11 Fragen und Antworten zum neuen EU-Urheberrecht (und dem großen Protest dagegen)

© Youtube / Christian Götz Graf von Dalberg

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11 Fragen und Antworten zum neuen EU-Urheberrecht (und dem großen Protest dagegen)

Die EU möchte das Urheberrecht reformieren, denn … Noch da? Das Thema ist wichtig, denn wenn die EU mit ihren Plänen durchkommt, könnte es das Ende des Internets sein, wie wir es kennen.

Profilbild von von Torsten Sillus und Rico Grimm

Diesen Text haben wir am 6. März 2019 aktualisiert.

1. Die EU möchte also das Urheberrecht ändern. Ist das wirklich ein wichtiges Thema?

Wenn es ums Urheberrecht geht, geht es fürs Internet immer gleich ums Ganze. Denn fast alles, was du im Netz siehst, ist öffentlich – und fällt damit in der ein oder anderen Form unter dieses Recht. Welche Bilder du auf Instagram teilen kannst, welche Videos du auf Youtube zu sehen bekommst und welche Dinge ihr noch in dem Online-Forum deiner Wahl austauschen könnt, kann sich im März ändern. Denn das Europäische Parlament stimmt über die Reform des Urheberrechts ab. Im schlimmsten Fall, so die Kritiker, bedeuten die Änderungen das Ende des Internets, wie wir es kennen.

Wie wichtig das Thema ist, sieht man auch daran, dass nun bereits seit drei Wochen immer wieder Menschen, junge Menschen noch dazu!, auf die Straße gehen, um gegen diese Reform zu demonstrieren. In Berlin waren es gerade laut Veranstaltern mehr als 5.000 Menschen, und dabei findet der eigentliche große Aktionstag erst am 23. März statt. Eine Online-Petition gegen diese Reform haben 4,8 Millionen Menschen bisher unterschrieben. Die Proteste sind groß, aber können noch größer werden.

2. Diese Proteste laufen unter dem Hashtag „#Artikel13“. Warum?

Der Artikel 13 des neuen Gesetzes regelt, wie Dienste, die „große Mengen“ geschützer Inhalte anbieten, in der Zukunft vorzugehen haben: Die neue Richtlinie schreibt vor, dass Webseiten wie zum Beispiel Youtube oder Instagram, aber auch kleinere Foren und Dienste wie zum Beispiel fotocommunity.de entweder im Vorhinein Lizenzverträge mit Rechteinhabern vereinbaren sollen oder verhindern müssen, dass unlizenzierte Werke hochgeladen werden. Im Gesetz werden sie nicht explizit erwähnt, aber die Kritiker glauben, dass diese Regelung auf sogenannte Uploadfilter hinausläuft.

Bisher müssen Rechteinhaber eine Webseite auf einen Rechtsverstoß hinweisen, und die Webseite muss solche Inhalte dann sofort löschen, um sich nicht selbst haftbar zu machen. Dieses Vorgehen wird als „Notice and Takedown“ bezeichnet. Durch das neue Gesetz müssen die betroffenen Dienste selbst prüfen, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt.

3. Was ist ein Upload-Filter?

Nehmen wir mal Youtube. Bei dem Videoportal werden 400 Stunden Videomaterial hochgeladen – pro Minute. Mit dem neuen Gesetz wäre Youtube nun verpflichtet, jedes dieser Videos darauf zu prüfen: Wird mit diesem Video das Urheberrecht verletzt? Das könnte die Firma nicht von Hand machen, deswegen würde sie dafür spezielle Computerprogramme einsetzen. Diese Programme heißen Upload-Filter, weil sie eben aussieben, was hochgeladen („Upload“) wird.

Wie solche Filter funktionieren, wissen wir schon aus anderen Bereichen, in denen sie eingesetzt werden. Zum Beispiel: Computerspiele, bei denen man übers Internet zusammen mit anderen spielt. Damit sich die Spieler untereinander abstimmen können, haben diese Spiele eine Chat-Funktion. Diesen Chat wiederum filtern Maschinen, um regelmäßig vorkommende Schimpfwörter und Beleidigungen mit ***** zu verstecken.

Wenn ich in einem Onlinespiel wie World of Warcraft also den Satz „Du solltest weniger essen!“ schreibe, dann wird daraus im Spiel „Du solltest ******* essen!“ Warum? Das Wort „weniger“ enthält eine Abwandlung („niger“) der in Amerika häufiger verwendeten Beleidigung „Nigger“. Das ist kein Einzelfall: Immer wieder beschweren sich Computer-Spieler über diese dummen Maschinen.

4. Wo genau liegt denn hier das Problem? Es wäre doch ein leichtes, dem Algorithmus beizubringen, dass er ein Wort wie „weniger“ durchlässt?

Das ist ja nur ein Beispiel aus einer konkreten Situation in einem Spiel. Das Problem ist: Ein und dasselbe Wort kann in verschiedenen Zusammenhängen etwas völlig anderes bedeuten. Und das gilt nicht nur für Sprache, sondern auch für Videos, Bilder, Emojis und was wir Menschen sonst noch so im Internet hochladen. „Berühmt“ wurde etwa der Fall bei Facebook, das immer wieder Bilder löschte, auf denen weibliche Brustwarzen zu sehen waren. Facebook will – ganz im Sinne der in dieser Frage eher rigiden amerikanischen Kultur –, dass die Nutzer keine Nacktbilder und Pornographie verbreiten. Ob das ein sinnvolles Ziel ist, ist eine andere Frage, aber in der Praxis hat es dazu geführt, dass das Netzwerk zum Beispiel dieses Bild gelöscht hat:

https://twitter.com/Razarumi/status/774517040308772864

Oder ein Bild wie dieses:

© iStock/SolStock

Sind das Bilder, die als Pornografie gelten?

Das Problem ist, dass diese Upload-Filter, die die Plattformen einführen werden, den sozialen Zusammenhang nicht einschätzen können. Sie sehen ein Bild eines nackten Mädchens, das gelöscht gehört, und nicht das weltberühmte Foto, das die Schrecken des Napalm-Krieges so deutlich eingefangen hat wie kein zweites.

5. Aber künstliche Intelligenz kann doch inzwischen Gesichter erkennen, nachbauen. Sie kann sogar Stimmen überzeugend fälschen!

Genauso hatte auch die Gema argumentiert. Und es stimmt ja auch: Computer werden immer besser, aber sie werden eben nicht zwangsläufig schlauer. Was man daran sieht, dass es ein Kinderspiel, im wortwörtlichen Sinne, ist, diese Filter zu umgehen. Auch hier wird ihnen wieder zum Verhängnis, dass sie nur stur nach vorher festgelegten Kriterien suchen – und nicht den Kontext beachten.

Nehmen wir nochmal das Beispiel aus dem Online-Computerspiel mit „weniger“ und „Nigger“. Um den Filter zu umgehen, kann ich einfach schreiben: „Du solltest we ni ger essen!“ Die zwei zusätzlichen Leerzeichen führen dazu, dass der Sprachfilter nicht anspringt und jeder meinen Text lesen kann, auch wenn er zwei störende Leerzeichen enthält. Umgekehrt kommt jemand, der einen anderen rassistisch beleidigen möchte, leicht auf die Idee, seine Beleidigung etwas anders zu schreiben, zum Beispiel „Nigga“, „Nygga“, „N1g3r“. Der Sprachfilter verhindert damit nicht, dass Beleidigungen ausgesprochen werden, sondern nur, dass sie „richtig“ geschrieben werden. Soll der Sprachfilter nun aber effektiv verhindern, dass andere rassistisch beleidigt werden, dann muss der Filter auch alles erkennen, was so ähnlich aussieht wie die Beleidigung.

Und bis hierher haben wir noch gar nicht über Satire und Ironie gesprochen. Es fällt schon Menschen sehr schwer, im Internet zu erkennen, wann etwas nicht ernst gemeint ist (wie zum Beispiel jedes Mal aufs Neue die Facebook-Kommentare unter den Artikel der Satireseite Postillon beweisen). Wie sollen das dann Computer können?

Und: Gerade auf Youtube finden sich viele Videos, die einfach spiegelverkehrt hochgeladen wurden und so den Filter umgangen haben. Manchmal wird auch an zwei Rändern ein Teil der Originalvideos abgeschnitten, ein bunter Rahmen um das Video gelegt oder mit einigen Farbwerten gespielt, um einen höheren Kontrast oder eine leichte Rot- oder Blau-verschiebung in der Darstellung zu erhalten. Andere drehen das Video einfach um 2 Grad, und schon erkennt Youtubes Filter das Originalvideo nicht mehr. Mit einem Videobearbeitungsprogramm sind der Fantasie hier keine Grenzen gesetzt.

Ein Uploadfilter kann dementsprechend auch nicht immer verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Werke hochgeladen werden. Zusammenfassend gibt es also drei vor allem technische Probleme bei Upload-Filtern:

  1. Jeder Filter filtert mehr als er sollte
  2. Jeder Filter lässt sich mit verhältnismäßig einfachen Tricks umgehen
  3. Filter können keinen Kontext

Menschen, die diese Filter ablehnen, treibt aber noch etwas Grundsätzlicheres um: Sie sehen darin, Werkzeuge, die auch zur (politischen) Zensur genutzt werden können. „Hier wird eine gefährliche Kontroll- und Zensurinfrastruktur aufgebaut, die sehr schnell missbraucht werden kann“, sagte etwa Markus Beckedahl, Gründer von Netzpolitik.org auf einer Gegendemo.

6. Die großen Plattformen könnten sich doch auch einfach eine Lizenz holen für die Inhalte. Das sieht das Gesetz doch explizit als ersten Schritt vor.

Das stimmt. Youtube handelt so auch schon. Das Portal schaut bei jedem Upload in seine Datenbanken, ob hier urheberrechtlich geschütztes Material verwendet wird. Dafür nutzt es das System Content ID. Falls ja, informiert es die Rechteinhaber. Die können dann sagen, was mit dem Video geschehen soll. Youtube (und die anderen Dienste) dulden ein Video so lange, bis der Rechteinhaber tätig wird. Das wäre mit dem neuen Gesetz so nicht mehr möglich, da Youtube und die anderen Dienste jetzt selbst für Urheberrechtsverletzungen haften würden.

Wichtig ist, was daraus folgt: Jeder betroffene Dienst müsste Zugang zu einer Datenbank haben, mit der er die hochgeladenen Inhalte abgleichen kann. Solche Datenbanken gibt es, sind aber nicht öffentlich zugänglich. Können die Betreiber von Online-Foren oder Start-ups so eine Datenbank selbst aufbauen? Das ist unrealistisch. Das System von Google soll mehrere Jahre entwickelt worden sein und 60 Millionen Euro gekostet haben. Für Start-ups soll es im neuen Gesetz eine dreijährige Ausnahmeregelung geben, aber den Betreibern älterer, kleinerer Dienste bleiben nur zwei Möglichkeiten: den Ladenzu machen oder die Upload-Filter der ganz Großen, sicherlich gegen eine Gebühr, mitzunutzen. Und wer denkt, dass die Foren egal sein: Allein der aktuellen Initiative „Foren gegen Upload-Filter“ haben sich 319 Dienste mit gut 14 Millionen Mitgliedern angeschlossen. Da Youtube mit Content ID der Marktführer ist, würde das Unternehmen noch mehr Macht und Geld bekommen. Das ist fast tragikomisch, denn eigentlich soll das neue Gesetz, so die Befürworter, ja dabei helfen, die großen Anbieter in die Pflicht zu nehmen.

7. Wer kam denn auf die Idee mit den Upload-Filtern?

Also, dass die EU das Urheberrecht neu regelt, ist im Grunde eine gute Idee. Das sagen auch die Kritiker des aktuellen Vorschlags. Denn gerade ist eine Regelung gültig, die aus dem Jahr 2001 stammt. Damals gab es weder Reddit noch Youtube, kein Diaspora, Snapchat, Facebook, Instagram, Tumblr, Pinterest, Twitter, Jodel, Tik Tok usw. Der Kanzler Deutschlands hieß Gerhard Schröder. Der Präsident des FC Bayern München allerdings auch schon Uli Hoeneß.

Für das Gesetz treten vor allem die großen Rechteinhaber und Verwerter ein, also zum Beispiel Musiklabels, Verlage und Organisationen wie die GEMA und die VG Wort. Die treibende politische Kraft hinter dem aktuellen Entwurf sind die konservativen und neurechten Parteien in Europa. Aber auch einige Sozialdemokraten befürworten die Reform. Das EU-Parlament hatte dem Gesetz in groben Zügen bereits einmal zugestimmt, so kannst du anhand der ersten Abstimmung einen Überblick darüber bekommen, wer wo steht. Nach dieser ersten Abstimmung meldeten sich die Regierungen der EU zu Wort und wollten noch Änderungen einbringen. Da wurde ein Kompromiss gefunden, und nun liegt der Entwurf wieder im Parlament. Stimmt es zu, wird aus dem Entwurf geltendes Recht. Genau deswegen kocht auch jetzt die Debatte darum hoch.

Verhandlungsführer für die Konservativen ist der Deutsche Axel Voss von der CDU. Er sagt, dass dieses Gesetz nötig sei, um die Künstler Europas zu schützen, die seiner Meinung nach von den großen Plattformen ausgebeutet werden.

8. Stimmt das denn nicht? Gibt es denn gar keinen Grund für diese neue Regelung?

Es stimmt schon: Ohne die kreative Arbeit von Milliarden Menschen wären die ganzen Plattformen ziemlich langweilig. Diese Leistung wollen die Befürworter besser schützen, indem sie die Plattformen eben zwingen, Verantwortung für das Material zu übernehmen, das bei ihnen hochgeladen wird, und dann anfangen, die Kreativen zu bezahlen. Die Befürworter sagen, dass es einen „value gap“, eine Verwertungslücke, gebe. Allerdings hat zum Beispiel Youtube allein im vergangenen Jahr 2 Milliarden Dollar ausgezahlt. Zudem finden sich unter den Gegnern der Reform auch viele dieser Kreativen, die geschützt werden sollen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren auf die eine oder andere Weise mit dem Internet arrangiert und haben nun ihrerseits Angst.

Ein Aspekt geht in der Diskussion über die Upload-Filter unter. Denn das sogenannte Leistungsschutzrecht soll damit EU-weit eingeführt werden. Das regelt, ob und wann für Textausschnitte im Internet Geld fließen muss. Dabei ignorierien die Befürworter, dass es teuer und zwecklos ist und vor allem kleinere Internet-Dienste vor existenzielle Probleme stellt.

Außerdem: Im aktuellen Gesetzentwurf soll auch das systematische Auswerten von Texten und Daten verboten werden, außer für wissenschaftliche Zwecke. Hier die Kritik daran.

9. Wer geht eigentlich auf diese Demos gegen das neue Gesetz?

Die Videos von diesen Demonstrationen zeigen: Es sind vor allem junge Menschen, die da demonstrieren. Bekannte Youtube-Stars wie Gronkh, Unge oder LeFloid beackern das Thema schon seit mehr als einem Jahr und klären natürlich auch ihre Millionen Follower darüber auf.

Das ist interessant, weil es eine Sache verdeutlicht, die immer wieder bei Internet-bezogenen Gesetzen auftaucht: Menschen, die sich erst in das Internet „einarbeiten“ mussten, machen Gesetze für einen Raum, der den Jungen ganz natürlich vorkommt und Regeln hat, die den Älteren nicht vertraut sind. Das Durchschnittsalter der Abgeordneten im EU-Parlament ist 55 Jahre. Diese Konstellation spiegelt sich übrigens auch in der CDU selbst: die Parteispitze ist für das Gesetz, die Junge Union dagegen.

Auch auffällig: Das Epizentrum des Protests ist Deutschland. Das könnte noch wichtig werden, denn im EU-Parlament stimmen ja auch die Parlamentarier aus den anderen Ländern mit ab.

10. Was können die Proteste bewirken?

Was sie auf jeden Fall schon einmal bewirkt haben: Die Befürworter der Reform hatten Angst bekommen. Die europäischen Konservativen wollten die Abstimmung vorziehen, so dass der große Aktionstag am 23. März dann ins Leere laufen würde. Die Kritiker reagierten mit Spontan-Demos, was wiederum die Konservativen dazu brachte, die Abstimmung auf dem alten Datum zu belassen.

Im für sie besten Fall wird der öffentliche Druck so groß, dass so viele Abgeordnete im Europäischen Parlament ihre Meinung ändern, dass der Vorschlag bei der finalen Abstimmung scheitert. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, denn als das Parlament dieses Gesetz zum allerersten Mal zu Gesicht bekam, bremste es die Reform aus. Erst Nachverhandlungen ebneten den Weg für den jetzigen Entwurf.

11. Was kann ich tun?

Deinen Europaabgeordneten schreiben – wie das geht, steht hier. Unter den Hashtags #SaveYourInternet und #Article13 twittern, posten, was auch immer. Und bitte noch mehr von solchen Memes hier basteln:

Wenn du für die Upload-Filter sein solltest: Auch du kannst natürlich deinen Abgeordneten schreiben. Das steht ja jedem offen. Und das ein oder andere Meme könnte auch nicht schaden. Wir haben welche für diese Recherche gesucht, aber nicht eines gefunden, das viral ging und für diese Reform wirbt.


Wie dieser Text entstanden ist: In der Redaktionskonferenz hat die KR-Redaktion beschlossen, einen Artikel zur Urheberrechtsreform zu schreiben. Unabhängig davon meldete sich KR-Mitglied und Software-Entwickler Torsten Sillus bei der Redaktion: Er wolle die Hintergründe der Reform erklären. Ich, Rico Grimm, und Torsten haben diesen Text dann gemeinsam geschrieben, Torsten eher mit Fokus auf die technischen Aspekte, ich eher mit Fokus auf die politischen. Dabei haben wir die KR-Mitglieder gefragt, was genau sie wissen wollen. 27 haben geantwortet. Ihre Fragen findet ihr hier. Vielen Dank an alle! Falls du auch Expertise auf einem Gebiet hast, das die breitere Öffentlichkeit missversteht/unterschätzt, schreibe mir eine Mail: rico@krautreporter.de

Redaktion: Theresa Bäuerlein. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Fotoredaktion: Martin Gommel.