All die Fragen zu Griechenland, die sich viele stellen, aber keiner mehr beantwortet

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All die Fragen zu Griechenland, die sich viele stellen, aber keiner mehr beantwortet

Griechenland – da war doch was ... Wir, zwei griechische Journalisten, beantworten die Fragen der Krautreporter-Mitglieder zu den Wahlen vergangenen Sonntag, zu der Situation der jungen Griechen, zu deutschen Reparationszahlungen und dem Erbe des gerade abgewählten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras.

Profilbild von Antworten von Tassos Morfis und Sotiris Sideris, Athen

Die Fragen, die hier gestellt werden, stammen so fast wortwörtlich von Krautreporter-Lesern. Wir haben aus den 41 Fragen jene ausgewählt, die hoffentlich die meisten Menschen interessieren. Tassos und Sotiris antworten knapp, sonst wäre das ein zu langer Artikel geworden. Sie stehen für weitere Fragen in den Kommentaren bereit.

Manchmal finden sich an den Fragen noch Hinweise, die durch einen Klick geöffnet werden können und den Kontext veranschaulichen. Wir haben die Fragen sortiert:

  • Rolle von Deutschland
  • jetzige Situation (Wirtschaft/Soziales)
  • wie es den Jungen geht
  • was von der neuen Regierung zu erwarten ist
  • die Ära Tsipras
  • Reparationen, Flüchtlinge, Klima, Tourismus

Ihr könnt den Text an einem Stück lesen oder wild hin und her springen. Die Antworten stehen für sich. Dieser Artikel ist eher für das kurze Eintauchen gedacht, für das „Wie ging es weiter?“. Wer die Zusammenhänge nochmal in einem Stück besser verstehen will, hier entlang: „Die Griechenlandkrise, verständlich erklärt“. Viel Spaß!


Deutschlands Rolle

Gerade Deutschland hat während der Finanzkrise – nicht zuletzt zum Schutz der Banken – eine sehr harte Verhandlungsstrategie eingeschlagen. Wie haben die Griechen das bewertet? (Thomas)

In Griechenland ist im vergangenen Jahrzehnt der Krise durch Populismus eine anti-deutsche Stimmung gewachsen. Diese wurde von den extremen Rechten und einem Teil der populistischen Linken kultiviert: Sie haben die deutsche Kanzlerin mit Nazi-Funktionären und Deutschland mit dem Dritten Reich verglichen. Aber mittlerweile nehmen die Griechen Deutschland wieder anders wahr: dank des Tourismus und der Hunderttausenden Deutschen, die Griechenland während der Krise unterstützt haben.

Auch die Solidaritätskampagnen der Linken, die Kooperation zwischen Angela Merkel und Alexis Tsipras und insbesondere die Haltung der beiden Länder während der Flüchtlingskrise haben dazu beigetragen. Das ist einer der Gründe, warum Kleinparteien aus der griechischen politischen Landschaft wieder verschwunden sind, die die antideutsche Rhetorik übernommen hatten. Die Griechen nehmen Deutschland als die Lokomotive Europas wahr und natürlich als EU-Supermacht.

Hatte Tsipras irgendeine Chance, die Politik gegen die EU und insbesondere Deutschland durchzusetzen, die er im vergangenen Wahlkampf angekündigt hatte? (Frank B.)

Alexis Tsipras wurde im Jahr 2015 gewählt, auch wegen des Versprechens, den internationalen Gläubigern entgegenzutreten. Während der Volksabstimmung im Jahr 2015 versuchte er das zwar, aber konnte selbst keine realistische Lösung präsentieren. Er musste sich an die Regeln der Gläubiger halten. Hatte er im Jahr 2014 noch mit seinem berüchtigten Ausspruch „Go Back Madame Merkel“ gegen die Kanzlerin gepoltert, ist er heute zu einer der engsten Verbündeten von Angela Merkel geworden.

Bereut ihr es, der EU beigetreten zu sein? (Volker M.)

Willst du uns verschaukeln? Griechenland war Gründungsmitglied der EU! Wir besitzen sogar den Markenname: Εὐρώπη (Europa, die Geliebte von Zeus)! Die Griechen waren vor dem Beitritt zur Eurozone besser dran, aber im Allgemeinen wurden doch alle Europäer mit dem Euro ärmer, oder? Die Griechen können sich ihr Land nicht außerhalb der Europäischen Union vorstellen.

Griechenland zehn Jahre nach der Krise

Wie sieht es momentan mit der Wirtschaft in Griechenland aus? (anonym)

Die griechische Wirtschaft wächst, aber nur langsam. Wenn du fragst, ob jetzt alles gut ist, lautet die Antwort immer noch „nein“. Die Herausforderungen bleiben riesig, aber es gibt Raum für Optimismus. Seit dem 13. Juli 2015, als die griechische Regierung eine Kehrtwende machte und sogar noch härtere Auflagen ihrer Gläubiger akzeptierte, hat es einige Zeichen für Wirtschaftswachstum gegeben.

Laut IWF lag der primäre Haushaltsüberschuss 2016 bei 3,8 Prozent des BIP (im Vergleich zu 0,8 Prozent 2015). 2017 lag er dann bei 4,1 Prozent und 2018 wieder bei 3,8 Prozent. Diese Überschüsse sind deutlich höher als in allen anderen krisengeschüttelten Eurozone-Ländern. Vor allem aber hat Griechenland im August 2018 nach acht Jahren die Phase der Hilfs-Programme verlassen und steht besser da, als wir es vorher hätten erwarten können.

Warum gibt es noch immer so eine große Jugendarbeitslosigkeit – und wieso können diejenigen, die Arbeit haben, nicht davon leben? (Ingrid R.)

Die neuesten Daten der griechischen Statistikbehörde (ELSTAT) zeigen, dass heute mehr Menschen in Griechenland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind (31,8 Prozent) als zu Beginn der Rettungsaktionen im Jahr 2010 (27,7 Prozent), mit einem Höchststand von 36 Prozent im Jahr 2014. Zwar zeigen offizielle Statistiken, dass die Arbeitslosigkeit in fast allen Altersgruppen zurückgegangen ist. Aber bei jungen Menschen gibt es weiterhin die höchsten Arbeitslosenraten: Bei den 15- bis 25-jährigen liegt sie bei ca. 40 Prozent, in der Gruppe der 25 bis 34-Jährigen bei 24 Prozent. Und ja, das monatliche Grundgehalt liegt bei ungefähr 570 Euro, damit kann man kaum über die Runden kommen.

Aus zwei Gründen ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch:
Erstens – Junge Griechen sind sehr gut ausgebildet, aber die Löhne wurde so weit gedrückt, dass sie sich um die meisten Jobs nicht bemühen, sondern stattdessen auf Familienressourcen zurückgreifen, Renten etwa, Mieteinkünfte.
Zweitens – Bisher hat der griechische Staat nicht systematisch probiert, altersgruppenfokussiertes Wachstum anzukurbeln oder Unternehmertum zu unterstützen. Wegen niedrigem Einkommen, hohen Steuern und wenig Perspektive suchen mittlerweile fast eine halbe Million Griechen im Ausland eine bessere Zukunft.

Was machen die jungen Leute dann nach der Schule? Hat sich das im Vergleich zu früher gewandelt? Gehen mehr ins Ausland? (Martin H.)

Familie und Freunde reagieren viel positiver als in der Vergangenheit, wenn Freunde oder Verwandte sich entscheiden, das Land zu verlassen. Gleichzeitig sind die Griechen im Ausland auch nicht in Eile zurückzukehren. Seit 2010 sind rund 400.000 Griechen in andere EU-Länder ausgewandert. Die meisten waren in ihren Zwanzigern oder Dreißigern. Laut einer EU-Umfrage, die 2018 in London und den Niederlanden durchgeführt wurde, planen weniger als zehn Prozent der griechischen Migranten, in den nächsten drei Jahren zurückzukehren.

Welche Bevölkerungsschichten sind von den allgemeinen Kürzungen in der Regierungszeit des gerade abgewählten Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am meisten betroffen? (Michael S.)

Auf jeden Fall die Mittelschicht. Dieser sehr interessante Artikel zeichnet den Niedergang der Mittelschicht nach (auf Englisch).

Sind die Korrupten immer noch auf ihren Pöstchen? Gibt es so etwas wie eine Start-up-Kultur oder andere Tendenzen für eine sich erneuernde Wirtschaft? (anonym)

Lass uns die zweite Frage anschauen, denn die griechische Regierung hat ja gerade gewechselt. Ja, es gibt eine wachsende Start-up-Kultur in Griechenland: Immer mehr Accelerators – das sind Firmen, die Start-ups in der Gründungsphase helfen – und unternehmerische Initiativen tauchen in Athen auf. Aber es gibt noch viel zu tun.

Die linke SYRIZA-Regierung unter Alexis Tsipras hat versucht, Unternehmertum zu pushen, aber hat das nicht geschafft, weil sie sich zu stark auf staatlich finanzierte Projekte verlassen und private Initiativen dafür vernachlässigt hat. Die neue Regierung will sich jetzt mehr auf dieses Thema fokussieren.

Geht Griechenland optimistisch in die Zukunft? (Daniel)

Die Griechen blicken skeptisch in die Zukunft. Sie haben die Nase voll von Austeritätspolitik, hohen Steuern und Instabilität. Aus diesem Grund wurde die Nea Dimokratia, die eine deutlich neoliberale Agenda hat, mit absoluter Mehrheit gewählt.

Wie sieht die medizinische Versorgung in den unteren Einkommensgruppen aus, und wie viele Menschen sind auf Suppenküchen oder ähnliches angewiesen? (Konstantin D.)

Griechenland hat große Probleme damit, Ressourcen zu verteilen, das gilt auch für medizinisches Personal. Aber trotz des schwierigen wirtschaftlichen Kontext hat die griechische Regierung 2016 beschlossen, ab dem 1. Juni die Krankenversicherung auf nicht-versicherte Arbeitslose und Flüchtlinge auszudehnen. Menschen, die weniger als 2.400 Euro pro Jahr verdienen, haben so Anspruch auf eine kostenlose Gesundheitsversorgung, bei Familien steigt die Grenze mit der Anzahl der Kinder.

Insgesamt hat sich der Gesundheitszustand der griechischen Bevölkerung im Laufe der Zeit verbessert, aber Herausforderungen wie die Finanzierung gibt es weiter. Viele fürchten nun, dass die neue Regierung private Unternehmen in den Gesundheitssektor hineinlässt. Die Folgen für die Qualität des Gesundheitssystems sind nicht abzusehen. Leider gibt es keine Daten darüber, wie viele Menschen von Suppenküchen oder ähnlichem abhängig sind.

Die neue Regierung und die Ära Tsipras

Warum gibt es in Griechenland keine echte Alternative? Die New Democracy Party (mit einigen rechtsextremen Tendenzen) ist in meinen Augen keine Lösung, sondern ein Schritt zurück. (anonym)

Es gibt immer eine Alternative, und die Griechen haben beschlossen, Kyriakos Mitsotakis und die Nea Demokratitia zu beauftragen, das Land nach vier Jahren mit einer linken Regierung zu führen. Kyriakos Mitsotakis scheint ein Reformer zu sein, der trotz der Vorgeschichte seiner Familie eine Partei ohne Vetternwirtschaft führt. Ja, es gibt ein paar rechtsextreme Stimmen in der Partei, aber die neue griechische Regierung besteht vor allem aus Technokraten und außerparlamentarischen Beamten, die versprochen haben, hart zu arbeiten.

Der konservative Parteichef der griechischen Opposition Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, begrüßt die Anhänger, nachdem er die Parlamentswahlen am 7. Juli 2019 im Hauptsitz der Neuen Demokratie in Athen, Griechenland, gewonnen hat.

Der konservative Parteichef der griechischen Opposition Neue Demokratie, Kyriakos Mitsotakis, begrüßt die Anhänger, nachdem er die Parlamentswahlen am 7. Juli 2019 im Hauptsitz der Neuen Demokratie in Athen, Griechenland, gewonnen hat. © Milos Bicanski, Getty Images

Es war immer wieder die Rede von nicht funktionierenden Einwohnermeldeämtern. Funktioniert das jetzt besser? Als Beispiel dafür wurde genannt, dass Renten an Tote weitergezahlt wurden, und Reiche kaum besteuert wurden, und bei Luxusvillen die Besitzer überhaupt nicht zu ermitteln sind. (anonym)

Das stimmt nicht!

Was ist mit all den Privatisierungsplänen passiert? (André)

Während der Regierungszeit von Alexis Tsipras wurden insgesamt 27 Unternehmen privatisiert, einige davon sehr symbolträchtig: zum Beispiel der Verkauf des griechischen Eisenbahnsystems oder der Hafengesellschaften Piräus und Thessaloniki. Nach mehreren Abenteuern gelang SYRIZA die wichtigste Privatisierung: Die eines Vorortes im Süden Athens, des „Helleniko“-Parks. Die von SYRIZA geführte Regierung war mit 27 Privatisierungen an der Spitze, die Zahl der Vorgängerregierungen lag bei 17 bis 18. Weitere Informationen findest du auf der Webseite des Hellenic Republic Asset Development Fund.

Hallo! Ich hab in einem Deutschlandfunk-Podcast gehört, dass Tsipras 70.000 öffentliche Stellen geschaffen hat. In welchen Sektoren und welcher Form war das und warum? (Bettine)

Im Dezember 2014 lag die Zahl der Beamten (vertragsgebunden und langfristig) bei 704.234. Im April 2018 waren es 733.091 (Quelle: Ministerium für Verwaltungsreform). Das ist ein Netto-Wachstum von 28.857 Beamten in 3,5 Jahren. Dies entspricht der dritten Absichtserklärung zwischen Griechenland und seinen Gläubigern, nach der die Zahl der Neuzugänge im öffentlichen Sektor an die Zahl der Pensionierungen gebunden ist. Im Jahr 2017 lag die Rate bei vier Pensionierungen für einen Neuzugang, im Jahr 2018 bei drei zu eins.

Nach einer Verhandlung mit den Gläubigern sicherte sich die Regierung von Tsipras ab Mitte 2018 eine 1:1-Rate. Die Zahl 70.000 bezieht sich auf die Gesamtzahl der öffentlichen Bediensteten, die zwischen Anfang 2015 und dem Ende des Rettungspakets im August 2018 eingestellt wurden, die Zahl der pensionierten Beamten ist dabei nicht berücksichtigt.

Rede des Premierministers und Präsidenten von Syriza Alexis Tsipras vor dem griechischen Parlament in Athen.

Rede des Premierministers und Präsidenten von Syriza Alexis Tsipras vor dem griechischen Parlament in Athen. ©  NurPhoto / Getty Images

Welche Investitionen in die Wirtschaft wurden seit 2015 getätigt? Gibt es eine Übersicht von FDIs (ausländische Direktinvestitionen)? Wie groß sind die Anteile der EU und Chinas an den FDIs? (Sarah)

Seit dem Krisenjahr 2010 nehmen die Investitionen wieder beständig zu. Nach den neuesten Daten der Bank of Greece erreichten die ausländischen Direktinvestitionen im Jahr 2018 insgesamt 3,6 Milliarden Euro netto. 2017 waren es noch 400 Millionen Euro weniger. Dabei kamen die mit Abstand meisten Investorengelder aus Deutschland, gefolgt von Frankreich, vor allem aufgrund der Beteiligung der Deutschen Telekom an der griechischen Telekommunikationsfirma OTE und der Übernahme griechischer Banken durch französische vor Beginn der Krise. China (inkl. Hongkong) hat seine Position in den letzten Jahren deutlich gestärkt, investiert aber nur ein Sechstel von dem, was Deutschland investiert. Weitere Informationen findest du auf dem Portal der griechischen Investitionsagentur.

Nun einzelne Themen: Reparationen, Klimapolitik, Gemeinsinn, Flüchtlingskrise und Tourismus

Die Diskussion um die griechischen Forderungen nach Rückzahlung des Nazi-Kredits bzw. Reparationen habe ich als Deutsche als beschämend empfunden. Ist das noch Thema? (anonym)

Ja, Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg sind immer noch Thema, aber das Thema kommt in der öffentlichen Debatte in Griechenland nicht oft vor. Es wird nur diskutiert, wenn irgendein Politiker eine bestimmte Agenda bedienen will.

Am 17. April hat das griechische Parlament dem Vorschlag eines parlamentarischen Komitees zugestimmt, formell Reparationszahlungen von Deutschland für Kriegsverbrechen zu verlangen, obwohl Berlin diese Forderungen zurückgewiesen hat. Der neu-gewählte Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat ein paar Wochen vor den Europawahlen gesagt, dass die Rückzahlung des Besetzungskredits, den Griechenland Nazideutschland im Zweiten Weltkrieg auszahlen musste, „juristisch möglich und politisch machbar“ sei und dass das eine Priorität sein sollte.

Wie sieht es mit Klimapolitik in Griechenland aus? Hierzulande ist sie in aller Munde – und die Krise wird die südeuropäischen Länder noch stärker treffen als Deutschland. War das ein Thema bei den Wahlen? (anonym)

Der Klimawandel fehlte in den Wahlprogrammen der griechischen Parteien komplett, und die griechische Klimapolitik steht im Widerspruch zu den Empfehlungen der wissenschaftlichen Forschung.

Warum herrscht in Griechenland kein Gefühl für Gemeinsinn? Dreck wird einfach entsorgt, verschandelt viele wunderschöne Landstriche, Abgaben werden vermieden? (Nicole H.)

Das ist eine sehr gute Frage. Du hast recht: Obwohl sich griechische Werte viel auf Gemeinschaft und Solidarität untereinander beziehen, haben Griechen nicht dieses kollektives Empfinden einer Gemeinschaft, die gemeinsam Ziele erreicht und zusammen für eine bessere Zukunft arbeitet. Das liegt an den radikalen sozialen Veränderungen, die in den Achtzigern und Neunzigern stattfanden: Damals ist eine Mittelklasse gewachsen, die von kapitalistischen Idealen durchdrungen war. Diese Einstellung ändert sich aber gerade durch die jüngeren Generationen, die progressiver und offener für Veränderungen sind.

Warum nimmt Griechenland hin, dass man es mit der Flüchtlingskrise alleine lässt? (Aline)

Von Griechenland wird erwartet, dass es die 2016 zwischen der EU und der Türkei beschlossene Vereinbarung umsetzt, die als EU-Türkei-Deal bekannt ist. Dahinter steckt tatsächlich nur eine Pressemitteilung, die allerdings rechtsverbindlich ist und verschiedene Maßnahmen beinhaltet. Unter anderem wird die Freizügigkeit der Asylsuchenden eingeschränkt, die auf den Ägäischen Inseln wie Lesbos ankommen. Steffi Fetz und Lisa Altmaier haben die Situation auf Lesbos über ein Jahr lang verfolgt und für Krautreporter hier beschrieben.

Ein Schiff der griechische Fähr-Reederei Blue Star Ferris fährt an der Insel Samos vorbei.

Ein Schiff der griechische Fähr-Reederei Blue Star Ferris fährt an der Insel Samos vorbei. krautreporter / Martin Gommel

Mir sind beim Reisen große Unterschiede in der Verkehrsinfrastruktur und Tourismus-Infrastruktur aufgefallen. Soweit ich verstehe, sind das aber nationale Aufgaben. Wie kommt es zu so starken Unterschieden? Auch würde mich bei beiden Themen interessieren, ob es hier nationale Strategien gibt? (Bettine)

Was die Infrastrukturen für Tourismus und Verkehr betrifft, so sind die Dinge ziemlich kompliziert. Im Verkehr spielt der Staat eine Rolle, aber trotzdem wird der Verkehr privat geführt. Die KTEL-Busse haben das Monopol auf dem Überlandverkehr mit dem Bus, sind aber in Privatbesitz. Dennoch reguliert der Staat aktiv seine Aktivitäten, wie zum Beispiel den Ticketpreis. Seit 2017 sind auch die Züge privat, während Touristenboote seit 2002 Teil des freien Marktes sind (aber teilweise reguliert werden).

Touristische Dienstleistungen sind größtenteils in Privatbesitz, mit Ausnahme von Tourismusbüros. Für beide Sektoren hat der Staat ein Mitspracherecht bei der Festlegung der langfristigen Strategie, der Besteuerung und der Preisregulierung. Im Bereich des Tourismus gibt es die Hauptstrategie, die Touristensaison auf das ganze Jahr auszudehnen statt nur auf den Sommer, wenn Griechenland von Touristen überflutet wird. Es besteht (vor allem im rechten politischen Spektrum) auch der Wunsch, mehr Touristen ins Land zu bringen, die während ihres Urlaubs viel Geld in Griechenland lassen können.


Übersetzung: Rebecca Kelber, Thomas Stöppler, Rico Grimm; Redaktion: Rico Grimm, Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.