Würden sich Kim Jong-un und die Sängerin Britney Spears auf einen Kaffee treffen, hätten sie sich bestimmt viel zu erzählen. Sie könnten zum Beispiel über Paparazzi lästern, die unvorteilhafte Fotos von ihnen machen und sich über die Klatschkolumnist:innen beklagen, die ständig das Gewicht der beiden diskutieren.
Kilo-Chaos! Britney Spears rutscht von einem Extrem ins andere! Kilo-Chaos auch bei Kim Jong-un! Nach jahrelanger Gewichtszunahme hat er deutlich abgenommen. Das wichtigste Indiz: die Luxus-Armbanduhr, die sein Handgelenk enger umschließt. Auf diesem Foto sieht man hervorragend, wie die Länge des Uhrenarmbandes Hinweise auf Kims Gewicht gibt:
Promiflash hätte es nicht besser recherchieren können. Doch hier handelt es sich tatsächlich um seriösen Journalismus – skurrile Diktatoren erfordern skurrile Methoden. Denn der Gesundheitszustand eines Diktators ist immer politisch. Würde Kim Jong-un zum Beispiel an einem Herzinfarkt sterben, hätte das unabsehbare Folgen für die knapp 26 Millionen Nordkoreaner:innen. Und würde er fitter und gesünder, wäre das ein deutliches Signal an die Welt: Mich werdet ihr nicht los.
Ein Teil des Problems ist natürlich, dass wir sehr wenig über das Innenleben Nordkoreas wissen. Die wenigen Nachrichten und Fotos, die uns erreichen, werden deshalb genau betrachtet, analysiert, interpretiert. Kims Armbanduhr machte schon 2019 Schlagzeilen: Die Luxus-Uhr der Schweizer Marke IWC Schaffhausen kostet nämlich mehr als 10.000 Euro. Wenn berühmte Menschen unverschämt viel Geld für Kleidung und Schmuck ausgegeben, interessiert das zwar immer die Öffentlichkeit. Britney Spears zum Beispiel hat mal ein Kleid für 1.200 Euro getragen (Sorry Britney, guten Geschmack kann man nicht kaufen, findet Gala). Aber in einem Land wie Nordkorea, wo Menschen Hunger leiden, ist eine Uhr für 10.000 Euro geradezu zynisch.
Was wir in eine Armbanduhr hineinlesen
Was also kann uns Kim Jong-uns Handgelenkumfang über den Zustand des Landes sagen? Mein Kollege Rico Grimm hat schon einmal über den Nordkorea-Konflikt geschrieben und erklärt, warum Kim Jong-un nicht einfach nur ein grinsender Irrer mit mangelnder Impulskontrolle ist. Sein Großvater Kim Il-sung, bis heute wie ein Gott verehrt, war dick, grinste ständig und trug einen Mao-Anzug, einen weit geschnittenen, schlichten Anzug. Sein Enkel und jetziger Diktator Kim Jong-un ist dick, grinst ständig und trägt meistens einen Mao-Anzug. Er wird also seinem Großvater immer ähnlicher: Möglicherweise will er damit seine Macht unterstreichen.
Kim Jong-uns exaktes Gewicht ist, wie lange Zeit sogar sein Geburtsdatum, unbekannt. Eine südkoreanische Nachrichtenagentur berichtete Anfang 2020, dass er 140 Kilo wiege – 50 Kilo mehr als bei seinem Amtsantritt 2011.
https://twitter.com/martyn_williams/status/1360307704800026625
Die Redaktion von Promiflash würde sich überschlagen vor Schadenfreude. Für viele Journalist:innen ist das Gewicht des Diktators aber mehr als eine fiese Schlagzeile. Es ist ein Anhaltspunkt für seinen Gesundheitszustand. Ist sein Übergewicht schon ungesund? Wie hoch ist das Risiko, dass er plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt, so wie sein Großvater?
Und was zur Hölle bedeutet es nun, dass er abgenommen hat?
Hypothese eins ist, dass Kim Jong-un vor kurzem einen gesünderen Lebensstil entdeckt hat – er hat nämlich eigentlich eine Leidenschaft für Alkohol, Zigaretten und Cola.
Hypothese zwei: Er ist krank geworden und hat deshalb Gewicht verloren. Der Diktator verschwand 2014 schon einmal wegen einer Krankheit für einige Zeit. Im Mai dieses Jahres tauchte er wieder ab und kam erst nach einem Monat zurück – mit der gleichen Armbanduhr wie immer, aber deutlich weniger Kilos auf den Rippen. Eine Erkrankung wäre ein Hinweis darauf, dass die Stabilität des Landes gefährdet ist.
Hypothese drei unterstellt Kim Jong-un ein gewisses Maß an Feinfühligkeit und Nähe zur Bevölkerung. Seit der Pandemie hungern die Menschen in Nordkorea wieder. Strenge Coronamaßnahmen, Unwetter und Wirtschaftssanktionen führten zu einer Lebensmittelknappheit. Auf einer Rede sprach Kim Jong-un sogar von einem „mühsamen Marsch“, eine Redewendung, die sich auf die Hungerkatastrophe in den neunziger Jahren bezieht. Damals verhungerten fast drei Millionen Menschen. Möglicherweise will Kim Jong-un der Bevölkerung zeigen, dass auch er den Gürtel, äh die Armbanduhr enger schnallt.
Natürlich ist nicht nur das Körpergewicht von Diktatoren interessant. Auch demokratischen Politiker:innen wird oft unterstellt, sie seien nicht fit genug für den Job. Zum Beispiel musste der amerikanische Präsident Joe Biden, immerhin schon 79, im Wahlkampf ständig beweisen, dass er nicht senil ist.
Der kleine Unterschied: Kim Jong-un ist ein brutaler, verbrecherischer Diktator, der ein repressives System kontrolliert. Er weiß vermutlich ganz genau, dass Menschen ihm den Tod wünschen oder seine Macht übernehmen wollen. Diktatoren sind paranoid. Wer sagt Kim Jong-un, dass er abnehmen muss, weil Übergewicht ungesund ist? Kann man ihm das überhaupt sagen, ohne das eigene Leben zu gefährden? Und falls es ihm jemand sagt: Traut Kim Jong-un dieser Person?
Diktatoren haben Angst zu sterben – weswegen sie sterben
Diktatoren leben aufgrund ihrer Paranoia gefährlich. Josef Stalin, Diktator der Sowjetunion, starb sogar an seiner eigenen Paranoia. Eines Nachts erlitt er in seinem Schlafzimmer einen Schlaganfall. Als er am nächsten Morgen nicht aufstand, wunderten sich die Wachen, trauten sich aber nicht nachzusehen, denn Stalin zu stören, konnte den Tod bedeuten.
Erst am Abend betraten sie die Gemächer und fanden ihn auf dem Boden liegend, in seinem eigenen Urin, unfähig zu sprechen. Die besten Ärzte des Landes waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis: Stalin hatte sie im Zuge der „Ärzteverschwörung“ aus Paranoia verhaften lassen. Noch am Sterbebett Stalins verhandelten vier hochrangige Politiker ihre neuen Machtpositionen.
Man muss sich das mal vorstellen. Der Mann, der eine totalitäre Diktatur errichtete, jahrzehntelang über eine Weltmacht herrschte, Millionen Menschen erschießen, verhungern und deportieren ließ, dieser Mann lag sterbend in seinem eigenen Urin, weil sich niemand traute, ihm zu helfen. Und als seine Parteifunktionäre ihn schließlich fanden, wollten sie ihm nicht helfen, weil sie seine Macht lieber unter sich aufteilten.
Wie paranoid ist Kim Jong-un? Wie gefährlich lebt er? Eines ist sicher: Wenn wir über seine 10.000-Euro-Armbanduhr sprechen und sein Gewicht schätzen, dann geht es um mehr als teure Accessoires und Fettleibigkeit. Es geht um das Leben eines Diktators und damit um ein ganzes Land.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Tarek Barkouni; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert