Was ist passiert?
Im Juni beschlossen die Ministerpräsident:innen den Rundunkbeitrag um 86 Cent zu erhöhen, ihre jeweiligen Landesparlamente müssen dieser Erhöhung nun zustimmen. Seit Wochen gibt es deswegen Diskussionen – die in Sachsen-Anhalt eskalierten und nun zu einer Debatte über ostdeutsche Repräsentation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geworden ist.
Die CDU-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalts wollte der Erhöhung nicht zustimmen, obwohl ihre Partei den Ministerpräsidenten des Landes stellt und die beiden Koalitionspartner SPD und Grüne dafür sind.
Die Fraktion beruft sich auf den Koalitionsvertrag, in dem von „Beitragsstabilität“ die Rede ist. Ob das jetzt aber heißt, den Beitrag nicht zu verändern oder zum Beispiel an die Inflation anzupassen, ist nicht klar. Ohne die CDU gäbe es keine Mehrheit und damit keine Erhöhung. Im Zuge dieses Streits entließ Ministerpräsident Reiner Haseloff seinen Innenminister Holger Stahlknecht, der auch die CDU im Land führt.
Für besonders viele Diskussionen sorgte aber, dass die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt den Eindruck erweckte, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Auch diese lehnt eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ab und geht sogar noch weiter: Sie stellt die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks generell in Frage.
Diese Gemengelage erinnert an Thüringen im Februar 2020 und den Fall Kemmerich:
Damals hatte die CDU gemeinsam mit der AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Die AfD hatten in Thüringen FDP und CDU mit einem taktischen Spielchen bloßgestellt.
Geht es hier auch wieder nur um taktische Spielchen?
So kann man das nicht sagen. Erhöhungen des Rundfunkbeitrags sind bei vielen Politiker:innen unbeliebt und die CDU in Sachsen-Anhalt möchte schon sehr lange den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren und zum Sparen bringen. Dass die AfD auch gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist, dafür kann die CDU erstmal nichts. Aber es gibt ein Kooperationsverbot in der CDU: Keine Zusammenarbeit mit der AfD!
Deswegen warnt die medienpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion und Bremer Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann, vor einer Zusammenarbeit mit der AfD. Andere, wie der Generalsekretär der CDU Paul Ziemiak finden, dass die CDU die AfD damit zu groß und mächtig machen würde. Schließlich könnte die AfD dann ja jedes Vorhaben mit dem eigenen Stimmverhalten manipulieren.
Was aber richtig ist: An der Entscheidung zur Beitragserhöhung entzündet sich mal wieder eine Debatte, wie man mit der AfD umgehen muss und ob die CDU eigene politische Haltungen aufgeben muss, nur damit die AfD nicht gewinnen kann.
Warum ist der Innenminister Holger Stahlknecht denn entlassen worden?
Ministerpräsident Haseloff hatte sich von Anfang an für die Erhöhung ausgesprochen – zwar nicht unbedingt aus voller Überzeugung, aber den Anschein einer Zusammenarbeit mit der AfD, wie in Thüringen, wollte er auf jeden Fall vermeiden.
Innenminister Stahlknecht wiederum hat dann der Volksstimme aus Magdeburg ein Interview gegeben. In diesem Interview betont er nochmal seine Ablehnung und legte als Landeschef seiner Partei eine Meinung vor. „Die CDU wird ihre Position nicht räumen.“ Und weiter: „Die Partei steht ohne Wenn und Aber an der Seite der Fraktion.“ Außerdem drohte er indirekt damit, die Koalition mit der SPD und den Grünen platzen zu lassen und nahm eine CDU-Minderheitsregierung bis zur Wahl im Juni 2021 in Kauf.
Für seinen Chef Haseloff war das zu viel. In einer Pressemitteilung verkündete Freitagnachmittag die Entlassung. Der Grund: Das unabgestimmte Interview in der Volksstimme und die Aussagen darin. In der Pressemitteilung heißt es: „Das dafür notwendige Vertrauensverhältnis, das in besonderer Weise auch in die Führung des Innenministeriums erforderlich ist, ist durch das Vorgehen von Herrn Stahlknecht so schwer gestört, dass er der Landesregierung nicht weiter angehören kann.“
Stahlknecht trat daraufhin auch als Landesvorsitzender der CDU zurück.
Manche sehen in der Entlassung auch einen eskalierten Machtkampf in der sachsen-anhaltinischen CDU. Der Sachsen-Anhalt Korrespondent Reinhard Bingener der Frankfurter Allgemeinen fällt ein hartes Urteil über die CDU-Fraktion und schreibt: „Es gibt schon seit Jahren niemanden mehr, der Autorität hat, denn die Fraktion besteht zu nicht unwesentlichen Teilen aus Frustrierten, Unberechenbaren, Irrlichternden und solchen, die lieber mit der AfD zusammenarbeiten würden als mit SPD oder Grünen.“
Was für ein Problem hat die CDU-Fraktion mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Eigentlich geht es um zwei Probleme: Das Geld und den Inhalt. Die CDU möchte, dass die Rundfunkanstalten sparen. Sie findet den öffentlich-rechtlichen Rundfunk viel zu groß und aufgebläht. Es brauche nicht so viele Radio- und Fernsehsender, außerdem würden die oberen Etagen zu viel Geld verdienen. Und warum ein kleines Bundesland wie das Saarland mit dem Saarländischen Rundfunk eine eigene Anstalt mit einem Etat von knapp 130 Millionen Euro hat, verstehen auch viele nicht. Markus Kurze von der CDU sagte in einer Diskussion im Landtag zu der Erhöhung: „Aus kleinen Schnellbooten, die durch Deutschland fahren sollten, ist ein riesiger schwerer Tanker geworden. Wenn der Tanker zu langsam fährt, dann muss er Ballast abwerfen.“
Aber es geht um mehr als nur Geld. Auch inhaltlich kritisieren Politiker:innen der CDU den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Dabei geht es manchmal um eine vermeintlich zu links-grüne Position der Berichte und Kommentare und manchmal darum, dass die Berichterstattung die Lebensrealität vieler Menschen auf dem Land nicht mehr abbilden würde. Im dem Volksstimme-Interview sagt Stahlknecht: „Die Öffentlich-Rechtlichen berichten gelegentlich nicht auf Augenhöhe, sondern mit dem erhobenen Zeigefinger der Moralisierung.“
Was hat das mit Ostdeutschland zu tun?
Dass die Diskussion in einem ostdeutschen Bundesland so eskaliert, ist nicht gerade erstaunlich. Hier ist die Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks höher als im Westen. Das ist aber nur eine Folge mehrerer Faktoren, die die CDU – und andere Parteien übrigens auch – kritisieren: Neben einem hohen Gehalt sei ein Problem der Führungskräfte auch ihre Herkunft. Die ist in den meisten Fällen Westdeutschland. So hatte sich erst vor kurzem der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) den Münsteraner Klaus Brinkbäumer als neuen Programmdirektor in Leipzig gewünscht. Dass gemeinsame Institutionen der öffentlich-rechtlichen, wie die Filmproduktionsfirma Degeto, fast alle in Westdeutschland angesiedelt sind, ist in dieser Kritik noch gar nicht enthalten.
Auch würden in den bundesweiten Sendern ostdeutsche Themen nur sehr selten vorkommen. Und wenn, dann eben mit dem „erhobenen Zeigefinger“, den Stahlknecht nennt. Das liege auch an den vielen westdeutschen Journalist:innen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Die Kritiker:innen sprechen damit ein echtes Problem an. Untersuchungen über die Berichterstattung haben gezeigt, dass der Osten in den Medien oft mit negativen Stereotypen dargestellt wird: Als eine abgehängte Problemregion voller Rechtsextremist:innen.
Diese Kritik teilen übrigens Kommentator:innen, wie zum Beispiel die ZEIT-Autorin Jana Hensel. Sie sehen nun die Gelegenheit über ostdeutsche Repräsentation in den Sendern zu diskutieren.
Eine kürzlich erschienene Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung hat in Zusammenarbeit mit den Unis Leipzig und Görlitz-Zittau herausgefunden, dass gerade mal 6,9 Prozent der Führungspositionen in den Medien von Ostdeutschen besetzt sind. Dabei machen Ostdeutsche fast 20 Prozent der Deutschen aus.
Der Thüringer CDU-Politiker Mike Mohring kommentiert die mögliche Besetzung des MDR-Programmdirektors in Leipzig mit Klaus Brinkbäumer deswegen auch sehr kritisch. Brinkbäumer sei zweifellos ein exzellenter und hochdekorierter Printjournalist. „Aber er bringt wenig Erfahrung im Rundfunk und insbesondere auch keinerlei Ost-Sozialisierung mit”, twittert er.
Die Logik dahinter ist einfach. Solange Berichterstattung im Osten von Westdeutschen gemacht wird, so die Kritik, wird sie nicht wirklich wirklich aus dem Osten berichten. Und auch weniger die Lebensrealität von denen abbilden, die in der DDR und der Wendezeit eben die besonderen Erfahrungen gemacht haben, die bis heute wirken: Massive Arbeitslosigkeit, Rückbau von Infrastruktur und Aberkennung von Lebensleistungen.
So ist aus dem Streit um 86 Cent viel mehr geworden. Ob man die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk nun teilt oder nicht, spielt dabei erstmal keine Rolle. Denn die Fakten zeigen ja, dass die Diskussion auch ohne sie geführt werden könnte: Als Frage nach der Gleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland.
So hat die Regierungskommission „30 Jahre Deutsche Einheit” auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Verbesserungen gefordert: Ostdeutschland müsse sichtbarer werden.
Und wie geht es jetzt weiter?
Die Erhöhung des Rundfunkbeitrags muss von allen Bundesländern einstimmig beschlossen werden. Deswegen hätte eine Ablehnung in Sachsen-Anhalt die Folge, dass es erstmal keine Erhöhung geben würde und die Rundfunkanstalten mit dem gleichen Betrag wie bisher auskommen müssten. Dann müssten die Ministerpräsident:innen sich nochmal zusammensetzen und neu verhandeln.
Nachfolger als Landeschef für Holger Stahlknecht soll übrigens Sven Schulze werden. Der twitterte nach einem satirischen Video von Aurel Merz über Racial Profiling bei der Polizei:
https://twitter.com/schulzeeuropa/status/1295779357785567238
Die Koalitionspartner SPD und Grüne haben einen Kompromiss vorgeschlagen: der Erhöhung der Rundfunkgebühren zustimmen, aber gleichzeitig Reformen einfordern.
Redaktion Rico Grimm, Schlussredaktion: Theresa Bäuerlein, Fotoredaktion: Till Rimmele