In einer Lagerhalle nahe Budapest zeigten die beiden russischen Waffenhändler zum letzten Mal ihren potenziellen Käufern, Mitglieder eines mexikanischen Drogenkartells, ihr Arsenal. Die Waffen stammten zum größten Teil aus den Beständen der ungarischen Streitkräfte, und wofür sie eingesetzt werden sollten, war völlig klar. Die Kartell-Leute hatten sich an die Russen gewandt, weil es „in Mexiko große Schwierigkeiten mit Hubschraubern gibt, mit amerikanischen Helikoptern, die den Drogenhandel stören“. Sie brauchten Waffen, um ihre Kokain-Lieferungen zu sichern, die größtenteils durch Arizona nach New York gebracht wurden.
Nach langen Verhandlungen sah es am 9. November 2016 so aus, als würde das Geschäft zustande kommen. Die Kartellleute verließen zufrieden das Lagergebäude, wo es die ganze Palette an Waffen von Kalaschnikows über Panzerabwehrwaffen bis Luftabwehrraketen gab. Die beiden Russen lebten bereits seit vielen Jahren in Ungarn und trugen denselben Namen: Vater und Sohn Vladimir Lyubishin. Die beiden Russen wollten jetzt feiern, sie nahmen an, das Geschäft sei perfekt. Sie wollten nicht nur das Kartell regelmäßig mit Waffen beliefern, sondern selbst bald große Mengen Kokain in Europa absetzen.
Doch am Ende wurde nichts aus dem Deal, und die Lyubishins verbrachten die Nacht hinter Gittern statt hinter einem Bartresen mit Wodka. In einer Gemeinschaftsaktion mit Namen Perseus griffen das ungarische Terrorabwehrzentrum (TEK) und die US-Drogenbehörde (DEA) die beiden auf. Die Amerikaner hatten den Lyubishins eine Falle gestellt. Weder die Ungarn noch die Amerikaner verloren je ein Wort über die Aktion. Aber Zeitungen in Montenegro erwähnten die Operation Perseus und die Verbindung nach Ungarn, als sie über die Festnahme einer Kontaktperson der Lyubishins berichteten.
Denn mit der Razzia der Terroreinheit endete die Geschichte der beiden Russen nicht. Nach deren Festsetzung gab es eine brisante Wendung. Die russischen Waffenhändler wurden zwar festgenommen, doch mit Hilfe ungarischer Regierungsstellen konnten sie der amerikanischen Justiz entkommen.
Eineinhalb Jahre nach Festnahme der Lyubishins lieferte Ungarn die russischen Waffenhändler an Moskau aus, statt dem Ersuchen der NATO-Verbündeten nach Auslieferung an die USA nachzukommen. Ein Diplomat sagte Direkt36 dazu, alle NATO-Alliierten könnten aus diesem Zwischenfall lernen: Man könne den Ungarn nicht glauben, und man könne ihnen auch nicht trauen.
Die Russen wissen angeblich nicht, wer ihre Kunden sind
In monatelanger Recherche ist es Direkt36 gelungen, die Geschichte dieser russischen Waffenhändler aufzudecken. Dabei nutzten wir Informationen aus Hintergrundgesprächen mit Geschäftspartnern der Lyubishins, von Waffenschiebern, aus Regierungs- und diplomatischen Quellen sowie aus Firmenregistern und amerikanischen Gerichtsakten. Zum Beispiel erhielten wir ein Gerichtsdokument, in dem ein DEA-Sonderermittler die Nachforschungen beschreibt, die Grundlage für die Haftbefehle gegen Vater und Sohn Lyubishin waren.
Laut Robert Fridman, dem ungarischen Anwalt der Lyubishins, befinden sich die Russen derzeit in Untersuchungshaft in Moskau. Fridman macht geltend, seine Mandanten hätten nichts davon gewusst, dass ihre Kunden Waffen für ein mexikanisches Drogenkartell beschaffen wollten. Sie seien davon ausgegangen, das Geschäft sei vollkommen legal. Die beiden seien der Meinung, ihr Fall sei nur ein weiteres Beispiel für die „weltweite Verfolgung von Russen“.
Ein signifikanter Teil der US-Gerichtsunterlagen gegen die Lyubishins ist noch immer nicht öffentlich zugänglich. Und die US-Behörden reagierten zunächst nicht auf unsere Anfragen. Das ungarische Justizministerium wies in einer kurzen Erklärung darauf hin, bei der Entscheidung, die Lyubishins auszuliefern, habe deren Nationalität eine Rolle gespielt.
Ein Türke ist gegen 25 Prozent Provision beim illegalen Deal dabei
Im Frühjahr 2016 gab es laut US-Gerichtsakten einen Mail-Wechsel zwischen dem türkischen Staatsbürger Hamit Nasirlioglu und einem Mitglied des Drogenkartells – es ging um die Frage, ob die Mexikaner Waffen gegen Kokain tauschen wollen. Auf seinem Foto auf Social Media macht der heute 40-jährige Nasirlioglu den Eindruck eines wichtigen Mannes: das Haar seitlich zurückgekämmt, mit Sonnenbrille und hellem Hemd. Offiziell ist er Geschäftsführer seines Familienunternehmens, mit weitreichenden Geschäftsbeziehungen zu Frachtunternehmen bis hin zur Verteidigungsindustrie. Seine Gespräche wurden abgehört – vermutlich ist er auch ein Waffenschmuggler.
Nasirlioglu wurde im Herbst 2015 von einem Mann angesprochen, der sich als Vertreter eines Drogenkartells vorstellte. Der Mann sagte, seine Kunden suchten Militärwaffen. Er schickte eine Liste mit all den Waffen, nach denen sie Ausschau hielten: Sturmgewehre, Granatwerfer, Handgranaten, Panzerabwehrraketen, kurz: Militärwaffen.
„Ohne Waffen ist das Geschäft nicht sinnvoll, die Transporteure werden entweder von der Regierung oder von den Gangstern angegriffen“, erklärten die Kartellmitglieder später Nasirlioglu ihren Bedarf an solchen Waffen. Der mexikanische Drogenkrieg begann mit dem Einsatz des Militärs im Jahr 2006, und seither schlagen die Drogenkartelle mit ähnlichen militärischen Waffen zurück. Mehr als 200.000 Menschen wurden getötet, und 30.000 sind im Drogenkrieg verschwunden.
„Ich habe vollstes Verständnis für Ihre Konditionen“ – so reagierte Nasirlioglu in einem Telefongespräch, als er erfuhr, dass der Käufer ein Drogenkartell ist und dass es keine offiziellen Einfuhrpapiere geben wird, dass es sich also um ein illegales Geschäft handelt. Der Türke versicherte dem Lateinamerikaner, er habe zuvor viele solcher „inoffiziellen“ Geschäfte getätigt und sei gegen eine Provision von 20 bis 25 Prozent erneut dazu bereit, gemeinsam mit einem russischen Lieferanten. So kamen Vladimir Lyubishin und sein Sohn ins Geschäft.
Nasirlioglu (N) könnte die beiden über seinen Vater kennengelernt haben, wie ein Gespräch mit seinem lateinamerikanischen Ansprechpartner (A) am 1. Januar 2016 nahelegt:
A: „In diesem Monat ist eine größere Ladung nach Europa unterwegs. Das Zeug stammt aus Kolumbien und Mexiko.“
N:„ Ah, okay. Drogen?“
A: „Lol. Ja, das weiße Zeug, der gute Stoff, der sehr gute.“
N „Okay.“
A: „Hast du mit deinem Freund darüber gesprochen, von dem du mir erzählt hast?“
N: „Bruder, ich kann dieses Geschäft auch machen. Und ich habe mit dem Freund meines Vaters gesprochen. Er hat mich gefragt, woher der Stoff stammt, und ich sagte ihm, aus Kolumbien oder Mexiko.“
Vladimir Vyacheslavovich Lyubishin, der jetzt in seinen 60ern ist, kam Mitte der 1990er Jahre zusammen mit seiner Frau nach Ungarn und wohnt seit spätestens 1999 in Budapest. Der Familie ging es in den 2000er Jahren sehr gut: Der 1984 geborene Sohn Vladimir Vladimirovich Lyubishin besuchte eine Privatschule in Budapest, danach die Universität in London. Lyubishin jr. machte Erfahrungen im Aufbau von Geschäftsbeziehungen und im Finanzwesen. Er kam über seinen eigenen Vater zum Waffenhandel und lebte zum Zeitpunkt seiner Festnahme in Ungarn.
Das Waffengeschäft soll über eine ungarische Firma laufen
Zwischen Ende 2015 und Sommer 2016 traf sich der Türke Nasirlioglu mehrfach mit den potenziellen Käufern. Im Juni 2016 stießen Vladimir Lyubishin und sein Sohn bei einem Treffen auf Zypern hinzu. Auf elektronischen Weg verschickten sie Waffenkataloge. Sie enthielten größtenteils Waffen aus sowjetischer Produktion, ideal für Privatarmeen: Granatwerfer, Panzerabwehrwaffen, die auf gepanzerten Fahrzeugen installiert werden können, schwere Maschinengewehre, Sturmgewehre, Handgranaten sowie Waffen, die gegen Flugzeuge eingesetzt werden können.
Obwohl die Orte der Treffen zwischen dem Türken, den Russen und den Kartellmännern in den Gerichtsakten geschwärzt und mit Codenamen versehen wurden, ergaben die Nachforschungen von Direkt36, dass einige Treffen in Ungarn stattgefunden haben. Wann immer Lyubishin jr. in einem Mitschnitt seines Nachrichtenaustauschs sagte: „Wir haben eine Firma“, sprach er von einer ungarischen Firma. Die Lyubishins wollten ihre Geschäfte mit dem Kartell über diese ungarische Firma abwickeln.
Vertreter des mexikanischen Drogenkartells kamen zum ersten Mal am 2. August 2016 nach Budapest. Budapest trägt den Code CITY-1 in den Gerichtsakten. „Wir haben hier eine Basis“, sagte Lyubishin jr. bei einem dieser Treffen, überreichte dann seinen Käufern seine Visitenkarte mit dem Namen und der Adresse einer Firma: Pilis Defense Systems Ltd.
Diese von Ungarn gegründete und geleitete Firma ist seit 2010 tätig. Ursprünglich handelte es sich um einen Laden für Jagdzubehör in der Stadt Pilisvörösvár, nördlich von Budapest. Die Firma verkaufte Antiquitäten und Jagdwaffen – und Russen hatten nichts damit zu tun.
Im Jahr 2011 wurde die Firma von dem 20 Jahre alten András Tamás Gyarmati erworben, der nach seinem Studium aus England zurückkam und ein Geschäft eröffnen wollte. Nach dem ungarischen Gesetz sind für den Vertrieb von Jagdwaffen die gleichen Lizenzen wie für den internationalen Handel mit Waffen – wo das echte Geld liegt – notwendig. Die Firma, die zunächst unter dem Namen Pilis Vadászbolt Ltd. firmierte (Pilis Jagdgeschäft), wurde später in Pilis Defense Systeme (PDS) umbenannt.
„Die Lyubishins klopften im Jahr 2012 an meine Tür. Zunächst machten wir ein Geschäft zusammen, dann noch eins, dann ein größeres Geschäft – und dann wurde die gesamt Geschäftspalette abgeschlossen“, beschrieb Gyarmati sein Verhältnis zu den Russen. Zunächst waren die Russen normale Verkäufer in der Firma mit eigener Visitenkarte, um das Vertrauen der Käufer aufzubauen. Nachdem sie mehr und mehr potenzielle Käufer generierten, wurde Ende 2015 Lyubishin jr. Mitgeschäftsführer der Firma.
Ende 2015 wurde der Waffenverkauf zum Politikum
Die Waffen, die PDS vertrieb, stammten hauptsächlich aus ungarischen Armeebeständen. Sie erwarb sie in großen Mengen aus sogenannten Überschussbeständen, die ausgemustert worden waren, von HM El Co.Ltd., eine Firma im Besitz des ungarischen Verteidigungsministeriums. So erwarb PDS unter anderen 1.300 Luft-Boden-Raketen, Hunderte von Luft-Luft-Raketen, vom Hubschrauber abzufeuernde Raketen, Flugabwehrgeschütze, Hubschrauber-Raketen, Flugabwehrraketen und Maschinengewehre. Zwischen 2012 und 2014 erhielt PDS den Zuschlag für etliche Ausschreibungen als Aufkäufer von ungarischen Armeebeständen.
Ende 2015 wurde daraus ein Politikum in Ungarn. Eine kleine ungarische Oppositionspartei, Dialogue, machte den Waffenhandel zwischen PDS und der staatlichen ungarischen Firma publik. Dialogue wies darauf hin, dass PDS einen Riesenprofit durch den Wiederverkauf von Waffen erzielte, die ursprünglich für nur wenige Millionen Forint erworben worden waren (einige wenige 10.000 US-Dollar). Außerdem warnten sie davor, dass diese Waffen eines Tages in die Hände von „Diktatoren und Terrororganisationen“ gelangen könnten.
Gyarmati tat im Gespräch mit Direkt36 diese Anschuldigung als Sensationsmache ab und vermutete dahinter die Rache eines seiner früheren Geschäftspartner. Der damalige Verteidigungsminister Minister István Simicskó verteidigte ebenfalls die Verträge mit PDS gegen die Kritik aus der Opposition im Jahr 2015.
Nur acht Monate nach dieser politischen Kontroverse kamen Delegierte des mexikanischen Kartells nach Budapest und trafen sich mit den Lyubishins im Interconti Budapest Hotel. Sie wollten neben den Maschinengewehren auch Flugabwehrraketen kaufen. Sie sagten, Hubschrauber störten ihre Operationen in Kolumbien, dort, wo die Koka-Strauch-Plantagen sind, und auch die an der mexikanischen Grenze zu den USA.
Schließlich kamen sie überein, das Drogenkartell solle eine Anzahlung von 1,5 Millionen US-Dollar an die ungarische Firma leisten, für die erste Schiffsladung und zur Deckung organisatorischer und logistischer Kosten. Der erste Container sollte verschiedene Typen von Maschinengewehren und Flugabwehrgewehren enthalten, die auf Lkw oder Pick-ups montiert werden können. Außerdem sagte Lyubishin vertraglich zu, dass die Firma PDS Vorbestellungen über 2.000 Handgranaten, 500 Panzerbüchsen und 30 Dragunow-Scharfschützengewehre aufgeben wird, falls das Kartell dies wünscht.
Lieferung mit falschen Zertifikaten
Internationale Waffenverkäufe sind nur zulässig, wenn der Endverbraucher bekannt und im Besitz eines sogenannten End-User-Zertifikats ist. US-amerikanischen Ermittlern zufolge beabsichtigte Lyubishin, den Verkauf als legitim erscheinen zu lassen, in dem er die Waffen mit einem falschen Zertifikat einer militärischen Firma verkaufen wollte, die in einem zentralamerikanischen Land ansässig war. Diese Offshore-Firma mit ihren Lagerhäusern war jedoch ebenfalls mit den Lyubishins verbunden. So konnte der wahre Käufer, das Kartell, die Waffen aus diesen Lagerhäusern abholen.
Die Russen wollten regelmäßige Waffenlieferanten für das Kartell werden. In einem schriftlichen Vorvertrag ist von „künftigen Lieferungen und Zusammenarbeit“ die Rede. Bei ihren Treffen in Budapest wurde auch über verschiedene Methoden des Drogenhandels gesprochen, zum Beispiel über Möglichkeiten, Kokain auf dem Luftweg in die USA zu liefern. In Kurznachrichten und bei verschiedenen Treffen deuteten sowohl der Türke als auch die Russen an, dass sie an einem Handel Waffen gegen Kokain interessiert seien. Nachdem die Lyubishins mitbekommen hatten, dass das Kartell ein Kilo Kokain für 70.000 bis 75.000 Dollar verkaufen kann, betonten die Russen mehrfach, dass sie bereit seien, den Vertrieb von mehreren Tonnen kolumbianischen sowie mexikanischen Kokains in Europa zu übernehmen.
Wer Waffen verkaufen will, muss Macht verströmen
Als Kartellmitglieder bei ihrer zweiten Reise am 19. August 2016 in Budapest ankamen, nahmen die Lyubishins sie mit in ihre Vorratslager nach Tököl und Szigetszenmiklós (außerhalb von Budapest), damit sie sich selbst ein Bild von der Ware machen konnten. Die Präsentation von Waffen habe ihre eigene Choreografie, erklärte uns ein ungarischer Waffenhändler. „Bei der Gelegenheit musst du allen imponieren. Du kannst da nicht aufkreuzen mit einem Auto unter einem BMW X6. Je mehr du nach Gangster aussiehst, je mehr zu nach KGB aussiehst, je näher du an Wladimir Putin dran bist, umso besser“, sagte unser Informant.
Die Skorpion-Maschinenpistolen machten den größten Eindruck auf die Männer vom Drogenkartell. Diese Waffen stammten nicht aus Ungarn, die Firma importierte sie von außerhalb der EU, und hatte 50 bis 60 Exemplare am Lager. Schließlich einigte man sich nach sorgfältiger Prüfung auf eine Lieferung von mehr als 5.000 Maschinengewehren mit einem Wert von zwei Millionen US-Dollar. Vater und Sohn Lyubishin ließen den Käufern eine Rechnung zukommen, die auf die PDS ausgestellt war, und stimmten zu, dass das Geld auf das Bankkonto der ungarischen Firma überwiesen wird.
Einige der Käufer stellten sich den ungarischen Angestellten der PDS als Kolumbianer vor. Drei von ihnen fotografierten das Waffenarsenal in dem Lagerhaus. Ein Gerichtsdokument, illustriert mit Schwarz-Weiß-Fotos von schlechter Qualität, dokumentiert, was die potenziellen Käufer im Lagerhaus vorgeführt bekamen. Auf einem Foto konnten zwei von Direkt36 befragte Experten die MG PK („Maschinengewehr von Kalaschnikow“) und das überschwere Maschinengewehr von NSW identifizieren. Wir luden ein anderes Foto von besserer Qualität von Raketen auf eine Webseite für Militär-Themen hoch. Ein User dieses Forums identifizierte die Raketen sofort als H-25, eine Luft-Boden-Rakete sowjetischer Bauart. Die PDS hatte solche Trainingsraketen vom ungarischen Verteidigungsministerium erworben.
Nach dem Treffen hielt Lyubishin jr. den Kontakt zu den Lateinamerikanern aufrecht. Sie schickten sich Textnachrichten und telefonierten des Öfteren miteinander während der nächsten Monate. Die Kartellmänner zeigten sich dann auch noch an Flugabwehrraketen interessiert. Lyubishin jr. berichtete umgehend, dass es davon 150 Stück in einem osteuropäischen Land gebe, er sich jedoch nicht sicher sei, ob sie noch zu haben seien.
Die Russen witterten die Falle nicht
Die Lyubishins ahnten nicht, dass diese Antwort ihre eigene Situation nur weiter verschlechterte. Denn in Wahrheit waren die gesamten Waffenverhandlungen nur eine verdeckte Operation der US- amerikanischen Drogenbehörde (DEA). Die Kartellvertreter waren in Wirklichkeit bezahlte Informanten, sogenannte vertrauenswürdige Quellen, die auf Anweisung der DEA agierten. Sie gestalteten den Verlauf der Verhandlungen so, um zu erkennen, wie weit die Lyubishins gehen würden – und verführten sie dazu, dabei immer mehr Straftaten zu verüben.
Von Anbeginn an überwachten die Amerikaner die gesamte Kommunikation. Die Lyubishins wurden beispielsweise dazu gebracht, eine weitere Straftat zu begehen, indem sie Zusagen über eine Lieferung von Flugabwehrraketen machten. In den Vereinigten Staaten zieht der bloße Versuch, solche Waffen zu erwerben, drastische Strafen nach sich.
Aber der türkische Mittelsmann schöpfte Verdacht und warnte die Russen vor Gesprächen mit den Leuten vom Drogenkartell. Doch die Lyubishins mahnten angesichts des Mammutdeals lediglich zur Eile. „Wir warten nur auf euch Jungs, von unserer Seite aus ist alles bereit“, drängte der Sohn Lyubishin am 16. September 2016 die Käufer.
Die Razzia fand während des nächsten Besuchs der Lateinamerikaner statt, kaum zwei Monate später.
„Terrorabwehreinheiten trafen mit entsicherten MP5-Maschinengewehren ein, in Begleitung von mindestens zwei Lkw voller Polizisten. Sie befahlen jedem, alles wegzuschmeißen. Sie zerrten Menschen heraus und befahlen ihnen, sich nebeneinander im Hof aufzustellen, acht oder zehn Mann“, erinnerte sich der Besitzer von PDS, Gyarmati, an die Razzia vor zwei Jahren. Mit Sturmhaube und schwarz bekleidet trat die Einheit des Anti-Terror-Centers (TEK) das Tor des Lagerhauses ein, kurz nachdem die Lyubishins und ihre lateinamerikanischen Kunden weg waren.
Auch die Russen wurden festgenommen und in Handschellen gelegt, außerhalb des Geländes von einer TEK-Einheit und von der Kriminalpolizei. Kein ungarischer Angestellter wurde festgenommen oder eingesperrt. Es gab zeitgleich Razzien und Durchsuchungen in vier oder fünf Wohnungen. Die Polizei durchsuchte die Wohnung der Lyubishins in Buda und nahm sogar den Laptop des Buchhalters der Firma mit. Mit den ungarischen Anti-Terror-Kräften und Polizisten erschienen auch amerikanische Agenten. Hamit Nasirloglu wurde zur selben Zeit in Podgorica von der montenegrinischen Polizei festgesetzt.
Der Besitzer und Manager der PDS berichtete Direkt36, dass die ungarischen Behörden ihn nur mit minimalsten Informationen versorgten, da weder er noch irgendein anderer Ungar eines Vergehens beschuldigt wurde. Ihm seien die lateinamerikanischen Käufer dubios erschienen, fügte er hinzu. Doch beteiligten ihn die Russen an keinerlei Verhandlungen mit potenziellen Käufern, und sie erschienen ihm „nicht ehrlich“ gegen Ende ihrer Partnerschaft.
Róbert Fridman sagte Direkt36, seine Mandanten seien sich nicht darüber im Klaren gewesen, dass die Waffen für das mexikanische Drogenkartell bestimmt waren. Nach Aussage des Anwalts gingen die Russen davon aus, es handele sich um ein legales Geschäft, und am Ende der Kette stehe eine Firma aus Nicaragua, die im Besitz aller notwendigen Lizenzen und Genehmigungen sei.
Der Türke wurde in die USA überstellt, nicht aber die Russen
Verschwörung zur Einfuhr von Narkotika, versuchter Import von Narkotika, konspiratives Treffen zur Beschaffung und zum Transfer von Flugabwehrraketen – dies sind die vier Anklagepunkte gegen die Lyubishins, nachdem die US-Drogenbehörde zuschlug. Die Russen und der Türke sollten im Southern District of New York vor Gericht gestellt werden. Das für die Bearbeitung von Auslieferungsfällen zuständige US-Justizministerium forderte die betroffenen Länder auf, alle drei auszuliefern.
Im Falle von Nasirlioglu wurde die Ausweisung im März 2017 auch vollzogen. Weder Montenegro noch die Türkei stellten sich dagegen. Er wurde von US-amerikanischen Agenten auf seinem Flug nach New York verhört.
Die erste Anhörung über eine Ausweisung der Lyubishins erfolgte zwei Tage nach ihrer Festnahme. Laut ihrem Verteidiger, Róbert Fridman, befragte der Richter die Lyubishins – was in solchen Fällen üblich ist – ob sie mit ihrer Überführung in die USA einverstanden seien. Da bei Verurteilung mit einer Strafe von 10 Mio. US-Dollar und lebenslänglich zu rechnen war, setzten sie sich gegen ihre Ausweisung zur Wehr. So lag es an der ungarischen Gerichtsbarkeit zu entscheiden, ob dem amerikanischen Antrag stattgegeben wird.
Die beiden Russen wollten Zeit gewinnen und stellten einen Asylantrag in Ungarn, da niemand während eines laufenden Asylverfahrens ausgeliefert werden darf. In der Zwischenzeit saßen die Lyubishins im Gefängnis in der Nagy Ignác Straße in Budapest. Ihrem Anwalt zufolge wurden sie weder von ungarischen noch von amerikanischen Behörden vernommen. Sie hatten lediglich wegen ihres Asylantrags eine Anhörung des ungarischen Verfassungsschutzes. Und russische Diplomaten besuchten sie mehrfach.
Die Lyubishins warteten noch immer auf ihren Bescheid in Sachen Asyl, als Russland begann, ebenfalls ihre Auslieferung aus Ungarn zu beantragen. Die russische Anklage lautete genau wie die amerikanische, es wurde zusätzlich noch die Auslieferung von Lyubishin Sr. in einem gesonderten Fall gefordert. Fridman behauptet, zwar sei die russische Botschaft in Budapest daran interessiert, ihren eigenen Landsleuten zu helfen. Sie habe aber nicht damit gerechnet, dass Russland ebenfalls die Auslieferung der Lyubishins fordern würde. In der Botschaft rechnete man mit der Auslieferung in die USA und suchte bereits nach einem Anwalt.
Schließlich wurde der Asylantrag nach einem Jahr abgelehnt, und das Gericht akzeptierte sowohl den US-amerikanischen als auch den russischen Auslieferungsantrag. Nun war es Aufgabe des ungarischen Justizministeriums zu entscheiden: Anstatt den Antrag seines NATO-Partners USA, genehmigte die ungarische Regierung den russischen Antrag, anderthalb Jahre nach der Festnahme der Lyubishins.
Am 10. August 2018 wurden die beiden Russen von der ungarischen Polizei bis an Bord einer Maschine nach Moskau eskortiert. Amerika hatte praktisch keine Chance, der Lyubishins aus Russland habhaft zu werden. Nach Aussage ihres Anwalts, sitzen sie seither im Moskauer Matrosskays Tishina Gefängnis in Untersuchungshaft.
Eine Falle zu stellen, ist eine weitverbreitete Methode – nicht nur für amerikanische Drogenfahnder, sondern zum Beispiel auch für das FBI, um Terrorangriffe zu verhindern. Einzelpersonen, die als Gefährder eingestuft werden, und ihr Netzwerk können mit dieser Methode in einem frühen Stadium identifiziert werden. Im Fall von Waffenhändlern benutzt die DEA Drogengeld als Köder, da es mit herkömmlichen Mitteln häufig zu schwierig ist, den Beweis der Verstrickung in illegale Machenschaften zu führen, die Länder und Regionen unsicherer machen.
Weder die DEA noch das US-Justizministerium oder das US-Außenministerium haben in der Sache auf Nachfragen von Direkt36 reagiert. Sie sagten, man gebe keinen Kommentar zu den Untersuchungen oder dem Auslieferungsantrag ab. Auch die amerikanische Staatanwaltschaft des Distriktgerichtes von New York gab keine weiteren Details bekannt. Wir haben Hamit Nasirloglu über diverse Kanäle zu erreichen versucht, wie zum Beispiel über seinen amerikanischen Anwalt, ohne Erfolg. Auch die montenegrinische Polizei hat nicht auf unsere Nachfragen reagiert.
„Dies ist ein gravierender Störfall“
Die Auslieferung an Russland erhöhte die Spannung zwischen Amerika und Ungarn, deren Beziehungen in diesen Tagen ohnehin problematisch sind. Die USA kritisieren schon lange die Maßnahmen der ungarischen Regierung gegen die Central European University und Ungarns Ablehnung des NATO-Beitritts der Ukraine. Außerdem beunruhigen Amerika die engen Bindungen der Regierung Orban an das von Putin geführte Russland. Angesichts dieser Tatsache führt die Auslieferung der Waffenhändler an Russland zu weiteren Reibungen.
„Die politische Entscheidung über eine Auslieferung fällt in Budapest auf höchster Regierungsebene“, sagte ein Informant. Obwohl offiziell das Justizministerium einer Ausweisung zustimmt, fällt die Entscheidung nur innerhalb des engen Zirkels um den Ministerpräsidenten. Laut Róbert Fridman, dem Anwalt der Lyubishins, entschied Justizminister Láslo Trócsányi formal über den Fall.
Laut einer Quelle, die sich mit den diplomatischen Hintergründen des Falles auskennt, haben die amerikanischen und ungarischen Behörden in der Untersuchungsphase sehr gut zusammengearbeitet, so wie es unter normalen Umständen üblich ist. Der Fall nahm eine Wendung, als die Frage der Verhaftung der Lyubishins zu einem politischen Thema wurde. Für die Amerikaner war der Fall der beiden Russen von großer Bedeutung: Im Sommer 2018 hat der ehemalige Generalstaatsanwalt Jeff Sessions wiederholt versucht, mit seinem ungarischen Amtskollegen über die Lyubishins zu sprechen – erfolglos.
Der Anwalt der Lyubishins sagte, dass seine Mandanten von Anfang an den Eindruck hatten, dass ihr Fall ein erneuter Beweis für die weltweite Verfolgung von Russen sei – wie zuvor der Fall des Waffenschiebers Victor Bout oder des Piloten und angeblichen Drogenschmugglers Konstantin Yaroshenko, der im Jahr 2010 in Liberia verhaftet wurde. Die Vereinigten Staaten von Amerika hätten die Rolle der Weltpolizei übernommen, eine Rolle, die ihnen nicht zustehe. Dem Anwalt zufolge handelt es sich bei Lyubishin Sr. in der Tat um einen Waffenhändler, der jedoch legalen Handel betreibt. Sein Sohn dagegen habe nur als Übersetzer fungiert, da der Vater nur mäßig Englisch spreche.
Die Auslieferung der Lyubishins war ein Schock für die Amerikaner. Trotz der politischen Differenzen mit der ungarischen Regierung waren solche Konflikte nicht die Regel auf den Ebenen der Verteidigung, der inneren Sicherheit und der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden.
Früher ist Ungarn solchen Auslieferungsanträgen nachgekommen. Beispielsweise wurden am 1. September 2010 zwei chinesische Staatsbürger in Ungarn inhaftiert bei dem Versuch, an Microchips für die chinesische Raumfahrtgesellschaft zu kommen, für die ein US-Embargo gilt. Deren Auslieferung an die Vereinigten Staaten erfolgte problemlos am 1. April 2011.
„Dies ist ein gravierender Störfall“, erklärte ein Insider in Ungarn. „Es lag den Russen offensichtlich sehr viel an der Auslieferung der Waffenhändler an sie. Und es scheint auch der ungarischen Regierung so wichtig gewesen zu sein, dass sie es auf einen Konflikt mit den Vereinigten Staaten von Amerika ankommen ließ. Die Alliierten zu Hilfe zu rufen, hat sich auf der ungarischen Seite offensichtlich nicht durchgesetzt.“
Nach Aussage eines Diplomaten eines NATO-Mitgliedstaates ist der Ausweisungsskandal der Lyubishins nicht nur für die USA eine Lehre.
„Wenn dein bester Freund dich etwas fragt und du das tust, was ist dann die Botschaft an alle deine anderen Freunde? Die Botschaft ist, dass man den Ungarn nicht nur nicht glauben kann, man sollte ihnen nicht einmal vertrauen.“
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Übersetzung: Beate Esser; Redaktion: Rico Grimm; Bildredaktion: Martin Gommel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich.