Bei der Europawahl holte „Die PARTEI“ 2,4 Prozent und zwei Mandate. In Berlin war sie sogar stärker als die FDP. Aus diesem Grund heben wir diese Recherche vom September 2018 noch einmal hervor. Sie ist immer noch aktuell.
Da waren zum Beispiel die grauen 3-D-Penisse. Unter dem Slogan „Politik zum Anfassen“ hingen die Genitalmodelle im Herbst 2017 an Laternenpfählen. Oder: Ein Plakat mit der Aufschrift „Frau mit Fahne“ – und darunter, nun ja: eine Frau mit einer Fahne in der Hand, Bundestagskandidatin in Bayern. Und: „Falls Sie glauben, die PARTEI macht nur Unsinn: Dieser Mann ist Verkehrsminister.“ Darunter ein Bild des ehemaligen Verkehrsministers Alexander Dobrindt (CSU), inzwischen CSU-Landesgruppenchef im Bundestag.
Die politische Debatte in Deutschland ist heftig, die Zeiten sind ernst, die Angst vor einem Rechtsruck ist groß. Und mittendrin fordert eine „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ Managergehälter an die BH-Größe ihrer Empfänger anzupassen. Ein Prozent der Stimmen erhielt die Satirepartei Die PARTEI bei der Bundestagswahl. In Berlin würden ihr jüngsten Umfragen zufolge sogar vier Prozent aller Wähler ihre Stimme geben. Sie müssen sich einiges anhören: Verschenkte Stimmen seien das, die andere, echte, ernste Parteien gut im Kampf gegen die AfD brauchen könnten. Warum tut Ihr das?
Ihre Anhänger misstrauen allen anderen Parteien
Rico Grimm hatte vor einem Jahr für Krautreporter die Wähler und Wählerinnen kleiner Parteien zu ihren Motiven befragt. Dabei kam heraus: Die Anhänger der PARTEI mögen zwar auf Pimmelwitze stehen. Aber in der Sache ist es ihnen ernst. Sie entscheiden sich für die Satirepartei, weil sie den anderen Parteien völlig misstrauen, aus taktischen Gründen und um ein Zeichen gegen das jetzige System zu setzen. Viele haben vorher andere Parteien gewählt, fühlen sich von diesen aber nicht mehr vertreten.
Ein Jahr später haben wir wieder Kontakt zu den Umfrageteilnehmern von damals aufgenommen. Da ist zum Beispiel Hendrik Bammel, 21 Jahre, Student der Politikwissenschaften in Göttingen. Er ist vor einigen Jahren über Facebook auf die PARTEI aufmerksam geworden.
Er erinnert sich noch gut an einen Aufkleber der Satiriker, der ihm auffiel: „Schwarzfahren muss bezahlbar bleiben“. „Das hat mich irgendwie abgeholt“, sagt er. Erst habe er es einfach lustig gefunden. „Aber dann habe ich angefangen, mich damit zu beschäftigen: Wen treffen eigentlich die Strafen, die gegen Schwarzfahrer verhängt werden?“
Seitdem ist er der Meinung, dass der öffentliche Nahverkehr ein Gut sein sollte, das möglichst vielen Leuten zugänglich ist. Als er im Herbst 2016 für sein Studium nach Göttingen zog, beschloss er, sich in der PARTEI zu engagieren. Seitdem wählt er sie immer. Bammel ist, das legen Umfragen nahe, ein relativ typischer Anhänger der PARTEI. Jung, akademisch geprägt, Social-Media-affin.
Und noch in einer anderen Weise ist er typisch. Das erzählt Martin Sonneborn am Telefon, Chef der PARTEI, ehemaliger Chefredakteur der Titanic, heute Europaabgeordneter in Brüssel. „Viele Leute finden unsere Plakate erst einmal nur lustig“, sagt er. „Aber dann werden sie neugierig, was dahintersteckt.“ Auf diese Art und Weise fingen sie an, sich mit Politik zu beschäftigen – und erführen mittels Satire, was alles falsch läuft in der Politik. Für Sonneborn ist das ein Grund, warum die PARTEI gerade bei jungen Menschen so gut ankomme: Sie biete einen leichten Einstieg in die Politik.
„Satire zielt auf die Abstellung eines Mangels ab“
Sie sehen also zum Beispiel ein Plakat mit einem brennenden Auto, auf dem steht: „Es gibt den sauberen Diesel.“ Und finden vielleicht einen Zugang zum Dieselskandal, zu den Verstrickungen von Autoindustrie und Politik, zur Hilflosigkeit der Verbraucher. „In der Titanic haben wir schon so ähnlich gearbeitet“, sagt Martin Sonneborn. „Es gab immer Nonsens-Rubriken, die einfach nur lustig waren. Und den Rest erarbeitet man sich.“
Auch Sonneborn selbst gehört in die Kategorie: hört sich lustig an, meint es aber absolut ernst. Politische Satire ist für ihn mehr als Quatsch. „Satire zielt auf die Abstellung eines Mangels ab, wenn man so will: auf die Verbesserung der Welt“, sagt er. Sie entstehe außerhalb von gesellschaftlichen Machtpositionen, und eine „gesunde Aggression“ dürfe auch nicht fehlen. Das alles sieht er in den politischen Aktionen der PARTEI verwirklicht.
Interessant wird es dann, wenn er und seine Leute tatsächlich politische Mandate erhalten. Sonneborn ist der mit dem höchsten Amt, aber neben ihm gibt es noch 30 bis 40 Mandatsträger in Deutschland, die meisten davon auf kommunaler Ebene. „Sie müssen sich immer entscheiden, wie weit sie den Satirekurs fahren – oder ob sie auch in die Realpolitik einsteigen.“
Niklas Washausen, 20 Jahre alt, Lehramtsstudent aus Greifswald und PARTEI-Anhänger, hat dazu eine klare Meinung: „Der Spaß ist ein in der Öffentlichkeit überschätzter Faktor.“ Klar, er findet die PARTEI auch lustig – aber ist gleichzeitig der Meinung: „Man darf es mit dem Spaß nicht übertreiben, sonst nimmt einen doch keiner ernst.“ Warum hat er die PARTEI gewählt? Washausen sieht sich als Protestwähler: „Ich möchte der Politik zeigen, dass es so nicht weitergehen kann.“ Und da sei die PARTEI eben die einzige logische Wahl. „Wer zum Beispiel aus Protest die AfD wählt, der muss sich im Klaren sein, dass er ein bedenkliches Programm unterstützt.“
Die Ambivalenz des PARTEI-Humors, das Nebeneinander von Zoten und Kritik behagen nicht jedem. Jedenfalls, wenn es um Wahlen geht. Der Journalist Martin Kaul etwa schrieb vor der Bundestagswahl in der taz: Die Wähler der PARTEI seien elitär, bourgeois und nicht an Inhalten interessiert. Die PARTEI sei weder links noch rechts, weil es ihr um nichts gehe, nur darum, sich über andere zu erheben.
„Im Kern steht hinter der jovialen Widerständigkeitspose ja eine Verachtung für diejenigen AktivistInnen und Parlamentarier, die tatsächlich etwas verändern wollen“, schrieb Kaul. Es gab viele, die das ähnlich sahen. Der Publizist Sascha Lobo stimmte Martin Kaul zu, ebenso der Medienkritiker Stefan Niggemeier.
Jede Partei braucht eine Art Selbstvergewisserung
Die Soziologin Jasmin Siri beschäftigt sich seit vielen Jahren mit politischen Bewegungen und neuen Parteien, von den Piraten bis hin zur neuen Rechten. Sie widerspricht der Behauptung, die PARTEI und ihre Anhänger stünden für nichts. „Sie betreiben Gesellschaftskritik, und das ziemlich wirksam.“
Als Beispiel sucht sich die Wissenschaftlerin ein Plakat der PARTEI aus: Es wandelt den CDU-Slogan „Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben“ ab. „Für einen Strand, an dem wir gut und gerne liegen“, steht da – über dem inzwischen ikonischen Bild des toten Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi. „Das ist natürlich eine Grenzüberschreitung“, sagt Siri, „aber es zeigt eben ganz deutlich, wie schrecklich die Realität ist – und wie wenig die Politik mit ihren Slogans den Schrecken der Gegenwart entgegensetzt.“
Auch den Vorwurf des Elitarismus findet sie fehlgeleitet. Es stimme zwar, dass sich vor allem gebildete Schichten von politischer Satire im PARTEI-Style angesprochen fühlen. „Man muss schon ein bestimmtes Wissen haben, um politische Satire und Ironie wirklich verstehen zu können.“ Und möglicherweise diene ein bedeutungsvoller Witz in diesem Kontext auch der Vergewisserung, einer eingeschworenen Gruppe anzugehören, die es besser weiß als die anderen. Jede Partei habe ihre Codes, ihre ganz speziellen Arten des Austausches. „Diese Art der Selbstvergewisserung ist in allen Parteien normal“, sagt Siri. Sie finde beim SPD-Stammtisch statt ebenso wie auf Parteitagen der Grünen. „Wenn bei den Grünen ein Arbeiter auftaucht, dann tut er sich zum Beispiel auch schwer mit den politischen Codes und Verhaltensweisen.“
Die Wissenschaftlerin findet gerade die uneindeutige Haltung der PARTEI interessant. „Normalerweise würde eine Partei im Wahlkampf immer versuchen, Doppeldeutigkeit zu vermeiden“, sagt sie. Die Satire der PARTEI funktioniere anders. In die könne jeder unterschiedliche Dinge hineinlesen. Wenn sie unter dem Bild ihres „Kanclerkandidaten“ Serdar Somuncu schreibe: Warum nicht mal ein Türke, dann könne das viel bedeuten. Kritik an mangelnder Minderheitenförderung, Kritik an einem Wahlkampf, der sich an Personen orientiere und nicht an inhaltlichen Positionen. „Und es kann auch sein, dass jemand das absolut ernst nimmt und eben tatsächlich sagt: Heute wähle ich mal einen Türken“, sagt Siri.
Taktisch zu wählen, kommt für zwei KR-Leser nicht infrage
Martin Sonneborn glaubt: Seine Wähler wissen, wie die PARTEI politisch einzuordnen ist. „Sie sehen unsere Plakate, verstehen unsere Kritik, hören, wie wir Mandatsträger und Kandidaten uns in Interviews äußern“, sagt er. Seine bekannteste Rede hielt er im Europaparlament zum türkischen Völkermord an den Armeniern. Den türkischen Präsidenten Erdogan bezeichnete er darin als „den Irren vom Bosporus“. Und sonst? „Ich vertrete humanistische Werte“, sagt er. Diese seien, fügt er noch hinzu, häufiger links der Mitte zu finden als rechts.
Hendrik Bammel und Niklas Washausen ordnen sich jedenfalls politisch links der Mitte ein. Beide würden am ehesten die Grünen wählen, wenn es die PARTEI nicht gäbe. „Was mich an den Grünen aber stört: Sie können sehr schlecht auf Leute zugehen, die nicht denselben akademischen Hintergrund haben wie sie“, sagt Bammel. Die SPD lehnt er wegen der Agenda 2010 ab, die Linkspartei wegen ihrer Flügelkämpfe.
Aber sind das ausreichende Gründe, eine Partei zu wählen, die bei allen Bundestags- und Landtagswahlen bisher an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist? Sollte einer wie Hendrik Bammel nicht zum Beispiel lieber der zweitbesten Option, den Grünen, die Stimme geben, damit diese sie im Kampf gegen die AfD im Bundestag hilft? „Ich bin dagegen, auf diese Weise taktisch zu wählen“, sagt der Politikstudent. Allein, weil das ein falsches Signal an die Parteien sende: „Wenn ich die Grünen oder die SPD wähle, dann zeige ich ihnen damit: Ich bin mit eurer Politik einverstanden.“ Das sollte nur tun, wer wirklich einverstanden ist.
Die PARTEI verkaufte Geldscheine
Bammel und Washausen betonen auch: die PARTEI mache nicht bloß Witze, sondern wirkungsvolle Aktionen. Bammel nennt als Beispiel eine Aktion der PARTEI, in der diese Geld verkauft hat: zunächst 100 Euro für 105, dann sogar für nur 80 Euro. Was sich erst einmal völlig gaga anhört, ist eine ziemlich ausgeklügelte Kritik an der deutschen Parteienfinanzierung. Der Hintergrund: Damit deutsche Parteien Geld aus der Parteienfinanzierung bekommen, müssen sie Einnahmen haben. Die AfD brachte das auf die Idee, Gold zu verkaufen. Für einen minimalen Gewinn – doch das reichte, weil für die Parteienfinanzierung nur die Einnahmen relevant waren, nicht die Ausgaben.
Die PARTEI überdrehte das Konzept und verkaufte Geldscheine. „Am Ende wurde das Gesetz, das der AfD ihren Trick ermöglicht hat, geändert“, sagt Bammel. „Es passiert sehr selten, dass eine außerparlamentarische Kraft auf diese Weise Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess nehmen kann.“
Auch sein Engagement vor Ort findet Hendrik Bammel wichtig. Er geht zweimal im Monat zum Stammtisch in Göttingen. Die PARTEI-Anhänger planen dort Aktionen und haben – das ist dem Studenten wichtig – auch ziemlich viel Spaß dabei. Im vergangenen Jahr haben sie zum Beispiel anlässlich einer Nazi-Demo eine Mauer gebaut. Der Mauerbau ist ein wiederkehrendes Satiremotiv der PARTEI. Sie plakatierte „für ein Deutschland in den Grenzen von 1949“ oder „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen. Außer uns.“
Und seit die Umfragewerte der PARTEI steigen, zieht auch das Argument der „verlorenen Stimme“ nicht mehr so sehr. Beide PARTEI-Anhänger können sich gut vorstellen, dass die Satiretruppe irgendwann im Bundestag oder mindestens in einem Landtag sitzt. „Ich finde, dann sollte sie schon mit anderen Parteien und Fraktionen zusammenarbeiten“, sagt Hendrik Bammel. „Man kann dann nicht sagen: Wir machen Satire, macht ihr mal die Arbeit.“ Aber trotzdem sollten die Abgeordneten „ihre Seele nicht verkaufen“.
Wenn das mal nicht ein Auftrag ist.
Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel