Die Welt ist kompliziert – und das ist auch gut so

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Nachrichten, erklärt

Die Welt ist kompliziert – und das ist auch gut so

Journalisten berichten viel über Konflikte, aber haben erstaunlich wenig Ahnung, was diese eigentlich wirklich antreibt.

Profilbild von von Amanda Ripley

Im Sommer 2017 brachte das CBS-Nachrichtenmagazin „60 minutes“ 14 Menschen – die eine Hälfte Republikaner, die andere Hälfte Demokraten - in einem umgebauten Kraftwerk in der Innenstadt von Grand Rapids im US-Bundesstaat Michigan zusammen. Diese Aktion sollte die Amerikaner ermutigen, mit denjenigen zu sprechen – und ihnen zuzuhören –, die anderer Meinung sind als sie. Oprah Winfrey führte das Gespräch. Sie gab ihr Debüt als „Special Correspondent“ – und kehrte nach unzähligen Talkshows zu den aktuellen Nachrichten zurück. Vier Jahrzehnte zuvor hatte sie ihre Karriere als Berichterstatterin aus Baltimore begonnen.

Es war eine außergewöhnliche Herausforderung. Drei Stunden lang hielten neun Kameras das Gespräch der Gruppe über Themen wie Twitter, Präsident Trump, das Gesundheitswesen und die Aussicht auf einen neuen Bürgerkrieg fest. Die Crew baute sogar einen speziellen Tisch, nur für diesen Anlass. Das geschnittene 16-Minuten-Stück sollte der erste Bericht in einer Reihe von Sendungen über das geteilte Amerika sein. Es war die Chance für einen angesehenen Nachrichtensender, über Klischees und Beschimpfungen hinauszugehen und die eigentlichen, tiefliegenden Wahrheiten auszugraben, und das in einer Zeit tiefer Spaltung in Amerika.

Doch am Ende ist das nicht passiert. Die Episode zog fast 15 Millionen Zuschauer an und hatte in dieser Woche die dritthöchste Einschaltquote aller TV-Shows. Aber die Gespräche in der Sendung war erstaunlich langweilig und oberflächlich.

Zuerst sagte ein schwergewichtiger Mann namens Tom, dass er Trump jeden Tag mehr mag. Danach sagte eine blonde Frau namens Jennifer, dass Trump ihr ein Unwohlsein im Magen verursachte. Später ging Winfrey um den Tisch herum und forderte jeden auf, ein Wort aufzuschreiben, das den typischen Trump-Wähler beschreibt, und wiederholte dann die Antworten. „Frustriert“, sagte Tom. „Frustriert“, sagte Winfrey.

Was ist schiefgelaufen? Wie konnte eine der erfolgreichsten Interviewerinnen der amerikanischen Geschichte so ein einfallsloses Fernsehen produzieren?

Journalisten lassen sich missbrauchen

Tief in ihrem Inneren verstehen Talkmaster – wie wir Journalisten generell – bestimmte Dinge über die menschliche Psychologie: Wir wissen, wie man die Aufmerksamkeit des Gehirns auf sich zieht und Angst, Trauer oder Wut auslöst. Wir können Empörung in fünf Worten oder weniger heraufbeschwören. Wir schätzen die alte Macht des Geschichtenerzählens, und wir wissen, dass gute Geschichten Konflikte, Charaktere und Szenen brauchen. Aber in der heutigen Ära des Tribalismus – also der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe – fühlt es sich an, als wären wir an unsere kollektiven Grenzen gestoßen.

Mit fortschreitender Polarisierung der Politiker haben wir es uns immer mehr erlaubt, von Demagogen auf beiden Seiten benutzt zu werden. Wir haben ihre Beleidigungen verstärkt, statt ihre Motivationen zu enthüllen. Immer wieder haben wir den Konflikt eskaliert und alles, was komplex ist, aus dem Gespräch gestrichen. Lange vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 verloren die Massenmedien das Vertrauen der Öffentlichkeit, plötzlich war da eine Einlasspforte für Fehlinformationen und Propaganda. Wenn der Zweck des Journalismus darin besteht, „die Öffentlichkeit in eine erfülltere Existenz zu führen“, wie der Professor für Journalismus Jay Rosen einmal schrieb, dann können wir kaum Erfolg verbuchen.

„Konflikt ist wichtig. Er bringt eine Demokratie voran“, sagt der Journalist Jeremy Hay, Mitbegründer von Spaceship Media, das Medienunternehmen dabei unterstützt, mit gespaltenen Communities zu arbeiten. „Aber solange der Journalismus sich damit begnügt, den Konflikt so bestehen zu lassen, verzichtet er auf die Macht, die er hat, um Menschen zu helfen, einen Weg durch diesen Konflikt zu finden.“

Aber was können wir sonst noch mit Konflikten anfangen, außer, dass wir sie zulassen? Wir sind keine Anwälte, und wir haben nicht die Aufgabe, die Menschen dazu zu bringen, sich besser zu fühlen. Und nicht die Jobs von Diplomaten. Also, welche Möglichkeiten gibt es da noch?

Angst, Stolz – und das Bedürfnis dazuzugehören

Um das herauszufinden, habe ich die letzten drei Monate damit verbracht, Menschen zu interviewen, die Konflikte genau kennen und kreative Wege entwickelt haben, sie zu meistern. Ich traf Psychologen, Mediatoren, Anwälte, Rabbiner und andere Menschen, die wissen, wie man schädliche Erzählungen zerstört und Menschen dazu bringt, tiefere Wahrheiten zu enthüllen. Sie tun es jeden Tag – mit wütenden Ehepartnern, streitsüchtigen Geschäftspartnern, boshaften Nachbarn. Sie haben gelernt, wie man die Menschen dazu bringt, sich für neue Ideen zu öffnen, anstatt sich vor Vorurteilen und Empörung zu verschließen.

Es ist mir peinlich, das zuzugeben, aber ich bin seit mehr als 20 Jahren Journalistin und schreibe Bücher und Artikel für Time, The Atlantic, das Wall Street Journal und alle Arten von Veröffentlichungen, und ich kannte diese Lektionen nicht. Nachdem ich mehr als 50 Stunden in der Ausbildung für verschiedene Formen der Streitbeilegung verbracht hatte, wurde mir klar, dass ich meine Fähigkeit überschätzt habe, schnell zu verstehen, was Menschen dazu bewegt, das zu tun, was sie tun. Ich habe das Argumentieren in mir und anderen überbewertet und Stolz, Angst und das Bedürfnis, dazu zu gehören, unterbewertet. Ich habe wie ein Ökonom gearbeitet, mit anderen Worten – wie ein Ökonom aus den 1960er Jahren.

Jahrzehntelang gingen Ökonomen davon aus, dass die Menschen vernünftige Akteure sind, die in einer rationalen Welt agieren. Wenn Menschen in freien Märkten Fehler machten, würde sich rationales Verhalten allgemein durchsetzen, nahmen die Ökonomen an. Dann, in den 1970er Jahren, begannen Psychologen wie Daniel Kahneman, diese Annahmen infrage zu stellen. Ihre Experimente zeigten, dass die Menschen allen möglichen Vorurteilen und Illusionen ausgesetzt sind.

„Wir werden von völlig automatischen Dingen beeinflusst, über die wir keine Kontrolle haben, und wir merken es nicht“, sagt Kahneman. Die gute Nachricht war, dass diese irrationalen Verhaltensweisen auch sehr vorhersehbar sind. So haben die Ökonomen ihre Modelle nach und nach an diese grundlegenden menschlichen Eigenheiten angepasst.

Der Journalismus hat dieses Aufwachen noch nicht erlebt. Wir verstehen uns gerne als objektive Suchende nach der Wahrheit. Deshalb haben die meisten von uns in den letzten Jahren ihre Anstrengungen einfach verdoppelt und machen weiterhin mehr von der gleichen Art von Journalismus, obwohl es immer mehr Beweise dafür gibt, dass wir nicht die Wirkung haben, die wir einst hatten. Wir sammeln weiterhin Fakten und erfassen Zitate, als ob wir in einer linearen Welt operieren.

Aber es wird klar, dass wir uns nicht durch den Freedom of Information Act – der jedem das Recht gibt, Zugang zu Dokumenten von staatlichen Behörden zu verlangen – aus diesem Dilemma befreien können. Wenn wir die Wahrheit finden wollen, müssen wir neue Wege finden zuzuhören. Wenn wir wollen, dass unsere beste Arbeit Konsequenzen hat, müssen wir gehört werden. „Wer die Wahrheit schätzt“, schrieb der Sozialpsychologe Jonathan Haidt in The Righteous Mind, „sollte aufhören, die Vernunft anzubeten.“

Wir müssen Wege finden, unseren Zuhörern zu helfen, ihre Schützenlöcher zu verlassen und über neue Ideen nachzudenken. Es liegt also in unserer Verantwortung, alle Mittel einzusetzen, die wir finden können – einschließlich der Lehren aus der Psychologie.

„Es ist an der Zeit, keine Ausflüchte mehr zu machen“, schrieb der Nobelpreisträger Richard Thaler in seinem Buch Misbehaving. Er sprach mit Ökonomen, aber er hätte sich auch an Journalisten wenden können. „Wir brauchen einen erweiterten Ansatz …, der die Existenz und Relevanz der Menschen anerkennt.“

Ein Konflikt im Gehirn

Forscher haben einen Namen für die Art von Spaltung, die Amerika derzeit durchzieht. Sie nennen dies einen „hartnäckigen Konflikt“, wie der Sozialpsychologe Peter T. Coleman in seinem Buch The Five Percent beschreibt. Er ist der Art von bösen Fehden sehr ähnlich, die in etwa jedem zwanzigsten Konflikt weltweit entstehen. In dieser Dynamik werden die Begegnungen der Menschen mit dem anderen Stamm (politisch, religiös, ethnisch, rassisch oder anderweitig) immer aufgeladener. Und das Gehirn verhält sich in geladenen Beziehungen anders. Es ist unmöglich, zum Beispiel neugierig zu sein und sich gleichzeitig bedroht zu fühlen.

In diesem hyperwachsamen Zustand fühlen wir ein unfreiwilliges Bedürfnis, unsere Seite zu verteidigen und die andere anzugreifen. Diese Angst macht uns immun gegen neue Informationen. Mit anderen Worten: Keine investigativen Berichte oder durchgesickerten Dokumente werden unsere Meinung ändern, egal was passiert.

Hartnäckige Konflikte befeuern sich selbst. Je mehr wir versuchen, den Konflikt zu beenden, desto schlimmer wird er. Diese Fehden „scheinen eine eigene Macht zu haben, die unerklärlich und total ist und Menschen und Gruppen dazu bringt, gegen ihre Interessen zu handeln und den Samen ihres Untergangs zu säen“, schreibt Coleman. „Wir denken oft, dass wir diese Konflikte verstehen und entscheiden können, wie wir darauf reagieren, dass wir also Optionen haben. Aber normalerweise irren wir uns.“

Wenn wir erst einmal in den Konflikt hineingezogen werden, übernimmt er die Kontrolle. Die Komplexität bricht zusammen, und die Wir gegen-Sie-Erzählung saugt den Sauerstoff aus dem Raum. „Im Laufe der Zeit wächst die Gewissheit über die offensichtliche Richtigkeit ihrer Ansichten und sie werden zunehmend verwirrt von dem, was wie unvernünftige, bösartige, extreme oder verrückte Überzeugungen und Handlungen anderer erscheint“, heißt es in der Trainingsliteratur von Resetting the Table, einer Organisation, die Menschen hilft, über tiefgreifende Unterschiede im Nahen Osten und in den USA zu sprechen.

Auch die Kosten eines hartnäckigen Konflikts sind vorhersehbar. „Jeder verliert“, schreibt der Mitbegründer der Organisation, Eyal Rabinovitch. „Solche Konflikte untergraben die Würde und Integrität aller Beteiligten und stellen ein Hindernis für kreatives Denken und kluge Lösungen dar.“

Es gibt Wege, einen hartnäckigen Konflikt zu unterbrechen, wie die Geschichte zeigt. Über Jahrzehnte hinweg haben Wissenschaftler wie Coleman, Rabinovitch und andere in Labors und am Rande von Schlachtfeldern Dutzende von Möglichkeiten identifiziert, um aus der Falle herauszukommen. Einige dieser Möglichkeiten sind auch für Journalisten relevant.

In jedem Fall geht es nicht darum, den Konflikt wegzuspülen; es geht darum, den Menschen zu helfen, in den Dreck und wieder heraus (und zurück hinein) zu waten, während ihre Menschlichkeit unversehrt ist. Die Amerikaner werden immer weiter anderer Meinung sein. Aber mit gut getakteten Anstößen können wir den Menschen helfen, gleichzeitig ihr peripheres Sehen, also ihr Sehen in Randbereichen, wiederzuerlangen. Andernfalls ist zumindest eines sicher: Wir alle werden Dinge übersehen, die wichtig sind.

Der Einflüsterer bei Gesprächen

In einem schwer zu findenden, fensterlosen Raum an der Columbia University gibt es ein sogenanntes Difficult Conversations Laboratory. Coleman und Kollegen nutzen das Labor, um echte Konflikte in einer kontrollierten Umgebung zu studieren, teilweise inspiriert durch das Love Lab in Seattle (wo die Psychologen Julie und John Gottman seit vielen Jahren Tausende von Ehepaaren erforscht haben).

In den letzten zehn Jahren haben das Difficult Conversations Lab und seine Schwesterlabore auf der ganzen Welt fast 500 Zusammenkünfte von Streitsüchtigen veranstaltet und aufgezeichnet. Sie erzeugen absichtlich die Art von Unbehagen, das die meisten Menschen an Weihnachten zu vermeiden suchen. Um dies zu erreichen, befragen die Forscher zuerst die Teilnehmer, um ihre Ansichten zu einigen polarisierenden Themen wie Abtreibung oder dem israelisch-palästinensischen Konflikt zu erfahren. Dann bringen sie jede Person mit jemandem zusammen, der völlig anderer Meinung ist.

Wenn die beiden Teilnehmer sich dann treffen, werden sie gebeten, 20 Minuten damit zu verbringen, eine Erklärung zu dem strittigen Thema zu verfassen – eine, die sie theoretisch unter ihrem Namen veröffentlichen würden.

Einige dieser Gespräche laufen so schrecklich, dass sie abgebrochen werden müssen, bevor die angesetzte Zeit um ist. Aber viele Gespräche eben nicht. Im Laufe der Zeit bemerkten Coleman und seine Kollegen, dass die Menschen in den nicht-schrecklichen Gesprächen immer noch negative Gefühle empfanden – nur nicht durchgängig. Sie kurvten im üblichen Kreisverkehr von Wut und Schuld herum, aber sie verließen ihn auch von Zeit zu Zeit. Sie erlebten positive Emotionen und dann negative und dann wieder positive und zeigten eine Flexibilität, die in den festgefahrenen Gesprächen fehlte.

Nachdem das Gespräch beendet ist und die Teilnehmer getrennt sind, hören sie jeweils die Aufzeichnung ihrer Gespräche und berichten, wie sie sich an jedem Punkt gefühlt haben. Im Laufe der Zeit entdeckten die Forscher einen entscheidenden Unterschied zwischen den schrecklichen und nicht so schrecklichen Gesprächen: Die besseren Gespräche sahen als Grafik aus wie ein Sternenbild aus Gefühlen und Argumenten. Sie waren komplexer als die anderen, die eher an ein Tauziehen erinnerten.

Aber kann diese Komplexität künstlich herbeigeführt werden? Gibt es eine Möglichkeit, eine bessere Gesprächskultur zu erreichen? Um das herauszufinden, gaben die Forscher den Teilnehmern etwas zu lesen, bevor sie sich trafen – einen kurzen Artikel über ein anderes polarisierendes Thema. Eine Version des Artikels legte die beiden Seiten einer Kontroverse dar, ähnlich einer traditionellen Nachrichtengeschichte – beispielsweise pro und kontra Waffenbesitz.

Die alternative Version enthielt die gleichen Informationen – nur anders geschrieben. Dieser Artikel betonte die Komplexität der Waffendiskussion, anstatt sie als ein zweiseitiges Problem zu beschreiben. So erklärte der Autor viele verschiedene Standpunkte, mit mehr Nuancen und Mitgefühl. Es liest sich weniger wie die Eröffnungsrede eines Anwalts, sondern vielmehr wie die Notizen eines Anthropologen.

Nach der Lektüre des Artikels trafen sich jeweils zwei Teilnehmer, um über den Frieden im Nahen Osten zu diskutieren – oder über eine andere sachfremde Kontroverse. Es stellte sich heraus, dass die Lektüre vor dem Gespräch wichtig war: In den folgenden schwierigen Gesprächen neigten Menschen, die den einfacheren Artikel gelesen hatten, dazu, sich in der Negativität festzubeißen. Aber diejenigen, die die komplexeren Artikel gelesen hatten, taten es nicht. Sie stellten mehr Fragen, hatten bessere Ideen und verließen das Labor zufriedener mit ihren Gesprächen. „Sie lösen das Problem nicht“, sagt Coleman, „aber sie haben ein nuancierteres Verständnis und sind eher bereit, das Gespräch fortzusetzen.“

Komplexität ist ansteckend, wie sich herausstellt – was eine wunderbare Nachricht für die Menschheit!

Bei meinem eigenen Besuch im Difficult Conversations Lab im Januar wurde ich mit einer Studentin zusammengebracht, die von der Idee der „Triggerworte“ überzeugt ist und die Idee der „sicheren Räume“ unterstützt. Ich bin davon überhaupt nicht überzeugt, also waren wir die perfekten Partner.

Bevor wir uns trafen, wurden wir alle gebeten, einen nuancierten Artikel über Waffenbesitz zu lesen. Wie vorhergesagt, war das folgende Gespräch höflich und vorsichtig. Die Studentin war zurückhaltend, aber nachdenklich. Keiner von uns preschte vor oder warf den Tacker durch den Raum. Wir hatten schließlich eine Erklärung, der wir beide zustimmen konnten. Ich würde sie nicht revolutionär nennen, aber wir hatten gerade genug Gemeinsamkeiten gefunden, um beide damit leben zu können. Meine Meinung über Triggerworte hat sich nicht geändert, aber ich kann deren Anhänger nicht länger als ahnungslose, verhätschelte Automaten abtun. Nun, ich kann es, aber es strengt mich ein bisschen an, was neu für mich ist.

Die Lektion für Journalisten (oder andere), die inmitten eines hartnäckigen Konflikts arbeiten: die Erzählung verkomplizieren. Erstens führt Komplexität zu einer umfassenderen, genaueren Geschichte. Zweitens erhöht es die Wahrscheinlichkeit, dass Ihre Arbeit eine Rolle spielt – vor allem, wenn es sich um ein polarisierendes Thema handelt. Wenn Menschen auf Komplexität stoßen, werden sie neugieriger und sind weniger verschlossen gegenüber neuen Informationen. Mit anderen Worten, sie hören zu.

Es gibt viele Möglichkeiten, die Erzählung zu verkomplizieren, wie ich unter den folgenden sechs Strategien detailliert beschreibe. Aber die Hauptidee ist es, Nuancen, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten aufzuzeigen, wo immer man sie finden kann. Das bedeutet nicht, für beide Seiten Fürsprecher anzurufen und beide zu zitieren; das ist Vereinfachung, und in der Regel geht so etwas mitten im Konflikt nach hinten los. „Nur die andere Seite zu liefern, wird die Leute nur weiter wegbringen“, sagt Coleman. Es bedeutet auch nicht, eine moralische Gleichwertigkeit zwischen Neonazis und ihren Gegnern herzustellen. Das ist Vereinfachung in billigem Gewand. Die Erzählung zu verkomplizieren bedeutet, die Details zu finden und einzubeziehen, die nicht in die Erzählung passen – mit Absicht.

Die Idee ist, die Komplexität in einer Zeit der falschen Einfachheit wiederzubeleben. „Das Problem mit Stereotypen ist nicht, dass sie falsch sind, sondern dass sie unvollständig sind“, sagt die Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem faszinierenden TED-Talk „The danger of a Single Story“. „Es ist unmöglich, sich richtig mit einem Ort oder einer Person zu beschäftigen, ohne sich mit allen Geschichten dieses Ortes und dieser Person auseinanderzusetzen.“

Normalerweise machen Reporter das Gegenteil. Wir kürzen die Zitate, die nicht in unsere Geschichte passen. Oder unser Redakteur kürzt sie für uns. Wir suchen den Zusammenhang, der ordentlich wirkt – und sich uns anbietet. Das Problem ist, dass in einer Zeit großer Konflikte Kohärenz, also die Bildung logischer Zusammenhänge, schlechter Journalismus ist, der an die Vernachlässigung der beruflichen Sorgfaltspflicht grenzt.

Inmitten des Konflikts fühlen sich unsere Zuschauer zutiefst unwohl und wollen sich besser fühlen. „Es ist die natürliche menschliche Tendenz, diese Spannung abzubauen“, schreibt Coleman, „indem man nach Kohärenz durch Vereinfachung sucht.“ Saubere Erzählungen erliegen diesem Drang, die Realität zu vereinfachen und sanft zu verzerren, bis die eine Seite gut und die andere böse aussieht. Wir beruhigen uns mit dem Wissen, dass alle Republikaner rassistische Hinterwäldler sind – oder alle Demokraten gekünstelte „Snowflakes“, die Amerika hassen.

Komplexität wirkt diesem Bedürfnis entgegen, indem sie die Risse und Ungereimtheiten, die aus dem Bild entfernt wurden, wiederherstellt. Es beruhigt mich weniger, ja. Aber es ist auch interessanter – und wahr.

Im Augenblick sehen jeweils die Hälfte der Demokraten und Republikaner Mitglieder der gegnerischen Partei als nicht nur schlecht informiert, sondern tatsächlich als bedrohlich an. Das hat das Pew Research Center herausgefunden. Republikaner denken, dass Demokraten viel liberaler sind, als sie tatsächlich sind – und umgekehrt. Wenn es Teil unserer Aufgabe ist, verschiedene Standpunkte so darzustellen, dass die Menschen sie verstehen können, dann scheitern wir. (Und mit „wir“ meine ich alle Journalisten – vor allem aber TV-Reporter. Trotz der Nachwahlangst über Facebook sagen fast sechs von zehn amerikanischen Erwachsenen, dass ihre wichtigste Quelle für Wahlinformationen nicht digitale Newsfeeds, sondern altmodische TV-Nachrichten waren.)

In Wirklichkeit überschreiten explizit rassistische Überzeugungen die Parteigrenzen. In einer Umfrage von Reuters/Ipsos im Jahr 2016 beschrieb fast ein Drittel der Befürworter von Hillary Clinton schwarze Menschen als „gewalttätiger“ und „krimineller“ als weiße Menschen, und ein Viertel sagte, dass schwarze Menschen fauler sind. Keine Partei (oder Person) ist unvoreingenommen.

Und es sind nicht nur die Demokraten, die sich sorgen, Leute anzugeifen. Tatsächlich sagen 28 Prozent der Republikaner mit nicht mehr als einer High-School-Ausbildung, dass Leute mit ihrer Sprache achtgeben müssen, um Beleidigung zu vermeiden (bei republikanischen Hochschulabsolventen ist der Prozentsatz doppelt so hoch). „Es gibt keine Grenzen, wie kompliziert Dinge werden können“, schrieb E.B. White, „weil eine Sache immer zur nächsten führt.“

Es gibt auch einen betriebswirtschaftlichen Grund für Komplexität. Im Moment gehen FOX News und MSNBC davon aus, dass ihre Zuschauer Empörung, das heißt Einfachheit, wollen. Und viele tun es auch. Aber was ist mit all den Leuten, die nicht zusehen? Viele Amerikaner haben die Nachrichten abgeschaltet, demoralisiert von den Scharfschützen, deprimiert von der Hoffnungslosigkeit. Was würde passieren, wenn sie eines Tages auf eine andere Art von Geschichte stießen – eine, die sie fasziniert, anstatt sie zu erschrecken?

Während Webseiten mit Online-Nachrichten weiterhin darum kämpfen, mit Clickbait-Schlagzeilen und Werbeeinnahmen über die Runden zu kommen, wenden sich immer mehr Unternehmen an Abonnenten, um ihre Berichterstattung zu finanzieren. Das heißt, sie müssen von einem One-Night-Stand-Geschäftsmodell zu einer langfristigen Beziehung mit den Lesern übergehen – die auf etwas Gehaltvollerem als Katzen und Trump-Tweets basieren muss. Empörung wird immer der einfachste Weg sein, um Leser anzulocken. Sie allein reicht aber nicht aus, damit Leute für das Privileg zahlen, Tag für Tag zurückkommen zu können.

1. Verstärke Widersprüche

Um mir vorzustellen, wie die Komplexität in einem Nachrichtenmagazin aussehen könnte, bat ich zwei erfahrene Konfliktmediatoren, Winfreys 60-minütiges Gespräch mit Wählern aus Michigan zu verfolgen. Sara Cobb leitet das Center for Narrative and Conflict Resolution an der George Mason University. John Winslade von der California State University, San Bernardino, ist Co-Autor von acht Büchern über Konfliktlösung.

Von den ersten Sekunden des Videos an haben die Mediatoren Winfreys Taktik infrage gestellt. Ihre Eröffnungsfrage – wie Präsident Trump seine Arbeit bisher macht – bekam schlechte Noten. „Es ist eine relativ geschlossene Frage“, sagte Cobb. Ein besserer Auftakt könnte sein: „Was trennt uns?“ Auf diese Weise „spricht man über die Spaltung, und Trump wird nicht das schwarze Loch, in dem alle Komplexität verschwindet“.

Dann kam die erste Antwort, die Winfrey erhielt – von Tom:

„Jeden Tag mag ich ihn mehr und mehr. Jeden einzelnen Tag. Ich mag immer noch nicht seine Angriffe, seine Twitter-Angriffe, wenn Sie so wollen, auf andere Politiker. Ich denke nicht, dass das angemessen ist. Aber gleichzeitig sagen seine Taten mehr als Worte. Und ich liebe es, was er für dieses Land tut. Ich liebe es.“

Winfrey hörte das und wandte sich, ohne Kommentar, an die Frau neben Tom, um deren (diametral gegensätzliche) Meinung zu erfragen.

Beide Mediatoren stürzten sich auf Winfrey, weil sie nicht auf Tom reagiert hatte. Es war eine perfekte Gelegenheit, sagte Cobb. „“Ich hätte gesagt: ‚Mensch Tom, ich wusste nicht, dass wir diese Art von Komplexität im Raum haben würden, und ich gratuliere dir, weil es so einfach ist, Ja oder Nein zu sagen, aber du hast tatsächlich zwei Dinge gleichzeitig gesagt‘.“

In der ersten Minute hätte Winfrey einen Anstoß für Komplexität geben können. Was genauer und interessanter gewesen wäre. Die meisten von uns haben mehr als eine Geschichte, und Tom auch. Winfrey hätte diese Komplexität herausziehen können, sagte Winslade, indem sie so etwas gefragt hätte wie: „Auf der einen Seite liebst du ihn immer mehr, und auf der anderen Seite magst du einige Dinge nicht, die er tut. Sag mir, was dir an seinen Angriffen nicht gefällt.“

Es gibt viele Dinge, die Journalisten nicht tun können. Aber wir können das Narrativ destabilisieren. Wir können die Leute daran erinnern, dass das Leben nicht so schlüssig ist, wie wir es uns wünschen. Ansonsten ist es nicht sicher, in die Spirale zur Einfachheit zu kommen: „Mit fortschreitendem Konflikt werden die Erzählungen dünner“, sagt Cobb. Das sieht sie in jeder Art von Streit, an den Tischen und in den Sälen des Parlaments. „Im ersten Kampf, den ein Paar hat, gibt es eine Menge Verwirrung. Aber mit der Zeit verfestigt sich die Geschichte, und sie können Ihnen in drei Minuten sagen, was für ein Idiot ihr Partner ist. Und das gilt auch für internationale Konflikte.“ Aber wenn wir die Erzählungen destabilisieren, wie Coleman in seinem Labor fand, neigen die Leute dazu, auszuatmen; sie streiten weiter, aber sie lassen ihre Waffen in der Tasche.

2. Erweitere den Blickwinkel

Anfang 2015 kam es in Gloucester, einer Stadt an der Nordküste von Massachusetts, zu einem klassischen Streit. Beamte des Stadtrats kündigten an, dass eine siebeneinhalb Meter hohe Stahlskulptur in einem öffentlichen Park in der Nähe der Hafenpromenade installiert werden würde. Die Skulptur würde aus öffentlichen und privaten Mitteln finanziert.

Die Einheimischen begannen unverzüglich, sich über die Skulptur zu streiten. „Es stellten sich bei allen die Nackenhaare auf“, sagt Kathy Eckles, eine in Gloucester ansässige Therapeutin und ausgebildete Moderatorin. Einige glaubten, dass die Eliten der Stadt die Nutzung des öffentlichen Raums vorschrieben. Auf Facebook wurden die Beleidigungen bösartig. Die Gloucester Daily Times zitierte den Stadtratsvorsitzenden, der die vorgeschlagene Skulptur „schön“ nannte. Dann kam ein skeptischer Bewohner zu Wort, der die Angemessenheit des Stückes in Frage stellte. „Es ist einfach nicht richtig für diesen Hafen. Wir sollten uns erst einmal um unsere Wahrzeichen kümmern.“

Es entwickelte sich ein altmodischer Kampf nach dem Sankt-Florians-Prinzip mit vorhersehbarer Lagerbildung: Hasst oder liebst du das Kunstwerk? Dann passierte etwas Unerwartetes. Vertreter der Stadt suchten Rat bei einer Gruppe namens Gloucester Conversations, die Eckles und ihr Kollege John Sarrouf kürzlich mit anderen Bewohnern gebildet hatten. Sie hofften, konstruktivere Dialoge in der Stadt zu bekommen. „Unsere Gemeinschaft, die sehr geschätzt wird, war auch sehr spaltend“, sagt Eckles. Ein früherer Streit darüber, was mit einer verfallenen Fabrik der Tiefkühlkette „Birds Eye“ geschehen soll, hatte sich über mehrere Jahre hingezogen und die Stadt in Gruppen aufgeteilt. Dasselbe geschah mit einer Debatte über eine Privatschule in staatlicher Trägerschaft. Und dann war da noch der Hinterhof-Hühnerstreit von 2014. „Es ging immer weiter“, sagt Sarrouf, „Streit über alles.”

Doch dieses Mal, statt sich in den Morast der Skulptur-Diskussion hineinziehen zu lassen, erweiterte die Gruppe (mit Hilfe der gemeinnützigen Essential Partners, wo Eckles und Sarrouf arbeiten) den Blickwinkel im Streit. Sie nutzten ganz bewusst die Gelegenheit, eine breitere Diskussion zu beginnen – darüber, was Gloucester als öffentliche Kunst will und wie die Entscheidungen darüber getroffen werden sollen.

Zuerst luden sie alle lokalen Kunst- und Kulturschaffenden der Gemeinde zusammen ein und stellten ihnen Fragen aus heiterem Himmel: Was ist öffentliche Kunst? Was gehört dazu? Wie sollen wir uns entscheiden? Dann hielt die Gruppe eine öffentliche Sitzung im Rathaus ab, um die gleichen offenen Fragen zu stellen. Fast 100 Leute kamen. Danach gingen die Organisatoren in die Nachbarschaft und führten weitere Gespräche. Die Bewohner markierten eine riesige Karte von Gloucester mit Haftzetteln, die alte Gebäude kennzeichneten, die renoviert werden sollten; Statuen, die vergessen worden waren; und Orte, an die neue Werke gehen könnten.

Interessanterweise war es nicht schwer, die Phantasie der Menschen zu erweitern. „Während der ganzen Zeit waren die Leute ansprechbar“, sagt Eckles. Es stellte sich heraus, dass sie Teil eines Dialogs sein wollten, der größer war als sie selbst. „Generell“, sagt Sarrouf, „ist es eine Erleichterung für die Menschen, aus der Sackgasse herausgezogen zu werden.“

So wurde die Fehde zu einer Untersuchung – auf eine Weise, die mehr Interesse für die Geschichte weckte, nicht weniger. Die Skulptur wurde nie installiert. Aber später in diesem Jahr veröffentlichte die Gloucester Daily Times einen anderen Artikel – mit dem Schwerpunkt Suche nach einer neuen Kunstpolitik.

Jahrzehntelange Forschungen haben gezeigt, dass die Öffentlichkeit anders reagiert, wenn Journalisten den Blickwinkel erweitern wie die Organisatoren von Gloucester. Ab den 1990er Jahren setzte der Stanford-Politikwissenschaftler Shanto Iyengar Menschen zwei Arten von Fernsehnachrichten aus: Geschichten mit breiteren Blickwinkeln (die er „thematisch“ nannte und die sich auf breitere Trends oder systemische Themen – wie etwa die Ursachen der Armut – konzentrierten) und Geschichten mit schmalen Blickwinkeln (die er als „episodisch“ bezeichnete und die sich auf eine Person oder ein Ereignis konzentrierten – beispielsweise eine Sozialhilfe-Mutter oder einen obdachlosen Mann).

Immer wieder machten Menschen, die sich die schmallinigen Geschichten über die Sozialhilfe-Mutter anschauten, die Einzelne eher für die Armut verantwortlich – auch wenn die Geschichte der Sozialhilfe-Mutter mitfühlend wiedergegeben wurde. Im Gegensatz dazu waren die Menschen, die die Geschichten mit dem breiteren Blickwinkel sahen, eher bereit, Regierung und Gesellschaft für die Probleme der Armut verantwortlich zu machen. Je breiter der Blickwinkel, desto breiter wird die Verantwortung gestreut, in anderen Worten.

In Wirklichkeit enthalten die meisten Geschichten sowohl breite als auch enge Sichtweisen; ein Feature über eine Wohlfahrtsmutter wird immer noch ein paar Zeilen über den Status von Job-Trainingsprogrammen oder Regierungsausgaben enthalten. Doch wie Iyengar in seinem Buch Is Anyone Responsible? zeigte, sind die TV-Nachrichtensegmente von dem engen Fokus geprägt. Infolgedessen lassen Fernsehnachrichten die Politiker unbeabsichtigt vom Haken, schrieb Iyengar, wegen der Eingrenzung der meisten Geschichten. Der enge Blickwinkel regt die Öffentlichkeit dazu an, den Einzelnen für die Missstände der Gesellschaft zur Rechenschaft zu ziehen – und nicht die Unternehmer oder Regierungsbeamten. Wir verbinden die Punkte nicht.

Wer großartige Geschichten erzählt, zoomt immer auf einzelne Menschen oder Vorfälle; ich kenne nicht viele andere Möglichkeiten, ein kompliziertes Problem auf eine Art und Weise zum Leben zu erwecken, an die sich die Menschen erinnern werden. Aber wenn Journalisten dann nicht wieder herauszoomen – die Sozialhilfe-Mutter oder beispielsweise die umstrittene Skulptur mit einem größeren Problem verbinden – dann tragen die Nachrichtenmedien einfach zur menschlichen Voreingenommenheit bei. Wenn wir uns alle auf die kleine Bedrohung konzentrieren, die direkt vor uns liegt, ist es leicht, die große Katastrophe zu verpassen, die sich um uns herum abspielt.

3. Frage so, dass die Menschen ihre Motivation offenlegen

Sandra McCulloch war eine erfahrene Reporterin für den Victoria Times Colonist in Victoria, Kanada, als ihre Schwester aufhörte, mit ihr zu reden – und nicht sagen wollte, warum. Es zerriss McCulloch, dass sie keine Verbindung hatte und keine Antworten bekam. Eines Tages meldete sich McCulloch für einen kurzen Einführungskurs in Konfliktmediation an, nur um zu sehen, was sie lernen konnte.

„Es war das Beste, was ich je gemacht habe“, sagt sie. Ein Jahr später, an ihrem 55. Geburtstag, beendete McCulloch ihre 25-jährige Zeitungskarriere, um ein neues Leben zu beginnen. Sie hatte schon immer Menschen gemocht, und während der Journalismus ihr den Zugang zu ihren dunkelsten Geschichten ermöglichte, erschien ihr die Mediation wie ein Weg, ihnen zum Licht zu verhelfen. „Sie eröffnet dir so viele weitere Möglichkeiten – um herauszufinden, wer die Leute sind und warum sie die Dinge tun, die sie tun.“

Das nützlichste Werkzeug waren die Fragen, die sie stellte, wie sich zeigte. Sie hatte immer Fragen gestellt, aber jetzt stellte sie verschiedene Fragen auf unterschiedliche Weise. Sie versuchte, die Fragen als eine Art Spaten zu benutzen – um über das übliche Szenario hinauszukommen.

„Wenn ich damals gewusst hätte, was ich jetzt weiß, hätte ich viel mehr Fragen über Konflikte gestellt“, sagt sie. Das hat mich überrascht. Ich dachte immer, dass sich Journalisten zu sehr auf Konflikte konzentrieren; war das nicht das Problem? Aber McCulloch sagt, dass wir nur um den Konflikt schwirren und nie zum Kern der Sache kommen. Unsere Fragen bleiben an der Oberfläche, wühlen den Konflikt auf wie ein Rechen den Sand, erreichen aber nie den schwereren Boden darunter.

Mediatoren investieren viel Energie in die Idee, unter dem Konflikt zu graben. Sie haben Dutzende von Tricks, um Menschen dazu zu bringen, nicht mehr über ihre gewohnten Standpunkte zu reden – sondern über die Geschichte hinter dieser Geschichte, also über „Interessen“ oder „Werte“.

Gegen Obamacare – dem Zugang zur US-Krankenversicherung – zu sein ist eine Position; der Glaube an die Selbstversorgung ist für viele Menschen der Wert, der dieser Position zugrunde liegt. Ob Sie zustimmen oder nicht, die tieferen Beweggründe sind für die Debatte viel wichtiger als die Fakten des Konflikts (und auch interessanter).

Die Menschen werden von ihrem Bauchgefühl und ihrem Herzen getrieben, nicht durch ihre Vernunft, wie der Sozialpsychologe der New York University, Jonathan Haidt, in The Righteous Mind unter Berufung auf jahrzehntelange Forschung erklärt. Tatsächlich war oberflächliches Eigeninteresse nie ein guter Vorhersagefaktor für politisches Verhalten. (Hinweis für Journalisten: Es ist vielleicht an der Zeit, damit aufzuhören, Geschichten darüber zu schreiben, wie die Trump-Wähler im Rust Belt gegen ihre wirtschaftlichen Interessen gestimmt haben; das ist ungefähr so aufschlussreich wie eine Geschichte, die enthüllt, dass Strandbesucher keine Sonnencreme tragen).

Stattdessen identifiziert Haidt sechs moralische Prinzipien, die die Grundlage des politischen Denkens bilden: Fürsorge, Fairness, Freiheit, Loyalität, Autorität und Unverletzlichkeit. Das sind die goldenen Eintrittskarten zum menschlichen Befinden. Die Liberalen (und die liberalen Medienvertreter) sind sich in der Regel drei dieser Grundlagen sehr bewusst: Fürsorge, Fairness und Freiheit. Die Konservative sind besonders auf Loyalität, Autorität und Unverletzlichkeit eingestellt, aber sie kümmern sich um alle sechs. Und konservative Politiker schlagen zuverlässig alle sechs Töne an, argumentiert Haidt.

Konservative (und konservative Medien, würde ich hinzufügen) haben dadurch einen systemischen Vorteil. Sie können mehr Menschen häufiger motivieren, weil sie mehr relevante Töne treffen. (Beachten Sie, wie demokratische Führer immer noch nicht sehr oft über die Illoyalität von Trump gegenüber Amerika, seinen Kabinettsmitgliedern und seinen Frauen sprechen, obwohl sie mit Beweisen für diese Illoyalität bombardiert wurden. Sie klagen häufiger über Ungerechtigkeit, Unanständigkeit und Lieblosigkeit, denn das sind die Töne, die sie am liebsten anschlagen.)

Wenn Journalisten ihr Publikum erweitern wollen, müssen sie alle sechs moralischen Grundlagen ansprechen. Wenn jemand von uns verstehen will, was hinter der politischen Wut von jemandem steckt, müssen wir den Geschichten zu diesen moralischen Wurzeln folgen – genau so, wie es Mediatoren machen. „Die Leute neigen dazu, ihre Geschichten auf die gleiche Weise zu beschreiben“, sagt McCulloch. „In der Mediation versucht man, das umzudrehen und zu sagen: ‚Wie bist du dazu gekommen? Warum ist diese Geschichte wichtig für dich? Wie fühlst du dich, wenn du es mir erzählst?‘“ Diese Fragen mögen heikel erscheinen, aber es ist erstaunlich, wie selten Menschen danach gefragt werden. „Die Leute zwinkern mit den Augen und sagen: ‚So habe ich das noch nie gesehen.‘“

Solche Fragen offenbaren tiefere Motivationen, jenseits des unmittelbaren Konflikts. Manchmal verschwindet der gesamte Konflikt, wenn das passiert – weil die Menschen plötzlich erkennen, dass sie sich über das Wesentliche einig sind. Häufiger zeigen die Fragen, dass es sich bei dem Streit um etwas anderes handelt als das, was alle dachten. „Erfahrene Mediatoren lieben es, solche Geschichten zu erzählen“, sagt Mary Conger, eine Mediatorin, die das American Dialogue Project mitbegründet hat, das Amerikaner für Gespräche über politische Grenzen hinweg zusammenbringt. „Wir dachten alle, wir wären aus einem ganz anderen Grund im Raum. Es erschließt diese Welt der Möglichkeiten.“

Letztes Jahr habe ich mich für Congers Projekt als Journalistin und als Teilnehmerin angemeldet. Ich wurde mit Bill zusammengebracht, einem pensionierten Schulleiter aus Wisconsin, der konservativer ist als ich. Wir verabredeten uns für ein 40-minütiges, unkompliziertes Telefongespräch nach dem von Conger erstellten Protokoll. Die erste Frage war: „Wie kamst du zu deinen politischen Ansichten?“

Ich zögerte zu antworten. Das machte mir klar, dass ich nie darüber nachgedacht hatte, wie ich zu dem gekommen bin, woran ich glaube. Irgendwie hatte ich angenommen, dass ich mir wissenschaftlich meine politischen Meinungen erarbeitet habe – indem ich mir alle Informationen angesehen und die „Wahrheit“ gewählt hatte. Was völliger Unsinn ist. Tatsächlich war ich in New Jersey von einer feministischen Mutter aufgezogen worden – die Demokraten wählte und gegen Ungerechtigkeit wütete –, gemeinsam mit einem konservativeren Vater, der auf einer Rinderfarm aufgewachsen war und der während meiner Kindheit konsequent für Republikaner stimmte. Als ich älter wurde, prägten andere Erfahrungen meine Ansichten, aber ich hatte über diese Entwicklung nie wirklich nachgedacht oder mit jemand anderem darüber gesprochen.

Wenn das Gespräch mit der Frage begonnen hätte, was ich von Trump halte (wie die 60-Minuten-Episode), hätte ich kein Problem damit gehabt, einen improvisierten, mit Superlativen und Metaphern gespickten Monolog über dieses Thema zu halten. Stattdessen musste ich Bill meine eigene Geschichte erzählen, die zwangsläufig komplexer war, und Bill musste mir seine Geschichte erzählen. Schließlich erfuhren wir, dass wir beide uns um den Zugang zur Gesundheitsfürsorge für alle bemühten; aber Bill kümmerte sich auch sehr um das Ausgabendefizit, etwas, das mich an meinen Vater erinnerte, der sich in den 80er Jahren beim Abendessen darüber Sorgen machte (aber ich habe fast nie auf den Seiten der New York Times etwas darüber gelesen). Nach dem Anruf hatte keiner von uns seine Position geändert, aber das Gespräch half mir, meine Sichtweise zu erweitern.

Natürlich ist es einfacher, normale Leute dazu zu bringen, sich mit ihren Hintergründen auseinanderzusetzen; dagegen kann es fast unmöglich sein, das Drehbuch einer gut eingespielten Führungskraft oder eines Politikers umzuwerfen, egal was sie gefragt werden. Als Reporter hatte McCulloch es nie gemocht, Politiker zu interviewen. „Ich hatte immer das Gefühl, als würde man mit mir spielen“, sagt sie. Aber sie glaubt jetzt, dass es Wege gibt, auch bei Politikern unter die Oberfläche zu kommen. „Ich glaube, ich hätte mehr Druck ausgeübt: ‚Ich will wissen, warum Sie so empfinden.‘“

Hier sind einige spezifische Fragen, die McCulloch und andere Mediatoren, die ich interviewt habe, vorschlugen, damit Reporter (oder andere) über die üblichen Diskussionspunkte hinaus kommen können:

  • Was ist an diesem Thema zu sehr vereinfacht?

  • Wie hat sich dieser Konflikt auf Ihr Leben ausgewirkt?

  • Was glaubst du, dass die andere Seite will?

  • Was ist die Frage, die niemand stellt?

  • Was müssen Sie und Ihre Unterstützer über die andere Seite lernen, um sie besser zu verstehen?

Eine andere Journalistin – die inzwischen Mediatorin ist –, Samantha Levine-Finley, verbrachte ein Jahrzehnt damit, für US News & World Report, den Houston Chronicle und andere Medien über innere Sicherheit und Politik zu berichten, bevor sie sich entschied, ihre Laufbahn zu ändern. Sie arbeitete auf dem Capitol Hill, der im Grunde genommen Ground Zero für Stammesdenken und -wut ist. „Ich hatte das Gefühl, dass ich vor allem schlechtem Verhalten Sendezeit gab – was meistens mehr schlechtes Verhalten fördert“, sagte mir Levine-Finley.

Seitdem hat sie einen Großteil des letzten Jahrzehnts in den Ombudsmannbüros der National Institutes of Health und des Amerikanischen Roten Kreuzes gearbeitet, Schulungen geleitet, Mitarbeiter gecoacht und bei Konflikten vermittelt. Wenn sie jemals zum Journalismus zurückkehren würde, würde sie sich um andere Dinge kümmern. „Mich würde weniger interessieren, wie klug ich war“, sagt sie, „aber mehr, was nicht passt, wer die Menschen mit unbequemen Ansichten sind.“

Sandra McCulloch bekam nie eine Erklärung ihrer Schwester, warum sie nicht mehr mit ihr sprach. Inzwischen ist ihre Mutter gestorben, und die beiden Schwestern haben nur noch selten Kontakt. Dennoch hat McCulloch etwas Frieden gefunden, indem sie die Allgemeingültigkeit ihrer Geschichte verstanden hat. „Du erkennst, dass jeder in seinem Leben solche Konflikte hat“, sagt sie. „Ich weiß, wie schrecklich es ist. Aber du kannst darüber hinwegkommen.“

4. Höre öfter und genauer zu

Das Vertrauen der Amerikaner, dass die Massenmedien (Zeitungen, Fernsehen und Radio), „über die Nachrichten vollständig, genau und fair berichten“, ist auf dem niedrigsten Stand in der Geschichte der Gallup-Umfrage, die immerhin bis 1972 zurückreicht. Das Problem ist ernst für die Demokraten und verhängnisvoll für die Republikanern – nur 14 Prozent von ihnen sagen, dass sie den Medien vertrauen.

Wir können über die Gründe diskutieren, aber wir werden schließlich nur mit uns selbst reden. Unsere Geschichten spielen keine Rolle, wenn man uns nicht glaubt. „Vertrauen kommt vor Fakten“, sagt Eve Pearlman, Mitbegründerin von Spaceship Media.

Alle, mit denen ich gesprochen habe, waren sich einig, dass ein guter Ansatz, Vertrauen aufzubauen, ist, besser zuzuhören – und zwar so, dass es die Menschen auch merken. Darin werden Reporter selten geschult; wir bekommen viel Feedback zu unseren Artikeln von Redakteuren und Lesern, aber sehr wenig zu unseren Methoden.

Mir ist klar geworden, dass das bescheuert ist. In vielen anderen Berufen, in denen es um heikle Gespräche geht, werden Menschen in der Kunst des Fragens und Zuhörens geschult. Sie sehen das Interview als Kunstfertigkeit, die sie nie aufhören zu lernen. Warum nicht auch Journalisten? Niemand hat sich meine Interviews für einen Printartikel angehört und mir Feedback gegeben – niemals. Ich lerne durch Ausprobieren und Versagen. Das ist, wie eine Sprache alleine zu lernen. Du kannst besser werden, aber es wird ewig dauern.

Lynn Morrow hingegen coacht seit neun Jahren College-Studenten für InsideTrack, ein Unternehmen, das Universitäten dabei unterstützt, dass deren Abschlüsse auch erreicht werden. Sie hat über 150 Studenten in Wisconsin auf ihrer Liste. Die zentrale Herausforderung von Morrows Job ist es, Vertrauen aufzubauen – meist per Telefon, SMS oder E-Mail – mit gefährdeten Studenten, die ihre Zweifel und Ängste nur sehr ungern teilen.

Vertrauen aufzubauen ist so wichtig – und so schwierig –, dass Morrow und ihre Kollegen es stundenlang üben, einschließlich eines Rollenspiel-Coachings mit dem CEO des Unternehmens. Sie ist eine erfahrene Mitarbeiterin der Firma, aber bis heute wird jeder Anruf, den sie macht, aufgezeichnet, analysiert und auf einer Skala von eins bis vier bewertet, je nachdem, wie gut sie ihren Schülern zugehört und geantwortet hat.

Einer von Morrows häufigsten Fehlern, sagt sie, sei es gewesen, sehr subtile Hinweise zu verpassen. Zum Beispiel fragte sie die Studenten, wie die Dinge liefen und akzeptierte die erste Antwort, die sie bekam – was normalerweise „prima“ war. Später, als sie die Zeugnisse der Studenten sah, wurde ihr klar, dass die Dinge nicht so toll waren. Wie alle Menschen zögerten die Studenten zögerlich, ihre Schwachstellen anzuführen. „Wir sprechen darüber, womit wir uns wohlfühlen und selbstbewusst umgehen – und was die Person ihrer Meinung nach hören will“, sagt Morrow. „Erst wenn man sie dazu drängt, darüber hinaus zu gehen, bekommt man zugegebenermaßen die wichtigsten Informationen.“

Sie lernte, nicht nur auf das zu hören, was die Schüler sagen – sondern auch auf ihre „Lückenworte“ oder auf die Dinge, die sie nicht sagen. Wenn sie beispielsweise zögern, bevor sie eine Frage zu ihrem letzten Mathetest beantworten, oder wenn sie einer Frage ausweichen. Dann weiß sie, dass sie tiefer graben muss. Sie stellt wichtige Fragen mehrmals – manchmal im Abstand von Wochen – und bekommt fast immer unterschiedliche Antworten. Normalerweise ist jede Antwort wahr – und jede steht für ein anderes Stück der Geschichte. Vor allem versucht sie, in jedem Gespräch so lange wie möglich aufgeschlossen zu sein. „Es ist so einfach, mit dem Gedanken hineinzugehen, dass man genau weiß, was vor sich geht – was andere Möglichkeiten ausschließt.“

Dafür gibt es andere Tricks, auch unter Zeitdruck. In Gesprächen über tiefe Gräben hinweg trainiert Resetting the Table die Menschen, auf bestimmte Hinweise oder „Wegweiser“ zu hören, die normalerweise Symptome einer tieferen, verborgenen Bedeutung sind. Wegweiser enthalten Wörter wie „immer“ oder „nie“, jedes Zeichen von Emotion, die Verwendung von Metaphern, Identitätsaussagen, Wörter, die sich wiederholen oder Zeichen von Verwirrung oder Zweideutigkeit. Wenn du einen dieser Hinweise hörst, erkenne ihn explizit und frage nach.

An einem Punkt im 60-Minuten-Gespräch in Michigan erklärte ein Mann namens Matt seine Stimme für Trump auf diese Weise: „Wir wollten, dass jemand reingeht und die Tische umwirft. Wir sind des Status quo müde …“

Daraufhin fragte Winfrey: „Welcher Tisch wurde Ihrer Meinung nach umgeworfen?“

Das war eine gute Frage, sagten unsere Mediator-Experten, denn sie zeigte Neugier auf Matts Metapher. Menschen benutzen oft Metaphern, wenn sie Emotionen empfinden; die Untersuchung dieser Metaphern kann helfen, eine tiefere, überzeugendere Wahrheit zu enthüllen.

Noch besser, sagte Winslade, wäre es gewesen zu fragen, welche Tische nicht umgeworfen wurden – Matts Metapher zu übernehmen und ihn dann herauszufordern. Um im Kernpunkt dann zu fragen: „Gibt es Teile der Trump-Verwaltung, die den Status quo aufrechterhalten?“

Eine weitere verwandte und sehr verbreitete Strategie für den Aufbau von Vertrauen ist die doppelte Überprüfung – also der Person eine Zusammenfassung dessen zu geben, was du dachtest, dass sie gemeint hat, und zu sehen, was sie sagt. Gary Friedman, einer der Paten der Mediation, nennt dies „Looping for understanding“, und er schlägt vor, diese „Schleife des Verstehens“ jedes Mal machen, wenn man das Gefühl hat, dass jemand eine für ihn oder sie wichtige Sche gesagt hat.

Unsere Gehirne machen schnell Annahmen, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie überhaupt machen. Wir irren uns öfter, als wir denken. Um zu verstehen, was jemand wirklich meint, ist eine Menge Nachprüfung erforderlich. Es ist eine einfache Taktik, die sich so ähnlich anhört: „Sie waren also enttäuscht vom Vorgehen des Bürgermeisters, weil Ihnen das, was mit den Kindern in diesem Schulsystem geschieht, sehr am Herzen liegt. Ist das richtig?“

Es scheint offensichtlich und vielleicht ein wenig gekünstelt, aber es funktioniert wie Magie. Im Training mit Friedman und einem Dutzend anderer Mediatoren im Februar übte ich immer wieder Loopings und geloopt zu werden. Ich war erstaunt, wie oft ich dachte, ich hätte die andere Person verstanden – aber ich hatte eine wichtige Nuance verpasst. („Nein, ich war nicht enttäuscht vom Vorgehen des Bürgermeisters, ich war untröstlich.“ Das ist ein Unterschied.) Es war ebenso überraschend, wie beruhigend es sich anfühlte, wenn andere Leute mich richtig wiedergaben. Es fühlte sich an wie ein winziger Sieg: Auch wenn die andere Person nicht einverstanden war, hatte sie meinen Standpunkt wirklich gehört und verarbeitet.

Seitdem versuche ich jedes Mal zu loopen, wenn ich irgendeine Art von auch nur leicht emotionalen Gespräch führe, auch außerhalb der Arbeit. Wenn mein Sohn tobt, dass er ins Bett muss, sage ich jetzt etwas extrem Unauffälliges wie: „Du bist wirklich frustriert, dass du nicht aufbleiben kannst.“ Vorher hätte ich ihn ignoriert oder mit ihm gestritten und ihm erklärt, wie vernünftig seine Schlafenszeit ist und wie glücklich er ist, ein Bett zu haben, etc. Nun, nachdem ich ihm gezeigt habe, dass ich ihn gehört habe, geht er einfach … ins Bett. Es sind Neuerungen, die man nutzen kann, jeden verdammten Tag.

Zugegeben, ich habe nicht immer die Selbstbeherrschung zum Loopen. Aber wenn ich es schaffe, hilft es immer – um die Heftigkeit aus einem Gespräch zu nehmen und damit die Gefahr, dass es schief geht. Das klingt kitschig, ist aber ein Schlüssel zum Königreich. Jemand zu haben, der deine wichtigste Botschaft artikuliert, beweist, dass du verstanden wurdest, und das ist es, was die meisten von uns wollen.

„Wenn Menschen sich so gehört und gesehen fühlen, wie sie gehört und gesehen werden wollen, entspannen sie sich“, sagt Melissa Weintraub, eine Rabbinerin und Mitbegründerin von Resetting the Table. „Es ist sowohl sehr einfach als auch sehr schwer zu bewerkstelligen. Wir müssen ihnen die kraftvollste und eloquenteste Formulierung ihres eigenen Denkens liefern.“ Dann und nur dann werden die Menschen sogar anfangen, Informationen in Betracht zu ziehen, die nicht zu ihren üblichen Erzählungen passen. In der Tat ist dies eine der einzigen Möglichkeiten, Menschen zum Zuhören zu bewegen, wenn sie emotional oder in einer bestimmten Weltanschauung verankert sind. Menschen müssen gehört werden, bevor sie zuhören können.

Wenn man aber einmal anfängt, auf Loops zu achten, ist es erstaunlich, wie selten man sie hört. Seit zwei Jahren reist der politische Kommentator des CNN (und selbsternannter liberaler Aktivist) Van Jones durch das Land und spricht mit Trump-Anhängern, um „Brücken zu bauen“ und um „versuchen zu verstehen, warum die Amerikaner so gespalten sind“. Kurz vor der Wahl 2016 besuchte er eine Familie von Trump-Anhängern in Gettysburg, Pennsylvania, zum ersten Mal in einer Serie von Shows namens The Messy Truth (Die schmutzige Wahrheit).

Ich bat Friedman, der in seiner Karriere über 2.000 Fälle als Mediator begleitet hat, sich das zehnminütige CNN-Segment anzusehen und zu sagen, was er davon hält. Er begann hoffnungsvoll. „Ich fand es eine wunderbare Idee – in die Häuser der Menschen zu gehen ist toll“, sagte Friedman. „Hoffentlich fühlen sie sich in ihren Häusern ein wenig stärker, das trägt zu einem faireren, ausgewogeneren Dialog bei.“

Aber genau wie die Mediatoren, die das 60-Minuten-Segment sahen, begann Friedman fast sofort zu schaudern. Jones hat fast nichts geloopt, was die Familie gesagt hat, bemerkte Friedman. Irgendwann erzählte eine Frau eine sehr persönliche Geschichte darüber, wie sich die Wahl auf ihr Leben ausgewirkt hat: „Einer meiner Freundinnen hat mich in den sozialen Medien hochgenommen: Wie kann eine Mutter, die erklärt, ihre Kinder so zu lieben, Trump unterstützen? Und sie nannte mich doppelzüngig, und sie hat mich ganz schön überrumpelt.“

Die Augen der Frau waren voller Tränen, und ihre Stimme überschlug sich, als sie zwischen Trauer und Wut schwankte. „Ich verlor eine Freundin, die ich wirklich mochte und um die ich mich sorgte. Was hat mein Muttersein damit zu tun, wen ich als Präsidenten unterstütze? ‚Wie kannst du es wagen, mich zu diesem bösen Individuum zu machen?‘ Es brach mir das Herz. Es hat mir einfach das Herz gebrochen.“

Als Antwort auf diese Darstellung echten Leids sagte Jones nichts, was erkennebn ließ, dass er ihr zugehört hatte. Er erzählte keine persönlichen Geschichten über seine eigenen Erfahrungen mit Anschuldigungen und Herzzerreißen (obwohl er vermutlich viele hat). Stattdessen erklärte er ihr, dass die Liberalen ihre Hilfe benötigten, und dann hielt er einen kurzen Vortrag über die verschiedenen Arten, wie Konservative und Liberale Freiheit und Gerechtigkeit sehen. Er nahm eine sehr persönliche, schmerzhafte Offenbarung und machte sie unpersönlich und steril.

Jones hätte folgendermaßen reagieren können, schlug Friedman vor: „Ich denke, dass wir hier tatsächlich etwas gemeinsam haben. Wir beide fühlen uns, als würden wir in eine Kiste gesteckt, in die wir nicht gehören.“ Er hätte den Schmerz der Frau erkennen und mit seinem eigenen verbinden können: „Wir alle fühlen uns nicht respektiert und missverstanden.“

Um fair zu sein: Jones hat getan, was die meisten von uns tun, wenn wir in einen Konflikt geraten sind. Er war so sehr damit beschäftigt, die Familie zu überzeugen, dass sie unrecht hatte, dass er nicht nachweisen konnte, dass er zuhörte. Das Gespräch drehte sich also im Kreis und führte zu nichts Interessantem. „Er nutzt alles, was sie sagen, um zu widersprechen und zu beschuldigen“, sagte Friedman. „Ich sehe nichts als verpasste Chancen links und rechts.“

„Solange sie merken, dass er nicht versuchen wird, sie zu verstehen, sind sie in der Defensive. Und er greift an“, sagt Friedman. „Er versucht, das Spiel zu ändern, aber das bleibt dasselbe Spiel. Es ist nur mit dem Anschein von Neugierde geschehen.“

Neugierde sollte für Journalisten selbstverständlich sein – und das ist sie auch, bei einigen Geschichten. Aber mit der Zeit, wenn wir die gleichen Argumente und Geschichten immer wieder hören, verblasst unsere Neugier. Das ist eine menschliche Neigung, aber eine, die unsere Quellen bemerken.

Joe Figini, ein erfahrener Anwalt in Washington, DC, wurde von US-Reportern für Artikel über Fälle mit Todesstrafen, Unternehmensfehler und anderen komplexen Themen interviewt. Die Erfahrung ist durchweg ernüchternd. „(Reporter) stellen eine sehr begrenzte Reihe von Fragen“, sagt Figini. „Es lief nie so: ‚ Wir wollen verstehen, was wirklich passiert ist.‘ Sie kamen immer mit einer These.“

Ein Weg, wie Journalisten es besser machen können, ist loszulassen –indem sie unserem Publikum (das in der Regel weniger abgestumpft ist als wir) etwas die Kontrolle überlassen. Unternehmen wie Hearken helfen den Redaktionen, während des gesamten Berichterstattungsprozesses mit der Öffentlichkeit zusammenzuarbeiten – indem sie Ideen einholen, Leute bitten, für ihre Favoriten zu stimmen, und dann darüber berichten. Hearken arbeitet derzeit mit rund hundert Redaktionen in 15 Ländern zusammen. „Das Publikum ist unendlich neugierig“, erzählt Jennifer Brandel, die Gründerin von Hearken und Radiojournalistin, Reportern und Redakteuren. „Und du bist übrigens auch ein Mitglied der Öffentlichkeit.“

Im Laufe eines Jahres veröffentlichte Bitch Media beispielsweise 20 Geschichten, die von den Lesern angeregt wurden, und stellte fest, dass die Leser mehr Zeit mit diesen Geschichten verbrachten als mit anderen Geschichten – und sich danach eher für eine Mitgliedschaft anmeldeten. Diese Art von Arbeit erfordert natürlich ein Umdenken bei den Reportern. „Es gibt Reporter, die immer noch das Gefühl haben, dass das Publikum aus einem Haufen Idioten und Arschlöcher besteht“, sagt Brandel, „aber wir versuchen ihnen zu zeigen, dass der Grund, warum sie das denken, darin liegt, dass sie sich bisher nur bei dir beschwert haben. Du hast ihnen keine Chance gegeben.“

Vertrauen ist gegenseitig, mit anderen Worten. Es ist einfacher, Vertrauen zu bekommen, wenn man selbst vertraut.

5. Bringe Menschen in Kontakt mit der anderen Seite

Der wirkungsvollste Weg, Menschen dazu zu bringen, sich nicht mehr gegenseitig zu verteufeln, ist, sie einander vorzustellen. Das hat die jahrzehntelange Forschung über rassistische Vorurteile gezeigt. Der Fachausdruck ist „Kontakttheorie“, aber es bedeutet nur, dass Menschen, die sich einmal getroffen und irgendwie gemocht haben, es schwerer haben, sich gegenseitig zu karikieren.

Echte menschliche Verbindungen erschweren unsere Erzählungen dauerhaft. Gemeinschaften mit mehr übergreifenden Beziehungen sind in der Regel weniger gewalttätig und toleranter, wie Diana Mutz, Politikwissenschaftlerin an der University of Pennsylvania, festgestellt hat.

Journalisten können Menschen auf mindestens zwei Arten einander vorstellen: stellvertretend, indem sie gute Geschichten erzählen, oder wortwörtlich, indem sie Gemeinschaften in Live- oder virtuellen Veranstaltungen zusammenbringen. Aber dies richtig zu tun ist schwieriger, als es sich anhört. Und es ist möglich, die Dinge zu verschlimmern, wenn bestimmte Bedingungen nicht erfüllt sind.

Stellvertretendes Geschichtenerzählen kann, wie bereits erwähnt, unbeabsichtigt die Sichtweise verengen, indem es sich auf die individuelle Verantwortung statt auf systemische Übel konzentriert. Es ist wichtig, die Sichtweise zu erweitern und einen bestimmten Vertreter der „anderen“ Seite mit der größeren Geschichte und Einzelschicksal zu verbinden – sonst kann der Beitrag lediglich die Vorurteile des Publikums bestätigen.

Wortwörtliche Zusammenkünfte finden immer häufiger statt, da immer mehr Medien auf die Unterstützung ihrer Arbeit durch Abonnenten setzen – statt auf Drive-by-Klicks. Aber auch hier macht die Ausführung den Unterschied. Es ist zum Beispiel wichtig, dass jeder, der zu einer Gemeindeversammlung eingeladen wird, das Gefühl hat, gleichberechtigt zu sein. Die Ausgangslage muss nicht bedrohlich, sondern fair sein (weil du zum Beispiel kein Gespräch über Rassismus in der weißesten Gegend der Stadt führen willst).

Es sollte auch Momente der Leichtigkeit und die gemeinsame Geschichte oder Absicht herausgestellt werden. Und idealerweise Essen. Menschen verbindet es nach wie vor, wenn sie gemeinsam Brot brechen, so wie sie es immer getan haben. Diese Details spielen eine große Rolle – genauso wie der Inhalt des Gesprächs. Im Difficult Conversation’s Lab fanden Coleman und seine Kollegen heraus, dass Gespräche besser laufen, wenn die Menschen etwa drei positive Interaktionen pro einer negativen Begegnung haben. Und der Ton wird meist in den ersten Minuten gesetzt.

Die besten Gespräche über Differenzen beginnen meist mit persönlichen Fragen wie: „Welche Ihrer Lebenserfahrungen haben Ihre politischen Ansichten geprägt?“ Wenn wir unsere eigene Geschichte erzählen, neigen wir dazu, mit mehr Nuancen zu sprechen. Denn das wirkliche Leben ist kein Autoaufkleber.

Wenn Spaceship Media mit einem Newsroom zusammenarbeitet, um eine geteilte Community zu kontaktieren, stellen sie normalerweise vier Fragen (oft über Facebook):

  • Was denken Sie, dass die andere Gemeinschaft von Ihnen hält?

  • Was halten Sie von der anderen Gemeinschaft?

  • Was soll die andere Community über Sie wissen?

  • Was wollen Sie über die andere Community wissen?

Beachten Sie, dass es bei keiner dieser Fragen um Präsident Trump geht, im Gegensatz zum 60-Minuten-Segment. Jede Frage erfordert ein gewisses Maß an Reflexion, was zu einer neugierigeren, weniger aufgeladenen Denkweise führt.

Dann machen sich die Journalisten an die Arbeit – und versuchen, die Antworten auf die Fragen zu bekommen, die die Leute über ihre Mitstreiter haben. Sie tun dies mit ungewöhnlicher Transparenz, teilen häufig, was sie finden und wo – und bitten die Leser um Feedback und Anregungen.

Nach der US-Wahl 2016 füllte Spaceship Media eine geschlossene Facebook-Gruppe mit 50 Frauen, davon die Hälfte Trump-Wählerinnen aus Alabama und die andere Hälfte Hillary-Clinton-Wählerinnen aus Kalifornien. Einen Monat lang führten die Frauen komplexe Gespräche über Abtreibung, Gesundheitsvorsorge, Rasse und Politik. An dem Punkt, als klar wurde, dass die Alabama-Frauen eine ganz andere Ansicht von Obamacare hatten als die kalifornischen Frauen, kamen die Journalisten ins Spiel und untersuchten, wie Obamacare an jedem Ort funktionierte. Sie teilten ihre Ergebnisse mit der Gruppe, einschließlich der Tatsache, dass die Krankenkassenbeiträge in Alabama schneller gestiegen waren als in Kalifornien. Die widersprüchlichen Wahrnehmungen der Frauen lagen an einigen realen geografischen Unterschieden.

Im Laufe der Zeit forderten die Teilnehmer auf beiden Seiten mehr Berichterstattung. Sie fingen an, den Reportern zu vertrauen, die ihnen vertraut hatten.

6. Wirke (vorsichtig) der Voreingenommenheit entgegen

Eine der am besten untersuchten Verzerrungen der menschlichen Wahrnehmung ist die Bestätigungsverzerrung – unsere leidige Angewohnheit, Nachrichten zu glauben, die unsere bereits existierenden Narrative bestätigen und alles andere ablehnen.

Schlimmer noch, Menschen, die Informationen erhalten, die ihre Ansichten in Frage stellen, können tatsächlich stärker davon überzeugt sein, dass sie recht haben. (Und besser gebildete Menschen sind nicht unbedingt weniger voreingenommen. Zum Beispiel sind wissenschaftliche Kompetenz und Rechenfertigkeiten keine starken Vorhersagen dafür, dass der Klimawandel als eine ernsthafte Gefahr für die Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wie Dartmouth-Professor Brendan Nyhan festgestellt hat. Mit anderen Worten, Bestätigung der Voreingenommenheit ist das Kryptonit des traditionellen Journalismus, es macht unsere brillanteste und akribischste Arbeit völlig wirkungslos.)

Das liegt daran, dass Menschen sich nicht dazu entschließen, etwas aufgrund seiner statistischen Aussagekraft zu glauben. So haben sich unsere Gehirne nicht entwickelt. Wir beurteilen Informationen anhand ihrer Quelle und ihrer Vereinbarkeit mit unseren anderen Überzeugungen. Wie Daniel Kahneman es in Thinking Fast and Slow formuliert: „Woher wissen Sie, ob eine Aussage wahr ist? Wenn sie durch Logik oder Assoziation mit anderen Überzeugungen oder Vorlieben verbunden ist oder von einer Quelle kommt, der du vertraust und die du magst, wirst du ein Gefühl geistiger Leichtigkeit verspüren.“

Eine Möglichkeit, Voreingenommenheit sanft entgegenzuwirken, besteht also darin, zuerst ein wenig geistige Leichtigkeit zu schaffen: zum Beispiel, Quellen aus einer Vielzahl von Gruppen zu nutzen. Wenn du eine Geschichte über die wissenschaftlichen Beweise für die Sicherheit von Impfstoffen machst, und du weißt, dass deine liberalsten Leser diesem Argument sehr misstrauisch gegenüberstehen, wäre es am besten, Quellen zu verwenden, die sie überraschen – idealerweise von deren Seite.

Eine weitere Taktik ist die Verwendung von Grafiken anstelle von Text. In einer Reihe von Experimenten fanden Nyhan und Kollegen heraus: Bei umstrittenen Themen erhöhte die optische Präsentation von Informationen die Genauigkeit der Überzeugungen von Menschen –einschließlich der Anzahl der aufständischen Angriffe im Irak, nachdem die Zahl der US-Soldaten gestiegen war, oder der Veränderung der globalen Temperaturen in den letzten 30 Jahren.

Kognitive Leichtigkeit kommt auch von einem Gefühl der Hoffnung. Unbequeme Informationen, die Angst auslösen könnten (zum Beispiel ein Bericht über die verheerenden Auswirkungen der diesjährigen Grippeepidemie), sind für die Menschen leichter zu ertragen, wenn sie mit bestimmten Maßnahmen einhergehen, auf die sie reagieren können (in den USA wäre das beispielsweise eine Liste von Apotheken, die kostenlose Grippeimpfungen anbieten, zusammen mit ihren Öffnungszeiten).

In einer Meta-Analyse von mehr als 100 Studien zum Thema Angstbotschaften haben Kim Witte und Mike Allen herausgefunden, dass Angst ohne eine Möglichkeit zu handeln, nach hinten losgeht und Menschen dazu bringt, mit Leugnung, Vermeidung und Abscheu zu reagieren. Die überwiegende Mehrheit der Nachrichten funktioniert genau so, was uns zu Denken geben sollte. Verleugnung, Vermeidung und Ekel können kein gutes Geschäftsmodell sein. Aber wenn Menschen daran erinnert werden, dass es für ein Problem Lösungsmöglichkeiten gibt (darunter einige, mit denen sie einverstanden sind und wo sie in naher Zukunft handeln können), sind sie offener dafür, Warnungen zu berücksichtigen.

Abschließend noch ein paar einfache Ratschläge: Es ist wichtig, eine falschen Überzeugung nicht zu wiederholen, um sie zu korrigieren, hat Nyhan herausgefunden. Wenn man den Leuten sagt, dass Barack Obama kein Muslim ist, werden sich viele daran erinnern, dass er Muslim ist. Das Gegenteil verschwindet einfach aus ihren Köpfen, weil es nicht zu den bereits bestehenden Vorurteilen passt. Der beste Weg, dieser beunruhigenden Tendenz entgegenzuwirken, ist, einfach zu sagen, dass Obama Christ ist – damit keine falschen Informationen abgespeichert werden.

„Breaking the Narrative“

Anfang 2018 fand bei 60 Minuten ein Wiedersehen der Demokraten und Republikaner statt, die sie in Michigan zusammengebracht hatten. Oprah Winfrey war auch da (nachdem sie kurz zuvor geschworen hatte, nicht selbst für das Präsidentenamt zu kandidieren). Einige der Gruppenmitglieder waren in den letzten sechs Monaten in Kontakt geblieben, wie Winfrey mit Stolz bei der Eröffnung erwähnte: „Mitglieder von anderen Seiten der Trennlinie wurden Freunde, organisierten Ausflüge und unterhielten sich jeden Tag in einer privaten Facebook-Chatgruppe.“

Aber das anschließende Gespräch blieb unerträglich banal. Eine Trump-Anhängerin sagte, dass sie sich unter seiner Regierung „sicherer“ fühle: „Ich fühle mich, als könnte ich jedem frohe Weihnachten wünschen, wo immer ich will“, sagte sie. Die Trump-Kritiker griffen den Weihnachtsgedanken auf: „Ersparen Sie mir die falsche Empörung“, sagte einer. „Obama wünschte immer ‚Frohe Weihnachten‘,“ fügte eine weitere hinzu. Wir haben nie mehr etwas darüber gehört, warum die Frau das Wort „sicherer“ benutzt hat.

Später gab es Meinungsverschiedenheiten darüber, ob Trump sich wirklich darüber beschwert hatte, dass Einwanderer aus „Drecklochstaaten“ nach Amerika kamen, wie in den Medien vielfach berichtet wurde.

Winfrey: „Wer hier glaubt, dass er diesen Kommentar gemacht hat …?“

Tim: „Auf jeden Fall.“

Kim: „Auf jeden Fall.“

Winfrey: „Denkst du, er hat den Kommentar gemacht?“

Paul: „Ja, ich glaube, er machte den Kommentar.“

Es war, als würde man einer Familie mit Funktionsstörung dabei zusehen, wie sie diskutieren, wie Kartoffeln gekocht werden. Alle stritten sich, aber niemand brachte etwas wirklich Wichtiges zur Sprache.

Trotzdem war die Tatsache wichtig, dass die Michigan-Gruppe in Kontakt geblieben war. Trotz des oberflächlichen Gezänkes wollten sie sich immer noch als Menschen sehen. Und das offenbart eine weitere menschliche Voreingenommenheit, eine, die völlig unterbewertet ist. „Menschen wollen sich nicht an die Gurgel gehen“, sagt Sarrouf, der neben seiner Arbeit in Gloucester auch Gespräche über Waffenbesitz und andere kontroverse Themen einberuft. „Die Leute wollen nicht als herzlos angesehen werden. Sie wollen wirklich verstanden werden.“

Menschen teilen die Tendenz zu vereinfachen und zu verteufeln, das ist wahr, aber wir teilen auch den Wunsch nach Verständnis. Ermutigend ist vielleicht, dass wir vereinzelte Beispiele von hochkarätigen Journalisten sehen, die versuchen, den Tribalismus zu durchbrechen. Abgesehen von Winfrey und Van Jones, hielt Jake Tapper ein CNN-Townhall-Meeting zum Thema Gewalt durch Waffen Anfang des Jahres 2018 – als Erwiderung auf das Schulmassaker in Parkland, Florida. Auch Glenn Beck (ja, der konservative Radio- und TV-Moderator Glenn Beck!) hat in den letzten Jahren versucht, sein Publikum dazu zu bringen, die andere Seite nicht mehr zu verteufeln und mehr Vielschichtigkeit herauszuhören.

Bei all diesen Begegnungen scheinen die Medienleute gute Absichten zu haben. Sie wollen das anders machen, aber es fehlt ihnen an den Fähigkeiten dafür. Es ist, als würde man seinem Großvater dabei zusehen, wie er Twitter benutzt; er könnte es lernen, aber es wird es wahrscheinlich nicht von alleine schaffen.

Mit Menschen in heftigen Konflikten zu sprechen, ist ein Teil unserer praktischen Ausbildung, der nicht richtig behandelt wurde, und jetzt sind wir gefährlich. Das Ergebnis ist nicht nur langweiliges Fernsehen, sondern wir erhöhen die Giftwirkung, auch wenn wir es nicht vorhaben. Die Reaktion auf Tappers Town Hall – im Fernsehen und in den sozialen Medien – war ein schrilles Match zwischen FOX News-Anhängern, die CNN beschuldigten, den Schülern Fragen zuzuspielen, und CNN-Anhängern, die die Kritiker beschuldigten, zu lügen und ihre eigene Rechtschaffenheit zu loben.

Interessanterweise wurde es einem Politiker – dem republikanischen Senator Marco Rubio, der im Town-Hall-Meeting mitwirkte – überlassen zu erklären, was auf dem Spiel steht:

„Wir sind eine Nation von Menschen, die nicht mehr miteinander sprechen. Wir sind eine Nation von Menschen, die aufgehört haben, mit Menschen befreundet zu sein, nur weil sie bei der letzten Wahl für jemand anderen gestimmt haben“, sagte er. „Wir sind eine Nation von Menschen, die sich politisch isoliert haben, bis zu einem Punkt, wo solche Diskussionen sehr schwierig geworden sind.“

Und tatsächlich war es eine sehr schwierige Nacht für Rubio. Aber es hätte so viel mehr als das sein können. Es hätte aufschlussreich gewesen sein können.

Journalisten müssen lernen, Widersprüche zu verstärken und die Sicht bei lähmenden Debatten zu erweitern. Wir müssen Fragen stellen, die die Motivation der Menschen aufdecken. Wir alle, Journalisten und Nicht-Journalisten, könnten lernen, besser zuzuhören. Wie Forscher in hunderten von Experimenten in den letzten fünfzig Jahren festgestellt haben, ist der Weg, der heutigen Lagerbildung entgegenzuwirken, die Menschen ihren Kontrahenten oder neuen Informationen auf eine Weise auszusetzen, die sie akzeptieren können. Wenn der Konflikt ein Klischee ist, dann macht Komplexität die Eilmeldung.


Amanda Ripley vom Solutions Journalism Network hat diesen Artikel „Complicating the Narratives“ auf Englisch bei Medium veröffentlicht.

Mit freundlicher Genehmigung der Autorin hat Vera Fröhlich den Text übersetzt. Schlussredaktion: Rico Grimm. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherbild: iStock / tostphoto) .

Die Welt ist kompliziert – und das ist auch gut so

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