Die Amtsenthebung von Donald Trump, verständlich erklärt

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Die Amtsenthebung von Donald Trump, verständlich erklärt

Die US-Demokraten wollen Präsident Trump des Amtes entheben. Kommen sie damit durch? Eher nicht. Aber welchen Sinn hat dann das Verfahren? Es zeigt, in welch schlechtem Zustand die amerikanische Demokratie ist. Und wie um sie gekämpft wird. In diesem Text beantworte ich die wichtigsten Fragen.

Profilbild von Christian Fahrenbach
Reporter, New York

Lass mich ehrlich sein: Ich kann den Namen Donald Trump nicht mehr hören. Seit Jahren ist er überall zu sehen, ständig wirds noch lauter und noch ordinärer.

Da kann ich dir nicht widersprechen. Aber ich fürchte, mit Impeachment und dem Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl am 3. November 2020 wird das noch eine Weile so weitergehen.

Ha, dazu gleich mal was geradeheraus: Ich wette, das Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump kommt niemals durch.

Da hast du wohl recht.

Wie bitte?

Du hast zumindest die Geschichte auf deiner Seite: Noch nie wurde ein amerikanischer Präsident des Amtes enthoben. Es gab bisher nur drei dieser Impeachment-Verfahren. Andrew Johnson, ewig her, 1868, dann Richard Nixon in der Folge von Watergate, 1973, und Bill Clinton wegen seiner Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky, 1998. Alle drei Verfahren waren nicht erfolgreich.

Äh, Moment. Richard Nixon ist doch wegen Watergate gegangen.

Ja, das stimmt, aber das lag daran, dass er von sich aus zurückgetreten ist. Er wusste, dass der politische Druck einfach zu groß war. Das Impeachment-Verfahren wurde nicht zu Ende gebracht, es kam zu keiner Abstimmung im US-Senat, wie du in dieser Chronologie bei der Washington Post siehst. Und: Ob der Senat sich wegen Watergate überhaupt gegen Nixon entschieden hätte, ist unklar. Denn dort müssen zwei Drittel der Senator:innen gegen den Präsidenten stimmen, das ist eine sehr hohe Hürde.

Was hat das mit heute zu tun?

Wir lernen aus Nixons Verfahren, wie lange solche Ermittlungen dauern können. Es lagen mehr als zwei Jahre zwischen dem Watergate-Einbruch im Juni 1972 und dem 23. Juli 1974, als mit Lawrence Hogan der erste Republikaner im Justizausschuss des Repräsentantenhauses erklärte, gegen Nixon stimmen zu wollen. Das war für viele ein wichtiges Zeichen, dass sich selbst Parteifreunde gegen den Präsidenten wenden. Die Aufklärung, wie viel Einfluss Nixon genommen hat, wie er sich gegen das FBI gestellt hat und wen er unter Druck setzte, haben sich also über Jahre hingezogen. Und sie waren viel unbeliebter als die Ermittlungen gegen Donald Trump jetzt, wie die Politikseite FiveThirtyEight in einem historischen Abriss von damals zeigt.

9. August 1974. Präsident Richard Nixon hat gerade seinen Rücktritt eingereicht. Kurz bevor er den “Army One” Helikopter besteigt, dreht er sich noch ein letztes Mal in Richtung Presse um und macht das Victory-Zeichen.
  1. August 1974. Präsident Richard Nixon hat gerade seinen Rücktritt eingereicht. Kurz bevor er den “Army One” Helikopter besteigt, dreht er sich noch ein letztes Mal in Richtung Presse um und macht das Victory-Zeichen. © Getty Images / Bettmann

Ich erzähle dir das, weil darin ein Schlüssel für die aktuelle Situation liegt: Das Verfahren wird lange dauern. Und wie es ausgeht, hängt stark von der Meinung der breiten Bevölkerung ab. Das Impeachment ist kein juristisches Verfahren, in dem der Präsident ungeeignet für sein Amt erklärt wird, sondern ein politisches Verfahren. In der Theorie funktioniert es so, dass öffentlich Druck aufgebaut wird, der irgendwann so groß ist, dass ein Präsident nicht mehr anders kann, als freiwillig zu gehen.

Die Frage ist, ob Donald Trump das dafür nötige Schamgefühl besitzt.

Was genau wird Trump jetzt vorgeworfen?

Im Kern geht es um ein Gespräch zwischen Donald Trump und dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj. Die beiden redeten über Hunter Biden, den Sohn von Joe Biden, Vizepräsident unter Barack Obama und einer der aussichtsreicheren Konkurrenten von Trump im nächsten Präsidentschaftswahlkampf. Hunter Biden hatte für einen ukrainischen Gaskonzern gearbeitet, und Trump soll seinen Amtskollegen dazu aufgefordert haben, belastende Informationen über die beiden Bidens zu sammeln – andernfalls werde er Hilfszahlungen an die Ukraine zurückhalten. Im Prinzip sagte Trump also: „Besorg mir kompromittierende Informationen über meinen aussichtsreichsten politischen Gegner 2020 oder wir halten Geld zurück.“

Aber Trump hat sich doch wirklich schon vieles zuschulden kommen lassen. Warum gibt es ausgerechnet jetzt ein Amtsenthebungsverfahren?

Du hast recht, die Liste von Trumps Verfehlungen ist endlos: Er verdient Geld daran, dass wichtige ausländische Vertreter in seinen Hotels wohnen, während sie wissen, dass er am Wochenende häufiger mal dort anzutreffen ist. Direkter Zugang gegen Luxus-Übernachtungen also. Und manchmal buchen sie sogar einfach nur so, belegen die Zimmer dann aber gar nicht. Er hat veranlasst, dass mehrere tausend Kinder an der Südgrenze der USA von ihren Eltern getrennt wurden, obwohl die Familien formal ein Recht darauf haben, um Asyl zu bitten. Unter anderem hat er sich ausgemalt, die Grenze mit Krokodilen in Wassergräben zu sichern.

Er hat Schweigegeld an die Porno-Schauspielerin Stephanie Clifford gezahlt, weil er vier Monate nach der Geburt seines jüngsten Sohnes 1996 eine Affäre mit ihr begonnen haben soll. Er hat …

Reicht schon. Warum also gerade jetzt?

Okay, also die Politik-Erklärseite vox hat eine Theorie: In der Demokratischen Partei gibt es jetzt eine größere Unterstützung für die Amtsenthebung, weil die bisherigen Probleme eher in der Vergangenheit lagen, die Ukraine-Frage sich aber deutlich auf die noch kommende Wahl bezieht.

Okay, jetzt will ich aber doch noch einmal konkret wissen, wie das mit dem Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump genau funktioniert.

Alles klar. Also, ein Impeachment beginnt in den USA im Repräsentantenhaus, der ersten Kammer des Parlaments. Los gehts mit einem Ermittlungsverfahren, der Impeachment Inquiry. Dieses beginnt sinnvollerweise erst dann, wenn sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafür ausspricht, weil dann die Gegner des Präsidenten sicher sein könnten, das Verfahren auf einer soliden Basis zu starten. Zwingend vorgeschrieben ist eine Abstimmung aber nicht. Der „Speaker of the House“, der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus ruft die Inquiry aus.

Aktuell ist das eine Sprecherin, Nancy Pelosi von den Demokraten. Sie hat sich lange gegen ein Impeachmentverfahren gesträubt. Zum einen, weil es diese Mehrheit noch nicht gab, zum anderen, weil sie glaubt, dass es Wähler:innen der Mitte vergrault. Im Rahmen der Inquiry wird nun in insgesamt sechs Ausschüssen des Hauses ermittelt, ob es Gründe für eine Amtsenthebung gibt. Die Inquiry umfasst Ermittlungen, Vorladen und Anhörungen von Zeugen und das Bewerten von möglicherweise belastenden Informationen.

Die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, klatscht Präsident Donald Trump nach seiner “Ansprache zur Lage der Union” ironisch Beifall.

Die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, Nancy Pelosi, klatscht Präsident Donald Trump nach seiner “Ansprache zur Lage der Union” ironisch Beifall. © © Getty Images / Pool

Welche Gründe gibt es denn eigentlich genau für eine Amtsenthebung?

In der US-Verfassung stehen in Artikel II, Absatz 4, vier Gründe: Treason, Bribery or other high Crimes and Misdemeanors, also übersetzt etwa „Verrat, Bestechung oder andere schwere Verbrechen und Vergehen“.

Verrat und Bestechung nachzuweisen, gilt als nahezu aussichtslos, deshalb konzentriert sich die Debatte nur auf die letzten beiden Punkte. Was genau zu den aussichtsreicheren übrigen beiden Amtsenthebungs-Gründen zählt, ist ziemlich umstritten.

Die Kolleg:innen von vox haben inzwischen einen eigenen Podcast ausschließlich zum Impeachment gestartet und hat darin die komplette erste Folge der Frage gewidmet, was diese „High Crimes and Misdemeanors“ sein könnten. Titel der Episode: „Die vier Wörter, die das Impeachmentverfahren entscheiden werden“.

Sagen wir, die Ergebnisse der Ermittlungen rechtfertigen ein solches Verfahren wegen „High Crimes and Misdemeanors“: Wie gehts dann weiter?

Nickt der Justiz-Ausschuss des Hauses die Impeachment-Vorwürfe ab, dann geht das Verfahren vom Ausschuss weiter ins komplette Repräsentantenhaus. Das wäre dann der offizielle Impeachment Vote. Wenn es dabei auch eine Mehrheit gegen den Präsidenten gibt, dann gilt er quasi als schuldig.

Und dann muss Trump gehen?

Nein, zum Kongress gehört ja auch noch die zweite Kammer, der Senat. Der entscheidet dann nicht mehr über die Schuldfrage, sondern über die Strafe. Anders gesagt: Das Haus bestimmt, ob der Präsident schuldig ist, der Senat entscheidet, ob er sein Amt niederlegen muss. Es braucht dafür auch unterschiedliche Mehrheiten: Im Haus reichen 50 Prozent der Abgeordneten plus einen Sitz. Im Senat müssen mindestens zwei Drittel der Senator:innen für die Amtsenthebung stimmen.

Wie bitte? Es braucht eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat? Aber da haben doch Trumps Republikaner sogar eine Mehrheit, oder?

Korrekt. Aktuell sitzen darin 53 Republikaner. Bei 100 Senator:innen heißt das also, dass 20 Republikaner die Seiten wechseln müssten. Die Zwei-Drittel-Hürde wurde in der gesamten Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie genommen. Auch bisher scheint das sehr unwahrscheinlich, denn seit der Wahl haben die Republikaner bisher fast immer stramm zu Trump gehalten.

Warum?

Viele haben schlicht Angst. Gerade die wenigen gemäßigten Republikaner, die es noch gibt, fürchten sich davor, sich gegen Trumps Hardcore-Fans zu stellen. Sie glauben, dass sie vor den nächsten Senats-Wahlen bei den parteiinternen Vorwahlen gegen loyale Trump-Anhänger verlieren würden. Genau deshalb ist eben ein Impeachment-Erfolg so unwahrscheinlich.

Moment mal: Es gab also noch nie eine Amtsenthebung, die funktioniert hat. Und Trump hat sehr gute Chancen, sich zu retten. Warum höre ich dir dann seit zehn Minuten zu, wie du mir etwas über ein offensichtlich wirkungsloses Verfahren erzählst?

Weil es eben nicht nur darum geht, ob Donald Trump formell des Amtes enthoben wird. Schon während des Verfahrens hoffen seine Gegner:innen auf genügend politische Enthüllungen, so dass sich die Stimmung dreht. Und vielleicht tut sie das tatsächlich. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit spricht sich jetzt eine Mehrheit der Wähler:innen für eine genaue Untersuchung aus (auch wenn sie aktuell noch gegen eine tatsächliche Amtsenthebung sind), wie diese Seite mit allen aktuellen Umfragen zum Impeachment zeigt. Das geht auch über Parteigrenzen hinweg.

Wenn du es noch pathetischer formulieren willst: Es geht doch mindestens mal darum, die Wahrheit herauszufinden, egal, ob sich das politisch lohnt oder nicht. Die linke New Republic kommentiert: „Die Demokraten im Repräsentantenhaus sollten nicht auf Wechselwähler oder Nachrichten-Kommentatoren im Kabelfernsehen abzielen, sondern viel mehr auf die Nachwelt. Sie schulden es der Geschichte.“ Und vox argumentiert in diesem Erklärvideo, dass ein Impeachment ein Zeichen an andere Länder sendet, dass in den USA eben doch noch grundsätzliche politische Regeln gelten.

Jetzt wirst du aber sehr grundsätzlich.

Ich wohne jetzt seit fast sechs Jahren in den USA, und je mehr ich über das politische System hier lerne, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Demokratie hier extrem kaputt ist.

Es fühlt sich hier ein bisschen nach Endkampf an. Trump ist gerade nur die letzte extreme Wendung. Er bringt sein Land an den Rand des Zusammenbruchs.

Zusammenbruch? So etwas liest man immer so schnell … aber was heißt das denn genau?

Sagen wir so: Viele Kommentator:innen haben erhebliche Zweifel am politischen System der USA, und das nicht erst seit Trump. Was ja überall in der westlichen Welt passiert: Rechte Parteien werden stärker. Aber sie gewinnen eben auch nicht unbegrenzt Wähler:innen hinzu. Und ich würde argumentieren, dass Mehrparteiensysteme stabiler sind. Denk zum Beispiel daran, wie sich in Frankreich bei den Präsidentschaftswahlen gemäßigte Parteien zusammengeschlossen haben, um den Front National (heute: Rassemblement National) im zweiten Wahlgang zu verhindern. Das System der USA ist viel anfälliger, was vor allem daran liegt, dass es nur zwei große Parteien gibt.

Da stimme ich dir sofort zu: Dieses Zwei-Parteien-System kommt mir extrem seltsam vor. Alles wird dadurch zum Spektakel, wie ein Sport, immer geht es knallhart ums Gewinnen und Verlieren.

Da ist auf jeden Fall etwas dran, es geht sehr häufig um Sieg und Niederlage. Ganz generell sind die USA ein ziemlich binäres Land mit vielen solcher „Entweder-oder“-Situationen. Du siehst das zum Beispiel auch daran, dass es in den drei großen Sportarten Football, Baseball und Basketball so gut wie nie unentschieden gibt.

In der Politik sorgt das Zwei-Parteien-System für Blockade, weil immer klar ist, wer sich genau gegenübersteht. In Parlamenten, in denen die Parteien wechselnde Koalitionen bilden, ist Wandel einfacher, weil immer wieder neu umeinander geworben werden muss.

Die Anhänger der Demokraten und Republikaner sind außerdem demografisch sehr unterschiedlich. Oft lässt sich inzwischen anhand von Hautfarbe oder Größe deiner Heimatstadt voraussagen, was du wahrscheinlich wählst. Du landest also aufgrund von Äußerlichkeiten in der D- oder in der R-Schublade – dabei stimmen diese Vorurteile längst nicht immer.

Warum gibt es denn dann nicht mehr Parteien als nur Republikaner und Demokraten?

Das hat mit dem Auszählungssystem bei Wahlen zu tun. Nur die Partei, die einen Wahlkreis gewinnt, darf Abgeordnete ins Repräsentantenhaus oder den Senat schicken.

In vielen anderen Ländern mit mehr Parteien werden Sitze anteilig vergeben, so dass eine Partei mit zehn Prozent aller Stimmen auch rund zehn Prozent der Parlamentarier:innen stellen darf.

Der französische Soziologe Maurice Duverger glaubt, dass die Wähler:innen deshalb einer dritten Partei in den USA nie eine wirkliche Chance geben, weil sie fürchten, dass ihre Stimme verloren geht.

Aber was ist denn mit den anderen Institutionen? Was ist mit der berühmten amerikanischen Gewaltenteilung?

Da sprichst du gleich ein weiteres großes Problem an. In der Theorie ist es so, dass ein selbstbewusstes Parlament den Präsidenten in seine Schranken verweist – wie zum Beispiel in England im Streit zwischen Boris Johnson und dem britischen Unterhaus. Und dass der Gerichtshof, die Spitze der Judikative in den USA, unabhängig von Parteiinteressen entscheidet.

Aktuell sprechen aber viele Beobachter:innen von einer Constitutional Crisis, einer Verfassungskrise. Der republikanisch geführte Senat kuscht vor Trump, oft werden die Gesetzesinitiativen aus dem demokratisch geführten Repräsentantenhaus ohne ernsthafte weitere Beratung im Senat abgeblockt.

Bei den Wahlen für den Gerichtshof gibt es ein ähnliches Problem: Es gab lange die Gepflogenheit, dass zwar formell die Partei des Präsidenten den Kandidaten oder die Kandidatin vorschlägt, dann aber parteiübergreifend eine breite Mehrheit die Person bestätigt. Die eine Seite hielt sich daran, keine extremen Kandidat:innen vorzuschlagen, die andere nahm es hin, nicht wegen plumper Parteikämpfe ihre Zustimmung zu verweigern. Bei Wikipedia siehst du, dass diese Abstimmungen zuletzt immer mehr entlang von Parteilinien ausgingen.

Es gibt übrigens Stimmen, die diese immer radikalere Entwicklung ganz ausdrücklich einem Politiker zuschreiben.

Ein einzelner Politiker soll allein für die Zerstörung der US-Demokratie verantwortlich sein? Sicher ein alter weißer Mann, oder?

Ich schwöre, es ist nicht so abwegig, wie es klingt. Es geht um diesen Herrn hier.

© Getty Images / Alex Wong

Aber dieser Mann mit dem Heiligenschein schaut doch ganz zufrieden aus. Wer ist das?

Er heißt Mitch McConnell und führt die republikanische Mehrheit im Senat. Er ist also eine Art Fraktionschef. McConnell hat unter Barack Obama damit aufgehört, Initiativen des politischen Gegners zu unterstützen, obwohl immer wieder nach „Bipartisanship“ gerufen wird, also der Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg.

Beispielsweise hat McConnell im Jahr 2015 durchgesetzt, dass der Senat einfach nicht über Obamas Kandidaten für den Bundesgerichtshofs, Merrick Garland, abstimmt. McConnell hat schlicht die bisherigen Gepflogenheiten über den Haufen geworfen und argumentiert, dass in einem Jahr vor der Wahl der Präsident keine neuen Obersten Richter mehr vorschlagen dürfe. Und er prahlte hinterher: „Es war einer der stolzesten Momente für mich, als ich Barack Obama in die Augen gesehen habe und gesagt habe: ‚Mr. President, Sie werden diesen Supreme-Court-Posten nicht besetzen.‘“

Oha.

McConnells Strategie ging auf. Besonders Konservative und Evangelikale waren im Wahlkampf 2016 von der Aussicht auf eine Machtverschiebung am Obersten Gerichtshof wie elektrisiert – schließlich könnten sie so möglicherweise liberale Abtreibungsgesetze wieder verschärfen. Und dann wurde Trump Präsident und Bundesrichter wurde nicht Merrick Garland, sondern Neil Gorsuch, ein sehr sehr konservativer Mann.

Also: Das Zwei-Parteien-System ist blockiert und einige wenige extrem gewitzte Politiker haben in den vergangenen Jahren die US-Demokratie massiv verändert – meinetwegen zum Schlechten. Aber die Leute könnten sich doch einfach jemand anderen wählen, oder?

Korrekt. Zumindest in der Theorie. In der Praxis ist es dann auch wieder so, dass es bei den Wahlen eine ganze Reihe an Problemen gibt, die wir uns im deutschsprachigen Raum kaum vorstellen können.

Da ist zum Beispiel die problematische Wahlkampffinanzierung, die dafür sorgt, dass sich Reiche das Ohr der Kandidat:innen erkaufen können. 2016 sollen im Wahlkampf um die Präsidentschaft inklusive Vorwahlen insgesamt 2,4 Milliarden Dollar ausgegeben worden sein.

Der reine Wahlkampf Clinton gegen Trump schlug davon mit etwa zur Hälfte zu Buche: 768 Millionen Dollar für die Demokratin, zu 398 Millionen Dollar für den Wahlsieger – da siehst du übrigens, dass nicht immer Geld die Wahlen gewinnt.

Übrigens, ein Vergleich: In Deutschland haben CDU und CSU 2017 für den Bundestagswahlkampf geschätzt weniger als 30 Millionen Euro ausgegeben.

Uff. Wow, das ganze Geld. Und dann eigentlich für nichts: Die Wahlbeteiligung ist immer sehr niedrig.

Korrekt. Aus deutscher Sicht und auch im internationalen Vergleich fällt vor allem auf, wie niedrig der Anteil der Wahlberechtigten ist, die tatsächlich ihre Stimme abgeben. Er liegt etwa bei 55 Prozent, im Vergleich zu 76 Prozent bei der letzten Bundestagswahl. Das hat mehrere Gründe, zwei besonders wichtige sind das „Winner Takes All“-System und die nötige Wählerregistrierung.

Eins nach dem anderen: Was heißt „Winner Takes All“?

Ganz einfach: Bei der Präsidentschaftswahl gewinnt nicht, wer die meisten Stimmen der Wähler:innen bekommt, sondern die meisten Wahlleute. Jeder Bundesstaat sendet je nach Bevölkerungsstärke eine bestimmte Anzahl Wahlleute zur Bestimmung des Präsidenten. Und aus einem Bundesstaat gehen einfach alle Wahlleute an die gleiche Person, egal, ob sie mit wenigen tausend Stimmen Vorsprung den Staat gewinnt oder mit 91 zu 4 Prozent in Washington DC, wie Clinton 2016.

Andererseits bekam Donald Trump zum Beispiel in Michigan knapp 2,28 Millionen Stimmen, Hillary Clinton kam auf rund 2,27 Millionen Stimmen – und trotzdem gingen dann die 16 Wahlleute, die Michigan entsendet (von bundesweit 538), vollständig an Trump. Und jetzt frage ich dich: Wenn du ein Fan der Demokraten bist und in, sagen wir mal, Alabama wohnst, einem Land voller Alligatoren und Konföderierten-Flaggen: Gehst du dann zur Wahl?

Äh, vielleicht?

Mach besser ein Barbecue. In Alabama haben Demokraten zum letzten Mal 1976 gewonnen.

"When summer evenings are nice and hot/ The thing to do is find a spot/ Where a barbecue can be set up/ So everyone can come and sup/ (...) And enjoy the light hearted, cheerful chatter/ With friends, who to you, truly matter. (...)"

“When summer evenings are nice and hot/ The thing to do is find a spot/ Where a barbecue can be set up/ So everyone can come and sup/ (…) And enjoy the light hearted, cheerful chatter/ With friends, who to you, truly matter. (…)” © Foto: Getty Images / Halfpoint; Gedicht: (Ernestine Northover, The Barbecue

Hrmpf.

Du kannst dich auf deiner Barbecueparty mit einem traurigen Fun Fact trösten: In den vergangenen 30 Jahren haben die Republikaner nur ein einziges Mal eine Mehrheit der Gesamtstimmen bei der Präsidentschaftswahl bekommen. Im Jahr 2004 bei der Wiederwahl von George W. Bush. Im Jahr 2000 hatte er aber 0,6 Prozent weniger Stimmen als Al Gore, und Donald Trump lag 2016 sogar 2,1 Prozent hinter Clinton. Er bekam fast drei Millionen weniger Stimmen.

Und dann hast du eben von Wählerregistrierung gesprochen. Was ist das überhaupt?

Die kommt daher, dass es in den USA anders als in Deutschland keine Meldeämter gibt, bei denen du dich registrieren musst, wenn du umziehst. Dadurch gibt es aber auch keine Listen aller Einwohner:innen eines Staates für Wahlen, wodurch wiederum die Menschen sich erst registrieren müssen.

Die Regeln dafür sind oft kompliziert, teilweise mit monatelangen Stichtagen vor der Wahl. In anderen Bundesstaaten kann man sich noch am Tag der Abstimmung im Wahlbüro registrieren. Je undurchsichtiger die Registrierung, desto niedriger die Wahlbeteiligung. Das sorgt für Frustration. Und jede Menge Memes!

https://twitter.com/BestCoast/status/1048678858898071552?s=20

Ich finde das weniger lustig.

Es gibt auch noch ein Problem. Bei den Zahlen des „Election Project” fällt auf, dass es zwei ziemlich gleich klingende Spalten namens VAP und VEP gibt.

VAP steht für „Voting Age Population“, übersetzt: die Zahl der Menschen im wahlberechtigten Alter im jeweiligen Staat. VEP bedeutet aber „Voting Eligible Population“, das ist die Zahl derjenigen, die tatsächlich wahlberechtigt sind und sich registrieren könnten, weil ihnen das Wahlrecht noch nicht entzogen wurde. In einigen Bundesstaaten sind das bis zu zehn Prozent weniger, zum einen, weil viele Ausländer:innen dort leben, zum anderen aber, weil oft Häftlinge nicht wählen dürfen.

Häftlinge dürfen nicht wählen? Aber das können ja so viele nicht sein, oder?

Leider doch. Rund drei Millionen Menschen sitzen in den USA im Gefängnis, überproportional viele davon sind schwarz, unter anderem wegen einer gnadenlosen Null-Toleranz-Politik bei kleinen Drogendelikten seit der republikanischen Ära Ronald Reagans in den 80er-Jahren. Im Jahr 2001 kamen Zahlen heraus, wonach einer von drei schwarzen Männern im Laufe seines Lebens irgendwann einmal im Gefängnis sitzt. Und wenn du in Freiheit bist, darfst du noch lange nicht wieder wählen.

2016 durften insgesamt 6,1 Millionen Menschen nicht wählen, weil es in ihrem Staat entsprechende Regeln gibt, die beispielsweise allen das Wahlrecht entziehen, die jemals in Haft saßen. In Florida, Kentucky, Tennessee und Virginia war 2016 mehr als 20 Prozent der schwarzen Bevölkerung das Wahlrecht entzogen – ein Fünftel einer Bevölkerungsgruppe, die überwältigend oft für die Demokraten stimmt, durfte einfach nicht wählen.

Diese harten Regeln bedrohen freie und gleiche Wahlen – und damit die Demokratie, genauso wie Gerrymandering.

Was heißt Gerrymandering überhaupt? Und woher kommt der Begriff?

Von einem Salamander.

Illustration: Wikipedia / Elkanah Tisdale

Aha.

Der Begriff geht darauf zurück, dass 1812 in Massachusetts der Gouverneur Elbridge Gerry einen Wahlkreis so zugeschnitten hat, dass er auf der Landkarte wie ein Salamander aussah – ein Gerry-mander. Es geht beim Gerrymandering darum, die Wahlkreise so zuzuschneiden, dass die eigene Partei möglichst viele Sitze bekommt. Auch das hat mit der Wählerregistrierung zu tun, denn bei der Registrierung gibst du nicht nur an, dass du wählen möchtest, sondern du kannst dich auch noch als Demokrat:in, Republikaner:in oder Unabhängige:r registrieren. Dadurch wissen die Parteien ziemlich gut, wo ihre Sympathisant:innen wohnen.

Alle zehn Jahre werden die Wahlkreise auf Bundesebene neu zugeschnitten, und wer dabei an der Macht ist, hat dann beispielsweise die Möglichkeit, so viele Anhänger:innen der gegnerischen Partei wie irgend möglich in einige wenige Bezirke zu packen und die dann innerlich abzuschreiben. In den verbleibenden Bezirken steigen aber dann die eigenen Chancen auf einen Sieg und möglicherweise eine Überrepräsentation insgesamt.

Bei den letzten Wahlen im Bundesstaat in North Carolina (vergleichbar mit Landtagswahlen in Deutschland) gewannen die Demokraten zwar 47 Prozent aller Stimmen, aber erhielten durch den Zuschnitt der Wahlbezirke nur 23 Prozent aller Sitze.

Deshalb sind die Wahlen 2020 nicht nur für das Weiße Haus wichtig. In vielen Bundesstaaten geht es auch darum, welche Partei das Sagen beim Neuzuschnitt der Wahlbezirke hat.

Das klingt alles so, als würden vor allem die Republikanische Partei schmutzig spielen. Täusche ich mich?

Meiner Meinung nach stimmt das. Seit Beginn der 80er-Jahre hat die Partei unter Reagan und George Bush zunächst einen stramm neoliberalen Kurs geschlagen. Der ohnehin deutlich schwächer als in Deutschland ausgeprägte Sozialstaat wurde ausgehöhlt, später hat das dann sogar auch der Demokrat Bill Clinton noch vorangetrieben. Er erhöhte ähnlich wie bei den deutschen Hartz-IV-Reformen extrem den Druck auf die Einzelnen. Die Ungleichheit ist durch ihn gestiegen, wie der Atlantic gut beschreibt. George W. Bush hat dann auch noch einmal den Spitzensteuersatz gesenkt, aber viel wichtiger war es dann, dass zu dieser inhaltlichen Veränderung in den vergangenen drei Jahrzehnten immer extremer am System gedreht wurde. Die politischen Debatten wurden gnadenloser, politische Gepflogenheiten wurden über den Haufen geworfen, das Prinzip der Stimmgleichheit wurde angegriffen. All das wird meines Erachtens deutlich derber von den Republikanern vorangetrieben.

Mir schwirrt der Kopf: Staaten, in denen ein Fünftel aller Schwarzen nicht wählen darf, eine angegriffene Gewaltenteilung, Reiche, die sich mit unfassbar großen Spenden das Gehör der Politiker:innen kaufen. Das ist ja alles zusammen ein ganz schöner Waschzettel.

Das kann man wohl sagen. Aber ich habe auch den Eindruck, dass es in den USA eine sehr sichtbare Gegenbewegung zu solchen Problemen gibt. Die Kämpfe werden offen ausgetragen, was auch auf das Verständnis vom Staat zurückgeht, wie es bereits in der Präambel der Verfassung steht. Da lautet eine Formel, die Verfassung gebe es, um eine „more perfect union“ zu bilden, also eine „etwas perfektere Union“ an Staaten. Es geht immer um einen Prozess, der nicht abgeschlossen ist.

Und wer nimmt es dann mit dem riesigen Politikapparat auf? Aktivistengruppen und Graswurzelbewegungen zur Rettung der Demokratie oder wie?

Korrekt. Natürlich gibt es eine große Politikverdrossenheit, aber es gibt auch unzählige Initiativen, die sich für ein gerechteres System einsetzen. Beispielsweise zählt es in einigen Politik-Grundlagenkursen an Colleges zu den nachzuweisenden Kursleistungen, dass die Studierenden einen Nachmittag lang neue Wähler:innen registriert haben.

Gehen wir die größten Probleme noch einmal durch und du erklärst mir, welche Lösungsvorschläge dafür auf dem Tisch liegen?

Klar.

Okay, also: Wie ließe sich der Oberste Gerichtshof unabhängiger von der Politik besetzen?

Da hat zum Beispiel der Präsidentschaftskandidat der Demokraten Pete Buttigieg eine Idee: Er will den Supreme Court von neun auf 15 Mitglieder vergrößern – fünf bestimmt von den Demokraten, fünf von den Republikanern und fünf müssten einstimmig verabschiedet werden. Er steht damit nicht alleine da, aber zum Beispiel der linke Bernie Sanders und der gemäßigte Joe Biden lehnen dieses „Supreme Court Packing” ab.

Wird das Zwei-Parteien-System irgendwann überwunden werden?

Eher nein. Eine Idee gibt es da aus Irland: mehrere einzelne Wahlkreise zusammenlegen und dann aus dem neuen großen Wahlkreis mehrere bestplatzierte Abgeordnete nach Washington schicken. Aussichtsreiche Initiativen in diese Richtung gibt es aber ehrlich gesagt keine.

Kann man denn dann den reichen Wahlkampfspender:innen wenigstens ihre großen Schecks verbieten?

Auch da gibt es immer wieder Reformbestrebungen, allerdings kommen die meistens aus dem linken Lager. Beim aktuellen Vorwahlkampf gehört es für die progressiveren Kandidaten wie Bernie Sanders und Elizabeth Warren zum guten Ton, dass sie sich verpflichten, keine anonymen Großspenden anzunehmen.

Die Bürgerrechtsorganisation ACLU setzt sich darüber hinaus dafür ein, dass Wahlkämpfe stärker mit Steuergeldern finanziert werden, aber eben Spenden in ihrer Höhe beschränkt werden.

Und gibt es jemanden, der erfolgreich gegen Gerrymandering kämpft?

Es gab dazu einen Prozess vor dem Obersten Gerichtshof, aber die Richter:innen dort haben sich aus der Affäre gezogen und gesagt, dass nur die Bundesstaaten für den Zuschnitt der Wahlbezirke (und für die Einführung neuer Systeme) verantwortlich sein können. Jetzt sorgen Gerichtsurteile auf regionaler Ebene für Veränderungen. Beispielsweise in North Carolina hat ein Gericht verfügt, dass die Wahlbezirke neu zugeschnitten sein müssen.

Das wäre ja auch gar nicht so schlimm, wenn einfach die Kandidatin mit den meisten Stimmen gewinnt, oder? Gehört nicht dieses olle Electoral College mit seinen Wahlleuten irgendwann abgeschafft?

Dazu gibt es auch eine Bewegung. Die simple Idee: Staaten verpflichten sich selbst, dass ihre Delegierten im Electoral College nicht entlang des Ergebnisses im Bundesstaat abstimmen, sondern dass sie immer für den oder die Kandidatin mit den US-weit meisten Stimmen stimmen werden.
Davon hätten zuletzt immer wieder die Demokraten profitiert – weshalb republikanisch regierte Bundesstaaten eine solche Selbstverpflichtung auch entschieden ablehnen.

Letzter Brocken: Wie soll es den Leuten leichter gemacht werden, zur Wahl zu gehen?

Hier gibt es vielleicht die allermeisten Initiativen. Es gibt auf Webseiten wie Bustle sogar Listicles mit „Acht Voting-Rights-Gruppen, die du kennen solltest“. Sie setzen sich unter anderem dafür ein, dass die Inhaftierten ihr Wahlrecht zurückerhalten, oder dass Wähler automatisch und ohne Registrierung am Wahltag auftauchen können, um ihre Stimme abzugeben.

Wow, ich bin erschlagen. Hast du Hoffnung, dass das Land wieder auf die Beine kommt?

Auf jeden Fall, sonst wäre ich auch nicht hier. Meine Bilanz wirst du wohl schon herausgelesen haben: Die US-Demokratie ist in einem für uns Deutsche kaum vorstellbaren Maß bedroht – und das ist strukturell in weiten Teilen eindeutig der Radikalisierung der Republikaner zuzuschreiben.

Gleichzeitig hat aber vor allem Trumps Präsidentschaft eine in den vergangenen Jahrzehnten beispiellose Widerstandsbewegung ausgelöst und viele neue politische Initiativen angestoßen. Egal, wie das Amtsenthebungsverfahren gegen den 45. Präsidenten der USA ausgeht: Hoffentlich sorgt seine Zeit im Weißen Haus für die dringendst benötigte demokratische Erneuerung.

Na gut, eine letzte Frage noch: Wo hältst du dich Tag für Tag auf dem aktuellen Stand des Impeachments?

Falls du es dir richtig im Detail geben willst, dann kannst du bei WTFJHT (What the fuck just happened today?) alle News zum Impeachment verfolgen. Es ist das umfassendste Nachrichtenarchiv, das ich kenne.

Und falls du in einer kleinen wöchentlichen Dosis nach und nach besser verstehen möchtest, was in der US-Politik vor sich geht, habe ich auch noch etwas für dich, eine kleine Ausgründung aus meiner Arbeit hier bei Krautreporter.

Jede Woche blicke ich unter WTH, America? in einem kostenlosen Newsletter auf die USA, erkläre wichtige Themen und verlinke einige der Artikel, die mich besonders beschäftigt haben.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.