Wir sehen Victor Orban, wie er aus einen neuen Daimler-Auto aussteigt.

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Wie deutsche Autohersteller von ungarischen Millionen-Subventionen profitieren

Sondersteuern für die einen, Förderung für die anderen: Mit manchen deutschen Großunternehmen pflegt die ungarische Regierung eine besondere Beziehung. Das hat Gründe.

Profilbild von von Szabolcs Panyi, Direkt36

Die ungarische Tochter der Deutschen Telekom, Magyar Telekom, war im Frühjahr 2012 im Krisenmodus. Sie brauchte dringend Unterstützung in ihrem Kampf gegen den jüngsten Plan der ungarischen Regierung. Die Regierung Orbán wollte eine Telekommunikationssteuer auf Textnachrichten und Sprachdienste erheben. Solch eine Steuer würde den Marktführer am härtesten treffen: die Telekom.

Die Telekom-Führungskräfte versuchten in der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, deutsche Automobilhersteller für sich zu gewinnen. Sie wussten, dass sie in Ungarn für die Orbán-Regierung äußerst wichtig waren. Während in den meisten Ländern Wirtschaftsdiplomat:innen – die Handelsattachés der Botschaften – für die Lobbyarbeit zuständig sind, vertritt im Falle Deutschlands in erster Linie die Handelskammer die Interessen deutscher Investor:innen. Doch die Initiative der Telekom scheiterte.

„Leitende Angestellte von Audi, Mercedes und anderen Unternehmen kamen gar nicht erst zu den Treffen. An Telefonkonferenzen nahmen sie nicht teil. Sie haben uns nie unterstützt, wenn wir Streit mit der Regierung hatten, weder damals noch irgendwann sonst“, klagt einer der damaligen Telekom-Führungskräfte über die mangelnde Solidarität zwischen den deutschen Unternehmen. „Es ging nicht nur um uns. Auch deutsche Energieunternehmen, die mit Sondersteuern ins Visier genommen wurden, machten ähnliche Erfahrungen“, sagt er.

Die Sondersteuer für die Telekom war nicht der erste wirtschaftliche Konflikt in den ungarisch-deutschen Beziehungen. Nach seinem Wahlsieg im Jahr 2010 wollte Orbán die stagnierende ungarische Wirtschaft nach der Krise beleben. Dadurch wäre das ohnehin schon hohe Haushaltsdefizit – im Vergleich zu anderen Ländern eigentlich nicht besonders dramatisch – noch weiter gestiegen. Nach der Wirtschaftskrise war es aber für die Europäische Union und die deutsche Regierung wichtig, dass kleinere Mitgliedsstaaten, darunter Ungarn, ihre Haushalte umsichtig verwalteten. Deutschland war mit der Griechenland-Krise beschäftigt und versuchte, die angeschlagene Eurozone zusammenzuhalten. Darum waren der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, und Angela Merkel mit Orbáns Plan nicht einverstanden. Die ungarische Regierung war gezwungen, sich dazu zu verpflichten, ihren Haushalt auszugleichen und die Staatsverschuldung zu reduzieren.

Orbán gestaltet Wirtschaftspolitik nach deutschen Wünschen

Trotz dieser Kontroversen bekam Orbán in Deutschland Anerkennung dafür, dass er seine Wirtschaftspolitik schließlich nach deutschem Geschmack gestaltete. Ein ehemaliger hoher ungarischer Regierungsbeamter beschreibt diese Situation so: „Wer hält sich an die Maastricht-Kriterien zur Sicherung der Stabilität der Eurozone? Die Italiener nicht, aber die kleinen Ungarn und die Polen schon.“ Wolfgang Schäuble (CDU), Bundesfinanzminister von 2009 bis 2017, war das einflussreichste Mitglied der damaligen deutschen Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Schäuble war immer unser wichtiger Verbündeter, er schätzte es, dass Ungarn die wirtschaftlichen Normen und Sparmaßnahmen einhielt“, sagt der Ex-Regierungsbeamte.

Das hatte jedoch einen hohen Preis: Da die EU und Merkel kein höheres Defizit zuließen, versuchte die Regierung Orbán, auf anderem Weg Geld zu beschaffen – durch eine Krisensteuer und sektorspezifische Sondersteuern. Auch deutsche Banken, Telekommunikations- und Energieunternehmen sowie Einzelhandelsketten waren davon betroffen. Dieses entschiedene Vorgehen überraschte die Akteur:innen in der deutschen Wirtschaft, so etwas waren sie nicht gewöhnt. „Nach 1989 verhätschelten die ungarischen Regierungen die Deutschen stets. Die Risse zu Beginn der zweiten Orbán-Regierung und dann 2015 (während der Flüchtlingskrise) rührten daher, dass die Deutschen es nicht verstanden, als die Ungarn plötzlich anfingen, ihre eigenen Interessen durchzusetzen“, sagt ein deutscher Experte mit Verbindungen zur ungarischen Regierung.

Audi, Mercedes, BMW können auf die Unterstützung Ungarns zählen

Ihm zufolge lassen sich die Bestrebungen der Regierung so zusammenfassen: „Es sollte, wo immer möglich, eine starke ungarische Präsenz geben. Aber die Deutschen können dominieren, wo es nicht möglich ist. Audi, Mercedes, BMW wissen, dass sie auf die stabile und langfristige Unterstützung Ungarns zählen können.“ Viktor Orbáns erklärtes Ziel war es nun, die ungarischen Eigentumsverhältnisse in Bereichen zu erhöhen, die von staatlichen Regulierungen abhängig sind: Energie etwa, Medien oder der Bankensektor. Hier wurden ehemals starke deutsche Akteure durch ungarische ersetzt – mit engen Verbindungen zur Regierung Orbán. So verkauften Axel Springer und die Deutsche Telekom ihre Beteiligungen an Regionalzeitungen und die Nachrichtenseite Origo.hu an Käufer aus dem Umfeld von Fidesz, wie ein kürzlich im Tagesspiegel erschienener Artikel über die Mediensituation in Ungarn zeigt. In exportorientierten Branchen, die technologisches Know-how erfordern, mussten sich ausländische Investor:innen jedoch keine Sorgen machen.

Neben einer rigorosen Haushaltsführung glich die Regierung Orbán die Belastung durch Sondersteuern vor allem in der Autoindustrie aus. Sie begann, staatliche Subventionen in deutsche Autounternehmen zu gießen. „Große deutsche Autohersteller erhielten alle Hilfen und Subventionen und konnten extrem gut davon profitieren“, erinnert sich ein damaliger Telekom-Manager. Unternehmen wie die Telekom gerieten zunehmend unter Druck. „Es gab die bösen multinationalen Konzerne, und es gab die guten multinationalen Konzerne“, erklärt der Ex-Manager. Die Telekom zählte sich zur ersten Gruppe.

Dank der Wirtschaftsstrategie der Regierung Orbán schnitten die Autohersteller sehr gut ab. Die älteste deutsche Autofabrik in Ungarn, Opel, die heute nur noch Motoren in Szentgotthárd produziert, erhielt 2011 staatliche Unterstützung von umgerechnet 15,3 Millionen Euro. Mercedes bekam 2009 bereits 61 Millionen Euro für sein erstes Werk in Kecskemét, 36 Millionen Euro für das zweite Werk im Jahr 2016 und mehr als 1,7 Millionen Euro im Jahr 2017. Audi wurde in den letzten zehn Jahren von der ungarischen Regierung mit einem ähnlichen Betrag unterstützt: 100 Millionen Euro. In diese Beträge eingerechnet sind nicht die örtlichen Subventionen und die Entwicklung der Infrastruktur, die den Fabriken dient. Das im Bau befindliche BMW-Werk in der Stadt Debrecen etwa bekommt 34,4 Millionen Euro als direkte staatliche Unterstützung. Aber zusammen mit der damit verbundenen Infrastrukturentwicklung ist die tatsächliche Unterstützung viel höher: rund 361 Millionen Euro.

Warum Ungarn gegen manche Unternehmen härter vorgeht

Neben größeren, bekannteren deutschen Konzernen haben auch unzählige große oder mittelständische deutsche Zulieferer:innen, die in der Öffentlichkeit weniger bekannt sind, von erheblichen Steuersenkungen und staatlichen Subventionen profitiert. Viktor Orbán selbst sprach auf einer Konferenz der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung darüber, dass der Handel Deutschlands mit den Ländern der Visegrad-Region (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) bereits heute viel umfangreicher ist als beispielsweise mit Frankreich, Italien oder Großbritannien.

„Die Deutschen und andere Mitgliedsstaaten verdienen gutes Geld an uns, sie sollten sich nicht beklagen. Und wir uns auch nicht“, sagt der Ministerpräsident.

Im Laufe der Zeit haben auch wichtige Akteure der deutschen Politik die Logik hinter Ungarns Sondersteuern verstanden. Ein deutscher Informant, der für die CDU arbeitet, sagt, er halte es für vernünftig, dass die Regierung Orbán hart gegen Energie-, Einzelhandels- und Telekommunikationsunternehmen und Banken vorgehe. Diese hätten „im vergangenen Jahrzehnt in Ungarn gutes Geld verdient“ und waren daher in der Lage, zusätzliche Steuern zu zahlen. Außerdem wollte die Regierung neue Arbeitsplätze schaffen. Dazu seien beispielsweise der Finanzsektor oder der Energiesektor nicht wirklich in der Lage. Dagegen stellen die Autofabriken offiziellen Angaben zufolge immer noch 2,6 Prozent der ungarischen Arbeitsplätze. Und ihre Zulieferer weitere drei bis fünf.

Die besondere Beziehung zwischen deutschen Großunternehmen und der Orbán-Regierung wird daran deutlich, dass der ungarische Staat 122 Millionen Euro von insgesamt 840 Millionen Euro rückerstattet hat, die er im vergangenen Jahr an Körperschaftssteuer eingenommen hatte. Dagegen erhielten ungarische Unternehmen nur umgerechnet 72 Millionen Euro an Subventionen. In den zehn Jahren der Fidesz-Regierung hat beispielsweise Audi in Ungarn viermal so viele Subventionen im Verhältnis zu den Arbeitsplätzen erhalten wie in Deutschland, heißt es in einem Artikel der ungarischen Webseite G7. Das Außen- und Handelsministerium antwortete nicht auf unsere Fragen nach der Rechtfertigung der genannten Förderquoten.

Die Unterstützung der ungarischen Regierung hat einen Preis

Laut einer CDU-Quelle bauten die deutschen Großinvestor:innen in Ungarn keine Beziehungen auf Parteibasis auf. Sie wollen einfach mit demjenigen, der gerade das Sagen hat, in gutem Einvernehmen sein. „Wenn Gergely Karácsony der nächste Ministerpräsident wird, muss auch er ein gutes Verhältnis zu Audi oder BMW pflegen. Natürlich bauen diese Unternehmen politische Beziehungen auf und nutzen sie, aber sie müssen sich nicht in die Parteipolitik einmischen. Auch deutsche Großunternehmen sind nicht auf den guten Willen der deutschen Politik angewiesen. Diese Unternehmen sind für sich allein groß genug, man braucht keinen deutschen Botschafter, um Viktor Orbán zu kontaktieren“, sagt die Quelle.

Zugleich zeigen mehrere Episoden, dass die Verbindung zwischen der ungarischen Regierung und deutschen Unternehmen auch heikel ist. Im Gegenzug für eine enge Beziehung akzeptieren viele deutsche Wirtschaftsführer die von der Orbán-Regierung diktierten Regeln und passen sich an, auch wenn sie sonst nicht damit einverstanden sind.

Lies Folge 4 der Serie.


Aus dem Engl. übersetzt von Vera Fröhlich, Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel