Ein vollkommen aus der Luft gegriffenes Gedankenspiel: Stell dir vor, du bist US-Präsident und du bist historisch unbeliebt. Bald steht deine mögliche Neuwahl an, aber in Umfragen liegst du ziemlich weit hinter deinem Konkurrenten. Du musst in die Offensive und hast eine Idee: Wie wäre es, einer staatlichen Stelle dringend benötigte Gelder zu verweigern, so dass du dich als Kandidat des schlanken Staats präsentieren kannst, als einer, der endlich was tut gegen den „Sumpf“? „Super Idee!“, sagen deine Berater und du musst nur noch überlegen, wem du das Budget zusammenstreichst: Wie wäre es mit der Bundesbehörde, die beliebter ist als jede andere? Die, von der 91 Prozent aller Menschen in deinem Land ein positives Bild haben?
Genau die nimmst du, und du verkaufst es der Welt mit der schlimmstmöglichen Argumentation: Du lehnst mehr Geld für die Post ab, weil sie es nicht schafft, sichere Wahlen zu garantieren. Achso, gefragt haben sie nach mehr Geld, um sichere Wahlen zu garantieren. Sie bekommen nicht mehr Geld für sichere Wahlen, weil sie bisher nicht garantieren können, dass es sichere Wahlen gibt? Willkommen im täglich rasselnden Nachrichtenbrummkreisel von Donald Trump!
Geschätzt rund 80 Millionen Menschen in den USA werden in diesem Jahr nicht am Wahltag ihre Stimme abgeben, sondern vorher persönlich oder per Brief wählen.
Bei der Wahl 2016 waren das 40 Millionen Menschen. Aus deutscher Sicht würden wir sagen: Na und? Das kann ja so schwer nicht sein. Und ist es am Ende nicht egal, ob Stimmzettel ausgezählt werden müssen, die vorher per Post kommen oder die am Wahltag in der Urne liegen? Nun, in den USA des Jahres 2020 droht Chaos genau wegen all dieser Punkte, ein Chaos, das diese Wahl verändern wird; möglicherweise wissen wir am Wahltag und einige Wochen danach noch nicht einmal, wer eigentlich gewonnen hat.
Waffenschein, Schülerausweis, Zeug:innen – was man braucht, um in den USA wählen zu können
Wer von Deutschland aus auf die USA blickt, kann sich nicht vorstellen, wieso es überhaupt so schwer sein soll zu wählen. Schließlich geht man bei uns einfach am Wahlsonntag mit der Wahlkarte in das Wahlbüro, das dem eigenen Zuhause am nächsten liegt, und entscheidet sich. Wer die Karte vergessen hat, kann sogar auch nur seinen Ausweis vorzeigen.
In den USA geht das alles nicht so einfach, wie diese eindrückliche Übersicht bei der auf Zahlen und Daten spezialisierten Nachrichtenseite Fivethirtyeight zeigt: Überall gibt es andere Fristen, notwendige Unterschriften – und Gerichtsprozesse, die das System der Stimmabgabe in Frage stellen.
Das Problem beginnt schon damit, dass es keine Meldepflicht gibt. Statt eines zentralen Verzeichnisses mit allen Bürgern des Viertels, die im wahlberechtigten Alter sind, müssen sich Stimmberechtigte registrieren. In jedem Staat gibt es aber unterschiedliche Deadlines mit abweichenden Varianten für die Registrierung online, per Brief oder vor Ort. Von wochenlangem Vorlauf bis hin zum Tag der Wahl ist alles möglich. Die Anforderungen an die vorzuweisenden Dokumente sind ebenfalls unterschiedlich. 18 Staaten schreiben einen Ausweis mit Foto vor, andere akzeptieren den Führerschein, wieder andere erlauben auch Schülerausweise oder Waffenscheine. In Minnesota beispielsweise reicht es, mit eine:r Zeug:in zu kommen.
Generell gilt: Je strikter die Vorschriften für einen Pass mit Foto sind, desto mehr arme Menschen und Schwarze werden ausgeschlossen. Über drei Millionen US-Amerikaner:innen besitzen laut öffentlich-rechtlichem Radio NPR keinen Ausweis oder keinen Führerschein, darunter besonders Junge, besonders Alte, besonders Arme in den Städten.