Die Hoffnung der Woche
Russische Soldaten plündern die Ukraine: Sie stehlen Kleidung, Waschmaschinen und Laptops und bringen die Gegenstände nach Russland. Das beweisen Aufnahmen von Überwachungskameras, Fotos und aufgezeichnete Telefongespräche.
Manchmal finden die gestohlenen Gegenstände aber zurück zu ihren Besitzer:innen, so wie dieses Handy eines zehnjährigen Mädchens. Ukrainische Truppen hatten einem russischen gefangenen Soldaten das Handy abgenommen und riefen die Nummern im Telefonbuch an, um die Besitzerin ausfindig zu machen.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos