Geschäftsführer müssen schweigen können. Sie sprechen nicht über Gehälter (aus Angst vor Neid), sie verraten keine Gewinnzahlen (aus Angst vor der Konkurrenz), sie erwähnen keine Schulden (aus Angst um den eigenen Job). Sie sagen lieber einfach: „Ja ja, das Geschäft läuft gut.“
Seit Anfang 2020 bin ich der neue Geschäftsführer bei Krautreporter und bisher habe ich das auch so gemacht. Heute höre ich auf damit.
Das erste Mal seit unser Gründung schrumpfen wir. Das ist eine bedrohliche Situation. Deswegen bitten wir euch, die KR-Mitglieder, um Hilfe, die Zukunft unseres Journalismus zu sichern. Und wer um Hilfe bittet, der sollte sagen, warum. Deswegen öffnen wir die Türen hiermit sperrangelweit und zeigen euch, was nur wenige kennen: unsere wichtigsten Zahlen.
Teil 1: Wie das Geschäftsmodell von Krautreporter funktioniert
Jeden Abend um 23.59 Uhr vibriert mein Handy. Server, die irgendwo in Augsburg stehen, rechnen aus, wie viele neue Krautreporter-Mitglieder wir in den letzten 24 Stunden gewonnen haben. Sind es über 20, war es ein guter Tag. Sind es weniger als zehn, mache ich mir Sorgen.
Jahrelang hatten wir gute Tage. Von Mitte 2016 bis Anfang 2020 ging die Kurve der Mitglieder steil nach oben. Seit einigen Monaten mache ich mir abends Sorgen, denn die Kurve hat einen ziemlichen Knick.
Die Anzahl der Mitglieder ist für uns wie die Ölstandsanzeige für ein Auto. Es fährt lange gut, wenn man dafür sorgt, dass der Ölstand immer über der Mindestmarke liegt. Die Mindestmarke, die hatten wir am 14. Mai 2014 beim Crowdfunding zur Gründung von Krautreporter festgelegt, sind 15.000 zahlende Unterstützer:innen. Am 13. Juni 2014, also einen Monat später, erreichten wir sie. Und wir so:
https://twitter.com/krautreporter/status/477406217682571264?s=20
Was wir damals nicht wussten: Der schwerste Teil sollte noch kommen.
Ein Crowdfunding ist ein einfaches Tauschgeschäft: Wenn genügend Menschen Geld geben, bekommen sie dafür einen Rasenmäher mit künstlicher Intelligenz oder ein anderes innovatives Produkt. In diesem Fall ein Onlinemagazin mit unabhängigem, werbefreiem Journalismus.
Wir hatten da nur leider etwas übersehen.
Wir dachten: Wir schaffen eine Plattform für Journalismus ohne Werbung und Medienkonzern und damit allein würden wir das Vertrauen unserer Crowdfunder gewinnen. Wenn das Magazin erst einmal aufgebaut wäre, dann würden sie auch langfristig dabei bleiben.
Wie naiv wir waren. Nach einem Jahr lief das Crowdfunding aus. 13.000 Geldgeber:innen kamen nach einem Jahr nicht wieder. Im Dezember 2015 hatte Krautreporter 70 Prozent seiner inzwischen über 18.000 Unterstützer:innen verloren.
Vertrauen lässt sich nicht durch ein Tauschgeschäft verdienen. Vertrauen entsteht, wenn man ein längeres Stück Weg gemeinsam zurücklegt. Vertrauen entsteht in einer Beziehung, nicht nur zwischen zwei Menschen, sondern auch zwischen 15 Journalist:innen und 15.000 Leser:innen. Ende 2015 baten wir unsere Unterstützer:innen, dauerhafte Mitglieder der neugegründeten Krautreporter-Gemeinschaft zu werden.
Wir schlossen also einen neuen Vertrag, mit mehr Bedingungen als bei einem einfachen Tauschgeschäft: Ihr beteiligt euch in Diskussionen, in Umfragen, in Mails und Kommentaren. Und wir hören euch zu. Wenn ihr unzufrieden mit unserer Arbeit seid, verlieren wir Mitglieder und nehmen geschäftlichen Schaden. Wir können nur existieren, wenn wir euch ständig in unsere Arbeit einbeziehen. Und so kommen wir nicht vom Kurs ab.
Seit der Gründung des Krautreporter-Clubs sind aus 4.800 Mitgliedern 13.700 geworden.
Teil 2: Wer an Krautreporter verdient
Wenn ein großer Zeitungsverlag sein Budget aufstellt, ist das so, als müsste er einen Kuchen zwischen vielen hungrigen Mäulern aufteilen. Am Tisch sitzen: die Redaktion, die Anzeigenabteilung, das Marketing, der Vertrieb, die Verlagsverwaltung, der Mutterkonzern, die Investoren. So bleibt am Ende nur ein kleines Stück für Recherchen und Texte übrig. Am Journalismus wird in Deutschland notorisch gespart.
Wir versprechen euch Mitgliedern das Gegenteil: Euren Mitgliedschaftsbeitrag münzen wir direkt in Recherchen um. Wir lassen weg, was große Verlagshäuser unbedingt brauchen. Anzeigen schalten wir nicht auf unser Website. Gedruckt wird Krautreporter auch nicht. Die Genossenschaft hinter dem Magazin will keinen Profit. Das Ergebnis: Über sechzig Prozent eures Mitgliedsbeitrages fließen direkt in Journalismus. Sechzig Prozent klingen nicht außergewöhnlich viel, aber hey, wir müssen auch Miete zahlen und Programmierer brauchen wir natürlich auch. Hier einmal die absoluten Zahlen. Insgesamt gibt Krautreporter im Monat rund 67.000 Euro aus. Hier ist das gesamte Krautreporter-Monatsbudget:
Teil 3: Die Zukunft von Krautreporter
Mit unserem Geschäftsmodell und einem schlanken Budget hatten wir also einige erfolgreiche Jahre. Wir wuchsen, unsere Texte wurden etwas klüger (und länger), 2019 bekamen wir sogar den Grimme-Online-Award. Als Vera und Rico, zwei der Krautreporter-Mitgründer:innen, auf der Bühne den Preis entgegennahmen, fühlte es sich an, als wäre die Zukunft von Krautreporter endlich gesichert.
Die Wahrheit ist, es reicht noch immer nicht.
Kommen wir nochmal zum Ölstand zurück: Mit genügend Öl fährt jedes Auto problemlos. Wenn der Ölstand unter der Mindestmarke steht, dann blinkt ein rotes Lämpchen, alle hundert Meter. So sollte man nicht zu lange weiterfahren.
Bei Krautreporter blinken seit vier Jahren die Lämpchen.
2016, 2017, 2018, 2019 machte Krautreporter insgesamt mehr als 93.000 Euro Verlust. In jedem dieser Jahre verdienten wir mit Journalismus nicht genug, weil wir zu wenige Mitglieder hatten. Unsere Strategie: Durch Rücklagen aus dem Crowdfunding, dem Geld von unabhängigen Stiftungen, Sparmaßnahmen und Dank des Kredites unserer Genoss:innen überleben und Jahr für Jahr einem wirklich ausgeglichenen Budget entgegenwachsen.
Krautreporter muss sich endlich allein aus der Kraft unseres Journalismus finanzieren können. Dafür ist 2020 das entscheidende Jahr. Dafür brauchen wir – wie damals beim Crowdfunding festgesetzt – 15.000 Mitglieder. Uns fehlen 1.300. Aber diesmal muss es klappen, denn es gibt nur zwei Szenarien:
Entweder wir erreichen unser Ziel, dann wird Krautreporter die nächsten Jahre sicher überleben, auch ohne Förderungen. Für mich als Geschäftsführer würde das heißen, dass ich nicht mehr um 23.59 Uhr wach liege und nervös auf die neuesten Mitgliederzahlen warte. Und es wäre ein großes Zeichen. Unser Ziel zu erreichen, wäre nicht nur für uns, sondern auch für andere ein starkes Signal: Unabhängiger Journalismus funktioniert.
Erreichen wir die 15.000 nicht, brauchen wir einen neuen Plan. Das heißt nicht, dass es Krautreporter nicht mehr geben wird. Aber wenn wir auch nach sechs Jahren nicht an die Schwelle herankommen, müssen wir einsehen, dass wir eine Wachstumsgrenze erreicht haben. Wir müssen dann überdenken, wie wir unseren Journalismus lukrativer machen. Das hieße, Kosten zu senken und Kompromisse zu machen. Wir erhalten regelmäßig Anfragen für Werbeplätze auf unserer Seite. Nur: Die vollständige Unabhängigkeit von Krautreporter wäre dann Vergangenheit.
Es sah so aus, als würden wir 2020 unser Ziel erreichen. Alles lief nach Plan. Doch dann kam die Pandemie. (Und ja, ich weiß, das ist der am häufigsten geschriebene Satz des Jahres 2020.) Und wir bewegen uns rückwärts, verlieren mehr Mitglieder, als wir neue dazugewinnen. Die Mitgliederkurve der vergangenen Jahre ist im Frühjahr abgebogen, hat ein Plateau erreicht, und ist vor Kurzem sogar zum ersten Mal gesunken.
Wir haben einen Plan, das zu ändern.
Die Idee ist einfach. Unsere Mitglieder, also ihr, seid die stärkste Kraft, die Krautreporter besitzt. Ohne euch schaffen wir das nicht. Wenn nur jedes zehnte Mitglied eine Person davon überzeugt, auch Mitglied zu werden, dann erreichen wir unser Ziel schnell. Deshalb senden wir euch gerade regelmäßig E-Mails, in denen wir euch bitten: Erzählt euren Freund:innen und Verwandten von unserem Magazin. Überzeugt sie, uns 30 Tage kostenlos auszuprobieren. Helft Krautreporter als Botschafter:innen.
Und für die über tausend Mitglieder die schon Botschafter:innen sind: Teilt diesen Artikel auf Social Media oder per Mail. Er hat keine Bezahlschranke. Zeigt euren Bekannten wofür Krautreporter steht: vollkommene Transparenz und Unabhängigkeit.
Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele