Donald Trump, wie er wisserisch lächelt.

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Nachrichten, erklärt

Der angebliche Putschversuch von Donald Trump, verständlich erklärt

Donald Trump hat die Wahl gegen Joe Biden verloren, aber er weigert sich das anzuerkennen. Manche sehen darin einen Putschversuch und fürchten einen Bürgerkrieg. Haben sie Recht? Eine Zusammenfassung der wichtigsten Fakten – für alle, die den Überblick verloren haben.

Profilbild von von Rico Grimm, Christian Fahrenbach und Caroline Schmüser

Schauen wir gerade wirklich live dabei zu, wie Donald Trump und die Republikaner einen Staatsstreich versuchen?

Nein. Das ist kein Coup. Vermutlich ist es noch nicht einmal ein Coup-Versuch. Gefährlich ist trotzdem, was gerade in den USA passiert.

Okay, ich möchte das kurz so stehen lassen, weil ich eine Sache nicht verstehe: Wir reden über einen Putsch in den USA! Und in diesem Zusammenhang sehe ich immer wieder Witze über Landschaftsarchitektur. Was soll das?

Das ist die beste Geschichte dieser US-Wahl, ein Synonym für die Ära Trump, die als Tragödie gelesen werden kann oder als absurde Farce.

Aber, sorry, bevor wir in die Details dieser Geschichte gehen können, müssen wir noch ein paar andere Fragen klären. Die Sache ist ernst, offiziell ist die Wahl noch immer nicht durch.

Warum behaupten so viele, dass wir es mit einem Putsch zu tun haben?

Weil Donald Trump den Ausgang der Wahl bisher nicht (öffentlich) akzeptiert hat. Es ist genauso gekommen wie erwartet. Normalerweise gratuliert der Verlierer dem Sieger nachdem die Ergebnisse feststehen. Als aber am vergangenen Samstag alle großen Medienhäuser der USA Joe Biden zum Sieger der Wahl ausriefen, griff Trump nicht zum Telefon, um Biden zu gratulieren. Stattdessen behauptete er auf Twitter ohne jeden Beweis, dass es sehr großen Wahlbetrug gegeben habe. Ein Team unter Führung seines Anwalts Rudy Giuliani fuhr sogar in den Schlüsselstaat Pennsylvania, um dort den vermeintlichen Wahlbetrug nachzuspüren.

Außerdem hat Trump nach der Wahl begonnen, reihenweise Leute zu entlassen, vor allem im Pentagon, dem Verteidigungsministerium der USA. Es mussten gehen: der Verteidigungsminister Mark Esper, der Stabschef des Ministeriums und ein Staatssekretär, der sich gegen die Personalveränderungen gewehrt hatte. Ex-Minister Esper hatte im Sommer dem Präsidenten klar und deutlich widersprochen als der einen Einsatz des US-Militärs im Inneren ins Spiel brachte. Außerdem mussten gehen: die Chef:innen der Atombehörde, der Behörde für Internationale Entwicklung und der Energiebehörde.

Relevant ist auch noch ein Vorgang im Justizministerium: Dort trat der Chef der Abteilung für Wahlbetrug zurück – aus Protest gegen einen Tabubruch: Der Generalstaatsanwalt (von Trump ernannt) hatte Ermittlungen wegen Wahlbetrug eingeleitet, obwohl die offiziellen endgültigen Ergebnisse noch nicht vorliegen. Normalerweise würde das Ministerium mit so einer Ermittlung warten, um die Auszählung nicht zu beeinflussen.

Der letzte und wichtigste Punkt, der für einen versuchten Coup spricht, sind die Aussagen von Trump, seiner engsten Berater und einiger Republikaner. Sie säen systematisch Zweifel an den Ergebnissen, behaupten, dass Stimmen manipuliert worden seien, sie lassen offen, ob Trump die Macht übergeben wird oder betonen wie einige prominente Republikaner immer und immer wieder, dass jede „legale Stimme gezählt werden müsse“. Eine banale, völlig selbstverständliche Aussage, die aber genau deswegen gefährlich ist. Denn wenn diese Banalität so betont werden muss, heißt das dann nicht im Umkehrschluss, dass es illegale Stimmen gibt und legale Stimmen verschwinden? So jedenfalls dürfte es bei vielen Trump-Unterstützern ankommen.

Bringen wir diese Zweifel nun in Kontext mit Aussagen wie diesen hier in einem Interview auf Fox News: „Die Wut in den roten Staaten sitzt so tief und ist so greifbar, dass es für die Gesetzgeber der Republikaner schwierig sein könnte, Biden’s Wahlleute zu ernennen.“ Dann haben wir eine Rechtfertigung dafür, dass Trump im Amt bleiben kann. Wahlbetrug plus Wut der Bevölkerung ergibt Anspruch auf vier weitere Jahre. Gemeinsam mit Entlassungen in den Ministerien, manche nennen es sogar „Säuberungen“, und Trumps Weigerung, den Wahlausgang zu akzeptieren fügt sich das in den Augen vieler zu einem Gesamtbild: Hier wird ein Staatsstreich versucht. Diese These vertreten liberale Journalist:innen wie Ezra Klein und Sarah Kendzior.

Aber auch Timothy Snyder, Harvard-Historiker, spezialisiert auf autoritäre Systeme, hat in einem viel beachteten Artikel geschrieben: „Ein Putsch ist im Gange, und die Zahl der Beteiligten nimmt nicht ab, sondern zu.“

Was spricht gegen die These vom Coup d’état in den USA?

Viel mehr als es auf den ersten Blick scheint. Um das zu beweisen, müssen wir nur eine Frage genau beantworten. Was macht einen echten Staatsstreich wirklich aus? Folgt man der Einschätzung von Menschen, die verschiedene Coups in verschiedenen Ländern analysiert haben, ist es enorm wichtig, hier genau hinzusehen, um sich nicht vor den falschen Dingen zu fürchten und die wichtigen, wirklich gefährlichen Sachen zu übersehen.

Die Coup-Expertin Erica De Bruin schreibt, dass diese Genauigkeit deswegen wichtig ist, „weil sich die Taktiken, die erfolgreiche Staatsstreiche verhindern sollen, von denen unterscheiden, die erforderlich sind, um andere Formen autoritärer Machtergreifung zu verhindern.“

Vereinfacht gesagt: Wir haben es dann mit einem Coup zu tun, wenn jemand versucht mit Gewalt die Macht im Staat an sich zu reißen. Der bekannteste Staatsstreich der jüngeren Vergangenheit bestätigt diesen Punkt: Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi konnte die Muslimbruderschaft als hochrangiger General mit nackter Gewalt aus dem Amt jagen.

Aber selbst der bekannteste gescheiterte Staatsstreich der vergangenen Jahre macht die Unterschiede zur Situation in den USA extrem deutlich: die Türkei im Jahr 2016. Es ist Freitagabend, als plötzlich Meldungen über die Ticker gehen, dass Jagdflugzeuge über den großen Städten der Türkei kreisen, Panzer an strategischen Knotenpunkten aufgefahren sind und Soldaten die wichtigsten Medienhäuser der türkischen Republik besetzt haben. Für ein paar Stunden sieht es so aus, als würde Präsident Recep Tayyip Erdoğan sein Amt verlieren. Erst als er sich live im Fernsehen per Videocall an die Bevölkerung wendet und um Unterstützung bittet, wendet sich das Blatt. Ein echter, erfolgreicher Coup wird von vier M geprägt, von Macht, Militär, Medien und Masse.

Der Unterschied zu den USA könnte extremer nicht sein. Präsident Donald Trump ist bereits im Amt, er hat schon die Macht, muss sie also nicht mehr gewaltsam erobern. Wenn Trump im Amt bleiben würde, wäre das kein Putsch, sondern ein Selbst-Putsch, ein sogenannter „autogolpes“, wie ihn zuletzt Venezuelas Nicolás Maduro versuchte. Hier schwächt die Regierung die anderen Gewalten (Parlamente, Gerichte) solange, bis sie unangefochten Macht ausüben kann. Wir Deutschen kennen das Prinzip sehr gut. Der berühmteste Selbst-Putschist der Weltgeschichte war Adolf Hitler.

Wenn das, was Trump versucht, aber ein Selbst-Putsch sein soll, stoßen wir sofort an das nächste Rätsel: Hitler kam im Januar 1933 legal an die Macht. Ein Jahr später hatte er schon politische Gegner eingekerkert, das Parlament mit tatkräftiger Unterstützung der bürgerlichen Parteien entkernt, alle anderen Parteien verboten und die Macht der größten Opposition, der Sozialdemokraten und Kommunisten, gebrochen. Trump allerdings kam ins Amt – und hat nichts dergleichen versucht. Er und seine Vasallen hatten vier Jahre Zeit, sich auf einen Staatsstreich vorzubereiten, also zum Beispiel Schlüsselpositionen im Militär mit ihren Leuten zu besetzen. Aber Trump war lieber auf dem Golfplatz, 285-mal in seiner Amtszeit.

Trump beim Golfen

Donald Trumps Handicap beim Putschen: Er golft zu viel. Getty Images/Ian MacNicol

Wichtiger noch: das Militär. In den USA stehen zur Zeit 1,4 Millionen Menschen unter Waffen. Die Armee des Landes, genauso wie die Nationalgarden der Bundesstaaten, sind der Kern staatlicher Gewalt, unterstützt von den 17 Geheimdiensten. Wer die Macht im Land an sich reißen will, kann das nur mit der Mehrheit dieser Sicherheitsdienste tun, nicht gegen sie. Die diversen Pro-Trump-Milizen, von denen vor der Wahl so viel die Rede war, hätten in einem Kampf um die Regierungsgewalt keine Chance gegen das US-Militär.

Donald Trump ist zwar amtierender Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, aber kein anderer Präsident war so verhasst in der Truppe wie er, der im Kampf gefallene Soldaten als „Loser“ bezeichnete. Im Sommer hatten sich mehrere hoch angesehene Ex-Generäle öffentlich gegen Trump gestellt. Die Geheimdienste hatte Trump quasi sofort nach Amtsantritt verloren. Einzig das Department of Homeland Security, das im Sommer ungekennzeichnete, schwerbewaffnete Einsatztrupps nach Portland, Oregon, schickte, um die dortigen Unruhen zu ersticken, dürfte eindeutig Pro-Trump sein. Aber das reicht nicht.

Zuletzt: die Medien und die Masse. Das sind die anderen beiden Zentren staatlicher Legitimität. Über Medien, soziale oder traditionelle, kann der Regierungschef das Narrativ beeinflussen, er kann eine Geschichte erzählen, die seinen Machtanspruch unterstreicht. Zugegeben, das versuchen die Trump-Leute. Aber: Sie haben bereits den wichtigsten Akteur verloren. Am Tag der Wahl änderte sich plötzlich die Tonlage beim TV-Sender Fox News, zumindestens im Nachrichtenteil. Vier Jahre lang war dieser Sender so etwas wie der Regierungskanal Trumps, plötzlich aber forderte eine Moderatorin Trump auf, die Niederlage in Würde zu akzeptieren. Fox News war es auch, das in der Wahlnacht als erste den Bundesstaat Arizona Joe Biden zuschlugen. Würde das ein Sender machen, der den Selbst-Putsch des Präsidenten unterstützt?

Das gleiche Bild zeigt sich bei anderen wichtigen Schlüsselmedien der rechts-autoritären Blase. Breitbart News attackiert schon jetzt Joe Biden, als wäre er Präsident. Bei The Daily Wire oder dem Drudge Report sieht es ähnlich aus. Trump hat den Kampf um die Deutungshoheit längst verloren, und wer das Militär nicht auf seiner Seite hat, kann auch nicht die Masse, die Bevölkerung des eigenen Landes, unter Kontrolle halten. Die USA sind die älteste Demokratie der Welt mit einer starken, gut vernetzten Zivilgesellschaft, die nach vier Jahren Trump kampfeslustig ist und schnell mobilisieren kann.

Donald Trump weiß das alles selbst – oder zumindest ahnt er es vermutlich. Sonst, und das ist das stärkste Argument gegen jede Coup-These, würde er nicht darüber nachdenken, in vier Jahren nochmal als Präsident anzutreten. So berichtet es Reuters, basierend auf einer anonymen Quelle, so hat es aber auch Axios berichtet, basierend auf zwei anonymen Quellen.

Wieso macht Trump dann so ein Gewese?

Trump ist ein Narzisst, der sich gerne selbst in den Nachrichten sieht. Wenn er Unfug twittert, kommt er in die Nachrichten – was wiederum einige Vorteile für die Zukunft bietet. Erstens können seine Leute mit der Rhetorik vom Wahlbetrug leichter Spenden sammeln, um die Schulden zurückzuzahlen, die während des Wahlkampfes angefallen sind. Zweitens hat Trump mehrmals darüber nachgedacht, sein eigenes Mediennetzwerk aufzubauen. Die Publicity, die er jetzt noch generiert, hilft ihm dabei. Drittens ist die Wahl noch nicht ganz vorüber.

Im kommenden Januar findet in Georgia die vermutlich wichtigste Wahl der nächsten Jahre statt. Dort kommt es zu zwei Stichwahlen für den US-Senat, die zweite Kammer im Parlament neben dem Repräsentantenhaus. Gewinnen die Demokraten beide noch zu vergebenen Sitze, haben sie eine Mehrheit im Senat und damit wenigstens theoretisch die Möglichkeit, ihre Vorhaben auch umzusetzen. Dazu gehören unter anderem ein ambitionierter Klimaschutz, ein großes Infrastrukturpaket und eine Reform der Krankenversicherung. Von der Wahl hängt auch ab, ob Politiker:innen wie die progressive Elizabeth Warren oder Bernie Sanders eine Chance hätten, in Bidens Kabinett zu kommen. Alles, was Joe Biden versprochen hatte, hängt von den Stimmen der Wähler in Georgia ab. Gewinnen die Republikaner hingegen beide Sitze, können sie mit ihrer Mehrheit alles blockieren. Die Republikaner jazzen die Wahl zur „Endschlacht“ hoch, inklusive militärischer Metaphern. Der Texaner Cruz twitterte: „Falls ihr nicht in den sozialistischen Abgrund fallen wollt, müssen wir die Stellung in Georgia halten.“

Also kein Coup vermutlich. Gibt es keinen Grund zur Sorge?

Doch. Denn auch, wenn es kein Coup ist – ein autoritäres, anti-demokratisches Machtspiel ist es trotzdem. Das ist banaler, aber „auf lange Sicht genauso gefährlich wie ein Coup“, wie Erica De Bruin schreibt.

Denn Trump und die Spitzen der republikanischen Partei untergraben wichtige Normen der Demokratie, sie untergraben das Vertrauen in den demokratischen Prozess. Joe Biden wird sich jahrelang mit dem Mythos herumschlagen müssen, dass er nicht der rechtmäßige Präsident der USA sei. Die USA könnten ihre eigene Dolchstoßlegende bekommen. Harvard-Historiker Timothy Snyder, bringt es auf den Punkt: „Wenn man hinterrücks angegriffen wurde, ist alles erlaubt. Wenn jemand behauptet, dass eine faire Wahl ein faules Spiel war, ist das die Vorbereitung auf eine Wahl, die wirklich faules Spiel ist. Wenn Sie Ihre Wähler:innen davon überzeugen, dass die andere Seite betrogen hat, dann versprechen sie ihnen damit, dass Sie beim nächsten Mal auch betrügen werden. Wenn man die Regeln verbogen hat, muss man sie als nächstes brechen.“

Was ich wirklich nicht verstehe: Wieso machen die Spitzen-Republikaner denn da überhaupt mit? Sie wissen doch auch, dass Trump verloren hat. Wieso sagen sie das nicht einfach?

Gegenfrage: Wieso sollten sie? Was hätten sie zu gewinnen? In der Logik einer Partei, die sich immer weiter von demokratischen Normen entfernt, ist das alles nur folgerichtig. Trump hat eine echte Fanbasis, mehr als 70 Millionen Menschen haben ihn gewählt. Aus Sicht eines republikanisches Spitzenpolitikers macht es Sinn, diese Menschen nicht zu vergraulen.

Wobei eine Differenzierung wichtig ist: Die wichtigsten Republikaner sagen zwar nicht, dass Biden die Wahl gewonnen hat, sie sagen aber auch nicht, dass Trump sie gewonnen hat. Sie sagen, wie wir schon gesehen haben, dass jede „legale Stimme“ gezählt werden und man auf die Ergebnisse der Gerichtsprozesse warten müsse. Aus ihrer Sicht eine famose Aussage, weil sie sich damit unangreifbar machen. Gegenüber Trumps Fanbasis, aber auch der breiteren Bevölkerung.

Was denn jetzt für Gerichtsverfahren?

Trump und seine Leute haben bisher mindestens 17 Klagen eingereicht – zum Großteil in den Schlüsselstaaten Pennsylvania, Nevada, Georgia und Michigan. Dort ist Bidens Vorsprung vergleichsweise gering, oder es steht noch kein Sieger fest.

Die meisten Klagen bedienen einen ähnlichen Mythos: Republikaner:innen sei das Beobachten der Stimmauszählung verweigert worden; Wahlhelfer:innen oder Wähler:innen hätten Briefwahlzettel manipuliert. Trumps Wahl-Team möchte erreichen, dass Gerichte die Bestätigung von Wahlergebnissen stoppen und Neuauszählungen anordnen.

Gleich vorab: Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich Wahlergebnisse bei einer Neuauszählung ändern, schreibt der Juraprofessor Richard L. Hasen. In Wisconsin hatte sich im Jahr 2016 das Ergebnis bei einer Neuauszählung um nur 571 Stimmen verschoben.

Um seinen Rechtsanspruch zu belegen, müsste Trump außerdem Beweise vorlegen, sagt Juraprofessor Ned Foley in einem Interview mit dem TV-Sender MSBNC: „Es reicht nicht, vor Gericht zu gehen, nur weil einem die Stimmenzahl nicht gefällt.“ Doch an Beweisen fehlt es. Zum Beispiel in Michigan: Dort wollte Trumps Wahl-Team vor Gericht die Neuauszählung von Briefwahlstimmen erreichen. Wahlbeobachter:innen hätten nicht genug Einsicht in die Zählung bekommen. Die Richterin Cynthia Diane Stephens wies die Klage zurück: Die Kläger:innen beriefen sich auf Hörensagen.

Nur in Pennsylvania könnte eine Klage tatsächlich den Obersten Gerichtshof erreichen. Dort schreibt das Staatsgesetz vor, dass Briefwahlzettel bis 20 Uhr am Wahltag in den Bezirkswahlämtern eingehen müssen. Der Oberste Gerichtshof hatte diese Frist im September per Eilantrag geändert, wegen Verzögerungen bei der Postzustellung im Zuge der Pandemie. Diese Verlängerung ermöglicht, dass Helfer:innen Stimmzettel, die bis zum Freitag ankamen, zählen dürfen – insofern sie einen Poststempel spätestens vom Wahltag tragen.

Trump möchte die Auszählung dieser Stimmzettel verhindern. Am Ergebnis der Wahl in Pennsylvania wird das aber wohl nichts ändern: Trump liegt dort derzeit mit etwa 53.000 Stimmen zurück. Aber nur etwa 10.000 Wahlbriefe gingen nach dem Wahltag ein. In Arizona, wo Biden mit etwa 11.000 Stimmen führt, hatte Trumps Wahl-Team eine Klage eingereicht, die höchstens 200 Stimmen in Frage stellt.

Um Präsident zu bleiben, müsste Trump aber systematischen Betrug beweisen, schreibt der US-amerikanische Wahlkampftaktiker Karl Rove im Wall Street Journal. Mit zehntausenden illegalen Stimmen – um Bidens Vorsprung auszugleichen.

Okay, die Klagen scheinen aussichtslos zu sein. Ist das Ding damit durch?

Die Gerichtsprozesse sind aussichtslos, ja. Die offiziellen Ergebnisse werden einen klaren Sieg für Biden ergeben. Deswegen liebäugeln einige republikanische Abgeordnete aus der dritten Reihe und aus den Parlamenten der Bundesstaaten mit der nächsten, noch gefährlicheren Eskalationsstufe: Was wäre, wenn die Wahlleute des Staates sich bei der Abstimmung am 14. Dezember einfach nicht an das Ergebnis halten, also einfach für Trump stimmen?

In Artikel 2 der Verfassung steht, dass die Legislative eines Staates so viele Wahlleute bestimmen darf, wie dieser Staat in den US-Senat und ins Repräsentantenhaus entsendet. Die Staaten dürfen entscheiden, wie die Wahlleute zu wählen haben – sie dürfen dabei aber nur vor der Wahl das Verfahren bestimmen und dieses nicht nachträglich anpassen. Es gibt allerdings eine bisher kaum beachtete Hintertür, falls die Wähler:innen es nicht schaffen, klar ihren Willen auszudrücken.

Das Szenario wäre, dass sich die republikanisch geführten Landtage der Bundesstaaten entscheiden, ihre eigenen Wahlleute zu der Abstimmung zu schicken und dies damit begründen, dass eine ordnungsgemäße Zertifizierung der Wahlergebnisse nicht möglich gewesen sei – beispielsweise, weil Rechtsverfahren noch offen stehen. Vermutlich würde ein solches Vorgehen Klagen bis zum Obersten Gerichtshof nach sich ziehen, weil unklar ist, ob die Parlamente in den Staaten überhaupt eine solche Macht hätten.

Einige Stimmen, unter anderem der Abgeordnete Daryl Metcalfe aus dem Repräsentantenhaus in Pennsylvania, forderten bereits: „Unser Parlament muss darauf vorbereitet sein, Rechte zu nutzen, um den Abstimmungsbetrug zu korrigieren“. Weil Trump über Jahre die Gerichte mit ihm wohlgesonnenen Richter:innen besetzt hat, befürchten die Demokraten das Schlimmste.

Klingt gruselig.

Ja, aber noch sagen die meisten Kommentatoren, dass es eher ein Zeichen von Schwäche als von Stärke ist, dass solche extremen Wege überhaupt bedacht werden.

Wer von außen beobachten will, ob die Lage tatsächlich eskaliert, sollte in den kommenden Wochen darauf blicken, ob die Ergebnisse bis zum 8. Dezember geräuschlos zertifiziert werden und ob Trump, andere wichtige Republikaner oder die Repräsentantenhäuser der Bundesstaaten tatsächlich ein solches Verhalten der Wahlleute am 14. Dezember fordern.

Okay, nehmen wir an, alles geht glatt. Kein Coup, keine juristischen Taschenspieler-Tricks: Joe Biden wird Präsident der USA. Was wird dann aus Trump? Der hat ja einige, wie soll ich sagen „juristische Probleme“. Kann sich Trump selbst begnadigen?

Nein. So wie sich Trump nicht selbst ein Apartment im Trump Tower verkaufen kann, so kann er sich auch nicht selbst begnadigen. Begnadigungen sind ein Rechtsakt, dazu gehören zwei unterschiedliche Parteien. Trump könnte aber er einen anderen Weg gehen, um sich aus der Schusslinie zu nehmen, den von Richard Nixon, dem wegen der Watergate-Affäre Gefängnis drohte. Nixon trat kurzerhand zurück, übergab das Präsidentenamt seinem Vize Gerald Ford – der ihn wiederum begnadigte.

Aber Gefängnis könnte Trump trotzdem drohen. Denn ein Präsident kann nur Begnadigungen für Verbrechen aussprechen, die nach Bundesrecht bestraft werden. Die aussichtsreichsten Ermittlungen laufen allerdings auf Staatsebene in New York wegen illegaler Wahlkampffinanzierung.

Hält sich Trump eigentlich illegal im weißen Haus auf, wenn er im Januar einfach da bleibt?

Ja. Was dann geschieht, hat ein Pressesprecher von Joe Biden schon angesprochen: „Die US-Regierung ist durchaus fähig, Eindringlinge aus dem Weißen Haus zu begleiten.“ Sobald Joe Biden gewählt und eingeschworen ist, ist Donald Trump in den Augen der US-Regierung nur noch eine Privatperson.

Aber Trumps Anhänger verschwinden nicht.

Das stimmt, sie bleiben und schon jetzt schielen republikanische Politiker, die mal groß rauskommen wollen, auf genau diese Fanbasis. Marco Rubio aus Florida geht in diese Richtung. Josh Hawley aus Texas stieß ins gleiche Horn. Das also kann eine Zukunft der republikanischen Partei sein, ein populistischer Volkskonservatismus wie ihn Boris Johnson in Großbritannien zu etablieren versucht. Auf der linken Seite warnen schon einige ganz im Sinne von Bertolt Brecht („Der Schoß ist fruchtbar noch“), dass Trump nicht das Ende des autoritären Amerikas sei, sondern dessen Anfang, wie Zeynep Tukfeci schrieb.

Aber es sind noch vier Jahre bis zur nächsten Wahl. Die Niederlage Donald Trumps ist auch eine Niederlage für den Rechtspopulismus auf der ganzen Welt. Trump war als „erfolgreicher Geschäftsmann“ und Reality-TV-Star, als Politik-Außenseiter, einzigartig. Es gibt keinen Faschismus-Automatismus. Aber Wachsamkeit hat der Demokratie auch noch nie geschadet.

Und was war denn nun „die mit Abstand beste Geschichte dieser US-Wahl“? Was ist mit dieser Landschaftsgärtnerei?

Okay, okay. Rein in die Szene. Am Morgen nach der Wahlnacht steht der mächtigste Mann der Welt, der eine Wahl anfechten will, auf dem Golfplatz. Er schickt seinen schillernden Anwalt, New Yorks Ex-Bürgermeister Rudy Giualiani los, um der Öffentlichkeit Beweise für den angeblichen Wahlbetrug zu präsentieren. Trump twittert: „Big press conference today in Philadelphia at Four Seasons — 11:30am!“ Dann löscht er den Tweet und korrigiert: „Big press conference today in Philadelphia at Four Seasons Total Landscaping — 11:30am!“ [Hervorhebung durch uns].

Anstatt im Hotel Vier Jahreszeiten findet die Pressekonferenz auf dem Hof einer Firma für Landschaftsarchitektur statt, die auch „Vier Jahreszeiten“ im Namen trägt. Gegenüber eines Krematoriums und eines Sexbuchshops, unter den Augen der Weltpresse. In dem Sexladen halten sich Menschen auf, die sich nicht raustrauen, der Besitzer des Ladens sagte später in einem Interview: „Ich habe Stammkunden die da, nun ja, nicht mit hineingezogen werden wollen.“

Ein Journalist war live dabei, sein Twitter-Thread ist Gold wert:

https://twitter.com/_RichardHall/status/1325088995773132803

Mitten in der Pressekonferenz von Giuliani kommt nun das Ergebnis: Joe Biden wird Präsident der USA. Die Journalist:innen packen – während Giuliani spricht – ihre Sachen und reisen ab. Das Internet explodiert vor Lachen. Die Präsidentschaft Trumps, die auf einer goldenen Rolltreppe begann, endet in einem Gewerbegebiet am Rande von Philadelphia.

Und die Firma für Landschaftsarchitektur verkauft nun Sticker auf denen steht „Lawn and Order” („Rasen und Gesetz“) und „Make America Rake Again“ (Ein „Rake“ ist ein Gartenrechen). Sie macht sich lustig über Trumps „Law and Order“-Getöse und über seinen Spruch „Make America Great Again“, und ein deutlicheres Symbol für das Ende Trumps kann es eigentlich nicht geben. Denn autoritäre Figuren haben auf alles eine Antwort, nur nicht auf Spott.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Bent Freiwald, Fotoredaktion: Till Rimmele.