Ein Krieg zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten ist im Moment so wahrscheinlich wie seit 40 Jahren nicht mehr.
Alles begann damit, dass am 13. Juni zwei Tanker im Golf von Oman in Flammen standen. Der Iran und die Vereinigten Staaten beschuldigten sich gegenseitig. Dann eskalierte die Lage: Die Amerikaner verkündeten, 1.000 zusätzliche Soldaten in den Nahen Osten zu verlegen. Die iranischen Revolutionsgarden schossen eine amerikanische Aufklärungsdrohne ab – angeblich war sie im iranischen Luftraum unterwegs (was die Amerikaner bestreiten).
Der vorläufige Höhepunkt: Rund eine Woche nach dem Anschlag autorisierte Präsident Donald Trump einen Militärschlag gegen den Iran – und zog Minuten vor dem Einsatz die Autorisierung zurück.
Warum ist die Lage so gefährlich? Kann es zu Krieg kommen? Woher kommt die Feindschaft beider Staaten zueinander? Und was könnte für Frieden sorgen?
25 KR-Leser:innen haben mir Fragen geschickt, die sie über den Iran-USA-Konflikt am meisten interessieren. Sie habe ich zur Grundlage für diesen Text genommen. Nach diesem Text hast du verstanden, woher die Spannungen zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten kommen.
1. Der Auslöser für die Krise war der Brand zweier Tanker. Was ist eigentlich genau passiert?
Am Donnerstagmorgen, den 13. Juni 2019, gerieten zwei Schiffe im Golf von Oman in Brand: Die „Kokuka Courageous“, die Methanol geladen hatte und von einer Hamburger Reederei betrieben wird, und der Öltanker „Front Altair“ einer norwegischen Reederei. Beide Betreiber sprachen von Explosionen, die zu dem Brand geführt hätten. Die Besatzungen beider Schiffe konnten gerettet werden.
2. Und wer war daran schuld?
Der Iran und die Vereinigten Staaten geben sich gegenseitig die Schuld. Der iranische Parlamentspräsident Ali Laridschani behauptete, die USA seien für die Explosionen verantwortlich. Er sprach davon, dass die Handlungen „die Wirtschaftssanktionen der USA zu ergänzen scheinen“. Er lieferte keine Belege für die Aussage.
US-Außenminister Mike Pompeo beschuldigte den Iran. Das Pentagon veröffentlichte ein Video, das ein iranisches Patrouillenboot zeigen soll, das eine nicht-explodierte Haftmine von einem der beiden Tanker entfernt – um Spuren zu beseitigen. Der Iran weist das zurück.
3. Lässt sich das unabhängig überprüfen?
Sowohl die „Kokuka Courageous“ als auch die „Front Altair“ waren auf der Tracking-Plattform „Marine Traffic“ zu finden. Das Unternehmen twitterte die Route, die die beiden Schiffe genommen hatten und die im Golf von Oman endete. Nutzer der Plattform ordneten die Bilder der brennenden Schiffe den beiden Tankern zu.
Was sich nicht belegen lässt: Ob das Objekt, das auf dem vom Pentagon veröffentlichten Video zu sehen ist, wirklich eine nicht-explodierte Haft-Mine ist. Der Direktor des investigativen Recherchebüros „Bellingcat“ schreibt in einem Gastbeitrag für die New York Times, dass weder klar sei, ob das Objekt an der Außenwand des Schiffes eine Mine sei, noch, dass sie von den Iranern dort vorher angebracht worden war.
4. Kann es jetzt zu einem Krieg kommen?
Die Antwort lautet: aus Versehen. Das heißt jetzt nicht, dass die Amerikaner aus Versehen in den Iran einmarschieren. Offiziell heißt es von allen großen Mächten in der Region, von Iran, Saudi-Arabien und den USA, dass sie kein Interesse an einem Krieg hätten. Aber: Sie könnten in einen Konflikt schlittern. Da es keinen diplomatischen Kontakt zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten gibt, könnte ein lokaler Vorfall ausreichen, um einen Krieg auszulösen.
Es gibt auf beiden Seiten Gruppen, für die ein Krieg interessant ist: In den USA ist John Bolton, Nationaler Sicherheitsberater von Präsident Donald Trump, bekannt für seine harte Haltung gegenüber dem Iran. Im Iran gehören vor allem die Revolutionsgarden zu den Hardlinern. Ihre Mitglieder glauben teilweise, dass sie in einem Krieg im Golf tatsächlich über die USA siegen könnten.
Und ein willkürliches Abenteuer von dieser mächtigen Milizgruppe ist nicht unwahrscheinlich. Während der Verhandlungen, die zum Atom-Deal mit dem Westen führten, stand bei den Raketentests auf den Raketen: „Israel muss ausradiert werden“, und zwar auf Hebräisch. Eine ähnliche Aktion würde heute nicht übersehen werden.
5. Wer sind denn die Revolutionsgarden?
Die Revolutionsgarden sind eine militärische Einheit, die das Regime schützen soll. Eigentlich dürfen sie sich laut Verfassung nicht an der Politik beteiligen. Aber schon früher stellten sie viele Minister in den gewählten Regierungen. Inzwischen sind sie das effizienteste Instrument des „Obersten Führers“ – des politischen und religiösen Oberhaupts des mehrheitlich schiitischen Landes – Ali Khamenei, um seine Gegner zu unterdrücken, die Wahlen zu manipulieren und den gewählten Präsidenten zu erpressen.
Im Iran gibt es – vereinfacht – zwei Gruppen von mächtigen Institutionen. Auf der einen Seite sind da Parlament und Regierung, die aus direkten Wahlen hervorgehen; auf der anderen Seite sind Institutionen, die vom Obersten Führer des Landes, Ali Khamenei, ernannt werden: darunter Gerichte, das Militär, der sogenannte Wächterrat (eine Art islamisches Politbüro) und die Revolutionsgarden. In den gewählten Institutionen sitzen meistens die Gemäßigten oder Reformer. Die anderen Positionen sind von Hardlinern besetzt. Ein Problem ist: Die Kandidaten fürs Parlament und Präsidentenamt müssen vom Wächterrat zugelassen werden. Das schreibt die Verfassung so vor. Das System ist also nur halbwegs demokratisch.
6. Ende April hat die US-Regierung die Sanktionen gegen den Iran verschärft. Wie wirken die sich auf den Konflikt aus?
Im Iran meinen viele, dass der Krieg schon lange angefangen habe – als Wirtschafts-Krieg. Sowohl Politiker wie Präsident Hassan Rohani als auch einfache Leute nennen diese Art Sanktionen einen Krieg. 2018 ist der Wert der iranischen Währung gegenüber dem Dollar auf die Hälfte gesunken. Die Mietkosten in Großstädten sind für viele nicht mehr bezahlbar, und immer mehr Menschen träumen vom Auswandern.
Und ein Problem kommt dazu: Wenn der Druck von außen groß wird, nehmen das die Hardliner für gewöhnlich zum Anlass, die Konkurrenten noch härter niederzuschlagen. Sanktionen und Kriegsdrohungen führen also dazu, dass die Gemäßigten an Macht verlieren.
7. Woher kommt die Feindschaft zwischen der USA und dem Iran?
Der Konflikt ist alt. 1979 hat der Gründer der islamischen Republik, Ajatollah Khomeini, die USA als „Großen Satan“ bezeichnet. So heißen die Vereinigten Staaten in der offiziellen Sprache des Regimes bis heute. Im November 1979 eroberte eine Gruppe iranischer Student:innen die amerikanische Botschaft in Teheran und nahm 52 Diplomaten als Geisel. 444 Tage lang. Khomeini unterstützte das. Die Student:innen forderten die Auslieferung des früheren Schahs Mohammad Reza Pahlavi, der sich in den USA aufhielt. Im April 1980 versuchten die Amerikaner, die Geiseln zu befreien, doch die Operation scheiterte an einem Sandsturm. Die Ajatollahs in Teheran sahen das als Geschenk Gottes. US-Präsident Jimmy Carter brach 1980 die offiziellen diplomatischen Beziehungen zum Iran ab – bis heute hat sich daran nichts geändert. Aber die Ursachen des Konflikts liegt noch tiefer.
8. Das ging noch früher los?
Ja. Wie diese Zeitreihe zeigt, haben 1953 die CIA und der britische Geheimdienst MI6 die demokratisch gewählte Regierung von Premierminister Mohammad Mossadegh in einem Militärputsch gestürzt. Mossadegh hatte die britische Anglo-Persian Oil Company enteignet.
Nach dem erfolgreichen Putsch kehrte der Schah ins Land zurück und errichtete ein autoritäres Regime. Er unterdrückte die Opposition und Medien, verbot viele Parteien. Mossadegh wurde drei Jahre lang inhaftiert und dann lebenslang unter Hausarrest gestellt.
Kermit Roosevelt junior, Mitorganisator dieses Putschs, schrieb in einem Buch, der Schah habe sich bei ihm bedankt und ihm gesagt: „Ich habe meine Herrschaft dem Gott, meinem Volk, meiner Armee und Ihnen zu verdanken.“ Im Iran gibt es einen Witz darüber: Die Reihenfolge ist umgekehrt. Viele Iraner sehen im Staatsstreich 1953 das dramatischste politische Ereignis in der Geschichte des modernen Iran. Ihrer Meinung nach hat es die Demokratisierung um Jahrzehnte verschoben.
9. Okay, die zwei Staaten sind verfeindet. Aber hasst die Bevölkerung Irans die Amerikaner auch?
Im Iran gibt es eine Hassliebe zu den Amerikanern. Ein großer Teil des Volkes möchte westliche Werte und Kultur, kann aber den Gedanken nicht loswerden, ohne US-Intervention hätte Mossadegh schon 1953 einen Demokratisierungsprozess anfangen können.
Die heutigen Regime-Kritiker glauben, ohne diesen Putsch wäre es nie zu einer Revolution gegen den Schah gekommen, die die Macht den Mullahs übergeben hat; das heutige Regime dagegen benutzt diese britisch-amerikanische Intervention als Instrument, um die Feindschaft gegen Amerika weiter zu schüren. Wenn es eines gibt, worauf sich Linke und Islamisten im Iran einigen können, ist das Antiimperialismus: Und das heißt, gegen Amerika zu sein.
10. Gab es denn nie Entspannung zwischen den beiden Ländern?
Hin und wieder. Im September 2013 telefonierten die Präsidenten der beiden Länder, Barack Obama und Hassan Rohani, miteinander. Es war das erste Gespräch der beiden miteinander. Mehr noch: Es war das einzige Telefonat zwischen den Präsidenten beider Länder seit der Revolution 1979. Obama und Rohani sprachen über das iranische Atomprogramm, zwei Jahre später gab es den Atom-Deal. Der Oberste Führer Irans kritisierte das Gespräch. Und seitdem gab es auch keine Gespräche mehr.
11. Welche Rolle spielt Israel?
Im Denken Ajatollah Khomeinis, des Gründers der islamischen Republik, spielte Israel von Anfang an eine entscheidende Rolle. In der ersten Rede, die die Öffentlichkeit mit dem Namen Khomeini bekannt machte – das war 1963 – warf er dem Schah vor, „mithilfe der Amerikaner und Israelis den Islam entwurzeln zu wollen“. Khomeini verehrte Palästina als „ein Herzstück des Islams“ und erklärte den letzten Freitag des Monats Ramadan zum „al-Quds-Tag“.
Seitdem werden an diesem Tag jährlich staatliche Demonstrationen überall in der islamischen Welt organisiert und die „Befreiung Quds“ – also Jerusalems – von den zionistischen Besatzern” gefordert. Manchmal auch die Vernichtung Israels. Im Iran ist es ein absolutes No-Go, von einer normalen Beziehung mit Israel zu reden. Und da die USA sich der Verteidigung der Interessen Israels gewidmet haben, liegt der Konflikt auf der Hand.
12. Wie kann es eine friedliche Beziehung zwischen den USA und dem Iran geben?
Selbst wenn der Iran das Atom- und Raketenprogramm aufgibt, die Lage der Menschenrechte verbessert (oder den Westen irgendwie überzeugt, diese zu übersehen, wie in Saudi Arabien) und die Destabilisierung der Region beendet, wäre eine Normalisierung der Beziehung mit den USA nicht leicht. Denn die Vernichtung Israels gehört zu dem Kern der Islamischen Republik.
Jassir Arafat, der erste Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete und Friedensnobelpreisträger, wird in der Sprache des Regimes als Verräter bezeichnet, weil er sich für Friedensverhandlungen mit Israel engagiert hatte. Also, selbst wenn die Palästinenser selbst verhandeln wollen, bleibt der Iran bei seinem harten Kurs: Israel muss vernichtet werden. Und so lange das so bleibt, ist eine Friedensperspektive kaum vorstellbar.
Bevor ich diesen Text geschrieben habe, habe ich die KR-Community gebeten, mir die Fragen zu schicken, die sie am meisten interessieren. Danke an alle, die mitgemacht haben. Besonderen Dank an: Frank, Dieter, Susann, Adrien, Hans, Alex, Sarah, Simon, Paola, hjw, Rüdiger, Niko, Florian, Bastian, Nathanael, Ingrid, Oliver, Günther, Rainer, Volker und Torsten.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.