Am 1. Juli 2019 bekommt die Feuerwehr das Feuer nicht mehr in den Griff. Bei Lübtheen, Mecklenburg-Vorpommern, brennt ein Gebiet so groß wie der Tegernsee. Das Feuer verbrennt Bäume und hinterlässt schwarze aneinandergereihte Stümpfe. Es kriecht über den Boden und produziert eine Rauchsäule, deren Geruch weit nach Süden zieht.
In Brandenburg riecht man dieses Feuer. In Berlin. In Bad Düben, 216 Kilometer südlich von Lübtheen, riecht es Christian Noack.
Ein Jahr später geht Noack durch die Halle der Freiwilligen Feuerwehr Bad Düben in Nordsachsen. Der Geruch aus Mecklenburg-Vorpommern ist längst verflogen, stattdessen riecht es nach Diesel. Normalerweise sollten in der Halle sechs Fahrzeuge stehen, aber eins davon ist beim letzten Einsatz kaputt gegangen, der Partikelfilter ist verstopft. Als letztes Auto in der Reihe: Ein altes Feuerwehrauto aus dem Zweiten Weltkrieg, liebevoll restauriert und fahrbereit. Natürlich nicht für Einsätze, sondern für Feuerwehrfeste in ganz Deutschland. Dort, wo es um die Gemeinschaft der Freiwilligen Feuerwehren geht. Um ihre Stellung in den Dörfern und die Zukunft ihrer Arbeit.
Wer abseits der Autobahnen fährt, wird die kleinen Hallen der Freiwilligen Feuerwehren kennen. Ende 2017 gab es in Deutschland 22.346 Freiwillige Feuerwehren, getragen von fast einer Million Feuerwehrleuten. Forscher:innen schlagen schon seit langem Alarm. Der Klimawandel wird die Wälder in Deutschland anfälliger für Brände machen. Das bedeutet für die Freiwilligen Feuerwehren, dass sie sich vorbereiten müssen. Mit Gerätschaften, Fahrzeugen und mehr Personal.
Gerade im Osten kann das zum Problem werden. Dort wo es wenige große Städte gibt, die Bevölkerungsdichte kleiner ist, viele junge Menschen wegziehen und auch noch die Waldbrandgefahr am größten ist, sind Freiwillige Feuerwehren für die Sicherheit der Gemeinden zuständig. Gleichzeitig kämpfen sie trotzdem um Nachwuchs und Anerkennung.
Die Sicherheit bei Bränden liegt in der Hand von Menschen wie Christian Noack, der eigentlich in Leipzig bei der Leitstelle der Feuerwehr arbeitet und dafür dorthin pendelt. Menschen, die freiwillig ihre Zeit opfern. Wie gut sind sie vorbereitet?
Das ist ein freiwilliger Vollzeitjob
Noacks Einsatzgebiet in Bad Düben in Nordsachsen ist sogenannte Waldbrandklasse A. Die gefährlichste Kategorie: trockener Boden, Fichten, mit im Schnitt 425,2 Litern pro Quadratmeter trockener als die regenärmsten Jahre im restlichen Deutschland. Nordsachsen liegt in der gleichen Kategorie wie Korsika oder Südspanien. Seit zwei Jahren herrscht Dürre in Teilen Deutschlands, Bauern sorgen sich um ihre Ernten und Waldbesitzer um ihre Bäume. Und immer noch fehlt der Regen. Der Boden in Sachsen ist teilweise durchgetrocknet, der Frühling war schon zu trocken, im Osten besonders: Trockene Wälder brennen leichter als feuchte.
Das ist die Situation, vor der Noack steht. Aber er hat noch ein Problem: Die Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland haben seit Jahren Nachwuchsprobleme und auch die absolute Anzahl an Freiwilligen Feuerwehren sinkt. Noack selbst ist seit 16 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr Bad Düben, inzwischen zum Stadtteilwehrleiter aufgestiegen. Er sagt: „Was ich mache, ist ein voller Nebenjob, den ich ehrenamtlich mache.“ Noack hat jederzeit „den Pieper am Mann.“ Und sobald der losgeht, rast Noack zur Wache, egal was er gerade zu tun hat.“
Nach zehn Minuten soll die Feuerwehr vor Ort sein. Da beginnen schon die Probleme: „Wer weiter als zehn Kilometer von der Wache entfernt wohnt oder arbeitet, der braucht eigentlich nicht mehr zu kommen“, sagt Noack. In Zeiten, in denen kilometerweises Pendeln immer normaler wird und junge Menschen aus ihren Heimatdörfern wegziehen, wird die Mitarbeit bei der Feuerwehr zum Hindernis. Noack sagt: „Ich kann verstehen, wenn jemand die ganze Woche auf Montage ist und dann wenigstens am Wochenende Zeit mit der Familie verbringen will.“
Auch andere Feuerwehren haben ähnliche Probleme. Von den Jugendfeuerwehren machen nur noch wenige auch im Erwachsenenalter mit. In manchen Gebieten gerade mal einer von 30. Deswegen ist die Nachwuchsgewinnung ein großer Teil der Aufgaben, denn diejenigen, die noch mitmachen, sind oft schon älter als 50. Besuche in Kindergärten, Grundschulen oder Stadtfesten sind Pflicht, um die Bevölkerung daran zu erinnern, dass Mitmachen zwar freiwillig, aber eben auch notwendig für den Schutz der eigenen Wohnung ist.
Häufig spielt der Arbeitgeber nicht mehr mit
Noack findet, die Zeiten sind individueller geworden. Die Gemeinschaft bei der Feuerwehr ist heute eine andere. „Zu den Weihnachtsfeiern kommen jedes Jahr weniger. Und auch immer die gleichen.“ Neben der Familie und dem Wegzug von jungen Menschen hat die Freiwillige Feuerwehr nämlich noch ein Problem. Viele Arbeitgeber sehen es nicht gerne, wenn Mitarbeiter:innen für einen Einsatz plötzlich verschwinden müssen. Offen zugeben würde das zwar keiner, denn die Arbeitgeber sind gesetzlich dazu verpflichtet, Mitarbeiter:innen Einsätze zu ermöglichen. Aber Noack kann sie verstehen. „Der Glasermeister im Ort, der drei Leute beschäftigt und morgen ein Haus beglast haben muss, kann sich das nicht leisten, wenn einer von dreien immer wieder plötzlich weg muss.“ Klar gebe es auch andere Beispiele, solche, die für die Einsätze ihrer Mitarbeiter:innen der Stadt nicht immer eine Rechnung für die Entschädigung stellen würden, die ihnen zusteht. „Aber wenn du in nem halben Jahr 30-mal weg warst, dann lassen sich die Arbeitgeber eben einen anderen Grund einfallen, weswegen du nicht mehr bei ihnen arbeiten kannst.“
Es gibt in Deutschland gerade mal 105 Berufsfeuerwehren, also Standorte, wo Feuerwehrleute nach einem Dienstplan in der Wache sind und ein Gehalt bekommen. Solche Feuerwehren müssen, je nach Landesgesetz, ab einer bestimmten Bevölkerungszahl, meist 100.000 Einwohner:innen, eingesetzt werden. Aber auch hier ist der Osten besonders und es gibt Überreste der DDR, wo große Industriestandorte nach der Wende geschrumpft sind. Deswegen hat Altenburg in Thüringen nur 32.000 Einwohner und trotzdem eine Berufsfeuerwehr.
Nadelwälder brennen schneller
Der erste Waldbrand in diesem Jahr: Ende April. Noacks Truppe, bestehend aus neun Feuerwehrleuten, macht sich mit drei Fahrzeugen knapp 15 Kilometer auf den Weg. Die Temperatur steigt an diesem Tag nicht über 20 Grad, aber der Himmel ist wolken- und regenlos. Genau wie die Tage zuvor. Die Feuerwehrleute müssen in den Tiglitzer Forst an der Grenze zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo auf 1.500 Quadratmeter der Waldboden brennt: ein eher kleiner Brand. Trotzdem sind Brände in der Region gefährlich. Das liegt an den Fichten. Die harzigen Nadelbäume sind besonders anfällig für Waldbrände. Die Nadeln, die sie verlieren, bilden auf dem Boden eine leicht brennbare Schicht, in die sich das Feuer hineinfrisst. Ein Laub- oder Mischwald wäre viel weniger anfällig für Brände. Aber durch die Holzwirtschaft, die lange auf die schnell wachsenden Fichten gesetzt hat, gibt es viele Monokulturen. Außerdem ist der Boden von Nordsachsen bis nach Brandenburg sehr sandig. Dadurch versickert Regenwasser sehr schnell im Boden und der Boden trocknet noch schneller aus. „Die Einheimischen nennen das hier die Sandbüchse“, sagt Noack. Eine gefährliche Mischung.
Menschen sind für mehr als die Hälfte der Waldbrände in Deutschland verantwortlich. Mal schnippt jemand achtlos die Zigarette aus dem Auto, mal gerät ein Lagerfeuer außer Kontrolle. Mal berührt ein Auto bei einer Pause mit heißen Motorteilen das hohe Gras. Aus ein bisschen Glut wird dann ein Feuer.
Und dann gibt es noch die Brandstifter:innen. Noack erzählt: „Wir hatten 2018 auch deshalb so viele Feuer, weil hier ein Brandstifter unterwegs war. Teilweise sind wir drei Mal am Tag rausgefahren. Als sie den Mann gefasst hatten, war Ruhe.“
Löschflugzeuge wie in Australien gibt es nicht
Am 12. Juni 2020 muss Noack mal wieder los. Ein Hektar Wald brennt, eine Fläche siebenmal so groß wie im April. Einen Waldbrand zu löschen, so sagt es Noack, ist „eine Scheißarbeit“: Schmutzig und heiß. An diesem Abend nehmen sie die Strahlrohre, drehen den Wasserdruck auf und rühren den Boden um, Zentimeter für Zentimeter. Nur so dringt genug Wasser in den Waldboden, tief in diese Mischung aus Rinde, Nadeln und ein bisschen sandiger Erde. Dort lauern die Glutnester, bis zu 2.300 Grad heiß, die noch nach Stunden einen neuen Brand entzünden können.
Deswegen müssen Noack und seine Kolleg:innen auch nach dem Löschen nochmal losziehen. „Wir sind in der Nacht, wo man so gut wie nichts mehr gesehen hat, mit unserer Wärmebildkamera durchgegangen und haben alle paar Meter die hellen Flecken auf dem Display gesehen.“ Also nochmal ran. Den Waldboden umrühren, „dass die Erde richtig hoch spritzt.“ Mehrere Feuerwehrwagen, 4.500 Liter Fassungsvermögen, pendeln hin und her, um genug Wasser zu bringen.
Um halb sechs Uhr morgens ist Noack zuhause. Nach elf Stunden.
Bei diesem Brand kam auch ein alter Traktor aus DDR-Zeiten zum Einsatz. Der gehört eigentlich der Nachbarfeuerwehr, aber wenn es um Feuer geht, helfen alle, so gut sie können. An den alten Traktor hängen die Feuerwehrleute einfach ein riesiges Wasserfass. Woanders wären solche Gerätschaften längst im Museum oder würden wie bei den Bad Dübenern zwar liebevoll gepflegt, aber nur als Schmuckstück genutzt. Feuerbekämpfung, sagt Noack, ist eben auch immer Improvisation.
Bauern erinnern sich an Regeln aus DDR-Zeiten
Mittlerweile brennt es aber nicht nur im Wald, sondern immer öfter auf Feldern. Alleine in Nordsachsen hat es letztes Jahr pro Tag auf vier bis sechs Feldern gebrannt, wie das Landratsamt Nordsachsen der LVZ berichtete. Auch hier führt die anhaltende Trockenheit zu Problemen. Die Pflanzen werden schneller trocken, knicken um und werden nicht so hoch. Wenn dann ein Bauer ernten möchte, muss er die Messer der Erntemaschine relativ nah am Boden entlangführen. Wenn dann ein Stein gegen das Metall fliegt, entsteht ein Funke, der das Feld blitzschnell in Flammen setzt.
Dass die Bäuer:innen jetzt umdenken, liegt auch an einer Regel aus DDR-Zeiten. Damals war es Pflicht, dass neben jedem Feld ein 10.000-Liter-Fass mit Wasser stehen musste. Daraus konnten die Feuerwehren dann erstmal Wasser holen und Feldbrände löschen. Gleichzeitig unterstützten viele Bäuer:innen die Feuerwehr aber schon damit, dass sie selbst schnell eine Schneise über das Feld zogen.
Generell müssen Feuerwehrleute wie Noack viel mit anderen Branchen zusammenarbeiten. Zwar muss jede:r Waldbesitzer:in in Sachsen ein Brandschutzkonzept für die eigenen Gebiete erarbeiten, in dem klar wird, wo welche Anfahrtswege sind und eine bestimmte Anzahl von Wasserentnahmestellen bereitstellen. Trotzdem kommen zu den meisten Waldbränden auch die Förster:innen und im Fall von Feldbränden auch die Bauern hinzu. Denn die kennen sich am besten in den Gebieten aus. Und im Fall von Übungsplätzen der Bundeswehr kann das auch Leben retten, wenn Munitionsreste um einen herum explodieren. Denn Christian Noack kämpft nicht nur gegen Trockenheit, Kiefermonokulturen und Nachwuchsmangel. Manchmal kämpft er auch gegen Munitionsreste in stillgelegten Truppenübungsplätzen.
Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel