„Ich rechtfertige nichts davon – ich weiß, in welcher Realität ich aufgewachsen bin“

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Interview: „Ich rechtfertige nichts davon – ich weiß, in welcher Realität ich aufgewachsen bin“

Ein Gespräch mit Jamal Hakrush, dem ersten muslimischen Polizeivizepräsidenten Israels. Er soll mit einer neuen Abteilung die Sicherheit in arabischen Gemeinden Israels verbessern. Dabei gerät er oft zwischen die Fronten.

Profilbild von Interview von Franziska Grillmeier

Aus dem Zierbrunnen vor dem kleinen Polizeihäuschen, das ganz hinten auf der Polizeistation von Kiryat Ata liegt, kommt kein Wasser mehr. Neben dem Plastikrasen, auf dem uns Yoni Mizrachi, Pressesprecher von Polizeivizepräsident Jamal Hakrush empfängt, gehen zwei Polizisten während der Morgengymnastik vor ihren gesattelten Pferden auf die Knie. Es ist 8.30 Uhr. Schwitzige Hände schütteln sich. „Erst mal Briefing“, sagt Mizrachi und hält die Tür zum 20 Grad kühleren Polizeigebäude auf, „dann habt ihr eine Stunde Zeit mit ihm“.

Die schwerbewachte Polizeistation liegt auf einem Hügel zwischen dem mehrheitlich von arabischen Israelis bewohnten Nazareth und der jüdischen Stadt Kiryat Ata. Wir – Übersetzer aus Jerusalem und Journalistin aus Deutschland – sind gekommen, um den 62-jährigen Jamal Hakrush zu interviewen. Er ist der erste Araber, der zum Polizeivizepräsidenten, dem zweithöchsten Rang in der israelischen Polizei, befördert wurde.

Vor drei Jahren finanzierte die israelische Regierung die Gründung einer neuen Abteilung: zur Verbesserung der Beziehung zwischen den arabischen Israelis und der israelischen Polizei im Land. Gilad Erdan, der Minister für öffentliche Sicherheit, sagte, die Abteilung solle siebzig Jahre Versäumnisse der israelischen Polizei ausbügeln.

Zu Beginn des Projektes gab es nur zwei Polizeistationen in den arabischen Gemeinden. Wollten sich die Einwohner an die Polizei wenden, musste eine Streife aus einer benachbarten jüdischen Stadt kommen. Jamal Hakrush soll das ändern. Bis 2021 sollen 18 Polizeistationen in arabischen Gemeinden aufgebaut werden, acht stehen schon heute. Außerdem soll die israelische Polizei diverser werden. Sie möchte 1.300 arabische Polizisten rekrutieren.

Pressesprecher Yoni Mizrachi schaltet mit der Fernbedienung die Klimaanlage nochmal zwei Grad herunter. Dann setzt er sich an einen Besprechungstisch uns gegenüber. Aus dem Fenster sieht man das Schulungszentrum, in dem Jamal Hakrush die neuen Bewerber auf die Eignungstests vorbereitet. Es ist das einzige Gebäude auf dem Gelände, das auf Arabisch beschriftet ist. Der Eignungstest für neue Rekruten ist auf Hebräisch. Genauso die Gespräche im Treppenhaus oder die Infotafel im Gang. „Und das wird sich auch nicht ändern“, sagt Mizrachi. Erst vor einem Jahr erklärte sich Israel per Gesetz zu einem rein jüdischen Staat und Hebräisch zur alleinigen Amtssprache.

Jamal Hakrush kommt aus der Stadt, in der Jesus Wasser zu Wein verwandelt haben soll: aus Kafr Kana, einer arabischen Stadt im Nordosten des Landes. Er arbeitete als Bauarbeiter, mit 21 ging er zur Polizei und legte eine steile Karriere hin. Er leitete die Abteilung der Verkehrspolizei, bevor er 2016 Polizeivizepräsident wurde.

Jamal Hakrush hat keine einfache Aufgabe. Viele arabische Israelis fühlen sich vom Staat Israel vernachlässigt. Fast zwei Drittel der Kinder leben unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit ist hoch, viele Einrichtungen wie Krankenhäuser, Bahnhöfe und Schulen sind unterfinanziert. Einer Studie des israelischen Parlaments zufolge sagten nur 16 Prozent der Araber, dass die Polizei gut auf Verbrechen reagiere. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, sie hätten Gewaltverbrechen nicht der Polizei gemeldet.

Dazu kommt: Die israelische Polizei wird noch immer durch die Brille des Nahostkonflikts betrachtet. Gleichzeitig – so der Vorwurf – behandelt sie die arabische Minderheit als Sicherheitsrisiko und weniger als Bürger, die selbst ein Sicherheitsbedürfnis haben. Jamal Hakrush muss zwischen beiden Seiten vermitteln – mit nur einer Polizeiabteilung. Keine leichte Aufgabe.

Das sieht man Jamal Hakrush an, als wir zu ihm ins Büro kommen. Sein Gesicht ist wachsam. Der Schnurrbart fein ausrasiert, die blauen Augen auf uns gerichtet. Nur langsam erhebt er sich für eine Begrüßung von seinem Schreibtischstuhl.

Pressesprecher Yoni Mizrachi setzt sich geschäftig an die Tischecke. Beim Gespräch wird er sich manchmal vor- und wieder zurückbeugen, nur wenige Male wird er unterbrechen, vor allem, um Hakrush zuzustimmen. Nur einmal hätte er es lieber gehabt, dass Jamal Hakrush eine Frage nicht beantwortet. Hakrush antwortet trotzdem.

In diesem Polizeigebäude hat Jamal Hakrush sein Büro.

In diesem Polizeigebäude hat Jamal Hakrush sein Büro. © Franziska Grillmeier

Herr Hakrush, welches Bild hatten Sie als Jugendlicher von der israelischen Polizei?

Ich sah die Polizisten in meiner Nachbarschaft als eine Kraft, die gegen die arabische Minderheit arbeitet. So sahen es alle in meiner Umgebung. Gleichzeitig war die Kriminalität schon damals hoch. Jetzt bin ich nicht der Meinung, dass die Polizei die arabische Minderheit in Israel komplett schlecht behandelt hat, aber es gab immer Differenzen. Und diese Differenzen lösten eine Vertrauenskrise zwischen den Bürgern und der Polizei aus. Als Polizist darfst du nicht von der Gemeinschaft getrennt sein, sonst gibst du ein Versprechen ab, das du im nächsten Moment nicht halten kannst.

Was fehlt der israelischen Polizei im Umgang mit den arabischen Gemeinden bisher?

Die Polizei war meist nur zur Überwachung in arabischen Gemeinden präsent und hat sich nicht unbedingt für die Verbesserung der Sicherheitssituation eingesetzt. Als Polizist möchte ich für die Menschen da sein und nicht nur das Gesetz einhalten. Die Menschen in den arabischen Gemeinden haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Und sie haben die Realität, die sie umgibt, klar im Blick.

Und doch kann der Bau solcher Polizeistationen für die Bewohner auch erst einmal Überwachung bedeuten.

Wo eine Polizeistation steht, gibt es weniger Kriminalität. Die Bürger fühlen sich sicherer, wenn sie einen direkten Ansprechpartner haben. In Umfragen sehen wir, dass das Vertrauen zur Polizei wächst, wenn sie leicht erreichbar ist. In den letzten Jahren wurden uns immer mehr Verbrechen gemeldet, was vorher nicht passiert ist. Damit ist zwar die Statistik der Gewaltverbrechen in die Höhe gegangen, doch gleichzeitig konnten wir auch feststellen, dass das Vertrauen uns gegenüber wächst. Insgesamt konnten wir durch die Präsenz der Polizeistationen auch extreme Gewaltdelikte verhindern, einfach, weil wir schnell vor Ort sein konnten. Natürlich schaffen es immer nur die schlechten Nachrichten in die Medien.

Wie sind Sie in die Position gekommen, in der Sie heute sind?

Ich habe ganz unten angefangen und mich mit viel Anstrengung nach oben gearbeitet. Ich gehöre zu einer Minderheit in Israel. Und die wird deutlich anders behandelt als die Mehrheit im Land. Einen Fehler, den ein jüdisch-israelischer Offizier in seiner Laufbahn begehen kann, den kann ich mir nicht leisten.

Können Sie Ihre eigene Erfahrung überhaupt einbringen?

Ich bin ein doppelter Botschafter. Zum einen versuche ich, den arabischen Israelis aus meinen Städten klarzumachen, dass wir nicht gegen sie arbeiten, und zum anderen muss ich die Polizisten innerhalb der Einheit für den Umgang mit der arabischen Gemeinde sensibilisieren. Es ist nicht immer einfach, diese Brücken zu schlagen.

Sie bereiten junge muslimische Bewerber auf den Eignungstest vor. Was ist dabei am schwierigsten?

Am schwierigsten ist es, die jungen Leute davon zu überzeugen, dass die Polizei für sie und nicht gegen sie arbeitet. Und am Anfang standen wir vor einem Dilemma. Für die neue Abteilung brauchten wir arabische Rekruten. Und die Sprache blieb immer ein Problem. Aber die Kriterien für die Eignungstests sind für alle gleich. Wir überlegten, wegen der Sprachbarriere die Anforderungen etwas zu senken. Am Ende habe ich mich dagegen entschieden. Das hätte langfristig zu Ressentiments geführt. Ich wollte nicht, dass irgendjemand sagen kann, die Neuen wären nur zweite Garde und hätten es einfacher gehabt.

Es wird also noch immer ein Unterschied zwischen den arabischen und den jüdischen Polizisten in der Polizei gemacht?

Selbst wenn wir arabischen Israelis die beste Arbeit leisten, wird es immer diesen Unterschied zwischen „uns“ und den „anderen“ geben. In beiden Gesellschaften wird es immer extreme Ansichten geben, in der arabischen Gemeinde und in der jüdischen.

Israel hat sich im vergangenen Jahr zu einem rein jüdischen Staat erklärt und Hebräisch zur alleinigen Amtssprache gemacht. Hat das Ihre Arbeit erschwert?

Yoni Mizrachi beugt sich vor, sagt aber nichts.