Als George Pleios in seinem Athener Büro darüber nachdenkt, was die beste Analogie für das griechische Mediensystem ist, muss er nicht zweimal überlegen: „Es ist wie ein italienisches Pizza Restaurant in New York.“ Ohne eine übergeordnete Macht könne man keine Geschäfte machen, sagt er. In New York, bei den Pizzaläden, ist diese Macht die Mafia, in Griechenland, bei den Medien, ist diese Macht der Staat.
Pleios ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der Athener Universität. Er beobachtet das griechische Mediensystem schon seit Jahrzehnten, und der Vergleich mit einem Mafia-System ist sein Fazit nach diesen vielen Jahren des Studiums. Es ist überspitzt, klar. Aber es enthält auch wahre Elemente.
Denn in keinem anderen europäischen Land dürften sich Finanzwelt, Politik und Medien so nahestehen wie in Griechenland. Das gefährdet die Pressefreiheit im Land. Im Meinungsfreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen rangiert das Land aktuell auf Platz 74. Vor einigen Jahren war es noch 40 Plätze weiter oben.
Gleichzeitig ist in keinem anderen Land das Misstrauen gegenüber den Medien so hoch. Die Eurobarometer-Umfrage misst die Einstellung der griechischen Bevölkerung. Die Ergebnisse sind vernichtend. Nur jeder Fünfte vertraut etwa den griechischen TV-Sendern.
Im Land hat sich inzwischen ein fester Begriff für das Problem etabliert: das Dreieck der Korruption. In Griechenland gab es noch 2009 fast 40 landesweite Tageszeitungen, mehr als 20 landesweite Sonntagszeitungen, ein Dutzend Wochenzeitungen und mehrere private TV- und Radiostationen. Für ein Land mit 11 Millionen Einwohnern ist das das eine beachtliche Dichte.
Zum Vergleich: Deutschland hat derzeit, wenn man großzügig zählt, kaum zehn täglich erscheinende landesweite Tageszeitungen. All diese Medien in Griechenland müssen finanziert werden – in einem Land, das von der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte gebeutelt ist, ist das unmöglich. Es war aber auch schon vorher, vor der Finanzkrise unmöglich. Woher kommt dann das Geld für all diese Medien?
Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums haben es 2006 so beschrieben: „[Die Medien] werden von Eigentümern subventioniert; auch wenn sie Einkommen durch Anzeigenverkäufe gerne sehen, nutzen die Eigentümer ihre Medien vor allem, um politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben.“
Sehr viele Medien in Griechenland verkaufen nicht Anzeigen, sondern Einfluss. Die Politiker bedanken sich dafür wiederum, indem sie die Ressourcen des Staates nutzen, zum Beispiel Banken, die unter staatlicher Kontrolle sind, um Geld in Richtung der Medien beziehungsweise deren Eigentümer zu leiten. Das geht recht einfach, weil viele Medien von Oligarchen kontrolliert werden, die auch im Bau, in der Schifffahrt oder anderen Branchen tätig sind.
Als das System in Gefahr war, haben die Medienoligarchen reagiert
Dieses System hat sehr konkrete Folgen. Das eine Beispiel, das Kritiker und Beobachter immer wieder nennen, ist eine Geschichte der internationalen Nachrichtenagentur Reuters. Die schrieb 2012 über fragwürdige Geschäfte bei der Piräus Bank, in die der Eigentümer verwickelt war. Normalerweise lösen Berichte von Reuters, einer Agentur, die in Finanzkreisen sehr geschätzt wird, regelmäßig eine Flut an Folgegeschichten aus. Aber in den griechischen Medien passierte: nichts. Niemand griff die Geschichte auf, nur die Pressemitteilung der Bank selbst zirkulierte.
Ein weiteres Beispiel kann Aris Chatzistefanou erzählen. Er ist ein unabhängiger Journalist und hat lange für die SKAI Mediengruppe gearbeitet, zu der auch Griechenlands bekannteste Tageszeitung Ekatherimini gehört. Als die Krise in Griechenland begann, haben die Medienhäuser systematisch Angestellte entlassen – was bis zu einem gewissen Grad normal ist. Allerdings, so Chatzistefanou, hätten die Eigentümer der Medien sehr sorgfältig darauf geachtet, dass zuerst jene gehen müssen, die als Quertreiber bekannt waren.
„2008 haben die Eigentümer gemerkt, dass das ganze System, das Dreieck in Gefahr war“, sagt Chatzistefanou. Die Banken wankten und damit drohten auch die überlebenswichtigen Geldflüsse zu versiegen. „Also haben sie das Ziel ihrer Medien geändert: von Geschäften, die Geld verdienen sollen hin zu politischen Werkzeugen.“
Auch das machte sich Jahre später bemerkbar: als die Partei Syriza von Ministerpräsident Alexis Tsipras zur Wahl antrat, nach ihrem Sieg die Regierung stellte und mit der EU um neue Kredite rang. Der TV-Journalist Stratis Aggelis war zu dieser Zeit noch der Auslandschef beim Fernsehsender MEGA. Später kündigte er seinen Vertrag, weil zum dritten Mal in sehr kurzer Zeit die Löhne der Angestellten gekürzt wurden. „Und das nachdem ich 23 Jahre für den Sender gearbeitet hatte“, sagt Aggelis.
Aber laut Aggelis stritten sich die Angestellten nicht nur um die neuen Verträge, sondern auch um die Berichterstattung, mit den Eigentümern. Denn die drangen darauf, Syriza und ihre politischen Ideen zu verteufeln. Davon versprachen sich die Oligarchen politisches Kapital, das sie bei nächster Gelegenheit zu ihrem Vorteil einsetzen konnten. Besonders gut sichtbar sei das während der Volksabstimmung gewesen, sagte Aggelis.
Die Korruption begann in den 1980er Jahren
Im Juli 2015 setzte die griechische Regierung diese Abstimmung an. Die Frage war einfach: Soll die Vereinbarung mit der EU über die Kredite angenommen werden? Aber die Wochen vor der Wahl gehörten zu den wildesten der jüngeren griechischen Geschichte. Das ganze Land rang um die richtige Antwort und um die richtige Politik. Nur nicht die großen Fernsehsender, sagt Aggelis. Die blieben trotz aller Proteste bei ihrer einseitigen Berichterstattung und verloren so Zuschauer, die zu kleineren Blogs und Piratensendern wechselten.
Wer verstehen will, wie und warum die griechischen Fernsehsender so und nicht anders reagierten, muss kurz in die Geschichte eintauchen. Denn das griechische Mediensystem ist noch recht jung, war aber von Anfang an ein Kind des Staates. Schon als 1989 die ersten Rundfunklizenzen vergeben wurden, wurde festgelegt, dass diese Lizenzen nur an die Eigentümer der bereits bestehenden Zeitungen gehen durften – ein Geschenk des Himmels für die Oligarchen, die so ihren medialen Einfluss weiter ausbauen konnten.
Fünf Verlagshäuser taten sich daraufhin zusammen und gründeten MEGA, den Fernsehsender, bei dem Aggelis 23 Jahre arbeitete. MEGA sollte in den Jahren danach zum einflussreichsten privaten TV-Sender des Landes werden. Dann, 1996, das nächste Geschenk von der Regierung unter Ministerpräsident Kostas Simitas. Durch ein neues Gesetz durften plötzlich alle Medienfirmen ohne größere Hindernisse an die Börse gehen und dabei sogar für Teilgesellschaften Aktien ausgeben.
Gleichzeitig begannen die Journalisten dieser Häuser, über diese Teilgesellschaften und Firmen zu schreiben und konnten so den Markt manipulieren. Die Eigentümer selbst verdienten mit jedem Börsengang Millionen Euro. Erst am Ende des Jahrzehnts platzte diese Blase, als auch der Dot-Com-Boom in sich zusammenfiel.
Das Dreieck der Korruption existiert heute immer noch – obwohl Alexis Tsipras und seine Syriza-Partei es zu einem zentralen Wahlversprechen gemacht hatten, es zu zerschlagen. Im Oktober 2015 verabschiedete das griechische Parlament ein Gesetz, das die griechische Medienlandschaft eigentlich hätte nachhaltig verändern müssen. Während der Umstellung auf digitalen Empfang hätten alle neuen Lizenzen nach einem Modell vergeben werden sollen, das internationalen Standards von Transparenz und Wettbewerb entspricht. Auch wenn das neue Gesetz noch immer einige eklatante Lücken lässt.
Zwar wurden die Lizenzen ausgeschrieben und sogar an vier Medienhäuser vergeben, aber die TV-Sender Antenna, Alpha, Skai, Star, MEGA, reichten dagegen Klage ein. Der Fall liegt jetzt beim höchsten Gericht des Landes. Das bedeutet: Alles bleibt beim Alten.
George Pleios, der Kommunikations-Professor, sagt: „Die Medienmogule sind nicht reich trotz des Staates, sondern wegen des Staates.“
Dieser Artikel entstand mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stitfung. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Aufmacherfoto: FOS Photos.