Brüssel, unsere Schweine brauchen dich!

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Brüssel, unsere Schweine brauchen dich!

Deutschland erzeugt verboten viel Fleisch: mehr, als es selbst verbraucht, und mehr, als eigentlich erlaubt wäre. Zur Vernunft könnte uns die EU bringen – würde die Agrarlobby dort nicht längst mitmischen.

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Reporter für Ostdeutschland, Leipzig

Es gibt ein Wort für Menschen, die durch ihre Ernährungsweise das Klima schützen wollen: „Klimatarier“. Der Potsdamer Klimaforscher Johan Rockström entwickelte das optimale „klimatarische Menü“ und stellte drei Regeln auf. Mittels einer solchen Diät, so Rockström, lasse sich der persönliche ökologische Fußabdruck mal eben halbieren:

  • 40 statt 170 Gramm Fleisch pro Tag
  • 500 Gramm Obst und Gemüse
  • Maximal 250 Gramm Milchprodukte

40 Gramm Fleisch am Tag, das entspricht zwei Scheiben Salami. Lässt sich so die Welt retten? Nein, schrieb kürzlich meine Kollegin Theresa in ihrem Artikel über die „Macht der Konsumenten“. Nachhaltige Ernährung sei kaum mehr als ein Nischenphänomen. Sie sei damit etwa so wirkungsvoll gegen den Klimawandel „wie eine Plastiktüte im Wind“.

Vier Prozent mehr Vegetarier in einem Jahrzehnt

Vielleicht brauchen wir also, wenn wir wirklich unseren Fleischkonsum senken wollen, kein Tierwohllabel – sondern Gesetze.

Denn Klimatarier, Vegetarier oder Veganer allein werden es nicht richten. Sie sind einfach zu wenige. Unser jährlicher Fleischkonsum liegt heute bei knapp 60 Kilo. Nicht viel weniger als 2007, als es 62,4 Kilo waren. In einem Jahrzehnt sind wir vier Prozent vegetarischer geworden, mehr nicht.

Während Veganer, Vegetarier und Klimatarier in ihrer Nische verbleiben, liefert Deutschland hunderttausende Tonnen Fleisch ins Ausland. EU-weit verkauft kein Land so viel Fleisch und Tiere ins Ausland wie Deutschland. In seine Nachbarländer Polen, Niederlande oder Österreich. Transporte mit lebenden Tieren werden bis in die Toskana oder in die Türkei gekarrt.

Und unsere Ausfuhren steigen weiter. Erst 2018 wieder um zwei Prozent. Mittlerweile sind 17 Prozent unseres Fleisches für den Export gedacht. Allein jedes fünfte deutsche Schwein wird im Ausland verspeist.

Das ist nicht nur fragwürdig, was das Tierwohl betrifft, sondern es erzeugt auch ein enormes Umweltproblem. Denn wir lassen für andere Länder Tiere heranwachsen, die wir eigentlich gar nicht halten dürften. Weil wir für deren Gülle keinen Platz mehr haben. Um dieses Problem zu lösen, braucht es die Europäische Union. Die ist aber fest in der Hand der Agrarlobby. Fangen wir von vorne an:

Wir haben ein Gülle-Problem

Gülle – also der Urin und Kot landwirtschaftlicher Nutztiere – ist eine der fatalsten Auswirkungen der deutschen Fleischindustrie. 200 Millionen Tonnen davon landen jedes Jahr auf Deutschlands Feldern. An sich ist Gülle eine gute Sache, sie dient den Landwirten nämlich als Dünger. Der darin enthaltene Stickstoff lässt Pflanzen gedeihen. Die meisten Bauern, die Gemüse und Getreide verkaufen, sind darauf angewiesen.

Wird aber mehr gedüngt, als die Pflanzen aufnehmen können, sickert der Stickstoff weiter und landet als Nitrat im Grundwasser. Weil Nitrat im Körper zu Stoffen umgebaut werden kann, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, müssen die Wasserwerke es aufwändig herausfiltern. Das Umweltbundesamt gibt an, dass unser Leitungswasser dadurch um 45 Prozent teurer werden könnte.

An der Gülle zeigt sich, dass wir mehr Tiere haben als eigentlich erlaubt ist. Denn jeder fünfte Liter deutsches Grundwasser enthält mehr Nitrat, als es die EU erlaubt (ein teurer Spaß, wir kommen später noch darauf zurück). In Cloppenburg, dem Landkreise mit mehr Vieh als Menschen, liegen die Werte fünfmal höher als der Grenzwert.

Dazu gerät Phosphor, ein weiterer Inhaltsstoff der Gülle, in Flüsse, Seen, die Nord- und die Ostsee und lässt dort massenhaft Algen wachsen. Ammoniak steigt in die Luft, wird mit Regen, Nebel oder Tau weitergetragen und in Gewässer und Böden empfindlicher Ökosysteme gespült, wo er Insekten und Pflanzen tötet. Über multiresistente Keime, die in der Massentierhaltung gedeihen, haben wir da noch gar nicht gesprochen.

Und wir lassen uns die Gülle was kosten. 860.000 Euro – am Tag. So viel Strafe fordert der Europäische Gerichtshof jetzt, wenn die deutsche Tierindustrie weiter das Grundwasser verseucht. Allerdings nicht von Fleischfabrikanten wie Tönnies oder Wiesenhof (Jahresumsatz 6,35 und 1,4 Milliarden Euro) – sondern von Deutschland. Die Regierung habe nicht genug gegen die Grundwasserverschmutzung unternommen.

Eine europäische Lösung muss her – weil die Industrie sonst in Nachbarländer flüchtet

Es stimmt: Die Große Koalition konnte sich nicht schnell genug auf ein gemeinsames Wasserschutz-Gesetz verständigen. Was auch daran liegt, dass sich dafür zwei Ministerien einigen mussten: das für Umwelt (SPD) und das für Landwirtschaft (CDU). Und sie gerieten aneinander. SPD-Ministerin Svenja Schulze drängte auf eine schnelle, klare Lösung, CDU-Ministerin Julia Klöckner sorgte sich, ob die Höfe die neue Verordnung überhaupt umsetzen können. Dann verstrich die Frist – und der Gerichtshof der EU drohte seine Strafe an.

Jetzt muss die Politik eine Lösung finden. Aber egal wie, sie wird entweder den Zorn der EU – oder den der Bauern auf sich ziehen. Von letzteren sind Anfang April an die 6.000 gegen Verschärfung der Gülle-Regeln auf die Straßen gegangen. Dabei sind die deutschen Gesetze schon vergleichsweise großzügig. Das zeigt sich etwa daran, dass wir noch Gülle aus Nachbarländern importieren. Jede 100. Tonne Gülle auf deutschen Feldern kommt aus den Niederlanden, wo striktere Regeln gelten.

Deutschlands Politik scheint das Problem also nicht in den Griff zu kriegen. Aber warum sollte sie es auch? Warum steht überhaupt ein Land zwischen den Fleischproduzenten und der EU-Richtlinie? Eine Idee wäre, dass jeder Hof, der Grundwasser verseucht, dafür direkt an die EU zahlen muss. Export-Billigfleisch würde sich dann niemand mehr leisten. Und in der Folge nur noch so viel Vieh halten, wie sich regional verkaufen lässt.

Eine europäische Lösung wäre auch deshalb wichtig, weil die großen Betriebe vor den deutschen Gesetzen einfach in Nachbarländer fliehen könnten. Der größte deutsche Fleischhersteller Tönnies führt bereits seit 2015 eine dänische Tochterfirma: Tican, diese macht ihre fast 700 Millionen Euro Jahresumsatz fast ausschließlich mit Exportfleisch. Gefrorene Schweinenacken, Bacon und fleischige Fertiggerichte werden aus Dänemark nach Japan, Australien und die USA exportiert.

Wie wir Fleisch-Export-Europameister wurden

Dass Deutschland so viel Fleisch produziert, liegt an Horst Seehofer. 2005 wurde er in Merkels erster Regierung Landwirtschaftsminister. Deutschland produzierte damals noch weniger Fleisch, als es selbst verbrauchte – der Rest wurde importiert. Das Land hatte gerade die BSE-Rinderwahn-Skandale hinter sich, und der letzte Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte „weg von den Agrarfabriken“. Es sah eigentlich nicht gut aus für deutsches Fleisch.

Da setzte Seehofer sein erstes großes Projekt um: die Abschaffung der „flächengebundenen Nutztierhaltung“.

Diese besagte, dass jeder Bauer nur so viel Gülle produzieren durfte, wie er auch auf seine Felder ausbringen konnte. Doch Seehofer kappte diese, ja: Obergrenze. Dank ihm wurden in Deutschland nun riesige Tierställe gebaut. Um weiter zu wachsen, begannen die Produzenten jetzt mehr Fleisch zu exportieren. Heute produziert Deutschland 120 Prozent dessen, was selbst verbraucht.

In Cloppenburg müsste jedes dritte Tier weg

Und davon profitieren vor allem große Betriebe. Unter Bauern gibt es den Leitsatz „wachsen oder weichen“. Entweder du wirst einer von den Großen. Oder du gibst auf. Die Zahl der Schweinehalter hat sich so in den letzten zehn Jahren halbiert.

Um zu verstehen, in welchen Dimensionen deutsche Viehhalter heute planen, ein Gedankenexperiment. Nehmen wir an, Seehofers Reform würde zurückgenommen – darüber wird tatsächlich immer mal wieder diskutiert. Nehmen wir an, es gäbe Tierhaltung nur noch auf einer Fläche, wie sie nach EU-Öko-Richtlinien vorgeschrieben ist. (Die SPD hat das kürzlich so gefordert.) Dann dürften auf einen Hektar maximal zwei Kühe, zehn Schweine oder 666 Masthähnchen kommen.

Ein Blick nach Cloppenburg, ein Landkreise im tiefen Nordwesten. Hier, wo heute mehr Tiere gehalten werden, als Menschen leben, müssten viele Bauern nun abrüsten. Pro Quadratkilometer wären es rechnerisch 50 Schweine, 8 Kühe und 500 Hähnchen zu viel. Jedes dritte Tier müsste weg. Und Rekorde, wie die 10 Millionen geschlachtete Schweine in einem Jahr, wie sie die Lokalzeitung kürzlich stolz vermeldete, würde es nicht mehr geben.

Agrarkonzerne regieren in Brüssel mit

Wir wissen, wie schädlich Tierhaltung ist. Und die Bevölkerung wäre – zumindest theoretisch – dazu bereit, mehr Geld für bessere Bedingungen zu bezahlen. Ja, sogar der Großteil der Bauern wäre dafür. In einer Umfrage unter Landwirten gaben 91 Prozent an, bei entsprechender Förderung ihr Vieh tierfreundlicher halten zu wollen. Und 83 Prozent würden auch umweltfreundlicher produzieren.

Warum passiert also nichts? Das fragte sich auch der Naturschutzbund und gab eine Studie in Auftrag, die Anfang dieser Woche erschien. Und die nun belegt, wie eng die europäische Agrarpolitik mit der Agrarindustrie, die sie eigentlich kontrollieren soll, verwoben ist.

Um zu zeigen, wie wenig die EU bei der Tierhaltung ausrichten kann, nennt die Studie ein Beispiel aus dem Jahr 2013, als Wissenschaftler und Naturschützer im Europaparlament ihren „Greening“-Entwurf vorstellten. Dieser besagte, dass Bauern gegen eine Prämie auf sieben Prozent ihrer Anbaufläche verzichten sollen. Auf diesen Ökoflächen könnten wieder Blumen, Bienen und Insekten leben.

Die großen Agrarkonzerne haben EU-Politiker in ihren Vorständen

Seit mehr als die Hälfte des deutschen Bodens landwirtschaftlich genutzt wird, sind viele Arten bedroht. Und die Fleischproduktion ist dort der Hauptverursacher: Fast zwei Drittel des geernteten Getreides wandern als Futtermittel in die Tröge der Nutztiere.

Dank privater Projekt betreiben einige kleine Landwirte bereits Greening. Beispielsweise in Brandenburg können Bürgerinnen und Bürger Blühstreifen-Pate werden.

Doch die großen Agrarkonzerne sperren sich gegen Greening. In Brandenburg mögen Blühstreifen ein romantisches Projekt zwischen Bürgern und Bauern sein, für einen internationalen Fleischproduzenten stellen sie aber nicht mehr als eine „Stilllegung“ ihrer Felder dar – und genau so formuliert es auch Albert Deß. Seit 2004 sitzt Deß für die CSU im Europaparlament und ist dort Mitglied im mächtigen Agrarausschuss.

Aber Deß ist nicht nur Politiker, er ist auch Vorstand des Milchproduzenten Bayernland. Und er sitzt im Beirat des BayWa-Konzerns, der mit Saatgut, Dünger, Pflanzenschutzmitteln und Futtermitteln Milliardenumsätze macht. Im Parlament setzte sich Deß 2013 gegen „Greening“ ein – und er gab später seine Stimme dafür, dass auf den sieben Prozent Öko-Fläche Pflanzenschutzmittel gespritzt werden dürfen.

Die Nabu-Studie zeigt, dass im europäischen Parlament 90 Abgeordnete sitzen, die wie Deß mit der Agrarindustrie vernetzt sind. Unter den deutschen Mitgliedern des Agrarausschusses finden sich sogar mehr vernetzte als unabhängige Akteure.

Und so lässt sich auch erklären, warum es zwar seit einigen Jahren Greening gibt – allerdings unter etlichen Vorbehalten. Etwa dürfen die Bauern auf den Grünstreifen nun auch eingeschränkt Landwirtschaft betreiben. Der NABU sieht in den Streifen „keine nennenswerte Wirkung für die Umwelt“. Die Fleischindustrie hat den Angriff im Europaparlament pariert.

Für nichts gibt die EU mehr Geld aus als für Landwirtschaft

Zwar hat die EU ihre Subventionen für Exporte bereits abgeschafft. Die Verteilung der Gelder fördert trotzdem jene, die exportieren: nämlich direkt oder indirekt die großen Fleischproduzenten. Denn drei Viertel des Geldes werden je nach Anbaufläche vergeben. Je größer ein Betrieb, desto mehr Förderung gibt es. Erst ein Viertel wird dann nach Faktoren wie Tierwohl, Klima- oder Artenschutz vergeben.

Und es geht um viel Geld. Für nichts gibt die EU so viel Geld aus wie für Landwirtschaft. 60 Milliarden Euro, das sind 40 Prozent des gesamten Haushalts, fließen jedes Jahr an EU-Bauern. 6,3 Milliarden davon gehen nach Deutschland. Die Frage ist: Warum entscheiden über dieses Geld keine wirklich unabhängigen Politiker?

Weniger Fleisch ist ein Zukunftsprojekt, das nicht im Supermarkt oder von einzelnen Bauern umgesetzt werden kann – sondern etwa im Europaparlament. Und dieses wird am 26. Mai neu gewählt. Ob es künftig eine andere Agrarpolitik in Europa gibt, kann dann vor allem eine Person mit beeinflussen: du.


Redaktion: Therese Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.