Es gibt eine Frage, die begleitet uns bei Krautreporter. Immer wieder steht in unserer Kommentarspalte oder unter unseren Posts in den sozialen Medien: „Warum gendert ihr in euren Artikeln?“ Warum also schreiben wir zum Beispiel „Schüler:innen“ statt „Schüler“, wenn wir erklären, für wen Distanzunterricht besonders anstrengend ist?
Egal, ob wir über Berührungsmangel, das Sterben im Mittelmeer, die Klimakrise oder das Coronavirus schreiben – irgendjemand findet sich immer, der oder die darüber stolpert oder sich aufregt, dass wir in den Texten auf unserer Homepage und in den sozialen Medien gendern.
Wir schreiben an dieser Stelle ganz bewusst, dass die Menschen sich aufregen. Denn Diskussionen über gendergerechte Sprache sind eines immer: emotional. Wer gendert, ist davon überzeugt, dass es richtig ist – wer es nicht tut, ebenfalls. Man könnte es fast einen Kulturstreit nennen. Für beide Seiten finden sich schlaue Argumente. Weswegen die Debatte sich auch noch durch eine andere Sache auszeichnet: Komplexität.
Mit diesem Text wollen wir deshalb niemandem eine gendergerechte Sprache aufzwingen. Wir wollen erklären, warum wir Krautreporter-Autor:innen schreiben, wie wir schreiben. Und warum wir uns für ein gendersensibles Formulieren mittels Doppelpunkt entschieden haben.
Eines vorweg: Es gibt bei Krautreporter keine generelle Pflicht zu gendern, alle Reporter:innen können selbst entscheiden, ob sie oder er es tut. Nur das Formale ist geregelt: Wenn gendern, dann mit Doppelpunkt. Vor ungefähr zwei Jahren haben wir diese Regel eingeführt, seitdem übernehmen immer mehr Reporter:innen das Gendern. Wenn in diesem Text also von „wir“ die Rede ist, sind diese Autor:innen gemeint, die große Mehrheit der Redaktion.
Sind alle mitgemeint?
Aber gehen wir die einzelnen Kritikpunkte der Reihe nach durch. Ein Argument, das von Kritiker:innen häufig zuerst genannt wird: Wir brauchen keine neue, gendergerechte Sprache, weil unsere Sprache bereits gendergerecht ist. Das generische Maskulinum (also zum Beispiel „Die Ärzte“) würde sich nicht auf das Geschlecht der Person beziehen und deshalb alle Geschlechter ansprechen und gleichermaßen meinen.
Untersuchungen zeigen allerdings, dass das Argument der mangelnden Notwendigkeit von gendergerechter Sprache so leider nicht stimmt. Das verdeutlicht dieses Beispiel: Mädchen im Grundschulalter können sich besser vorstellen, den jeweiligen Beruf zu ergreifen, wenn nicht nur von „Ingenieuren“, sondern auch von „Ingenieurinnen“ die Rede ist. Das hat eine Studie mit 591 Grundschülerinnen gezeigt. Ein anderes Beispiel: Bei Jobausschreibungen haben Studien herausgefunden, dass die Nennung mehrerer Geschlechter (beispielsweise „Wir suchen eine Ärztin oder einen Arzt in Vollzeit“) einen klaren Einfluss darauf hat, wer sich bewirbt: Wird in Stellenanzeigen nur das generische Maskulinum verwendet, bewerben sich weniger Frauen.
Deswegen empfiehlt zum Beispiel dieser Leitfaden des Ministeriums für Arbeit und Soziales in Baden-Württemberg Unternehmen, die nach neuem Personal in technischen Berufen suchen: „Richten Sie Ihre komplette Kommunikation geschlechtsneutral aus!“ Und deswegen ist es in Deutschland sogar gesetzlich verboten, per Stellenanzeige nur das eine oder das andere Geschlecht anzusprechen.
Bleibt die Frage, ob sich Frauen – unabhängig von der benutzten Sprache – bei bestimmten Berufen nicht vor allem deshalb seltener angesprochen fühlen, weil die Berufe historisch Männern zugesprochen werden? Beim Wort „Bauarbeiter“ könnten Personen demnach an Männer denken, beim Wort „Kosmetiker“ aber an Frauen. In einer Studie fand man allerdings heraus, dass auch bei Berufen, die dem Klischee nach eher Frauen zugeschrieben werden, zuerst an Männer gedacht wird, wenn das generische Maskulinum verwendet wurde.
Sollte das Geschlecht nicht egal sein?
Was man an diesen Beispielen sieht: Unabhängig davon, wer mit dem generischen Maskulinum alles gemeint sein soll – ob gendergerecht formuliert wird oder nicht, macht einen Unterschied. Natürlich werden Frauen allein wegen einer gegenderten Sprache nicht auf einmal besser bezahlt oder müssen sich nie mehr diskriminierende Sprüche anhören. Aber wie wir Dinge sagen und schreiben, kann dabei helfen, zumindest etwas mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
Zudem hat diese Studie von 2015 herausgefunden, dass geschlechtergerechte Sprache tatsächlich einen Einfluss darauf hat, ob Frauen beispielsweise in Führungspositionen landen und bei gleicher Qualifikation ebenso ausgewählt werden wie männliche Kandidaten: Zwei Forscherinnen untersuchten, ob der Mangel an weiblichem Führungspersonal damit zu tun haben könnte, wie deutschsprachige Stellenanzeigen formuliert werden.
Für ihr Experiment simulierten die beiden Wissenschaftlerinnen eine Recruiting-Situation und entwickelten fiktive Jobausschreibungen in unterschiedlicher Formulierung: Sie benutzen die rein männliche Form der Ansprache (Geschäftsführer, CEO), die maskuline Form mit m/w (Geschäftsführer m/w, CEO m/w) und als dritte Variante Wortpaare (Geschäftsführerin/Geschäftsführer, CEO m./CEO w.) Das Ergebnis ist erstaunlich: Wenn Stellenanzeigen für hohe Führungspositionen nur in der männlichen Ansprache oder mit m/w formuliert waren, schätzten Recruiter die Eignung von Kandidatinnen geringer ein im Vergleich zu männlichen Konkurrenten – bei gleicher fachlicher Qualifikation. Waren die Stellenanzeigen als Wortpaar formuliert, konnten die Wissenschaftlerinnen diesen Effekt nicht mehr beobachten.
Der emeritierte Professor und Psychologe Fritz Strack von der Universität Würzburg hat sich im Rahmen seiner Forschung mit dem Gendern von Sprache auseinandergesetzt. „Das ist ein psychologisches Problem, ob sich zum Beispiel beim generischen Maskulinum alle mitgemeint fühlen oder nicht“, sagt er. „Wir haben eine Mehrdeutigkeit in der deutschen Sprache, da stellt sich manchmal schon die Frage, wer jetzt gemeint ist. Damit müssen wir umgehen.“ Auch Strack will keine Diskriminerung durch Sprache. Aber gegenüber Gendersternchen, Unterstrich und Doppelpunkt ist er skeptisch.
Das unauflösbare Paradoxon
Die vielleicht interessanteste Frage rund ums Gendern ist diese: Führt gendergerechte Sprache am Ende sogar dazu, dass wir noch mehr diskriminieren? Weil wir durch das ständige Betonen auf das Geschlecht etwas in den Mittelpunkt stellen, das zum Beispiel bei Berufen eigentlich egal sein sollte? Führt Gendern dazu, dass wir – obwohl wir alle gleich behandeln wollen – permanent auf die Unterschiede hinweisen?
„Das ist ein Paradoxon, das man nicht auflösen kann“, sagt Bettina Hannover, Psychologin und Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung an der FU Berlin. „Man will eigentlich Geschlecht irrelevant machen durch eine gegenderte Sprache – kann das aber nur erreichen, in dem man Geschlecht betont.“
Hannover ist dennoch für die „Beidnennung in Kontexten, in denen es eine klare Geschlechtskonnotation gibt“, wie sie es ausdrückt. Beispielsweise also in einer Schulklasse die Ansprache „Schülerinnen und Schüler“. Die Professorin hat zahlreiche Studien zu den Auswirkungen gegenderter Sprache durchgeführt (auch jene an Grundschülerinnen, die wir weiter oben im Text erwähnen). „Es sollte immer um die Frage gehen: Welche mentalen Bilder entstehen beim Menschen, wenn Sprache verwendet wird?“ Und in diesem Punkt seien die Belege eben eindeutig, sagt Hannover: Beim generischen Maskulinum stellen sich Menschen eben nicht männliche und weibliche Personen gleichermaßen vor.
Das Geschlecht ist allerdings nur ein Teil der Identität; warum betonen wir diesen und lassen andere Teile (Religion, Hautfarbe etc.) weg? In einem viel gelesenen Artikel im Tagesspiegel schreibt die Schriftstellerin Nele Pollatschek sogar: „Deutschland ist besessen von Genitalien.“ Aber: die männliche Lesart des generischen Maskulinums ist nunmal existent (siehe die erwähnten Studien oben) und verschwindet nicht von allein. Irgendeine Lösung braucht es also.
Statt durch das Nennen einer explizit weiblichen Ansprache die Differenz der Geschlechter noch zu betonen, propagiert Fritz Strack eine gerechtere Sprache durch Inbesitznahme. „Nehmen Sie Klaus Wowereit zum Beispiel. Er ist schwul, er hat sich aber als Berliner Bürgermeister hingestellt und gesagt: Ich bin schwul und das ist gut so!“, sagt Strack, „und heute haben wir vielleicht bald einen schwulen Bundeskanzler. Darüber wird sich niemand mehr aufregen.“ Eine solche Handhabe kann sich Strack auch für Frauen vorstellen: „Eine Ärztin könnte sich doch sehr bewusst hinstellen und sagen: Ich bin Arzt und das ist gut so! – und damit die männliche Kategorie in Besitz nehmen.“
Das klingt wie eine schöne Utopie, stellt aber erstens eine hohe Erwartung an jede Einzelne. Und löst zweitens das Problem einer strukturellen Diskriminierung durch Sprache leider nicht.
Gendern erfüllt nicht den ästhetischen Anspruch, den wir an Sprache haben
Kommen wir zum nächsten Problem, das Kritiker:innen einer gegenderten Sprache häufig nennen: Diese sei unästhetisch und erschwere das Textverständnis.
Manchmal führen diverse Doppelpunkt-Konstruktionen auch bei uns zu Sätzen, bei denen wir denken: So geht es nicht, das können wir den Leser:innen nicht zumuten (und uns auch nicht). Denn eines ist klar: Gendergerechte Schreibweisen machen Sprache nicht wirklich schöner. Findet auch Fritz Strack: „Der Doppelpunkt oder das „Stottersternchen“ sind Sonderzeichen. Es wäre das erste Mal, dass ein solches Sonderzeichen in die Semantik und die Phonetik eingebaut wird.“
Dennoch denken wir bei Krautreporter: Wir wollen allein wegen formaler Bedenken keine inhaltlichen Abstriche machen. Bei Sprache geht es für uns zwar auch um Ästhetik – mehr aber noch um Kommunikation. Wir wollen ein möglichst breites Publikum ansprechen. Jede:r soll sich in unseren Texten gemeint fühlen.
Hinzu kommt: Sprache bildet die Welt ab, in der wir leben. Und formt diese mit. Das kann jede:r mit einem einfachen Gedankenexperiment durchspielen: Es ist etwas anderes, wenn in einer Einladung an ein Professor:innen-Paar zum Essen etwa steht: „Hiermit laden wir Herrn Professor Müller und seine Frau ein“ oder „Hiermit laden wir Herrn Professor Müller und Frau Professorin Müller ein.“ Je nach Formulierung kann dabei im Kopf ein anderes Bild entstehen: einmal die Ehefrau als Anhängsel – einmal die Ehefrau als gleichwertig respektierte und eingeladene Person mit Expertise für ihr Fach.
Das folgende reale Beispiel unterstreicht dieses Gedankenexperiment: Als der Schauspieler George Clooney sich mit seiner Ehefrau Amal, die als Menschenrechtsanwältin tätig ist, 2016 mit Bundeskanzlerin Merkel traf, twitterte Regierungssprecher Steffen Seibert:
https://twitter.com/RegSprecher/status/698080695604899840
Die meisten Menschen kennen George Clooney als berühmten Schauspieler, weswegen eine Jobbezeichnung in seinem Fall nicht zwingend nötig ist. Bei Amal Clooney ist das anders. Dass sie eine hoch angesehene Expertin in Sachen Menschenrechten ist, hatte Seibert schlicht weggelassen; Amal Clooney wird so auf die Figur der Ehefrau reduziert.
Die Tagesschau hingegen drehte die ganze Causa um und schrieb auf Facebook unter ein Foto des besagten Treffens: „Bundeskanzlerin Merkel hat sich heute mit der international renommierten Menschenrechtsanwältin Amal Clooney getroffen, um über die Flüchtlingskrise zu sprechen. Clooney kam in Begleitung ihres Mannes, einem Schauspieler.“
Sprache dient der Gesellschaft und den Menschen, die in ihr leben. Demnach entwickelt sie sich der Lebenswirklichkeit und dem Zeitgeist entsprechend mit. Oder wie unser Kollege Gabriel Yoran schreibt: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Sprache, wie sie gerade zufällig war, als du sie gelernt hast, die einzig richtige ist und sich nicht mehr ändern darf.“
Deswegen lesen und schreiben wir heute kein Sütterlin mehr, deswegen bilden sich neue, urbane Soziolekte aus, deswegen werden erwachsene Frauen heute nicht mehr mit „Fräulein“ angesprochen. Sogar die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) – die laut Selbstauskunft der „Pflege und Erforschung der deutschen Sprache“ dient – empfiehlt eine diskriminierungsfreie Formulierung.
Gendern ist unleserlich
Immer wieder äußern Leser:innen aber noch einen weiteren Kritikpunkt: Gendern sei schwer verständlich. Es gibt tatsächlich Streit darüber, wie am besten geschlechtsneutral formuliert werden sollte. So hat sich die GfdS im vergangenen Jahr etwa gegen das Gendersternchen ausgesprochen: „Der Stern im Wort ist weder mit der deutschen Grammatik noch mit den Regeln der Rechtschreibung konform. Das Nebeneinander des Gendersternchens und anderer Formen führt zu Uneinheitlichkeit und auch in Bezug auf die Sprechbarkeit gibt es gewisse Probleme.“
So lässt sich vielleicht erklären, dass manche unserer Leser:innen sagen, sie verstünden Texte gar nicht mehr, wenn gendergerechte Sprache benutzt wird. Untersuchungen, die das belegen, gibt es bisher keine. Dafür aber beispielsweise diese: Eine Studie, in der 86 Teilnehmer:innen eine Packungsbeilage lesen mussten und anschließend dazu befragt wurden, kam zu dem Ergebnis, dass alle Versionen gleich gut verstanden wurden.
Inzwischen gendern viele Redaktionen: Vergangene Woche gab der Tagesspiegel bekannt, dass ihre Autor:innen künftig gendern können, wenn sie wollen. Im ZDF gendert Claus Kleber immer wieder im Heute Journal, seine Kollegin Petra Gerster folgte ihm in den Heute Nachrichten. Mit Radio Fritz gendert jetzt ein ganzer Radiosender. Beim Musiktreamingdienst Spotify werden „Künstler*innen“ aufgezählt. Und auch der Duden fügt den Berufsbezeichnungen seit Herbst 2020 auch die weibliche Form hinzu.
Damit sich unsere Leser:innen nicht bei jedem Artikel an eine neue Schreibweise gewöhnen müssen, lautet unsere Regel: Wenn gendern, dann mit Doppelpunkt. Durch ihn wollen wir erstens ausdrücken, dass neben Männern nicht nur Frauen in unseren Texten angesprochen werden, sondern auch alle Personen, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen wollen (deshalb reicht es uns nicht, Leserinnen und Leser zu schreiben). Der Doppelpunkt soll, so die Idee, alle weiteren Geschlechter repräsentieren. Zweitens finden wir ihn tatsächlich leserlicher als beispielsweise das Sternchen. Und drittens trägt der Doppelpunkt auch zu Barrierefreiheit bei: Screenreader, die von blinden Menschen benutzt werden, um sich Artikel vorlesen zu lassen, machen beim Doppelpunkt automatisch eine kleine Pause – genauso, wie es auch in der gesprochenen Sprache üblich ist.
Wenn das aber alles so ist, bleibt natürlich eine große Frage: Wieso ändern wir nicht unseren Magazin-Namen? Würde die Argumentation in diesem Text nicht folgerichtig nahelegen, „Krautreporter“ zu „Krautreporter:in“ zu machen, oder zu „Krautreporter:innen“?
Das hat vor allem einen Grund: Krautreporter ist ein Markenname, er bezeichnet nicht Menschen allein, sondern eine ganze Organisation. Der Fall ist verwandt mit der Frage, ob man zum Beispiel „Kanzleramt“ gendern sollte. „Beim Kanzleramt geht es ja nicht um einen geschlechtlich aufgeladenen Kontext“, sagt Professorin Hannover, „es geht um ein Objekt, um ein Gebäude, bei dem Wort denkt niemand konkret an Personen. Deswegen muss in diesem Fall auch nicht gegendert werden.“
Einerseits. Andererseits melden Leser:innen manchmal zurück, dass sie den Namen als Beschreibung einer Personengruppe verstehen, obwohl für uns mehr dahinter steckt. Es ist ein Dilemma, das dadurch verstärkt wird, dass eine Marke eben eine Marke ist, sie sorgt für Bekanntheit und sie zu ändern, wäre ein größerer Schritt als in Texten zu gendern.
Aber wenigstens in diesem Punkt hat schon Gewöhnung eingesetzt. KR-Mitglied Benny schrieb neulich unter einem unserer Artikel:
„Als Krautreporter-Neuling war es für mich schwierig den Text zu lesen. An ungefähr 30 Stellen im Text hat mir mein Unterbewusstsein mitgeteilt: Ey! Da ist ein Doppelpunkt, aber da gehört keiner hin!“
KR-Mitglied Alex antwortete ihm:
„Ich war gerade wirklich überrascht, als ich deinen Kommentar gesehen habe. Mir ist es beim Lesen absolut nicht aufgefallen – ist also tatsächlich reine Gewohnheitssache!“
Fritz Strack bleibt skeptisch. Er rechnet nicht damit, dass sich eine modifizierte deutsche Sprache mittels Doppelpunkt behaupten kann. „Vielleicht ist es auch eine Sache des Alters. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Doppelpunkt sich auch alltagssprachlich, zum Beispiel morgens am Frühstückstisch, durchsetzen wird.“
Vielleicht hat er recht. Vielleicht ist der Doppelpunkt nicht die Lösung, nach der alle suchen. Gendergerechte Formulierungen machen Sprache komplizierter. Vielleicht gibt es irgendwann eine viel einfachere Variante, gendergerecht zu schreiben, auf die sich alle einigen können. Bis dahin versuchen wir, so gerecht zu formulieren, wie es geht.
Manche finden das anstrengend – wir auch. In diesem Punkt können wir gar nicht anders als unseren Kritiker:innen zuzustimmen. Aber das menschliche Gehirn lernt erstaunlich zügig: Als unser Geschäftsführer Leon 2019 zum Vorstellungsgespräch kam und ganz selbstverständlich beim Sprechen immer dann eine kurze Pause machte, wenn er alle Geschlechter meinte („Leser - Pause - innen“), war das für viele von uns Neuland. Aber wir gewöhnten uns schnell daran. Seitdem benutzen wir diese Sprechweise fast ausschließlich. Und wenn wir es mal nicht tun, merken wir es selbst meistens sofort. Auf einmal unterbricht es unseren Redefluss, wenn wir nicht gendern. Das ist dann, als würde dich jemand zwicken – nur, dass es gar nicht weh tut.
Dieser Text ist zunächst deutlich kürzer erschienen. Nach 160 Kommentaren in unserer Kommentarspalte und 600 Kommentaren auf Facebook und Twitter haben wir uns entschieden, den Artikel noch einmal zu überarbeiten. Die Diskussionen waren so konstruktiv, dass sie berechtigte Fragen aufgeworfen haben, die wir nicht unkommentiert lassen wollten. Deswegen wurde die ursprüngliche Form des Textes erweitert.
Redaktion: Tarek Barkouni und Rico Grimm; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Till Rimmele.